Die Erfahrung, für kurze Zeit den physischen Körper hinter sich zu lassen und feinstoffliche Sphären zu bereisen, besitzt für viele Menschen eine hohe Anziehungskraft. Seit Jahrhunderten haben sie Techniken entwickelt, wie sie ihren Astralkörper vom physischen Leib lösen können.

 

Die Fähigkeit, nachts den Körper zu verlassen und auf Reisen zu gehen in geheimnisvollen Welten, faszinierte den Menschen wohl immer schon – und seit wir wissen, hat er sich mit seinen Träumen und den Sphären, die dahinter im Verborgenen liegen, beschäftigt. Wir haben mit Sicherheit schon einmal beiläufig romantische Geschichten gehört von Weisen und Mystikern, die sich in geheimnisvolle Abenteuer in unerklärlichen Welten stürzen, wir kennen Erzählungen, in der Personen sich mittels einer Silberschnur durch die verschiedenen Welten hangeln oder im Traum von Engeln und Göttern Botschaften erhalten. Vielleicht haben wir auch schon einmal die Malereien aus buddhistischen Höhlen in Büchern bestaunen können, in denen wir Mönche mit ihrem “Karma Rupa”, dem Traumkörper, fliegen sehen.

Heute kennen wir das Phänomen unter vielen Namen: Klarträume, Astral-Reisen, außerkörperliche Erfahrungen etc. Es ist Teil unserer Kultur geworden, wir sehen es im Kino, die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen wurden zu Kassenschlagern, im Internet haben sich Gemeinschaften mit Abertausenden Praktizierender gebildet und in den Smartphone-Märkten tummeln sich Apps, die uns “Werde wach!”-Botschaften in die vorher ausgemessenen Tiefschlafphasen senden. Und auch wer nicht an das Phänomen glauben mag, hat zumindest schon auf die eine oder andere Weise vage erahnen können – wie im vorletzten DiCaprio-Streifen „Inception“ –, was es damit auf sich hat.

 

Astralreisen: Kein Spaß-Trip

Bei all dem ist natürlich etwas auf der Strecke geblieben. Die Reise mit dem im Okkultimus “Eidolon” (griechisch für Spiegelbild) genannten Abbild des Körpers wurde vom esoterischen Unterbau entkernt. Übrig geblieben ist etwas, das Spaß suggeriert, eine unbegrenzte Spielwiese für Phantasien ohne Konsequenzen. Doch dass der Klartraum eng an die Bewusstseinslehren geknüpft ist und tiefe Bedeutung für die Selbsterkenntnis hat, das vermuten viele nicht. Jahrtausende vor uns haben sich Kulturen bereits mit dem Phänomen auseinandergesetzt, historisch mehrfach belegt. Die Praktiken, die in den esoterischen Traditionen gelehrt wurden, sind revolutionär und geben Aufschluss über viele ungelöste Rätsel und offene Fragen: Ist das Phänomen natürlich, warum kommt es nicht von selbst, schadet es gar, zu welchem Zweck existieren die inneren Welten, ist die Erfahrung nur ein Hirngespinst oder findet sie auf objektiver Bühne statt, und hat das überhaupt eine geistige Bedeutung?

Die gnostische Tradition setzt generell auf die konkrete Ergründung esoterischer Probleme – man soll erfahren, um zu erkennen. Den Anfang macht die Unterscheidung zweier simpler Zustände: (bewusst) Sein oder nicht (bewusst) Sein, unabhängig davon, ob der physische Körper ruht oder nicht. Bewusstsein ist für den Gnostiker ein fließendender Zustand außerhalb der Domäne des Körpers, eine Kontinuität. Erleben wir diese Kontinuität nicht, heißt das: Wer nachts mit schlafendem Bewusstsein die Stunden einbüßt, der tut es auch am Tage; wer tagsüber geistesverlassen durch die Straßen irrt, der tut es auch im Schlaf – das eine hängt mit dem anderen zusammen.

“Der Mensch verbringt sein halbes Leben schlafend im Bett und die andere Hälfte in einem Zustand, den er fälschlich “Wachen” nennt, eine Art Schlafwandel. Er glaubt die Brücke zum Wachzustand zu schlagen, indem er aufsteht und seinen Körper navigiert, aber er träumt fortan… Die Menschen glauben zu wachen, und erzählte man ihnen, sie lebten in einem unbewussten Dauerschlaf, würden sie es unter keinen Umständen akzeptieren. Wir wandern mit schlafendem Bewusstsein durch die Straßen, wir schlafen daheim, auf der Arbeit, im Auto etc. Die Leute kommen schlafend zur Welt, vermehren sich schlafend, werden schlafend alt und sterben schlafend.” ~ Samael Aun Weor, Traum-Yoga

In der westlichen Welt haben sich heutzutage eine Handvoll Praktiken etabliert, um in die geheimen Traumwelten zu gelangen. Man hat ihnen kleine, wissenschaftliche Kürzel gegeben, englische Akronyme, zum Beispiel W.I.L.D. (Wake Induced Lucid Dream) für einen Klartraum, der aus dem Wachzustand ausgelöst wird, oder W.B.T.B. (Wake-Back-To-Bed) für eine kurzzeitige Unterbrechung des Schlafrhythmus. All diese Techniken funktionieren und wurden faktisch auch schon vor langer Zeit praktiziert. Wer einmal buddhistische Schriften liest wie beispielsweise “Epitome of the Six Doctrines“, ins Englische übersetzt von W.Y. Evans-Wentz, wird schnell deckungsgleiche Informationen finden.

Doch im Gegensatz zu den alten Lehren befasst sich die Moderne mit schnellen Kniffen, übersieht aber die Wurzel des Problems: Träume sind das Resultat unbewusster Lebensweise, ob in der Gestalt unkontrollierter Gedanken, die uns zur Tageszeit mechanisch durch den Kopf schießen – wir nennen es umgangssprachlich “in Gedanken versunken” – oder in Form visueller Phantasien im Schlaf. In früheren Zeiten war man sich im Klaren, dass der Mensch seinen Alltag mit in den Schlaf nimmt: Der Tischler hobelt im Traum seine Tische, der Wachmann sichtet die Straßen, der Frisör stutzt die Schöpfe – alle Menschen leben in den internen Welten, als wären sie in der physischen Welt. Dabei unternimmt jeder Mensch des Nachts Astralreisen. Das Erschreckende daran ist: Er tut es mit schlafendem Bewusstsein, ist aber überzeugt, wach zu sein – wie auch am Tage. Ein bewusster Mensch dagegen kann nicht träumen, sein Körper braucht zwar die Ruhe der Nacht, aber sein Geist studiert in den inneren Welten die Mysterien.

In der Gnosis gibt es unzählige Praktiken, um sich in der Abspaltung des Traumkörpers zu üben. Sieben grundlegende davon sind zum Beispiel:

  1. Mantren – sie helfen dabei, den Körper in den Schlummer zu wiegen, bei vollem Bewusstsein
  2. Grundton – ein individuelles Geräusch in uns, das uns in den Wach-Schlaf leitet
  3. Rückkehr – wer sich nach einem Spotanerwachen bewegungslos verhält, kommt in die Traumwelt
  4. Imagination – Lebendigmachung von Bildern in realen Welten, die sich bereisen lassen
  5. Realität hinterfragen – bewusste Beobachtung des Alltages, die sich in den Schlaf überträgt
  6. Autosuggestion – eine mentale Vorbereitung, die im Schlaf ihre Wirkung zeigt
  7. Schlafzyklen nutzen – bestimmte Rhythmus-Unterbrechungen fördern die Klarheit

Die Übungen unterscheiden sich hauptsächlich bezüglich der Ausgangssituation des Praktizierenden, ob er also willentlich auf den Übergang in den Traumschlaf wartet oder im Traum “erwacht”. Alle Praktiken beim Übergang in den Traumschlaf brauchen ein bestimmtes Maß an Konzentration und die Fähigkeit, Gedanken, Gefühle und alle anderen mechanischen Impulse, die uns in den Schlaf wiegen, unbefangen beobachten zu können. Der Ablauf ist dann wie folgt:

“Der Praktizierende muss Spion seines eigenen Schlafes werden. Er wartet auf einen besonderen Zustand, die Schlaftrunkenheit, eine Art Rausch, der dem Schlummer vorausgeht. Fühlt er sich berauscht, so steigt er (als Traumkörper) aus dem Bett, kann den Raum verlassen. Nun mögen sich einige fragen “Wie denn das?”… Beinahe alle, die sich mit solcherlei Dingen befassen, vermuten hier wunderbare Kräfte am Werk wie Magnetismus, Hypnose, etc. Doch ich möchte, dass man mich klar versteht: Wir haben es hier nicht mit Hypnose oder sonsterlei zu tun. Der Praktizierende verlässt sein Bett und überlässt den Rest dem natürlichen Lauf der Dinge. Die Natur weiß bestens den Traumkörper vom weltlichen Körper zu trennen. Es ist so einfach, wie es klingt, man verlässt das Bett und unternimmt einen kleinen Hüpfer, mit der Intention zu schweben.” ~ Samael Aun Weor, die Sternzeichen

Praktiken, die das Erwachen im Traum zum Ziel haben, versuchen uns dabei zu helfen, den Alltag bewusster zu erleben. Es gilt die Faszination zu überwinden, die das Außen auf uns hat. Was wir fühlen, wenn wir schwelgerisch die neusten Produkte im Schaufenster bewundern oder uns um dies und jenes sorgen, sind präzise die Faktoren, die uns um den bewussten Schlaf bringen. Übungen dieser Kategorie befassen sich mit dem berühmten “Hier und Jetzt,” dem Bewusstsein seiner selbst, seiner jeweiligen Tätigkeit und seiner Umgebung, von Moment zu Moment, eine Präsenz außerhalb der mentalen, emotionalen und instinktiven Regungen. Den gewohnten Alltag wieder mit den neugierigen Augen eines Kindes zu bewundern, stärkt das Bewusstsein und setzt die Grundlage für das Kontinuum des bewussten Wachzustandes in den Traum hinein. Im westlichen Okkultismus nannte man den Zustand lange Zeit “Selbst-Beobachtung” – in der Gurdjieff-Bewegung beispielsweise, aber er ist auch in der buddhistischen Philosophie bekannt (Rechte Aufmerksamkeit).

Nun fragt man sich, warum der Mensch überhaupt die Reise in die inneren Welten anstreben sollte und was er davon hat. Vielleicht ist es angeklungen: Astralreisen sind mehr als ein heiterer Spaß und haben essentielle Bedeutung für den spirituellen Weg. Die Erfahrungen in den internen Welten sind die Frucht unserer bewussten Arbeit und geben uns Einblick in die Mysterien. Astralreisen sind ein integraler Teil der Selbsterkenntnis.

“Wer das Bewusstsein erweckt, hört auf zu träumen, wird zu einem Forscher der internen Welten, findet die Erleuchtung, studiert zu Füßen des Meisters, spricht mit Göttern und Engeln, betrachtet seine zahllosen Reinkarnationen, nimmt an seinen Initiationen teil, studiert in den weißen Logen-Tempeln, analysiert den Prozess der Kundalini. [..] In den inneren Welten geben uns die Meister, was wir für die Fortentwicklung brauchen.” ~ Samael Aun Weor, Traum-Yoga

Zuletzt noch ein Bericht der ersten außerkörperlichen Erfahrung des damals jugendlichen Víctor Manuel Gómez Rodríguez, der später unter seinem spirituellen Namen “Aun Weor” die gnostische Bewegung gründete und dem wir die praktischen Hinweise zu verdanken haben. Der im Text erwähnte Tempel S.S.S. soll sich in höherer Sphäre um das Schloss Charlottenburg befinden, schon Mystiker wie Dr. Krumm-Heller oder die ersten Rosenkreuzer sprachen von diesem heiligen Tempel in den inneren Welten.

“Eines Tages arrangierten wir eine metaphysische Sitzung im Sumum Supremum Sanctuarium Berlin. Dies war eine neue Erfahrung für mich, denn ich hatte bisher keine Versuche gemacht, den Eidolon willentlich zu projizieren. Ich wusste, ich konnte es schaffen, und so willigte ich ein. Heute erinnere ich mich noch klar an die Ereignisse. Ich wurde Spion meines Schlafes. In einem mystischen Hinterhalt wartete ich auf den Übergang in den Traum, ich musste diesen Moment festhalten, um meinem weltlichen Körper zu entfliehen. Die Müdigkeit, die mich überkam, und die Präsenz erster träumerischer Bilder waren genug, um mich zu warnen, dass der Moment, auf den ich gewartet hatte, eingetroffen war. Vorsichtig stieg ich aus dem Bett, erfüllt von einer starken, spirituellen Genugtuung. Als ich so das Bett verließ, nur Momente vor dem Einschlafen, fand die natürliche Abspaltung des Traumkörpers statt. Entzückt betrachtete ich sein Glimmern und begab mich auf die Reise nach Berlin.” ~ Samael Aun Weor, die drei Berge

Info und Kontakt  Tel.: 030 – 47 01 15 75 oder 0172-213 86 01 oder gnosiskultur@gmail.com
www.gnosiskultur.de

Vortrag zum Thema am 28. März, 20 Uhr
Ort: Mondlicht-Buchhandlung, Oranienstr.14
10999 Bln.-Kreuzberg, Tel.: 030 – 618 30 15

Über den Autor

Avatar of Paul Henschel

fand seinen Einstieg in den Okkultismus mit den Büchern von Gurdjieff, Ouspensky, Palmer Hall, Blavatsky, Steiner, etc. und begann daraufhin das Studium gnostischer Schriften des Meisters Aun Weor und trat vor zirka vier Jahren einer gnostischen Mysterienschule in Berlin bei.Die Wurzeln der gnostischen Schule liegen in Süd-Amerika. Dort hatte in den 60er Jahren Victor Manuel Gómez Rodriguez, später unter seinem esoterischen Namen Samael Aun Weor, eine gnostische Bewegung gegründet. Die Lehre zeichnet sich neben der Auseinandersetzung mit den Weltreligionen und ihren Schriften durch die starke Tendenz zur Praxis aus. 2007 gründeten Gnostiker in Berlin das erste sogenannte „Lumisial“ in Deutschland.

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3 Responses

  1. Jörg

    ich möchte hans peter recht geben – alleine die website dieser sekte zielt entlarvt sich mit den worten – zitat: Gottes Lehre, das ist die Erfüllung seiner Gebote; der einzig wahre Weg für das Heil der menschlichen Seele. Würden die Menschen, die so gern mit ihren Interessen liebäugeln, nicht über dies eine Erbe schachern, so gäbe es keine Rivalität über die Konzepte und Meinungen hinsichtlich Gott; und jeder Mensch würde danach streben seine Erlösung zu suchen. Das ist die krude Wahrheit.“ zitat ende

    so – also schon wieder eine einzige wahrheit… nun denn…

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  2. Hanspeter Gautschin

    Ich habe mir vorhin den „Ehrwürdigen Meister Samael Aun Weor“ angetan und bin erstaunt, dass solche Gedankengebäude mit den Grundsteinen „Falsch“ und „Richtig“ (richtig ist alles, was der Ehrwürde Meister denkt bzw. seine JüngerInnen zu denken haben) so hoch im Kurs stehen können. Wie bei vielen „grossen Meistern“ üblich, muss die Sexualität herhalten. Auszug aus dem E-Book „Gnostische Sexualität“:

    „… Die Infrasexuellen z.B. Lesben, Homosexuelle, Kinderschänder, Masturbatoren, etc. sind nicht bereit dafür, in das Reich der Suprasexualität einzutreten. Der Infrasexuelle muss, wenn er sich heilen will, vor allen damit anfangen, die normale Sexualität zu erreichen. Sobald er die erreicht hat, kann er sich vollständig auf den Weg des Suprasexuellen begeben …“

    Ich glaube, hier erübrigt sich jeglicher Kommentar und ich bin doch erstaunt, dass die SEIN-Redaktion einem solchen „spirituellen“ Schwachsinn indirekt ein Podium gibt…

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