Es knackt im Gebälk der Physik. Erst scheint der LHC nachzuweisen, dass das Higgs-Boson nicht existiert – was das Standardmodell der Teilchenphysik revolutionieren würde – jetzt verkünden andere Wissenschaftler vom OPERA-Detektor und dem CERN, sie hätten Teilchen gefunden, die schneller reisen als das Licht.

Wäre das war, wäre es die größte Entdeckung in der Physik seit einem halben Jahrhundert. Es würde die Physik komplett revolutionieren, da es Einsteins Relativitätstheorie zu den Akten legen würde.

Noch nicht bewiesen

Diese Behauptung ist so ungewöhnlich, dass auch die entdeckenden Wissenschaftler selbst der Sache bisher nicht trauen. Zwar haben andere Detektoren schon vor siebe Jahren ähnliche Hinweise gefunden und bestimmte Theorien diese Möglichkeit vorausgesagt – aber die Auswirkungen auf unser Verständnis des Universums sind so radikal, dass es bislang noch niemand glauben mag.

„Wenn man etwas so Fundamentales berührt, muss man sehr vorsichtig sein“, sagt Studienleiter Antonio Ereditato. „Wir haben Monate damit verbracht, die Ergebnisse zu checken und können keinen Fehler finden. Wir sind selbst überrascht von diesem Ergebnis, aber ein Ergebnis ist noch keine Entdeckung, bis es von anderen Wissenschaftlern bestätigt wird.“

Das wird nun in Japan und Chicago versucht und die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich um einen bisher unentdeckten Messfehler handelt, trotzdem werden die Ergebnisse ernst genommen, da niemand einen solchen Fehler bisher ausmachen konnte.

Neutrinos – sonderbare Teilchen

Bei dem Experiment wurden Neutrinos eine 730km lange Strecke vom CERN zum OPERA-Detektor geschickt, wobei ihre Geschwindigkeit ermittelt wurde. Drei Jahre lang wurden etwa 15.000 Neutrinos auf die Reise gebracht. Und zum Erstaunen der Forscher kamen sie eine 60- Billionstel Sekunde eher dort an, als es dem Licht möglich gewesen wäre.

Das hört sich nicht nach viel an, ist es aber in diesen Größenordnungen doch – die maximale Fehlertoleranz lag bei einer 10-Billionstel Sekunde.

Neutrinos sind mysteriöse Teilchen fast ohne Masse und elektrische Ladung, die sich ohne Widerstand durch fast jedes Material bewegen können.

Alan Kostelecky von der Indiana University hat schon 1895 vorausgesagt, dass sich Neutrinos schneller als das Licht bewegen können, weil sie mit einem im Vakuum verborgenen Feld interagieren.

Heinrich Paes von der Universität Dortmund hat eine andere Theorie, bei der Neutrinos sich effektiv nicht schneller als das Licht bewegen, sondern durch Passagen in der Raumzeit in andere Dimensionen überwechseln können – und so quasi eine „Abkürzung“ zum Ziel nehmen können. Beide Theorien würden das Verständnis der Physik mindestens drastisch erweitern.

Lücke in der Theorie

So viel Skepsis den Ergebnissen anhaftet, so viel Hoffnung weckt sie bei anderen. Die Physik weiß sehr gut, dass irgendetwas mit der Relativitätstheorie, der Quantenmechanik und dem Verständnis der Gravitation oder allen Dreien notwendig falsch sein muss, da sich diese Theorien bisher nicht miteinander vereinbaren lassen.

Jeder Hinweis neuer Versuche, wie eine dieser Theorien modifiziert werden muss, um zu einer großen vereinheitlichten Theorie oder gar Weltformel zu gelangen, ist daher in gewisser Hinsicht gern willkommen.

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