Zusammen mit dem elementaren „Wer bin ich?“ rührt die Frage nach Gott an das größte Mysterium der Menschheit. Hinterfragt sie doch nicht weniger als unsere Einbindung in das Sein. Leben wir also in einem gleichgültigen Universum, das sich durch den zufälligen Zusammenprall seelenloser Atome aus dem Chaos formt – einem gigantischen Mahlstrom gleich, der ständig neues Leben im Überfluss gebiert und rücksichtslos vernichtet? Oder ist diese schicksalhafte Mischung aus Glück, Unglück, Verzweiflung und Hoffnung, die wir unser Leben nennen, doch irgendwie eingebettet in ein für uns unbegreifliches, allumfassendes schöpferisches Bewusstsein, das es letztlich gut mit uns meint? Über Annäherungen an Gott.

Die Vorstellung von Gott als schöpferische Kraft und als Urgrund des Seins erfordert vernunftgeprägte Bescheidenheit

Schon aus den mythischen Antworten der Urzeit formten sich erste anthropomorphe Gottesvorstellungen, die dem Wunsch nach Begreifbarkeit entgegenkamen. Wenn auch mit einem allzu menschlich geprägten Gottesbild stets die Furcht vor dem sprichwörtlichen „göttlichen Zorn“ einherging, so gründete sich auf die Darbietung von Opfern und Gebeten doch die Hoffnung, sich die Götter geneigt zu machen. Allerdings mussten sich die Anhänger dieser Glaubenslehren schon vom frühen Denker Xenophanes (560- 478 v. Chr.) sagen lassen: „Wenn Pferde Hände hätten und zeichnen könnten, würden sie ihre Götter als Pferde zeichnen.“

Heute, rund zweieinhalb Jahrtausende später, wissen wir, dass auf dem Gipfel des Olymp keine Götter wohnen. Wir wissen auch, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Ja, wir wissen sogar, dass unsere Galaxie, die Milchstraße, aus über hundert Milliarden Sonnen und Planeten besteht und dass es wohl einige hundert Milliarden andere Galaxien im von uns beobachtbaren Teil des Universums gibt.

Wenn wir Gott als die schöpferische Kraft, als den Urgrund des Seins dieses gewaltigen unerkannten Kosmos denken wollen, dann bietet sich Bescheidenheit als Haltung an. Vernunftgeprägte Bescheidenheit, die weder dem Absolutheitsanspruch tradierter Glaubenslehren folgt noch dem neuen Dogma des Materialismus. Zwar verdanken wir dem atomistisch-materialistischen Paradigma der Physik eine stets reproduzierbare Beschreibung der Natur, die den Siegeszug der modernen Technik erst ermöglicht hat. Doch darf uns dieser großartige Erfolg naturwissenschaftlichen Denkens nicht dazu verleiten, die zugrunde liegenden physikalisch-mathematischen Modellvorstellungen für die Wirklichkeit selbst zu halten. Interessanterweise sind es die Avantgardisten der Physiker, oder zumindest einige von ihnen, die die allseits akzeptierten Grenzen eines zu naiven materialistischen Weltbilds in Frage stellen. Hinweise dazu geben die offensichtlichen Paradoxa der Quantenphysik, derjenigen Richtung der Physik, die sich der Erforschung des Allerkleinsten verschrieben hat.

Getrenntsein oder Einheit?

Eigentlich begann alles bereits im Jahr 1935 mit der Veröffentlichung von Albert Einsteins berühmter EPR-Schrift. Die drei Autoren (Einstein, Podolsky und Rosen) hatten es für unmöglich gehalten, dass Quantenphänomene wie etwa Zwillings-Lichtteilchen, die in spezieller Weise gemeinsam erzeugt werden, auch nach ihrer Trennung instantan, das heißt augenblicklich, miteinander wechselwirken. Plakativ ausgedrückt: Selbst wenn die beiden Teilchen durch das halbe Universum getrennt wären, würde doch jedes im genau gleichen Moment auf die Bewegung (genauer: die Veränderung des Drehimpulses) des anderen reagieren – das Wort reagieren trifft es natürlich nicht genau, da die Bewegung absolut zeitgleich ist. Die seit 1982 durchführbaren experimentellen Überprüfungen zeigen, dass es tatsächlich so ist. Die geheimnisvolle Verbundenheit dieser Quantenphänomene, von Einstein als „geisterhafte Fernwirkung“ bezeichnet, nennt man „Nichtlokalität“, ohne dass die heutige Physik eine Erklärung dafür hätte. Es gibt aber eine faszinierende Hypothese von David Bohm (1917-1992), einem der ganz großen Physiker und Philosophen.

Nach Bohms Modellvorstellung gibt es eine höherdimensionale Realität, die der Welt, in der wir leben, zugrunde liegt. Aus dieser umfassenden Realität, Bohm nennt sie die „implizite (eingefaltete) Ordnung“, entsteht unsere materielle Welt durch einen ständigen Projektionsprozess. Man kann sich das so vorstellen, dass auf subatomarer Ebene jedes Materieteilchen unseres Universums durch einen beständigen (Informations?)- Zustrom aus dieser höher – dimensionalen Realität erzeugt und in seiner Existenz gehalten wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob die subatomaren Materieteilchen in der materiellen Welt einen Stein, ein Gebirge oder Menschen, Tiere und Pflanzen formen, also belebte oder unbelebte Materie.

Implizite Ordnung

In unserer „Ding-Welt“ nehmen wir alles getrennt voneinander wahr, egal ob es sich um Gegenstände oder Lebewesen handelt. Ursächlich für die Trennung sind Raum und Zeit, die unseren Erlebnisraum aufspannen. Die implizite Ordnung dagegen soll eine ungeteilte Ganzheit sein, in der alles mit allem verbunden ist – etwas, das die Lehrer vieler spiritueller Richtungen ebenfalls verkünden. Aufgrund der Verbundenheit, die letztlich hinter aller Getrenntheit existiert, handelt es sich bei den beiden in unserer materiellen Welt weit von – einander getrennten Zwillingslichtteilchen der EPR-Experimente letztlich um ein Phänomen – deshalb die Gleichzeitigkeit der Bewegung.

Aktuelle EPR-Experimente, die seit dem Jahr 2000 an der Universität Genf durchgeführt wurden, zeigen, dass die Wechselwirkung zwischen den Teilchen wahrscheinlich außerhalb von Raum und Zeit stattfindet. Man könnte die Experimente sogar so interpretieren, dass es Zeit in der allem zugrunde liegenden Realität gar nicht gibt. Das würde bedeuten, dass letztlich „alles, was war, ist und sein wird“ parallel zueinander existiert. Haben die Physiker hier das Geheimnis der Ewigkeit gestreift? Und was wäre denn die allem zugrunde liegende Realität in letzter Konsequenz – Gott?

Ist Gott eine höherdimensionale Realität?

Damit in unserer Welt Leben entsteht, braucht es ein kompliziertes bio – chemisches Gefüge. Aus Atomen bilden sich Moleküle, die ihrerseits komplexe Zellverbände aufbauen. Je nach Informationsgehalt entstehen so einfache einzellige Organismen bis hin zu hochkomplexen Säugetieren und dem Menschen, mit spezialisierten Organen und einem Gehirn.

Ist nun unser menschliches Bewusstsein, das uns fragen lässt „Wer bin ich?“, ausschließlich ein Produkt der materiellen chemischen und physikalischen Prozesse unseres Gehirns? Dann würde der biologische Tod auch das Ende dieses Bewusstseins und somit unserer Individualität bedeuten. Oder ist der Wesenskern der beschriebenen höherdimensionalen Realität selbst Bewusstsein, holistisches Bewusstsein, „in dem alles mit allem verbunden ist“? Dann wäre der vermutete Projektionsprozess auf subatomarer Ebene ein permanenter Schöpfungsakt, durch den sich dieses allumfassende Bewusstsein in Raum und Zeit entfaltet (projiziert) und so das erschafft, was wir Materie und Leben nennen. Durch die Vielheit und Trennung in der materiellen Welt erfährt es sich in unendlicher Individualisierung. Leben und Sterben wären dann womöglich nichts anderes als ein ewiges Pulsieren dieses (göttlichen?) Bewusstseins, der körperliche Tod des Individuums nicht das Ende, sondern lediglich die Rückfaltung in die höherdimensionale zeitlose Realität.

Mit diesen Gedanken haben wir die Grenzen der Physik bereits weit hinter uns gelassen. Das naiv materialistische Weltbild, das zufälligen Zusammenballungen der Materie den Ursprung des Seins zuschreibt, haben wir gegen die Modellvorstellung eines schöpferischen Bewusstseins „hinter den Dingen“ getauscht. Und da wir, als sterbliche Menschen mit allen unseren Sorgen und Nöten, das Gefühl brauchen, dass diese Welt uns letztlich nicht feindlich gesonnen, sondern im Kern gut und irgendwie auch gerecht ist, verleihen wir der Instanz hinter den Dingen heute wie früher das mehr oder weniger vermenschlichte Etikett Gott.

Ist Gott gut?

Doch widerspricht der Annahme eines guten Lenkers hinter den Dingen nicht die leidgeprüfte Welt, die wir täglich erleben? Denn Gott als geistigen Wesenskern und nichtmateriellen absoluten Urgrund des Seins zu denken, heißt zu akzeptieren, dass sich alles Unheil, alle Grausamkeiten und Naturkatastrophen – alles Leid – ebenso darauf gründen wie das, was wir als gut empfinden. Auf den ersten Blick scheinen sich das übergeordnete Gute und die auf diesem Planeten erlebte Realität auszuschließen. Allerdings nur, wenn wir den Fehler machen, die Wechselwirkungen der Materie, die unsere „Dingwelt“ ausmachen, für das gesamte Sein zu halten. Wie wäre es, wenn das, was wir Glück oder Unglück nennen, nur eine Konsequenz unserer übermächtigen Erfahrung der materiellen Welt ist, die aber nicht der fundamentalen Seinsweise entspricht, in der alles mit allem verbunden ist? Einer Seinsweise, der wir stets zugehören, auch wenn sie sich in Raum und Zeit hinter Vielheit und Trennung verbirgt.

Die Vorstellung einer transzendenten liebevollen Verbundenheit allen Seins führt letztlich zu einer Spiritualität, zu einer Gottesvorstellung, die keiner Vermenschlichung und weiterer Deutung bedarf. Sie wird dann verwirklicht, wenn auch wir Menschen uns durch Achtsamkeit und Mitgefühl mit allem, was ist, liebevoll verbinden. Denn so erschaffen wir selbst mit, was wir für göttlich halten. Vielleicht fordert das Leben von uns genau diesen Akt des Vertrauens darin, dass der Grund des Seins gut ist – egal, wie schmerzhaft sich das in der materiellen Existenz manchmal darstellt.

3 Responses

  1. Martin

    Ein sehr interessanter Beitrag!
    Man darf gespannt sein, was die Wissenschaft noch alles über Gott in Erfahrung bringen kann. Vielleicht verschmelzen Physik und Theologie eines Tages in Teilbereichen sogar zu einer integrierten Disziplin und man kann Gott doch noch logisch beweisen.
    Das würde sicherlich für Viele das Interesse wecken, die Antwort auch hinter der Logik zu suchen, die das heute noch als Spinnerei abtun.

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    • Dagmar Kanne
      Weichmann - Gotteserfahrung

      Hallo Martin,
      ich habe eben Deinen Kommentar im Sein gelesen.
      Meine persönliche Ansicht ist, das jede Gotteserfahrung, jede
      Spiritualität immer absolut logisch begründen läßt. Jeder Glaube, der sich nicht absolut logisch nachvollziehen und begründen läßt und sehr deutlich im eigenen Leben erfahrbar ist, ist für die „Katz“.
      Aber der Clou ist, das ist er tatsächlich.Nur bei sehr vielen ist die
      Herangehensweise falsch herum.
      Ich weiß nicht ob Dich mein Kommentar überhaupt erreicht aber es wäre schön von Dir(Ihnen ) zu hören.
      Viele Grüße
      Dagmar

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    • Dagmar Kanne
      Weichmann - Gotteserfahrung

      Hallo Martin,
      Dein Kommentar ist interessant.
      Meine Ansicht ist
      Gotteserfahrungen sind immer logisch und sehr begründbar– ohne das man sich etwas einreden muß. Die Herangehensweise ist nur leider falschherum.
      Vielleicht Dich(Sie) ja meine Ansicht und Sie antworten mir.
      Ich würde mich freuen von Ihnen zu Hören.

      Viele Grüße
      Dagmar

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