Religionen und spirituelle Traditionen haben schon früh erkannt, dass es einen starken Zusammenhang zwischen sexueller und spiritueller Energie gibt. Das ist auch einer der Gründe, weshalb in der katholischen Kirche das Zölibat (Enthaltsamkeit) entstanden ist oder sich im Tantrismus – der Wiege des Hatha Yoga – diverse sexuelle Rituale und Praktiken entwickelt haben. Doch was bedeutet dies für Yoga-Praktizierende von heute?

 

Jeder, der sich ernsthaft mit dem Yoga-Weg beschäftigt, stolpert rasch über den Begriff Brahmacharya, der im traditionellen Yoga eine äußerst wichtige Rolle spielt und in der Regel als Enthaltsamkeit bzw. Zölibat interpretiert wird. In der als Bibel der Hindus bezeichneten Bhagavad Gita, die bereits seit zirka 500 v. Chr. über Karma Yoga, Bhakti Yoga und Jnana Yoga lehrt, sagt Krishna zum Beispiel: „Frohgemut, furchtlos, fest im Gelübde des Brahmachari, mit beherrschtem Geist (…) sitze er und mache Mich zu seinem höchsten Ziel“ (Vers XI, 14). Und in den Yoga-Sutren von Patanjali, die den Raja Yoga um 200 v. Chr. zum ersten Mal schriftlich fixierten, heißt es: „Ist Brahmacharya fest begründet, erlangt man große Lebenskraft“ (Vers II, 38). Patanjali führt Brahmacharya auch als eine der fünf Regeln der äußeren Disziplin (Yamas) auf und spricht der Enthaltsamkeit im Raja Yoga somit eine große Bedeutung zu.

 

Enthaltsamkeit durch Orgasmuskontrolle

Yogi Swatmarama macht dagegen in der Hatha Yoga Pradipika (zirka 14. Jh. n. Chr.) deutlich, dass es im Hatha Yoga auch für sexuell aktive Yogis möglich ist, die im Zusammenhang mit Brahmacharya stehenden Qualitäten zu entwickeln. Wenn man nämlich lernt, während der Vereinigung durch Hatha-Yoga-Techniken die Ejakulation zu kontrollieren, manifestieren sich laut Swatmarama ebenfalls Gesundheit, Furchtlosigkeit, Geisteskontrolle und spirituelle Kraft. So schreibt er beispielsweise im Zusammenhang mit Vajroli Mudra, einer komplexen Yoga-Technik: „Der Samen, der kurz davor ist, in die Vagina der Frau zu fallen, sollte durch Übung nach oben bewegt werden. Und wenn er fällt, sollten der Samen und die Flüssigkeiten der Frau bewahrt werden, indem beide nach oben gesaugt werden. Deshalb besiegt der Kenner des Yoga den Tod durch Einbehalten des Samens. Ausscheiden des Samens bedeutet Tod; Bewahrung des Samens ist Leben.“ (Verse III, 87/88)

 

Langes, intensives Liebesspiel

Bei jeder Ejakulation des Mannes und bei den Orgasmen der meisten ungeübten Frauen verpuffen große Mengen an Prana, also Lebensenergie. Eine einfache, aber bereits sehr erhebende Methode, um diese orgasmische Entladung  – trotz aktivem Liebesleben – zu vermeiden, ist ein ruhiges, meditatives Liebesspiel, jede Orgasmusorientierung wird losgelassen, und sobald mechanische, unbewusste Bewegungsmuster auftreten, hält man inne und kommt wieder ganz in den Augenblick, ganz ins Spüren. Auf diese Weise kann man mit etwas Selbstbeherrschung ein langes, sehr intensives Liebesspiel genießen, ohne dabei den „Point of no Return“ zu überschreiten.

Bei beiden Partnern wird hierbei auf den unteren Chakren in hohem Maße Prana aktiviert, dieses verpufft nun aber nicht in einem entladenden Orgasmus. Beide können das aktivierte Prana daher nach dem Liebesspiel mit Yogatechniken von den unteren Chakren zu den oberen Chakren weiterleiten und es so in spirituelle Energie (Ojas) umwandeln. Gut geeignet sind hierfür zum Beispiel Umkehrhaltungen wie der Kopfstand (siehe Foto) oder der Schulterstand.

Möchte man tiefer in die tantrische Energiearbeit einsteigen, besteht auch die Möglichkeit, das aktivierte Prana während der Vereinigung mit Bandhas (Muskelkontraktionen und Energieverschlüsse an Schlüsselstellen des Körpers, um Lebensenergie in bestimmten Körperregionen bzw. Energiezentren zu konzentrieren und zu speichern) und Mudras (energielenkende Hand- und Körperhaltungen) zu lenken und zur Erweckung der machtvollen Kundalini-Energie zu nutzen. Um dieses Rote Tantra bzw. sexuelle Kundalini Yoga zu erlernen, braucht man nicht an sexuellen Partnerübungen in einer Gruppe oder Vereinigungsritualen teilzunehmen. Ich unterrichte diese Yogatechniken beispielsweise in Einführungsseminaren als Trockenübungen, also in Yoga-Sessions auf der Matte ohne einen Partner. Zu Hause können die Techniken dann selbständig im sexuellen Kontext eingesetzt werden. So werden mit etwas Übung minutenlange Ganzkörperorgasmen – bei Männern ohne Ejakulation und auch bei Frauen ohne energetische Entladung – erfahrbar und es kommt zu einer Energetisierung, die die Polarität und damit auch die Anziehung zwischen den Partnern verstärkt. Gleichzeitig bekommt die Yoga- und Meditationspraxis mehr Tiefe und es öffnet sich ein Tor zu völlig neuen, transformierenden Energieerfahrungen.


Abb: © Manuel Hirning

2 Responses

  1. Birgit
    anderer inormationsstand aus peru

    Interessante Artikel hier zum Thema. Wir hier in Peru die spirituelle Arbeit machen glauben an etwas ganz anderes. Die alten Meister hier haben uns gelehrt dass es gut ist zu ejakulieren oder den organsmus auszuleben um negative unerwünschte Energie so loszuwerden. Es ist sinnvoll und führt danach zu enspannung des Körpers. Anspannungen fallen ab und es geht keines wegs die gute positve Lebensenergie verloren.

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  2. ballabomm

    „Das ist auch einer der Gründe, weshalb in der katholischen Kirche das Zölibat entstanden ist“ Nein, der Grund für Zölibat ist, dass eventuelles Vermögen der Geistlichen nicht an deren Erben geht (die sie ja dann nicht haben), sondern an die gierige Kirche.

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