Interview mit Peter Paul Zahl.

Dieses Interview erschien in SEIN estmals im Juli 1998 und hat nichts an seiner Aktualität verloren.

Das Finanzsystem kollabiert. Die globalisierte Wirtschaft, getrieben von Wachstums- und Profitstreben, führt zu immer unmenschlicheren Arbeitsbedingungen.

 

Hiermit stellen wir diesen Beitrag erneut zur Diskussion: 

Was ist politische Arbeit für Sie?

Was macht Menschsein lebenswert?

Wir denken Sie darüber? Schreiben Sie uns Ihre Meinung. 

emails bitte an: redaktion@sein.de

 

 

SEIN: Weltweit wird die Arbeit immer knapper. Was ist denn Arbeit überhaupt? Muß man Arbeit neu definieren, ja sogar neu erfinden? Haben wir Deutschen nicht auch ein sehr ambivalentes Verhältnis zur Arbeit?

Peter Paul Zahl: Es gibt zwei Arten von Arbeit. Fremdbestimmte und selbstbestimmte. Und zur fremdbestimmten hat der Deutsche kein ambivalentes Verhältnis, sondern praktisch ein psychotisches, ein neurotisches, durch die Preußen und die Industriealisierung und den Protestantismus geprägtes Arbeitsethos. Menschen die sich als leprös, als aussätzige empfinden, wenn sie keine Arbeit haben. Das finden wir auch bei den 4,5 Mio. Arbeitslosen in Deutschland, die sich schämen, die Selbstmord machen, zu saufen anfangen,. die mit dem Leben nicht zurechtkommen, anstatt diesen Zustand zu genießen. Im Gegensatz zur Dritten Welt ist hier die soziale Abfederung noch gegeben. Erstmal gibt es Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, d.h. hier verhungert keiner.

Ich habe gegen fremdbestimmte Arbeit schon immer etwas gehabt und in meinem Schelmenroman die Partei gegen die Arbeit gegründet, weil selbst das Kieler Weltwirtschaftsinstitut, das der CDU nahesteht, vor mehr als 15 Jahren rausgekriegt hat, daß, wenn die Ressourcen auf der Welt gleichmäßig verteilt wären, jeder Mensch nur zwei Stunden pro Tag zu arbeiten bräuchte. Hierzu ein wunderschönes Zitat von Karl-Marx, der vor 150 Jahren gesagt hat, daß dann praktisch jener selige Zustand erreicht ist wo jeder Mensch selbstbestimmt meinetwegen zwei Stunden arbeitet, dann angelt, dann vögelt, seinen Hobbys frönt, das Leben genießt. Aber genau um die Verteilung der Ressourcen geht es ja, das nennt man ja Klassenkampf.

 

SEIN: Haben die Multis gar kein Interesse daran die Arbeit abzuschaffen?

Peter Paul Zahl:  Ja, sie brauchen ja auch Konsumenten. Man kann alle Arbeit früher oder später mit Computern und Robotern machen, aber dann gibt es ja keinen mehr, der den Schrott kauft. Da tappen sie in die Falle, die sie selbst aufgebaut haben.

 

SEIN: Brecht hat das mal schön formuliert: Spaß haben, die Welt verändern und damit Geld verdienen.

Peter Paul Zahl:  Du wirst lachen: Don Juan hat gesagt: das Leben ist lachen, denken und vögeln,” und Arbeit kann, um noch einmal Wilhelm Reich zu zitieren, “Arbeit liebt Unwissen”, eine positive Angelegenheit sein, wenn sie selbstbestimmt ist und zur Selbstfindung führt”. Da ist im Prinzip vollkommen egal was man macht, ob man Müllman ist, Schriftsteller, Fußballer oder als Regaestar, wenn sie fremdbestimmt ist macht sie einen kurzfristig kaputt, führt zur Entfremdung und zerstört indirekt die Natur.

 

SEIN: Droht der ökologische Kollaps den Industriestaaten früher oder später das Genick zu brechen?

Peter Paul Zahl: Wir erleben jetzt wie z.B. Länder wie Dänemark und Holland mit der Energiesteuer sehr gut klar kommen. Das z.B. Recycling und Ökologie überhaupt ein Riesengeschäft sein kann und selbst große Konzerne dort umdenken. Was nicht der Fall ist in kleinen Schwellenländern wie z.B. Jamaika wo gnadenlos Natur geplündert wird und man Regenwälder weiter zerstört und die Grundlagen des Lebens kaputtmacht. In der ersten Welt hat man praktisch das Privileg umdenken zu können. Die Zerstörung z.B. der Ozonschicht ist ja nicht im Interesse des Kapitals. Wenn das Kapital gebunden wird durch sagen wir 1 Mio. Hautkrebskranke oder gar eine Milliarde Hautkrebskranker, dann zerstört sich das System ja wieder selbst. Das Kapital ist immer renovierungsfähig. In großen Zyklen regeneriert es sich selbst und monopolisiert weiter.

SEIN: Crash des Finanzsystems. Hat sich der Kapitalismus überlebt? Ist nach dem Fall des sozialistischen Systems als Nächstes der Kapitalismus an der Reihe?


Peter Paul Zahl:
Ich meine nicht. Auch nach dem schwarzen Freitag 1929, hat sich der Kapitalismus sehr schnell wieder erholt, eben durch Monopole, durch weltweite Verflechtung, durch Niedermachen von Konkurrenz. Er kann durchaus überleben. Eine andere Sache ist, daß die G8 Länder jetzt schon die Macht hätten sämtliche Finanzspekulationen zu verbieten. Einer der größten Spekulanten der Welt, Soros, der vor einigen Jahren das englische Pfund heruntergehungert hat, was zum Beispiel Karl Marx nie für möglich gehalten hat, weil die Bank von England als das Symbol der Stabilität galt, der sagte selbst, ein Beruf wie seiner müßte verboten werden, er sei kriminell. Er hat sehr kluge Aufsätze in amerikanischen Fachmagazinen geschrieben in denen er genau beschreibt, daß das transnationale Finanz- und Spekulantentum dermaßen parasitär ist, daß es zum Niedergang des Kapitalismus führen wird wie 1929. Mit einer riesengroßen Massenverelendung auf der ganzen Welt. Aber die Monopole gehen gestärkt daraus hervor.
Daß das kapitalistisch System auf Völkermord aufgebaut ist, wird heute gerne von den Jungen verdrängt.

 

SEIN: Du läßt in Deinem Schelmenroman, “Die Glücklichen”, eine deiner Protagonistinnen auf ungewöhnliche Art und Weise den Begriff politische Arbeit definieren: “politische Arbeit ist, wenn du deinen Kopf zwischen meinen Schenkeln hast und ich komme einmal und ich komme zweimal und ich höre auf zu zählen”. Was ist politische Arbeit heute für Dich?

Peter Paul Zahl: Ich habe das Private und das Politische nie getrennt. Das, was wir in den 60er Jahren aufgenommen hatten, habe ich immer versucht zu verbinden. Also eine direkte Verbindung von politisch und privat. Man kann sich von der Welt zurückziehen und nicht mehr auf Ereignisse, die die Welt kaputtmachen, oder sich in einen, ich nenne es “Militantismus” stürzen, der auch zur Selbstvernichtung führt.
Organisierung und Austarierung von eigenen Bedürfnissen. Das nenne ich politische Arbeit. Wir dürfen erleben, daß Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Vögeln, Schlafen Bedürfnisse sind, die alle Menschen auf der Erde haben, aber heruntergespielt werden durch Gehirnwäsche. Gerade hier in Europa mit seiner pietistischen Arbeitsmoral. In einem kleinen Entwicklungsland wie Jamaika ist es eben nicht so, bedingt durch eine unglaubliche Tradition des Widerstandes. Und über Widerstand definiert der Mensch sich. Er gebärt sich selbst im Kampf gegen widrige Umstände. Sei es gegen Natur wie Hurrikans, Erdbeben, sei es gegen die Ausplünderung durch das internationale Kapital. Und hier bin ich nur froh, daß ich in einem Land gelandet bin, welches sich über den Widerstand definiert und deshalb auch eine größere Lebensqualität erreicht. Eine größere Freude am Leben, einen riesengroßen Spaß bei der Selbstverwirklichung.

Der Widerstand hat hier zwei Möglichkeiten, den militärischen, den die Maroons, die weggelaufenen Sklaven geführt haben. Ein Guerillakrieg, der nach 84 Jahren gegen die größte Weltmacht damals zum Sieg führte. Die Maroons haben bis heute die Autonomie. Die andere ist die, durch Streik, Boykott, Sabotage, durch Schweijksches Verhalten oder erfinden von Krankheiten. Gekoppelt macht dies den unglaublichen Lebenswillen und die Lebenskraft der Jamaikaner aus. Und dieses Wissen, dieses Trauma der Sklaverei, das in jedem schwarzen Hintergrund drin ist, und das nicht zu kurieren ist, führt auch zu einem ganz anderen Lebensgefühl und einer speziellen Art wie man mit Katastrophen umgeht.

Wir haben 1988 gemeinsam den größten Hurrikan aller Zeiten überlebt auf Jamaika. Und als der Strom wieder da war kamen 34 neue Raggae-Platten heraus. Wir haben nur gelacht. Und zwar zur Freude überlebt zu haben oder auch aus Schadenfreude, weil es den Nachbarn mehr getroffen hat als einen selber, oder die Kirchen mehr als die Kneipen. Da habe ich gemerkt, daß es ein riesengroßer Kontrast ist zu dem Sicherheitsdenken der Deutschen, die gegen alles versichert sind und wo eine kleine Beule im Auto schon eine kleine Katastrophe ist. Hier wurde vielen Menschen das Lebenswerk zerstört bei dem Hurrikan, aber trotzdem hat man gelacht und baut halt wieder neu auf.

Jedesmal wenn ich nach Deutschland komme erschrecke ich immer mehr, daß das weitgehend weggebrochen ist. Verkörpert früher mal z.B. durch Fritz Teufel, die Kommune 1, die Spaßguerillia oder den Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen. Die frühe Bewegung 2. Juni, wo eben Spaß und Kampf und Lebenslust und Liebe verbunden wurden. Da waren die antiautoritären 68er in Deutschland wegweisend und darauf können wir stolz sein, obwohl wir sehr viel Opfer gebracht haben, was wir nicht vor hatten.
 

 

SEIN: Zunehmender Rechtsradikalismus. Wohin driftet Deutschland deiner Meinung nach?

Peter Paul Zahl: Ich habe auch die Befürchtung und es gibt den “Optimismus des Willens und den Pessimismus der Intelligenz” wie Gramsch immer sagte. Man hofft, daß es nicht rechts weiter geht, aber wenn die Mitte schon so weit nach rechts gerückt ist, da ist die Position der gesamten Politik so weit nach rechts gerückt, so das die Faschisten keine Ausnahme sind, sondern nur eine logische Konsequenz dessen, was in den Medien und in der Politik gepredigt wurde. Die einen machen es wie Rühe, für die sind die Neofaschisten nur Spielmaterial die Druck machen und dann als Vorwand dienen, selbst nur noch weiter nach rechts zu rücken. Sie also einzubinden, wie es so schön heißt Foúcault hat glaube ich gesagt  “Der neue Faschismus entsteht nicht durch die Eroberung der Macht durch die Faschisten, sondern durch die Faschisierung der Nation.

 

SEIN: Herrscht denn ein unterbewußtes Sympathisieren der Deutschen mit diesen Kräften?

Peter Paul Zahl: Gerade dieses ungeheure Sicherheitsdenken der Deutschen, die selbst sehr unsicher sind und sich ökonomisch, sozial und gegen alles mögliche versichern, da ist der Fremde, erst recht wenn er anders aussieht, jemand, der dieses Sicherheitsdenken anschlägt. Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt war klar zu erkennen, je weniger man diese Fremden sieht, desto mehr hat man vor ihnen Angst.

SEIN: Was ist für dich Lebenskunst und hast Du noch einen Traum?

Peter Paul Zahl: Ich habe sehr viele Träume, und die sind genährt durch eine ungeheuer schöne Kindheit, die ich hatte,.wo ich das Privileg hatte, meine Utopien und Träume wahr zu machen. In einer ökologischen und ökonomischen Nische im “zurückgebliebensten” Bundesland Deutschlands, nämlich Mecklenburg. Wie der alte Blücher schon gesagt hat, “wenn die Welt untergeht, dann geh nach Mecklenburg, da geht sie hundert Jahre später unter. Dann bin ich groß geworden unter lauter Frauen, die mein Denken und fühlen bestimmt haben. Mich zieht es auch viel mehr zum weiblichen Geschlecht hin und weniger zur Männerkultur. Und finde das heute wieder auf Jamaika, wo ich erlebe, das Frauen wie sie selbst es sagen: “es mag sein, daß wir aus einer Rippe Adams geschnitzt sind, aber heute sind wir das Rückgrad der Gesellschaft”. Mit solchen selbstbewußten Frauen umzugehen macht einen ungeheuren Spaß.

Was meine Träume angeht: eine Vision die ich habe ist z.B: Durch Vernetzung von Bürgerinitiativen in Jamaika vielleicht dahin zu kommen, wo Grenada 1982-83 unter Morris Byshop war. Und das verbunden mit so wenig wie möglich Arbeit. Ich selbst habe meine Arbeit zur Zeit eingedämmt. Ich sitze an der Schreibmaschine zwischen neun und zwei, nachdem ich meine Kinder zur Schule gebracht habe. Von zwei bis fünf gehen wir an den Strand, spielen, schwimmen, spielen Domino, tratschen, klatschen und dann gehen wir nach Hause um ganz gemütlich zu essen. Meine Lebensgefährtin ist eine ganz phantastische Köchin. Von ihr habe ich vieles gelernt und in einem Kochbuch niedergeschrieben, das in Deutschland erschienen ist. Es heißt: “Geheimnisse der karibischen Küche”.

Dann nehme ich mir sehr viel Zeit für die Liebe, weil sie in meinem Leben nicht unter Streß stattfindet. Ich glaube, daß ich mir das Privileg verschafft habe, noch sehr entspannt zu leben und richtig glücklich zu sein manchmal, besonders wenn ich es vergleiche mit meiner zehnjährigen Knastzeit in Deutschland. Ich habe noch Pläne bis in das Jahr 2061 und möchte mit 117 unter einer Frau sterben. Ich habe auch schon ein wunderschönes Grab auf meinem eigenen Grundstück am Meer.

 

SEIN: Eine Abschlußfrage: Wer ist Peter-Paul Zahl?

Peter Paul Zahl: Wer ich bin? Na, ich kenne ihn noch gar nicht so gut und versuche, noch mehr über ihn rauszukriegen, wozu die 60er Jahre Drogenerfahrungen auch beigetragen haben und wozu Meditation geholfen hat. Heute sind es vor allem meine Kinder auf Jamaika. Durch sie lerne ich mich mehr und mehr kennen .

Peter Paul Zahls website: http://www.ppzonline.de/


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Kurzbeschreibung
„Den melancholischen Gemütern zur Ermunterung … und allen Menschen, die hin und wieder die Gemeinschaft brauchen“ – so empfahl Peter-Paul Zahl 1979 seinen Schelmenroman, der sich mittels und trotz barocker Formen als ein höchst zeitgemäßes Opus entpuppte. Wie hier die 68er Generation – zwischen Marx und Mao, zwischen Kommune-Querelen und Stadtguerilla, zwischen Katzen und Kindern – in ihren Aufbrüchen und Ansprüchen gesehen wurde, das provozierte Identifikation und Ablehnung und führt immer wieder zu Fragen, die in die Gegenwart münden.

Der Verlag über das Buch
»Dieser Roman sagt mehr über die 68er, ihre Utopien, ihr Scheitern und den Weg in Terror und Hysterie des „deutschen Herbstes“ als manche historische Untersuchung.

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