Kontext TV sprach mit Michael Albert, Publizist, Aktivist und Ökonom in den USA, Mitbegründer der Plattform ZNet; Autor von „Realizing Hope. Life Beyond Capitalism“.

Kontext TV: Sie haben ein neues ökonomisches System entwickelt, das nicht nur eine Alternative zum Kapitalismus darstellen soll, sondern auch zu einem zentral geplanten ­Sozialismus. Sie sprechen von Partizipativer Ökonomie, kurz ParEcon. Was verstehen Sie darunter?

Michael Albert: Partizipative Ökonomie ist eine Wirtschaft ohne ­Klassen. Es gibt darin keine Gruppe von Menschen mehr, die andere ­dominiert, ihnen die Regeln vorschreibt und sich auf deren Kosten bereichert. Eine Partizipative Wirtschaft würde den Menschen helfen, ihr eigenes Leben zu bestimmen, sich zu organisieren und selbst zu verwalten. Es wird Solidarität unter den Menschen geben. Anders als beim Markt wird ein Kontext ­geschaffen, in dem es nicht darum geht, auf anderen herumzutrampeln, um vorwärts zu kommen. Vielmehr geht es nun um gegenseitige Hilfe, die im Zentrum dieser Wirtschaftsform steht. Die Frage ist, welche Art von Institutionen diese Ziele verwirklichen können. Eine Partizipative Wirtschaft beinhaltet lediglich ein paar einfache institutionelle Einrichtungen. Eine davon sind Arbeiter- und Konsumentenversammlungen bzw. Räte. Diese Räte verwalten sich selbst.  Das Prinzip lautet: Mein Mitbestimmungsrecht bei Entscheidungen bestimmt sich danach, wie ich davon betroffen bin. Heißt: Ein Bauer, ­dessen Äcker durch die Abwässer ­einer nahen Chemiefabrik verschmutzt werden, hat in dieser ­Fabrik ein Mitbestimmungsrecht ­bezüglich des Umgangs mit den ­Abwässern. Dabei gilt: Es gibt niemanden, der unverhältnismäßig viel zu sagen hat ­gegenüber anderen, die weniger entscheiden können.

Die zweite Institution einer Partizipativen Wirtschaft hängt mit der Einkommensverteilung zusammen. Die Gesellschaft und die Industrie produzieren jede Menge Güter und Dienstleistungen. Es ist wie ein riesiger Kuchen. Wenn wir über Einkommensverteilung sprechen, geht es darum, welches Stück vom Kuchen – und wie viele Stücke davon – jeder bekommt. Diese Verteilung des ­Kuchens kann sich an verschiedenen Normen orientieren. Man kann zum Beispiel die Regel aufstellen, dass ­jedem das Stück zusteht, das proportional seinem Produktionsvermögen und -mitteln entspricht, die er ­besitzt. In diesem Falle wäre Bill ­Gates mehr wert als die gesamte ­Bevölkerung Norwegens. Eine andere Norm der Verteilung wäre, dass das Einkommen je nach der Machtstellung der Menschen verteilt wird. Hat jemand mehr Macht, kann er sich mehr nehmen. Eine andere Verteilungsvariante besagt, dass jeder das an Wertmenge zurückbekommen soll, was er beigesteuert hat. Das würde bedeuten, dass der berühmte Basketball-Spieler Michael Jordan mit 20 bis 30 Millionen Dollar im Jahr nicht angemessen bezahlt wurde. Denn der Wert seines Sozialprodukts, also die Geldsumme, die Menschen bereit waren zu zahlen, um ihn spielen zu sehen, war weit höher als 20 Millionen Dollar. Er hätte nach diesem Kriterium also noch mehr bekommen müssen. Ich finde das nicht okay. Menschen sollten nicht zusätzlich zu ihrem Glück, mit einem unglaublichen Talent geboren worden zu sein, auch noch mit Geld überschüttet werden.

Also wenn man nicht für Macht, Produktionskraft, Besitz bezahlt wird, wofür dann? Die zweite institutionelle Verpflichtung Partizipativer Wirtschaft neben den Räten ist, ­dafür bezahlt zu werden, wie lange, wie hart und wie intensiv man arbeitet. Entscheidend sind Dauer, Intensität, aber auch Belastungsgrad und Bedingungen der Arbeit. Wenn ich mehr arbeite, bekomme ich mehr, wenn ich härter arbeite, bekomme ich mehr, wenn ich unter schlechteren Bedingungen arbeite, bekomme ich mehr. Natürlich nur, solange ich ­etwas  Nützliches produziere. Ich kann keinen Müll produzieren und dafür bezahlt werden. Ich kann nicht erwarten, als Maskottchen für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bezahlt zu werden, denn das ist wertlos.

Und dann gibt es noch ein drittes wichtiges Prinzip. Zwischen der ­besitzenden Klasse – die Occupy-­Bewegung nennt sie das eine ­Prozent – und der arbeitenden ­Bevölkerung, die nichts zu sagen hat, gibt es noch eine andere Gruppe, die man Koordinierer-Klasse nennen kann. Dazu zählen Rechtsanwälte, Ärzte, Ingenieure, Buchhalter oder Manager, die durch ihre Arbeit das nötige Selbstbewusstsein und die Macht ­erhalten, sich vom Sozialprodukt ihren Einkommensanteil zu nehmen und bei der Ausrichtung der Wirtschaft mitzureden. Eine spezielle 20-Prozent-Elite an Koordinierern hat zum ­Beispiel  in der sozialistischen Planwirtschaft das Ruder übernommen. Eine Partizipative Ökonomie lehnt so etwas ab. Sie will nicht nur den Privatbesitz von Arbeitsplätzen und Ressourcen in den Händen von ein bis zwei ­Prozent der Bevölkerung überwinden, sondern auch das ­Monopol auf ­eigenverantwortliche, machtvolle Arbeit der 20-Prozent-Koordiniererklasse auflösen. Die ­einzige Lösung ist: Die koordinierende Arbeit muss auf die ganze Bevölkerung aufgeteilt werden. Deswegen braucht man das, was ich „ausbalancierte Arbeitskomplexe“ nenne. Jeder bekommt einen vergleichbaren Anteil an selbstverantwortlichen ­Tätigkeiten, nicht nur einige wenige, die ein Monopol darauf haben. Es partizipieren nun alle durch ihre ­Arbeit an der Gesellschaft, nicht nur einige, die entscheiden, während die anderen ausgebrannt und innerlich erschöpft von der Arbeit sind, ­keinen Zugang zu Informationen und Wissen erlangen – und kein Selbstbewusstsein aufbauen können, um ihre Stimme zu erheben.

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