Die Lehren aus der Krise wurden nicht gezogen

Wie zu erwarten war der UN-Rio+20 Gipfel ein Trauerspiel. Trotz sich zuspitzender Krisen in Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft, kam man über leeres Gerede nicht hinaus. Nach der ersten Enttäuschungswelle läuft in der Presse nun die Suche nach den Ursachen des Scheiterns, die doch offen auf der Hand liegen: Unwillen, irgendetwas zu ändern.

„Die Ergebnisse verdeutlichen, wie gegenläufig die Prioritäten der reichen und armen Länder sind“, so lautet hingegendas Urteil von Philip Campbell, Chefredakteur der Zeitschrift „Nature“. Am besten zeige die Stadt Rio de Janeiro selbst diesen Missstand: Villen und Luxusstrände findet man hier Tür an Tür mit Favelas-Elendsvierteln. Dieser auch globale Kontrast sei schuld am Ausbleiben von Mut und Verbindlichkeit, so Campell.

Noch immer reicht das Ausmaß der globalen Krise nicht aus, persönliche Profitinteressen hinten anzustellen und wirklich als Weltgemeinschaft eine Lösung zu suchen. Noch immer ist man nicht bereit einzusehen, dass das kapitlistisch-industrielle Projekt gescheitert ist und wir uns nach einem völlig neuen System umsehen müssen, wenn es wirkliche Lösungen geben soll.

 

Lippenbekenntnisse

49 Seiten dünn ist das Abschlussdokument „The future we want“, das die UN-Konferenz Rio+20 vergangenen Freitag verabschiedet hat. Es schafft Grundlagen für die Formulierung von Zielen nachhaltiger Entwicklung, die 2015 nach Auslaufen der UN-Millenniumsziele angepeilt werden sollen. Weiters bekräftigt es Anstrengungen zur Reduktion des Konsums sowie zur Verbesserung der Energiesysteme, ruft zu einer „grüneren“ Wirtschaft auf und fordert einen internationalen Mechanismus zum Erhalt der Biodiversität in den Meeren. Aber all das völlig unkonkret und in Form leerer Sprachblasen.

Schon im Vorfeld waren die Erwartungen sehr niedrig und wichtige Politiker sagten die Teilnahme ab, darunter auch Angela Merkel, die Schweizer Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf und Österreichs Umweltminister Nikolaus Berlakovich. Die internationalen Reaktionen auf die Konferenz gaben den niedrigen Erwartungen recht und lauteten von „visionslos“ und „völlig unzureichend“ bis hin zu „Begräbnis des Umweltschutzes“. Aufschlussreich ist schon die Textanalyse der Wiener Ökonomin Sigrid Stagl: Das Dokument verwendet 14 Mal „reiterate“ (wiederholen), 60 Mal „affirm“ (bestätigen) und 99 Mal „support“ (unterstützen) – doch nur fünf Mal „we will“ (wir werden).

 

Immer die Leier vom Wachstum…

Die Ziele der G77-Entwicklungsländer unterscheiden sich deutlich von jenen der reichen Welt, glaubt Nature-Experte Campbell zu erkennen. Die ärmeren Ländern wollen vor allem Eines: Wachstum und Wohlstand. Man will den gleichen Lebensstandart wie im Westen, und sieht nicht ein, sich von den Industrienationen einschränken zu lassen. Das ist verständlich, wenn man sich die krasse globale Ungerechtigkeit ansieht.

„Die Armut ist heute unsere größte Herausforderung, nicht der Klimawandel oder die Umwelt“, formulierte etwa Brasiliens Chefverhandler Luiz Alberto Figueiredo Machado. Die fatale Folge: So blockierten die G77-Vorschläge globaler Umweltgrenzwerte und beanstandeten auch die „Green Economy“, da der Rahmen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung fehle. Laut Indiens Premier Manmohan Singh sind inklusives Wachstum und steigendes Pro-Kopf-Einkommen „Imperative der Entwicklung“. Wachtum, Wachstum, immer die Leier vom Wachstum.

„Die Industrieländer sind zu beschäftigt mit ihren eigenen Wirtschaftskrisen, um neue und größere finanzielle Verpflichtungen für den Süden einzugehen.“, analysiert Campbell. Und er Süden kämpft nichts selten zu sehr ums Überleben, tanzt zu sehr nach der Pfeife großer Konzerne, um Verpflichtungen gegenüber dem Planeten einzugehen.

 

Belehrungsresistent

Strikt gegen ein Ausspielen von Armut und Klimawandel spricht sich die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb aus. Zumindest viele NGOs hätten es bisher verstanden, dass beide Probleme gemeinsam angegangen werden müssen. Der Verweis auf die Finanzkrise sei als Entschuldigung des Nordens nicht angebracht. „Die Krise zeigt, dass das bisherige System nicht zukunftsfähig ist. Derzeit wollen die Industriestaaten jedoch bloß den Zustand vor der Krise wiederherstellen.“

Die Lehren aus der Krise wurden nicht gezogen. Die ökonomische, die ökologische und die soziale Krise hängen aber eng zusammen, sie sind alle Folge eines Systems der Ausbeutung von Natur und Menschen. Aber von diesem System will man noch immer nicht abweichen.

 

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Text mit Material von Pressetext.de

 

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