Das „Freihandels- und Investitionsschutzabkommen“ zwischen der EU und den USA, kurz TTIP, wird kontrovers diskutiert. Umweltschützer fürchten, dass Gentechnik und ­Hormonfleisch durch die Hintertür nach Europa kommen. Soziale ­Bewegungen mobilisieren dagegen, weil sie eine Aushöhlung von ­Demokratie und Arbeitnehmerrechten befürchten. Kontext TV sprach mit Peter Fuchs von der Organisation PowerShift (Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- und Weltwirtschaft) über die Gefahren des Abkommens, das bisher hinter verschlossenen Türen verhandelt wird.

 

Kontext TV: Sie fordern zusammen mit vielen Umweltschutz- und ­Bürgerrechtsorganisationen einen Stopp der TTIP-Verhandlungen. Warum?

Peter Fuchs: Die TTIP-Verhandlungen müssen aus Sicht unseres Bündnisses „TTIP unverhandelbar“, gestoppt werden, weil sie schon von der ­gesamten Anlage her hochgefährlich für demokratische, soziale, öko­logische und entwicklungsfreundliche Regulierungen internationaler Wirtschaftstätigkeiten sind. Sie sind ferner mit einem nicht-demokratischen Prozess auf den Weg gebracht ­worden, unter hohem Einfluss von Wirtschaftslobbys, und sie werden auch jetzt nicht annähernd demokratisch und unter Einbezug von ­Öffentlichkeit und Parlamenten geführt.

Kontext TV: Was genau ist an dem Vorhaben intransparent? Wer hält da was geheim und warum? 

Peter Fuchs: Sie sagen schon richtig, da hält jemand etwas geheim – das Wort „Intransparenz“ trifft es nicht richtig. Intransparenz klingt fast so, als wenn irgendwo eine Scheibe  ­beschlagen ist oder jemand vergessen hat, das Licht anzumachen. Nein, es geht um aktive Geheimhaltung. Und zwar wird von den verhandelnden Parteien – der EU-Kommission in Brüssel und dem US-Handelsministerium – aktiv geheimgehalten, was da genau verhandelt wird, und zwar vor der Öffentlichkeit, vor den Bürgerinnen und Bürgern Europas, aber auch vor Parlamenten, Wissenschaftlern und Medien, also denen, die sich die Texte eigentlich genauer angucken müssten. Wir erleben ja in nationalen politischen Räumen, dass Gesetze, wenn sie mit einem ­Gesetzentwurf in die parlamentarische Debatte gehen, auch der ­Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Das ist hier nicht der Fall.

Kontext TV: Was genau hat es mit den Schiedsverfahren zum Investor-enschutz, dem sogenannten investor state dispute settlement (ISDS) auf sich? Wer richtet da über was? Und wie genau funktioniert so ein Schiedsverfahren? 

Peter Fuchs: Diese Schiedsverfahren sind in der Tat ein ganz heißes Eisen und sie finden unseren Widerspruch und Protest. Sie werden mittlerweile auch von Gewerkschaften, Verbraucherorganisationen und Umweltschützern, von Parlamentariern, sogar von einigen EU-Mitgliedsstaaten abgelehnt. Diese Schiedsverfahren sind keine ordentlichen Gerichte, sondern private Tribunale. Internationale Investoren sollen über das TTIP-­Abkommen das Recht bekommen, ­solche Schiedsgerichte, bestehend aus meist drei hochbezahlten Wirtschaftsanwälten, anzurufen, wenn sie sich in ihren Rechten, die in dem TTIP-Vertrag stehen, verletzt sehen. Das TTIP soll ein Investitionsschutzkapitel enthalten, in dem festgeschrieben wird, wie sich die Vertrags-unterzeichner gegenüber Investoren zu verhalten haben. Und wenn die Investoren sich in diesen Rechten verletzt sehen, dann können sie vor einem Schiedsgericht klagen und hohe Entschädigungssummen verlangen, zum Beispiel, wenn öffentliche Regulierungen den Wert ihrer Investition oder zukünftige Profiterwartungen schmälern. Wir halten das für einen Skandal. In Europa und den USA haben wir es mit Wirtschafts- und Rechtssystemen zu tun, in denen Eigentum geschützt ist, in dem Investoren schon eine sehr mächtige Rolle spielen, und wo sie Zugang zu einem ordentlichen Rechtssystem haben. Es ist komplett überflüssig, dass Konzerne hier noch ein eigenes internationales Rechtssystem mit eigenen Schiedsgerichten bekommen sollen; ein solches System dient allein zur Bereicherung und Sozialisierung von möglichen Regulierungskosten.

Solche Schiedsverfahren sind allerdings nicht ganz neu. Die Bundes­regierung ist ein Haupttäter in diesem Bereich, sie hat schon 140 bilaterale Investitionsabkommen mit vielen Entwicklungsländern abgeschlossen, wo sehr oft diese Schiedsverfahren, diese Klagerechte enthalten sind. Und deutsche, europäische und US-Unternehmen nutzen diese Klagemöglichkeiten auch, um zum ­Beispiel Ecuador, Argentinien, ­Uruguay und viele Entwicklungsländer zu verklagen und hohe Entschädigungssummen zu verlangen. ­Umgekehrt verklagt aber auch gerade ein internationaler Investor Deutschland. Der Vattenfall-Konzern, ein internationaler Investor in unserer Energiebranche, verklagt Deutschland vor einem internationalen Schiedsgericht auf über vier Milliarden Euro Schadensersatz ­wegen des Atomausstiegs. Der Atomausstieg war ein demokratisch beschlossenes Gesetz, aber dieses System des Investorenschutzes übergeht das einfach. Vattenfall geht zu einem Schiedsgericht, in ­einem Hotel in Washington oder ­Paris, und verlangt vier Milliarden Euro Schadensersatz für den Atomausstieg, weil der natürlich den Wert der Atomkraftwerke geschmälert hat. Das darf nicht sein und wir ­dürfen das nicht neu und zusätzlich einrichten im transatlantischen Verhältnis. 

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