Das Autogene Training ist seit Jahrzehnten als Entspannungsmethode bekannt. Wie diese  abendländische Form der Meditation – besonders auf Depressionen – wirkt, erläutert die Ärztin Dr. Angelika Winklhofer.

Was unterscheidet eine traurige Verstimmtheit von der Depression, einer Krankheit, die uns daran hindert, unser Leben, Lieben und Arbeiten (freudvoll) zu gestalten und deren schwerwiegendste Auswirkung der Suizid sein kann?

Der Ursprung des Wortes Depression kommt vom Lateinischen deprimere, „niederdrücken“. Was aber bedeutet das? Es bedeutet, dass die Stimmung eben gerade nicht traurig ist. Ein depressiver Mensch empfindet keine Traurigkeit, keine Fröhlichkeit, keinen Zorn, keine Liebe. Er fühlt nichts mehr, weil er sich nicht anders zu helfen wusste, als (unterbewusst) alle Gefühle nieder- und wegzudrücken. Es findet sich oft nur eine stumpfe, dumpfe, graue Verzweiflung. Bei Männern zeigen sich auch Symptome wie erhöhte Reizbarkeit und Aggressionen, verstärkter Alkoholkonsum und der (instinktive) Versuch, durch noch mehr Arbeit oder Sport die Depression und empfundene „Schwäche“ zu bekämpfen.

Wichtig ist zu bemerken, dass es häufig körperliche Symptome gibt, die eine Depression begleiten und die manchmal auch ausschließlich auftreten: Schlafstörungen, Appetitmangel, frühmorgendliches Erwachen und diverse andere körperliche Beschwerden, für die dann keine sonstige organische Ursache gefunden werden kann. Diese Auswirkungen auf das vegetative Nervensystem, das alle unsere unterbewussten Vorgänge steuert, sind deshalb so wichtig, weil hier das Autogene Training ansetzt.

Was ist Autogenes Training?

Eigentlich ist das Autogene Training nichts weiter als eine eigeninduzierte, selbst herbeigeführte Trance. Die Trance-Arbeit ist wohl so alt wie die Heilkunde selbst und hat im Schamanismus, in manchen Gebeten sowie im NLP ihre Anwendung gefunden. Im Vergleich zu einer schamanischen Reise ist das Autogene Training ein Spaziergang im Park: Man macht ihn vielleicht nicht so weit, dafür aber regelmäßig, häufiger und unaufwändig.

Eigentlich ist es eine homöopathische Anwendung gegen die Alltags-Trance. Wir alle sind sehr gut darin, uns selber in Trance zu versetzen: „Heute wird ein … Tag“. Wir glauben zu wissen, wer wir sind, was unsere Geschichte ist, wir versuchen aus der Vergangenheit zu erschließen, wie die Zukunft werden wird. Tatsächlich ist nichts davon wirklich. 

Um nun in diese neue Trance zu gelangen, die unserem eigentlichen Sein deutlich ähnlicher ist als unser gestresstes Alltagserleben, spricht sich die übende Personen selber bestimmte Sätze vor. Zum Beispiel den Satz „Ich bin ruhig, ganz ruhig und gesammelt.“ Und später einen Satz wie „Mein Herz schlägt ruhig und fest.“ Es gibt verschiedene Sätze, die Schritt für Schritt erlernt werden. Das Autogene Training eignet sich nämlich besonders gut, ganz und gar unabhängig für sich selber etwas verändern zu können.

Während einer Depression ist der Körper vom seelischen Erleben häufig völlig abgekoppelt, muss aber dieses seelische Erleben manchmal derart austragen, dass dabei körperliche oder vegetative Beschwerden entstehen. Wenn ich jetzt beim Autogenen Training lerne, mein Herz dazu zu bringen „ruhig und fest“ zu schlagen, dann bewirkt das, vereinfacht gesagt, dass auch die Seele wieder Ruhe findet. Mit der Zeit finden der Körper und die Seele wieder zusammen und Herzschlag und Atemrhythmus werden zum Beispiel wieder in die Lage versetzt, angemessen auf das zu reagieren und mit dem in Einklang zu sein, was die Seele gerade fühlt.
Durch das Trainieren und Konzentrieren auf bestimmte Sätze werden auch die Konzentrationsfähigkeit und das Denken zunehmend gesammelter. Somit kommen Körper, Seele und Geist im Einklang. Auf diese Weise ist das Autogene Training wirklich ganzheitlich.

Stille und Emotionen

Wenn bei mir Menschen zusammenkommen, um das Autogene Training zu lernen, dann haben sie sehr unterschiedliche Hintergründe. Aber wo auch immer sie herkommen und was auch immer ihre Überzeugungen sind, die Erfahrung ist: Stille. Der Geist wird still.

Durch die tiefe und immer grundlegender werdende Entspannung des Körpers können lange festgehaltene Emotionen frei werden. Dieses Freiwerden der Emotionen ist für die Heilung essenziell. Die Fähigkeit, diese tiefen Gefühle zu erfahren, zu erleben, zu durchleiden und mit ihnen frei zu werden, wird durch das Autogene Training ganz wunderbar unterstützt: Der Körper kommt in einen entspannten Zustand, bei dem alle körperlichen Widerstände gegen das Gefühl, die uns dieses Gefühl noch viel größer und beängstigender erscheinen lassen, einfach wegfallen. Wenn der Mensch darin geübt ist, das Atmen dem Körper zu überlassen, dann fällt es auch leichter, das Fühlen dem Herzen, der Seele zu überantworten. Das kann man üben und dann in der entsprechenden Situation dem Gefühl Raum geben und sich immer tiefer in das Gefühl hineinfallen lassen.

Das Üben des Autogenen Trainings ist ein Weg, der es erfordert und möglich macht, einfach da, wo wir sind, auch im Sitzen oder Stehen, kurz den Körper zu relaxen und das Herz weit werden zu lassen. Nach einiger Übung werden schließlich die leichten und angenehmen Seiten des Lebens wieder erfahrbar – die schwarze Kralle der Depression gibt das Herz wieder frei.

 

„Nur ein Mensch, der Schmerz und Freude gleichermaßen annimmt, kann glücklich sein.“
Ramana Maharshi


Abb: © Winklhofer

Autoren Info


 

Angelika Winklhofer2Dr. med. Angelika Winklhofer

ist Fach­ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie arbeitet in eigener Praxis als ärztliche Psychotherapeutin in Michendorf und ist Dozentin am Berliner Institut für tiefenpsychologisch und existenziell orientierte Psychotherapie (BIteP).
Autogenes Training unterrichtet sie in der Grundstufe im Rahmen der vertragsärztlichen Leistungen (d.h., es wird von der Kran­ken­kasse bezahlt) und in der Oberstufe als IGeLeistung.

Ihr Buch und die zugehörigen CDs sind im Verlag zeitundraum erschienen.
Sie arbeitet seit vielen Jahren auch mit dem Familienstellen und dem Enneagramm.

www.Angelika-Winklhofer.de

 

 

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