Satsang, Advaita und Deeksha als Boten eines Paradigmenwechsels

Wenn eine bestimmte Grundauffassung durch eine andere abgelöst wird, dann kann man von einem Paradigmenwechsel sprechen. Ein solcher findet seit einiger Zeit auf der spirituellen Ebene statt: statt harter Arbeit an sich selbst rückt die Gnade in den Mittelpunkt.

In der spirituellen Szene repräsentieren die drei Begriffe Satsang, Advaita und Deeksha einen gewissen Trend.
Von der breiten Öffentlichkeit bisher kaum bemerkt oder beachtet, hat sich in Nordamerika, Westeuropa und Australien aus einer alten indischen Tradition etwas Neues entwickelt. Satsang („Zusammensein in der Wahrheit“), Advaita (die aus den Veden entwickelte Philosophie der Nicht-Dualität) und Deeksha (eine Energieübertragung) sind zwar sehr verschieden und sollten nicht miteinander verwechselt werden. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie einen beachtlichen Paradigmenwechsel kennzeichnen, d.h. eine grundsätzliche Veränderung der Perspektive, vergleichbar der Reformation von Martin Luther, der die Gnade Gottes an die Stelle der Rechtschaffenheit der Frommen setzte.

Salvesen_Mandala.gifBis in die 90er galt noch generell die traditionelle Vorstellung, dass „Erleuchtung“ oder „Erwachen“ nur durch das unermüdliche Bemühen und die Selbstaufgabe des Wahrheitssuchers erreichbar sei. Ob in tagelangen Zenshessins, tibetischen Mantragesängen und Ritualen, sufistischem Whirling, Maharishi-Siddhitrainings oder Oshos scheinbar spielerischem Mix aus Allem – die Grundidee war und ist: Ich, der Sucher, muss nur alles geben, alles durchleben und dabei so bewusst wie möglich sein, dann… die Erleuchtung!

Satsang

Die „Satsangwelle“ der 90er Jahre – ausgelöst vor allem durch den indischen Guru Poonja und seine westlichen „Botschafter“ – stellte erstmals einige Grundkonzepte in Frage: Ist Erleuchtung überhaupt ein Ziel, das es zu erreichen gilt? Ist sie nicht vielmehr unsere wahre Natur, die schon immer gegenwärtig ist? Schiebt nicht jedes Bemü-hen, jede Meditationstechnik erst recht eine Wand vor das, was jetzt ist? Und dann: Wer will da etwas erreichen? Ist es nicht gerade dieses Ich, das immer alles vermasselt? „Ich meditiere, ich gebe alles auf, ich liebe meinen Guru…!“ Das Ich kann sich selbst nicht loswerden, macht sich durch spirituelle Praktiken nur noch stärker. Wenn überhaupt etwas Sinn macht, dann dies: Das Ich ist kein realer Feind, sondern einfach nur ein Gedanke.

 

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H.W. L. Poonja,
auch „Papaji“ genannt.
(13.10.1910 – 6.9.1997)
Ramana Maharshi
30.12.1879 -14.4.1950

 

Der südindische Weise Ramana Maharshi (1879-1950) ließ Sucher fragen, woher der Ich-Gedanke kommt, und für wen er auftaucht. Diese Methode der Selbsterforschung wurde und wird in einigen westlichen Satsangs angeregt. Nach einer stillen Begrüßung und einer kurzen Ansprache sind Fragen aus dem Audi- torium willkommen. Hier kann jeder in einer durchaus mitfühlenden Gemeinschaft seine intimsten Fragen stellen und bekommt Rat und Zuspruch vom Lehrer. Manche Satsanglehrer initiieren auch Schüler und geben ihnen neue Namen.

 

Advaita

A-dvai – „Nicht-zwei“, das bedeutet: Die Welt und ich sind nicht verschieden. Ich bin das alles, jetzt. Und ich bin zugleich nichts. Das zu erkennen ist kein Schlummerlied, sondern ein existentieller Schock. Ramana Maharshis Methode der Selbsterforschung stellt, wie er selbst mehrmals zugab, nur einen Kompromiss dar. Immerhin: Die Frage „Woher kommen die Gedanken?“ wirft den Sucher auf sich selbst zurück. Er braucht keine äußere Autorität. Er findet heraus, dass die Gedanken aus derselben Quelle kommen wie alles andere auch. Die eine Quelle für alles – eine zunächst noch ziemlich verkürzte Metapher für Advaita. Man sieht die Quelle schon sprudeln. Aber sie kann überhaupt nicht wahrgenommen werden. Sie ist, wie schon die Veden (Veda = „Wissen“ / heilige indische Schriftensammlung) sagen, das, was alles wahrnimmt, doch niemals selbst erkannt werden kann. Da können durchaus Ängste und Zweifel aufkommen bei dieser „Reise ins Nichts.“

Salvesen_Spirale1.gifViele der Satsanglehrer helfen als Berater bei persönlichen Fragen und Problemen und verlieren dabei vielleicht selbst „das Nichts“ aus den Augen. Die Vermischung von: „Ja, alles ist Eins, du bist bereits vollkommen“ und „Aber du hast es noch nicht wirklich erkannt – um es zu erkennen, musst du dies und das praktizieren!“ ist die wohl häufigste Verwirrung in den Satsangs.
Es ist auch ein verflixtes Paradox. Ich kenne nur wenige, die dieser Verwirrung auf je eigene Weise recht wirksam begegnen. Karl Renz etwa weist in Kalauern, aber zugleich unerbittlich auf die Ausweglosigkeit, das Schachmatt hin: Ich kann nicht gewinnen, weil ich stets den Vorteil suche. In diesem Leben hebt sich aber jeder Vorteil auf (Tod). Irgendwie entsteht in seinen Talks („Ich rede euch zu Tode“) ein ungreifbares Gespür für Ramanas „Sei, der du bist!“. Sei, was du nie erkennen kannst! Welche Erleichterung, undefinierbar zu sein!
Tony Parsons wiederum verweigert sich auf vielleicht herzlichere, aber ebenso konsequente Weise als Lehrer, der irgendeine Methode zum Erwachen anbietet. Ganz einfach weist er auf die Nichtdualität als „Nichts, das zugleich als Alles erscheint.“ „Dies ist alles, was ist!“

 

Deeksha

Deeksha ist ein Sanskritwort und bedeutet in etwa „Gnade“. In der vedischen Tradition Indiens überträgt ein Meister seinen Schülern unmittelbar das Wissen, nicht nur durch Worte, sondern vor allem in wortlosen Gesten, Ritualen, Handauflegen, stillem Sitzen. Der heute 58-jährige Inder Bhagavan hat die Deek-sha-Tradition auf verblüffend neue Weise interpretiert. Er lässt von angeleiteten Lehrern „Deeksha geben“, wobei ein Energieimpuls das Gehirn umorganisieren und eben jene Bereiche aktivieren soll, die von einigen Hirnforschern als „Sitz Gottes“ bezeichnet werden.

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Sri Bhagavan (*1949)

 

Aus aller Welt strömten in den vergangenen Jahren Zigtausende von Suchern zur „Oneness University“ von Bhagavan, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Madras, heute Chennai. Er und seine Frau Amma werden dort als Avatare (göttliche Inkarnationen) verehrt.  Bhagavan hatte bereits vor über 30 Jahren als Dorfschullehrer die überaus starke Vision einer leuchtenden Energiekugel über seinem Kopf, die er nur zu berühren brauchte, um geistige Kräfte auf andere zu übertragen. Tatsächlich änderte sich in wenigen Jahren nicht nur die Leistung seiner Schüler enorm, die ganze Region erfuhr einen unerhofften Aufschwung. Männer hörten auf, sich zu betrinken und ihre Frauen zu schlagen. Harmonie und Frieden ringsum – jedenfalls nach den Berichten aus Quellen im Umkreis von Bhagavan. Neu ist bei Bhagavans Deeksha der Bezug auf das Gehirn – ein Brückenschlag zur heutigen Neurologie – in Verbindung mit göttlicher Gnade. Nach entsprechender Ausbildung vor Ort für 6700 US$ – zwei bis drei Wochen Energieregen – kann jeder Deeksha geben. Eine Art Gehirn-Reiki geschieht. Natürlich tut dabei niemand etwas aus eigenem Antrieb oder persönlichem Interesse. Die Energie kommt aus der universalen Quelle, allerdings vermittelt durch Bhagavan und Amma, die von vielen wie Götter verehrt werden. Bis 2013, so die Prognosen von Bhagavan, wird die gesamte Menschheit durch Deeksha erleuchtet sein.

 

Das Ich kann sich selbst nicht loswerden

Es gibt nichts zu tun, nur die Gnade zählt, gleichgültig welcher religiösen Tradition jemand angehört. Das macht die Deeksha-Bewegung zum Teil des Paradigmenwechsels. Auch die Tatsache, dass sich Arjuna Ardagh, Isaac Shapiro, die Musiker Deva Premal und Miten, Erwin Laszlo und etliche andere, die allgemein als spirituell erfahren gelten, von Deeksha überzeugen ließen, könnte als Pluspunkt gelten. Andererseits: Auf der Suche nach der wahren Natur bin ich allein. Was andere meinen gefunden zu haben, kann mich letztlich kalt lassen.

Der Personenkult um Bhagavan und Amma, die Verheißungen auf eine bessere Zukunft und die Bindung der natürlichen Glückseligseligkeit (satchitanand) an raum-zeitliche Bedingungen (Gehirn) machen mich eher skeptisch und erscheinen mir als Rückfall in die Dualität. Doch zugegeben: Diese Art der Versuchung ist eine herrliche Herausforderung: Gibt es vielleicht doch mehr?!


Abbildungen: shako@netzkunstgenerator.de

 


In seinem Buch
„Advaita“ erläutert er allgemeinverständlich die Verbindung von indischer und westlicher Bewusstseinsphilosophie.
 
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Christian Salvesen:
„Advaita.
Vom Glück, mit sich und der Welt eins zu sein“
(O.W. Barth)

 

 

 

 

 

Illustrationen: shako@netzkunstgenerator.de

 

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