Es sind weder politische Überzeugungen noch Wirtschaftssysteme, die die Welt zerstören. Es sind die Menschen, die sie vertreten. Darum kann der für diesen Planeten notwendige Wandel nur von den Menschen ausgehen und muss erst in ihnen selbst geschehen. Bis diese Veränderung nicht passiert ist und das Prinzip Verantwortung vom Kopf bis in unsere Zellen gesackt ist, stehen alle äußeren Veränderungen auf schwachen Füßen. Der Wandel beginnt innen.

 

Verantwortung läuft nur zu einem Bruchteil über den Verstand. Sonst sähe die Welt anders aus. Spätestens seit Tschernobyl wissen wir, wie verheerend die Auswirkungen eines Reaktorunfalls sein können – und setzen weiter auf Atomkraft. Wir wissen, dass die Reserven an Öl und Kohle endlich sind und in den nächsten 50 Jahren zu Ende gehen – und ändern nichts an unserer Art der Mobilität. Wir bauen weiter neue Kohlekraftwerke statt die unbegrenzt zur Verfügung stehende Sonnenenergie mit mehr als ein paar lächerlichen Millionen zu fördern. Wir wissen um die heftigen Auswirkungen des Klimawandels – und wollen uns nicht auf wirklich radikale Reduzierungen beim Hauptverursacher CO2-Ausstoß einigen. Wir wissen, dass die Abholzung der Regenwälder für unser Klima tödliche und nicht rückgängig zu machende Konsequenzen hat – und setzen weiterhin jeden Tag die Motorsägen an hunderttausende uralter Baumriesen. Die Liste könnte endlos so weitergehen. Unser Wissen ist groß, unsere Bereitschaft zur Veränderung klein. Erst wenn negative Erfahrungen unsere Existenz bedrohen, erst wenn unser Leben(sstil) bedroht ist, scheint eine Kraft in uns geweckt zu werden, die größer ist als unsere Bequemlichkeit und Gier, unsere Ignoranz und Arroganz. Und dann könnte es zu spät sein.

Darum ist alle Information über die diversen Missstände nur der Anfang. Es braucht einen inneren Wandel, bevor uns das Leben unwiderruflich in eine Ecke treibt, aus der wir nicht mehr herauskommen – und nur dieser innere Wandel hat wirklich die Kraft, die immer größer werdenden Hindernisse im Außen zu überwinden. Denn er bedeutet eine neue Bewusstseinsebene, auf der Verantwortung etwas Natürliches ist, ja, auf der es Freude macht, Verantwortung zu übernehmen, weil diese Verantwortung zu unserem tiefsten Wesen gehört. Nicht Verantwortung übernehmen, weil ich glaube, ich müsste und sollte, weil ich ein guter Mensch sein oder auf der richtigen Seite stehen will, sondern weil ich das im Kern bin, weil es sich von selbst so ausdrücken will, weil ich gar nicht anders kann und will.

 

Berührbarkeit wachrufen

Eine Zeitlang mag ein rein intellektuelles Verständnis tragen. Auf die Dauer tut es das nicht, dann übernehmen wieder Bequemlichkeit und die diversen Egogelüste das Ruder. Dann wird man zu faul, den Müll korrekt zu trennen, man nimmt für eine Kurzstrecke trotzdem mal das Auto anstatt sich aufs Fahrrad zu schwingen und kauft möglicherweise genveränderten Lebensmittelschrott im Supermarkt, weil die Fahrt zum Bioladen gerade zu anstrengend ist. Darum: Nur wenn wir die Verantwortung für unsere Umwelt fühlen, werden wir auf Dauer anders handeln. Und um diese Verantwortung zu fühlen, müssen wir unser Fühlen erst einmal wieder freilegen, es befreien von allen Schutzschichten, mit dem wir es viele Jahre lang überzogen haben. Es geht darum, berührbar zu werden für den Zustand unseres Planeten. Wenn wir nicht berührbar sind, bleibt es beim rein rationalen Verstehen und die Motivation zur Veränderung bis auf kurze Aufwallungen von Empörung und Protest kraftlos. Wie wir diese Berührbarkeit in uns wachrufen können, dafür gibt es in diesem Heft hunderte von Anregungen, Angeboten und Wegen.

Berührbar bin ich dann, wenn ich entspannt bin. Spannung ist immer ein Zeichen dafür, dass etwas den Lebensfluss blockiert, dass ich etwas abwehre. Entspannung ist Ausdruck davon, dass ein Mensch in sich ruht, dass (momentan) keine Abwehrmuster aktiv sind. Diese Entspannung ist gleichbedeutend damit, dass ich keine Position (meine Position) verteidigen muss. Und nur dann kann ich überhaupt zuhören und bin offen für andere und neue Sichtweisen der Welt, offen für neue Lösungsmöglichkeiten, nur dann bin ich überhaupt lernfähig. Und nur ein lernfähiger Mensch wird Träger und Stütze des Wandels sein können.

Entspannung und Berührbarkeit finden im Körper statt, nur da kann ich sie wahrnehmen. Unsere Kultur allerdings ist Ausdruck des Verlustes der eigenen Körperwahrnehmung. Fühlen und Einfühlsamkeit werden durch Argumentieren ersetzt. Die gegensätzlichen Argumente haben ihren Ursprung im Verstand, und der kann alles für richtig oder falsch erklären. Wo Glauben oder eine verstandesmäßige Überzeugung auftauchen, steht der Zweifel bereits hinter der nächsten Ecke, um die entsprechenden Überzeugungen zu unterminieren – das ist einfach die Natur der Dualität, die der Verstand produziert. Und da die Positionen des Verstandes nicht wirklich auf festem Grund stehen, müssen sie ständig verteidigt werden – wenn nötig mit Gewalt.

 

Wenig tragfähig: Konzepte

Ein Beispiel für die Instabilität und Unsicherheit eigener Überzeugungen und Handlungsstrategien ist die Kindererziehung, bei der die wenigsten Eltern wissen, wie sie ihre Verantwortung wahrnehmen sollen. Es gibt Dutzende von Erziehungsrichtungen und Tausende von Ratgebern, die alle die „richtige“ Art des Umgangs mit Kindern postulieren, aber sie sind im Grunde nur Ausdruck unserer eigenen Unfähigkeit, in uns selbst im jeweiligen Moment wahrzunehmen, was zu tun ist. Immer wieder taucht in den Erziehungsdiskussionen die Frage auf, wie weit Kinder Grenzen brauchen. Fehlt Kindern nicht die Struktur, wenn wir sie einfach „wild“ aufwachsen lassen? Auf eine solche Frage gibt es keine wirkliche Antwort. Die Frage an sich sagt mehr über den Fragenden aus als über das Thema Kindererziehung.

Wie Kinder sich verhalten, hängt vom psychischen Zustand der Erwachsenen um sie herum ab und weniger von den unterschiedlichen Konzepten des Sein-und-Gewähren-Lassens oder dem enger, klarer Grenzen, die den Kindern von den Erwachsenen gesetzt werden. Tragen die Erwachsenen noch viel Unaufgelöstes mit sich herum – das der eigenen Biographie und das ihrer Ahnen –, ruhen sie also nicht in ihrer Mitte, dann übernehmen die Kinder diese Energien. Die können diese oft geballte Ladung natürlich nicht aushalten und agieren sie dann – teilweise durchaus wild und überbordend – aus.

Erwachsene, die in ihrer Psyche aufgeräumt haben, ruhen in ihrer Mitte, im Bauch, in dem, was die Japaner Hara nennen. Das bedeutet, dass wir mit unserer Aufmerksamkeit ständig dort sind, egal, was wir im Außen machen. Interessanterweise bereitet es keine Mühe, gleichzeitig in der eigenen Körperwahrnehmung zu sein und mit seiner Aufmerksamkeit bei Tätigkeiten im Außen.

Vor einigen Wochen machte ich die Erfahrung, dass ich in meinem Bauch für ein paar Stunden einfach weiche, warme, frei fließende Energie fühlte. Ich fuhr währenddessen eine Bekannte mit dem Auto. Sie war sehr aufgeregt, weil sie dringend zu einem Termin musste. Anfangs ließ ich mich von ihrer Hektik anstecken und überfuhr mehrmals fast eine rote Ampel. Dann bemerkte ich, was ich da trieb, verlagerte meine Aufmerksamkeit in meinen Bauch und kam innerhalb weniger Minuten total zur Ruhe. Gleichzeitig war ich völlig wach und konzentriert und fuhr sicherer als vorher. Meine Bekannte sprang weiterhin neben mir wie ein HB-Männchen herum, aber es beeinflusste mich nicht mehr. Wenn der Bauch „frei“ ist, können wir – egal, was im Außen passiert – dort zentriert bleiben – und damit mit unserer Kraft verbunden. Wir hören auf, andere für unser Wohlergehen verantwortlich zu machen, weil wir Frieden in uns selbst gefunden haben. Das ist der Kern der Selbstverantwortung.

 

Der Wandel beginnt innen: Die Kraft im Bauch

Man kann diese Zentriertheit und Ruhe allerdings nicht aktiv herstellen, solange die Energien im Bauchbereich nicht wieder ins Fließen gebracht worden sind, weil das Gefühl im Bauch sonst entweder einfach leblos oder sogar unangenehm hart und verspannt ist. Und was keine Attraktivität für uns hat, von dem wenden wir uns ab. Ein Bauch ohne Blockaden fühlt sich dagegen warm an mit einer angenehm fließenden Energie. Das besitzt eine hohe Anziehungskraft, so dass es überhaupt nicht anstrengend ist, seine Aufmerksamkeit dort zu halten. Sind wir in diesem Bereich „gereinigt“, tritt bereits etwas Ruhe in uns ein, was das Verhalten unserer Kinder und der Menschen um uns herum schon einmal beeinflusst. Ist das Herzchakra ebenfalls von Blockaden befreit, nimmt die Zentrierung noch zu. Wir werden immer stiller und ruhiger, die Gedanken weniger und klarer, ein Feld von Liebe entsteht um uns herum, ein Ja, eine Akzeptanz, eine Weite, in der kein Wunsch oder Verlangen mehr existiert, die anderen zu ändern. Kinder, die sich in diesem Feld aufhalten, fühlen dieses Ja, diese Liebe, die nichts von ihnen will, sondern sie frei lässt. Sie müssen nicht mehr die Energien und Projektionen ihrer Eltern ausagieren, sondern können entspannen, weil da keiner mehr ist, der ständig an ihnen zerrt und sie nach seinen eigenen neurotischen Vorstellungen und anerzogenen Mustern verbiegen und verformen will. Die natürliche Intelligenz des Lebens, die natürliche Neugier und Kreativität kann sich auf einmal durch sie ausdrücken.

 

Sanfter Umgang mit sich selbst

Ohne einen „gereinigten“ Bauch schaffen wir es allerdings kaum, dem Ansturm der Gedanken standzuhalten, die uns immer wieder in unsere persönlichen Dramen verstricken. Bis dahin werden wir weiter von unbewussten Anteilen gesteuert, die uns oft ganz anders handeln lassen, als unser Bewusstseinsstand und unser Wissen das eigentlich erwarten ließe. Hier nützt es nichts, die Schuldprojektion vom Außen auf die eigene Person zu verlagern und nun auf sich selbst einzuprügeln. Das englische Wort für Verantwortung „responsibility“ drückt es wunderbar aus: Verantwortung ist die ability (Fähigkeit), auf das Leben und seine Herausforderungen zu antworten (response). Und manchmal ist unsere Fähigkeit eben noch nicht so, wie wir uns das wünschen. Daher gehört zum Thema Verantwortung auch der verantwortungsvolle, sanfte Umgang mit sich selbst. Denn wie wir mit unserer Umwelt umgehen, ist Ausdruck davon, wie wir mit uns selbst umgehen. Nur ein Mensch mit Selbstachtung wird auch seine Umwelt mit Achtung behandeln, nur wer mit sich selbst achtsam umgeht, wird das auch mit seinem Lebensraum tun. Und nur wer zu sich selbst einen guten Kontakt hat, wird sich auch von seiner Umgebung berühren lassen.

 


Abb.: Alle Schönheit kommt von innen: Wenn die Menschen erblühen, blüht auch die Erde. – © Jörg Engelsing

2 Responses

  1. Erich Schrall

    Lange Zeit habe ich gehadert: ich würde gerne Hunde aus Labors befreien, Negerkindern in Afrika helfen u.v.m. Bis ich eines Tages auf eine für mich adäquate Lösung stieß und die hieß: alle Programme sind nutzlos, solange sich der Mensch nicht auf seine Verbundenheit mit der Schöpfung besinnt. Läßt er sich von der Schönheit der Welt berühren und akzeptiert die Beseeltheit der Natur, ändert sich sein Sein und sein Bewußtsein von selbst. Erst dann können Konzepte wirklich greifen (vielleicht sind sie dann gar nicht mehr nötig).
    Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, an diesem Bewußtwerdungs- und Erinnerungsprozess mitzuarbeiten. In meinen Arbeiten zeigen sich Naturwesen mit Botschaften, die das Herz des Betrachters direkt berühren
    (www.magische-natur.de). Über ein feedback freue ich mich.
    Erich Schrall

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  2. Simone Hurtmann

    Sehr geehrter Herr Engelsing,
    Sehr geehrtes Sein.de Team,

    dieser Artikel stellt nicht nur sehr präzise dar, wie viel man mit einem bewußten Lebenswandel nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei anderen erreichen kann, sondern er macht vielmehr noch Mut diese Lebensweise weiter voran zu treiben und einer möglichst großen Zahl an Mitmenschen vorzuleben und zu erklären, was es mit dem Wandel im ich auf sich hat. Aus diesem Grund möchte ich Ihnen herzlichst für diesen Artikel danken.

    Im weiteren würde ich mich freuen, wenn mir das Team von Sein.de einen Ansprechpartner hinsichtlich Kongressen, Vorträgen und Messen, die sich unsererseits derzeit in Planung befinden nennen könnte.
    Wir sind derzeit für diese Veranstaltungen noch auf der Suche nach passenden Dozenten und Vortragshaltenden, sowie Informationsmaterialien, die mit unserem Themenschwerpunkt übereinstimmen. Wir möchten mit unseren Aktivitäten auf Seiten wie diese Aufmerksam machen und unseren Besuchern Inspirationen zu einem Perspektivwechsel liefern.
    Ich bedanke mich im Voraus für Ihre Unterstützung,
    Mit freundlichen Grüßen,
    Simone Hurtmann
    Messe Lebenswandel

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