Es liegt Spannung in der Luft! Schwertenergie – vorne und draußen im Leben

Was können Übungen mit dem Schwert für die Entwicklung von Fähigkeiten und Qualitäten beitragen, die mit dem „ICH bin in der Welt“ assoziiert werden? Als Patrick Urban mit der Schwertarbeit in Berlin begann, war ich von der ersten Stunde an dabei. Achtsame Selbsterfahrung mit dem Medium Schwert: da liegt von Anfang an Spannung in der Luft.

ICH BIN DA! Schwert & Präsenz
Bis ich das Holzschwert ergreife, liegt ein langer Tag hinter mir. Ich bin müde, voll von dem, was geklappt hat, wie ich es wollte und was nicht. Dann liegt das Schwert vor mir und Patrick fordert mich auf, es zu ergreifen – mit einem Satz. Mein Satz…?

Hey, ich bin DA! Und genauso passiert es, wenn sich mein Arm ausstreckt, die Finger um den Griff schließen und wir nach vorne schnellen – HEY, ICH BIN DA! Ganz wach, im Hier und Jetzt. Mein Körper richtet sich mit dem Heben des Schwertes beim Einatmen auf – wie der Propeller eines Hubschraubers kreist es über meinem Kopf. Nicht nur mein Körper, ein Es in mir wird gerade. Mit jedem Ausatmen senkt sich das Schwert und ich nehme wahr, wie meine Energie aufgeweckt wird, zurückkommt, in Bewegung gerät. Und die Lust am vorne und draußen Sein – volles, pralles Leben breitet sich in mir aus. HEY, ICH BIN DA!

Hara – Übungen zur Schulung der Mitte des Menschen
„Schwertarbeit“ ist Arbeit mit dem Holzschwert bei der es auf der körperlichen Ebene um drei Elemente geht: Spannung, Haltung und Atem. Daher stehen auch Atemtechniken und „Hara-Übungen“, die die Mitte des Körpers bewusst machen und stärken, am Anfang. Die Bewegungsabläufe, die Patrick Urban anleitet, erscheinen auf den ersten Blick einfach. Doch dabei geht es nicht um Muskelkraft und Leistung, sondern um die Präzision der Bewegungen, die Präsenz im Körper und Konzentration verlangen. Das Schwert ermöglicht die Erfahrung von Standfestigkeit, Kraft, Bewusstheit und Aufrichtung: entfaltete Ich-Kraft. Durch wiederholtes Tun lässt sich präzise Schwertführung einüben und von Einzelsituationen auf Paar- und Gruppenarrangements ausdehnen. Damit verbunden ist ein innerer Entwicklungsprozess, denn je besser man den Ablauf der Übungen beherrscht, desto mehr Aufmerksamkeit steht zur Verfügung, damit verbundene innere Prozesse wahrzunehmen.

Ursprung und Form – Selbsterfahrung mit dem Schwert

Der Schwertweg von Patrick Urban begann mit einem Radiobericht über einen Kendoverein. Kendo, die japanische Schwertkampfkunst mit dem Bambusschwert (Shinai), im Vollkontakt bei Tragen einer Rüstung – übte Patrick bereits vor 20 Jahren. Er lernte später noch das Iaido kennen, den japanischen Weg des Schwertziehens.

Was ihn bis heute fasziniert, ist die Haltung in der Begegnung, die sich auch darin ausdrückt, einen Treffer des Gegenübers anzuerkennen: guter Schlag! Punkt für Dich! Die Begegnung mit der Schwertarbeit, wie sie Karlfried Graf Dürckheim und Maria Hippius in der Initiatischen Therapie entwickelt haben, gab dann den entscheidenden Impuls, seine eigene Form der Schwertarbeit zu entwickeln.

In der Initiatischen Therapie ist die Schwertarbeit eine von mehreren Übungsdisziplinen, um den Reifungsprozess des Menschen zu fördern und sein geistig-seelisches Potential zu entfalten. Daher sind die Sharing-Runden, in denen jeder Teilnehmende für sich und alle anderen, die als Zeugen präsent sind, sein Erlebnis formuliert, ein wesentlicher Bestandteil jeder Schwertarbeit.

Lass mich spüren, wer Du bist! Erfahrungen in der Gruppe
Eine Gruppe macht es möglich, unterschiedlichen Energien zu begegnen. Zuerst waren mir zurückhaltende, vorsichtige Übungspartner lieber. Da fühlte ich mich sicher. Gib mir Deine Kraft – halte Dich nicht zurück! Lass mich spüren, wer Du bist!

Ich erinnere mich gut, wie es mich in den ersten Stunden erschreckt hat, die anderen in ihrer Kraft und Größe zu erleben. Bin ich ihnen gewachsen? Patrick sagt: Schrei deinen Schrei. Lass ihn entstehen, probiere herum, bis dein Schrei aus dir herauskommt. – Erst einmal können… Wo kann man denn schreien? Ich konnte es nicht. Inzwischen ist das anders. Ich brauche deine Kraft, um mich zu spüren. Ich fühle, wie mir die Kraft der anderen, der Blickkontakt hilft, meine eigenen Kräfte zu entfalten. Wie ich mich raustraue aus dem Gefängnis der Wohlerzogenheit, des Anständigen und mich von meinem eigenen „Kiai“ überraschen lasse.

„Schwert“ muss, um wirksam zu sein, über das, was in der Schwertstunde erlebt wird, hinausreichen. Schwertarbeit ist in der Lage, körperlich-seelische Qualitäten zu erschließen und gemachte Erfahrung mit dem Alltag zu verbinden.

Verletzbar sein, ohne sich verletzen zu lassen

Zulassen, dass ein Treffer – der mich niederstrecken, vernichten kann – mich erreicht? Dafür aus freien Stücken das Holzschwert sinken lassen und den Weg zu mir und meinem Herzen freigeben? Ich will mich verteidigen, ich muss mich verteidigen. Ich muss überleben. Patrick sagt: Spür den Moment, in dem es okay ist, und lass das Schwert sinken. Begegne dem anderen, empfange die Berührung mit dem Holzschwert. Au weia. Das ist eine noch größere Herausforderung: umlernen. Neu lernen. Im Alltag eine kritische Bemerkung einfach hören – ohne gleich darauf zu antworten. Egal was kluge Ratgeber sagen. Das kann ich nicht. Ich muss mich doch verteidigen! Wenn nicht ich – wer dann?

Übungen mit dem Schwert sind Spiegel für das Verhalten im Alltag. Dabei kann bewusst werden, was einen Menschen im Innersten bewegt und oft im Unbewussten bleibt. Das Umgehen mit Entscheidungen, das Verhalten in Konflikten. Das Medium Schwert hilft Seelenqualitäten in uns zu entwickeln, die uns befreien und stärken, unser Leben zu leben: in Entschiedenheit geführt schafft es Klarheit, Standfestigkeit, zentriert. Selbstbewusstsein – für sich zu stehen, bei sich zu bleiben, sich treu zu bleiben im Tun – all dies sind Fähigkeiten und Qualitäten, die im Rahmen des Schwertweges geübt und entfaltet werden können.

 

Ein Bericht von Elsa*

(* Elsa übt mit dem Schwert seit Oktober 2015, Name geändert)

 

Möglichkeiten der Selbsterfahrung mit dem Schwert
immer dienstags in Zehlendorf: 20.00 – 21.30 Uhr
15. – 17.7.16 
Schwertweg und Männerarbeit: Einführung in den Schwertweg  für Männer in Linde bei Berlin: Flyer
Therapeutische Einzelbegleitung

 

 

Über den Autor

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Möglichkeiten der Selbsterfahrung mit dem Schwert
immer dienstags in Zehlendorf: 20.00 – 21.30 Uhr
Schwertweg für Männer in Linde: 15. – 17.7.16
Therapeutische Einzelbegleitung

Patrick Urban leitet achtsamkeitsorientierte Kurse und Selbsterfahrungsgruppen mit japanischen Bezügen. Als Heilpraktiker für Psychotherapie arbeitet er körperorientiert. Im Sinne von Shinrinyoku (im Wald baden), wendet er garten- und naturtherapeutische Methoden an. Die Shakuhachi (jap. Bambusflöte) lernt und spielt er bereits viele Jahre als Meditationsinstrument. Er arbeitete als Lehrer, Dozent und Bildungswissenschaftler an der Universität.

 



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