Eine Arbeitswelt, in der Angestellte selbst darüber entscheiden können, wann, wo und wie sie ihre Arbeit verrichten. Das klingt noch wie eine Utopie, ist aber teilweise schon Realität und als Normalität nur noch ein Jahrzehnt entfernt. Erfolgreiche Unternehmen werden ihre Mitarbeiter zukünftig nach Ergebnissen statt nach Arbeitsstunden beurteilen und Büros werden nicht mehr Orte sein, an denen ganztägig gearbeitet wird, sondern Räumlichkeiten, an denen sich die Mitarbeiter treffen und Besprechungen abhalten können.

Dies ist die These zweier Gastprofessoren der Cass Business School (City University London) und der Henley Business School und ihrem neuen Buch mit dem Titel Future Work: How Businesses Can Adapt and Thrive in the New World of Work.

Das neue Modell: Durch Vereinbarungen darüber, was erreicht werden soll, kann die Geschäftsführung ihre Mitarbeiter von der Anwesenheitspflicht befreien – dem Zwang, am Arbeitsplatz anwesend zu sein, unabhängig davon, ob Arbeit zu erledigen ist oder nicht – und ermöglicht ihnen dadurch, produktiver und selbstbestimmter zu arbeiten.

Das klingt eigentlich ganz normal und man fragt sich, warum dies nicht längst der Fall ist. Teilweise ist es ja aber auch schon der Fall: Zahlreiche Unternehmen haben bereits zum ergebnisorientierten Geschäftsmodell gewechselt, die Mitarbeiter sind begeistert, „wie an der Uni“ fühle sich die neue Arbeitswelt an.

Wir haben mit Alison Maitland von der Cass Business School gesprochen und wollten mehr über ihr Buch und die neue Arbeitswelt wissen.

 

Frau Maitland, was ist das Problem mit der heutigen Arbeitswelt?

Alison Maitland: Im 21. Jahrhundert halten wir an einem Modell fester Arbeitszeiten und Arbeitsplätze fest, das auf das Industriezeitalter zugeschnitten ist. Das aktuelle Modell der Arbeit in vielen Unternehmen ist noch immer durch feste Arbeitszeiten und einen festen Arbeitsort definiert. Der Arbeitgeber bezahlt den Arbeitnehmer für seine/ihre Zeit und erwartet, dass er/sie am Arbeitsplatz ist, unabhängig davon, ob es dort produktive Arbeit zu tun gibt. Es geht um Grundannahmen wie Management-„Kontrolle“ und „der Manager weiß es am besten.“ Dieses Modell hat seine Wurzeln in der industriellen Revolution – aber wir haben jetzt eine Kommunikationstechnologie, mit der wir den großen Teil unserer Arbeit jederzeit und von überall aus erledigen können. Deshalb ist es sinnvoll, zu einem Modell mit größerer Autonomie und höherer Produktivität zu wechseln, indem wir Mitarbeitern die Werkzeuge und Informationen geben, die sie benötigen, ihnen klare Ziele setzen, und ihnen dann die Freiheit geben, diese Ziele auf dem Weg zu erreichen, der für sie und das Unternehmen am Besten funktioniert.

 

Das klingt sehr einleuchtend. Warum klammern wir uns dann so sehr an das alte Modell?

A.M.: Mein Co-Autor Peter Thomson und ich haben diese Frage vielen der Organisationen gestellt, die wir für das Buch interviewt haben. Die Antwort ist eine Kombination aus: Mangel an Engagement der Führungspositionen, die Angst des Managements vor dem Verlust der „Kontrolle über die Mitarbeiter“, organisatorische Trägheit und einem mangelhaften Verständnis der geschäftlichen Vorteile einer solchenUmstellung.

 

Die heutige Vorstellung scheint zu sein, dass man die Mitarbeiter stets kontrollieren muss – wie am Einsatz von Stechuhren, dem Scannen von E-Mails oder anderen derartigen Mitteln zu sehen ist. Jetzt stellt sich heraus, dass Mitarbeiter wie betrügerische Kinder zu behandeln einen durchweg negativen Einfluss auf die Produktivität hat – was nicht unbedingt überraschend ist. Welche neue Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zeichnet sich nun ab?

Die neue Beziehung basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Wir beschreiben unsere fünf Grundsätze für einen erfolgreichen Übergang zur zukunftsfähigen Arbeit als „TRUST Principles“. Das erste T steht für „Vertrauen Sie ihren Leuten“ (‚trust‘ Anmerk. d. Übers.), das R steht für „Vergüten sie Ergebnisse, nicht Stunden“ (‚reward‘), das U steht für „Verstehen sie den Business Case“ (‚understand‘), das S steht für „an der Spitze anfangen“, und das letzte T steht für „Behandle die Menschen wie Individuen“ (‚treat‘).
Letzteres man mag selbstverständlich klingen, aber in der Praxis tut das gegenwärtige Modell der Arbeit dies nicht. Es ist ein Einheits-Modell. Wir sind jedoch alle Individuen und unsere produktive und kreative Zeit kann am frühen Morgen, am Abend oder in der Nacht sein. Und die Menschen sind produktiver, wenn sie sich nicht darüber sorgen müssen, wie sie all die verschiedenen Elemente ihres Lebens jonglieren können – Arbeit, Familie, Studium, Pendelzeiten usw. In den Organisationen, die wir an der Spitze dieses Wandels sehen, beruht die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter auf Vertrauen und Verantwortung. Es wird davon ausgegangen, dass die Menschen selbst-motiviert sind und es wird von ihnen erwartet, dass sie selbst Verantwortung dafür übernehmen, ihre Ziele in bestmöglicher Weise zu erreichen. Das behandelt die Menschen wie Erwachsene, statt wie Kinder. Diese Organisationen berichten von großen geschäftlichen Vorteilen: höhere Produktivität, niedrigere Kosten, besserer Kundenservice, schnellerer Zugang zu neuen Märkten, höhere Motivation der Mitarbeiter und Bereitschaft zu zusätzlichen Anstrengungen.

 

Es interessiert den Arbeitgeber also nicht mehr in erster Linie, wie, wo, wann oder nach wie vielen Stunden sein Team ein Ziel erreicht, sondern vielmehr, dass es dies tut. Können Sie ein paar Beispiele nennen, die Sie bei Ihrer Recherche erlebt haben?

Ein Beispiel aus unserem Buch ist Gap, ein US-Bekleidungshaus, das in einem Teil des Geschäfts in Kalifornien viele Mitarbeiter verlor. Sie führten ein ergebnisbasiertes Modell ein und sagten ihren Mitarbeitern, sie könnten kommen und gehen und so viele (oder wenige) Stunden arbeiten, wie sie wollen – solange sie ihre Ziele erreichen. Nach einer sechsmonatigen Studie hatte sich die Rate der Kündigungen halbiert und die Produktivität erhöht. Die Mitarbeiter hörten nicht ganz auf, ins Büro zu kommen, aber sie kamen und gingen zu verschiedenen Zeiten und arbeiteten von zu Hause aus, wenn das nötig war.
Bei Google werden Ingenieure ebenfalls nach Leistung beurteilt und nicht danach, wo und wann sie ihre Arbeit erledigen.
Die Macquarie Group, ein weltweit tätiger Finanzdienstleister mit Sitz in Australien, praktiziert das Konzept des „Activity-based Working“. Alle Mitarbeiter arbeiten mit Laptops und lassen sich in dem jeweils benötigten Arbeitsumfeld nieder, das von Sitzungsräumen über thematische Gemeinschaftsräume bis hin zu Ruhezonen und Cafés reichen kann.
Ein weiteres Beispiel aus Future Work ist das neue Unilever-Haus in Hamburg, das so konstruiert wurde, dass Menschen überall arbeiten können, einschließlich der Dachterrasse, je nachdem, was sie gerade tun. Es gibt keine geschlossenen Büros oder Türen. Zur Förderung der Autonomie und Eigeninitiative, erfand der Vorsitzende Harry Brouwer, was er die „Ein-Meter-Regel“ nannte: Mitarbeiter sollen sich mit Aufgaben, die in ihrem Verantwortungsbereich auftauchen selbst befassen, ohne nach Erlaubnis eines Managers zu fragen. Es gibt dort laufend Gespräche mit den Managern über Vertrauen und über den Umgang mit der Angst vor Kontrollverlust über die Mitarbeiter.

 

Gerade jetzt scheinen sowohl Unternehmen als auch Mitarbeiter noch sehr im alten Paradigma gefangen zu sein. Doch Ihre Prognose ist, dass die Veränderung ziemlich bald passieren wird. Und das Unternehmen, die nicht darauf vorbereitet sind, „überrollt werden“ von dem, was kommen wird. Was lässt sie glauben, dass wir am Rande eines Wandels stehen?

Es gibt viele starke Kräfte für diesen Wandel: demografische (höherer Frauenanteil, ein längeres Berufsleben, eine neue Generation, die erwartet, anders zu arbeiten); soziale (z.B. Wandel der Einstellung von Männern gegenüber Arbeit und Familie); den Klimawandel (der Organisationen dazu drängt, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren und platz-, energie- und papiereffizienter zu arbeiten); das globale wirtschaftliche Umfeld (das die Unternehmen zwingt, die Kosten zu senken, die Produktivität zu steigern und gleichzeitig die besten Talente zu binden); und natürlich die Explosion der Kommunikationstechnologie und jetzt des Cloud-Computing, die diesen Wandel möglich macht. Wir haben eine ganze Reihe von Pionieren in verschiedenen Sektoren gefunden, die zeigen, dass der Wandel bereits im Gange ist. Aber das bedeutet nicht, dass nun überall alles auf einmal passieren wird – es wird viele Organisationen geben, die sich dem Wandel widersetzen, und sie laufen Gefahr, zu Dinosauriern zu werden.

Wie wird dies unsere Arbeitsumgebung/ unseren Arbeitsplatz und unsere Beziehung zu Arbeit im Allgemeinen verändern?

Große Frage. Viele Antworten finden Sie in Kapitel 10 unseres Buches. Der Arbeitsplatz wird eher ein Ort der Begegnung werden, und konzentrierte Einzelarbeit zunehmend eher an anderen Orten stattfinden (zu Hause, unterwegs, in Außenstellen oder Arbeits-Hubs). Es gibt bereits jetzt eine Verwischung von Berufs-und Privatleben, und das wird noch zunehmen, so dass wir besser darin werden müssen, die „Aus“-Taste zu drücken. Arbeit wird eher eine Art handelbare Ware denn ein Job werden. Es wird mehr unabhängige Unternehmer und Freiberufler geben, und sie werden sich online für Arbeit bewerben und nach Ergebnissen bezahlt werden. Die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen wird verschwimmen, und wir werden wahrscheinlich hybride Verträge sehen, mit Einzelpersonen, die zum Teil für eine Organisation, teilweise für einen anderen oder für sich selbst arbeiten. Und Status wird sich weniger aus Hierarchie ableiten und mehr definiert werden durch die Fähigkeit, Menschen durch unser Wissen zu inspirieren und zu befähigen und von der Fähigkeit, Menschen zu verbinden und Gemeinschaften zu nähren – ob nun online oder physisch.

Sie sagen, Arbeit wird eine ‚Handelsware‘ und Menschen werden sich online für Arbeit anbieten. Für einige mag das wie ein Rückschritt in die Zeit der Tagelöhner klingen – und danach, dass der Druck auf die Arbeitnehmer durch den Wettbewerb sogar noch größer werden könnte.

Es ist eine Tatsache, der Online-Welt, dass dies bereits geschieht. Es ist ein Trend, nicht etwas, das wir besonders befürworten. Das Internet kann eben Menschen, die eine Dienstleistung benötigen mit denen zusammenbringen, die sie liefern können. Das bündelt Arbeit in einer Weise, die sich von traditionellen Jobs unterscheidet. Das mag wie ein Schritt zurück zum Tagelöhner klingen, nur diesmal über das Internet. Es wird Arbeit weniger sicher und stabil machen. Aber es kann auch positive Auswirkungen haben, da es Menschen ermöglichen könnte, ihre Gemeinschaft, ihre Familien etc. neu zu entdecken und mehr Freiheit darüber zu erlangen, wie sie arbeiten.

 

Die Forschung hat gezeigt, dass Mitarbeiter, denen Freiheit und Verantwortung gegeben wird länger und härter arbeiten können, ohne die Burn-out-ähnlichen Symptome zu zeigen, die sie in einem normalen Arbeitsumfeld erleiden würden. Was sagt uns das in Ihren Augen?

Es unterstreicht die Tatsache, dass die Kontrolle über die eigene Arbeit entscheidend ist, um negativen Stress zu vermeiden – ob der Job nun Routine ist oder anspruchsvoll, ob es körperliche Arbeit oder Wissensarbeit ist. Es zeigt uns auch, dass die Menschen stärker motiviert sind und dazu bereit, die extra Meile zu gehen, wenn ihnen vertraut und Verantwortung übertragen wird. Sie fühlen sich geschätzt und sind engagierter, Ergebnisse zu erzielen. Die Mitarbeiter an der Front – eben nicht die Manager – sind am besten platziert, um zu wissen, was funktioniert, was nicht funktioniert, was die Kunden denken etc. Das Konzept des Managements, das wir befürworten, ist wirklich Mitarbeiter zu befreien, die besten Lösungen zu finden.

 

Manche werden sagen, dass „Selbst-Motivation“ nur ein schöneres Wort für „gestiegene Erwartungen“ ist…

Nein, Eigenmotivation bedeutet, dass Menschen arbeiten wollen, weil es ihnen Spaß macht. Erhöhte Erwartungen und Druck sind das Gegenteil – Menschen zu zwingen, gegen ihren Willen zu arbeiten.

Warum haben Sie persönlich dieses Buch geschrieben, und was ist für Sie, der spannendste Teil der Arbeit der Zukunft?

Peter und ich sahen, dass es einen Mangel an Wissen und Beratung für Unternehmer und Führungskräfte gibt, wie man den Übergang zur schönen neuen Welt der Arbeit gestaltet. Wir sahen, dass Unternehmenskulturen und Führungsstile nicht Schritt halten mit dem technischen Fortschritt und den demografischen Veränderungen. Für war es spannend, wegweisende Organisationen und wegweisende Führungspersonen an so vielen verschiedenen Orten zu finden. Es ist auch spannend zu sehen, wie Unternehmen, Individuen und die Umwelt gleichzeitig von diesen Veränderungen profitieren.

 

Das Interview führte David Rotter

 

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