Der erste Teil des Artikels von Sibylle Kiehne behandelt Informationen aus der jüngsten Zell- und Gehirnforschung bezüglich des sogenannten Schutzmodus und des Wachstumsmodus. Ein Leben im Wachstumsmodus fördert die Kreativität und die physische und psychische Gesundheit. Ein Leben im Schutzmodus behindert diese. Der zweite Teil zeigt anhand von vielen Beispielen auf, wie wir es schaffen, die Vorteile des Wachstumsmodus für uns und unsere Kinder zu gewinnen.

Die moderne Zellforschung fand heraus, dass wir Menschen in der Lage sind, durch unser Bewusstsein Gene an- oder abzuschalten. Warum ist dies wichtig. An- oder abgeschaltete Gene entscheiden darüber, ob sie ihrem Kind einen Start im sogenannten Schutz- oder Wachstumsmodus ermöglichen.

Ein Einzeller schon reagiert mit Rückzug (Schutz) im Falle einer Bedrohung. Z.B. wenn toxische Stoffe in seine Nähe gebracht werden. Er bewegt sich jedoch zu Stellen hin, wo er eine Umgebung findet, in der es ihm gut geht. Das sind Orte, die ihm Nahrung, Wärme und Licht bieten. Eine Zelle kann nur Schutz auf Kosten von Wachstum oder umgekehrt haben, denn sie kennt nur zwei Richtungen. Das, was vor mir liegt ist dienlich, darum schnell dort hin. Oder, das was vor mir liegt dient mir nicht. Also nichts wie weg hier. Also je mehr die Richtung in den Wachstumsmodus geht, desto geringer wird der Schutzmodus (Rückzug) und umgekehrt.

Nachteile des Schutzmodus

Ganz klar, es gibt Situationen in denen eine Furcht anzeigt, dass der Schutzmodus angezeigt wäre. Wenn ich im Dunkeln überfallen werde ist es einfach sinnvoll zu kämpfen oder zu fliehen. Dann nutzen mir die zusätzlichen physischen Kräfte, die mir die Kampf-Flucht-Reaktion unseres sympathischen Nervensystems zur Verfügung stellt. Genau für solche und ähnliche Situationen stellt uns die Natur diesen Modus zur Verfügung. Abgebaut werden die entstehenden Stresshormone durch körperliches Ausagieren während des Kampfes oder der Flucht.

In der heutigen Zeit wird dieser Modus in der Regel jedoch nicht mehr körperlich ausagiert. Die Stresshormone bleiben im Körper und schädigen unser System. Denn Stresshormone machen, dass unser Denkhirn abgeschaltet wird, unsere Kreativität und Problemlösekompetenzen werden verringert. Ein weiterer Nachteil ist der, dass das Immunsystem und auch Teile unseres Gehirns längerfristig geschädigt werden. Auch werden abgestorbene Zellen nicht mehr erneuert.

Vorteile des Wachstumsmodus

Wir lassen uns voller Optimismus auf neue Erfahrungen ein und lösen Aufgaben mit Kreativität. Erfolgreich bewältigte Aufgaben ziehen eine Ausschüttung von Dopaminen und Endorphinen (Neurotransmitter) im Gehirn nach sich, die machen, dass wir uns wohl fühlen und glücklich sind. Unser Selbstvertrauen steigt, wir empfinden mehr Lebenslust. Wenn wir rechtzeitig gelernt haben, in schwierigen Situationen zu vertrauen, springt unser Stresssystem erst viel später an. Wir sind dadurch physisch uns psychisch resilienter. „Lebenslust korreliert mit einem optimalen, reibungslosen Ablauf des Lebensmangements“. (Damasio, Selbst ist der Mensch, S. 273).

Informationen aus der Gehirnforschung

Wahrnehmungen bewertet unser Unbewusstes sehr schnell. Es kennt zwei Kategorien: Dienlich oder nicht dienlich. Die Bewertung wird aufgrund früher gemachter ähnlicher Erfahrungen getroffen. Wurden die früheren Erfahrungen als überwiegend bedrohlich empfunden, urteilt unser Unbewusstes „nicht dienlich“ und wir ziehen uns automatisch zurück und gehen in den Schutzmodus. Stress- und Angstreaktionen entstehen. Beurteilt das Unbewusste die Situation jedoch als „dienlich“ bewegen wir uns innerhalb des Wachstumsmodus.

Wie wird der Wachstumsmodus eingeschaltet und aufrecht erhalten?

Hätten Sie gedacht, dass Sie schon vor einer Schwangerschaft beitragen können, dass „ihr Kind“ optimal ausgerüstet ist, ein resilientes und kreatives Leben in physischer und psychischer Gesundheit zu erleben?
Aufgrund von unbewussten Beurteilungen von Wahrnehmungen werden bei den Eltern die Gene des Wachstumsmodus oder des Schutzmodus freigeschaltet. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass Gene des Wachstumsmodus weitergegeben werden, müssen wir uns im Wachstumsmodus befinden. Tipps dazu zeige ich in der Rubrik Wachstums- oder Schutzmodus als Erwachsener auf.

In Versuchen mit Mäusen wurde aufgezeigt, dass bei Mäusen, deren Eltern sich im Wachstumsmodus befinden, die Vorderhirne (Denkhirn beim Menschen) größer sind, als das bei Tieren, deren Eltern sich im Schutzmodus (ständiger Stresszustand) befinden. Die Nachkommen der sich im Schutzmodus befindenden Eltern haben zwar ein wesentlich kleineres Denkhirn, dafür mehr Muskelmasse.
Menschen, die ein Kind planen, sollten sich im Wachstumsmodus befinden, damit sie Wachstums-gene und ein großes Denkhirn vererben.

Die Mutter braucht eine stressfreie Umgebung mit liebevollen Beziehungen. Denn von der Mutter ausgeschüttete Stresshormonen gelangen auch über die Plazenta in den kindlichen Organismus.

Zärtliche Berührungen schütten im Gehirn der Mutter Wohlfühlbotenstoffe aus. Fühlt sich die Mutter wohl, geht es auch dem Fötus gut.

Angenehme Geräusche (nicht alle Musikrichtungen sind geeignet) beruhigen das kleine Wesen. Laute und harte Geräusche produzieren bei ihm Stress.

 

Unser Gehirn ist ein soziales Konstrukt. Die entscheidende Strukturierung wird durch Erfahrungen gemacht. Im Wachstumsmodus sein, heißt Erfahrungen machen dürfen. Die wichtigsten Erfahrungen macht man immer in Beziehung zu anderen Menschen. Aus Erfahrungen werden unbewusste Haltungen und Einstellungen, sogenannte Glaubenssätze gebildet. Erfahrungen machen Kinder auch durch die Wortwahl der Eltern. Zum Beispiel verfestigen sich Aussagen, wie „du bist dazu noch zu klein“ oder „du bist dazu zu dumm“ und sich zu Glaubenssätzen wie „das kann ich nicht“ oder „es ist sicher für mich, nichts Neues auszuprobieren“.

Bindungsmuster

Der Wachstumsmodus nach der Geburt bleibt erhalten, wenn Kinder ein sicheres Bindungsmuster aufbauen. „Positive Bindungsmuster fördern die Entwicklung einer biochemischen Umwelt im Gehirn, die der Affektregulierung, dem Wachstum und einem optimalen Funktionieren des Immunsystems förderlich sind. Negative Bindungsmuster haben den gegenteiligen Effekt und korrelieren mit einer vermehrten Häufigkeit von physischen und psychischen Krankheiten während des gesamten Lebens.“ (Cozolino, Die Neurobiologie menschlicher Beziehungen, S. 176)

Ein positives Bindungsverhalten wird durch viel Körperkontakt mit emotionaler Wärme aufgebaut. Unterstützend wirken viel Blickkontakte mit weichem lächelndem Gesichtsausdruck. Außerdem sollten Signale der Abgrenzung – ein Baby wendet den Kopf ab – respektiert werden. Der Säugling lernt dann nämlich, dass er auch geliebt und respektiert wird, wenn er er selbst ist.
Durch viel Haut- und Augenkontakt und Spiel werden im Organismus auch mehr Kortisolrezeptoren angelegt. Sollte das Kind später in eine Stresssituation kommen, werden die Stresshormone wesentlich schneller wieder abgebaut.

Urvertrauen

Säuglinge können nicht verwöhnt werden. Das Aufschieben von Bedürfnissen empfinden diese wie „ausgeschlossen“ sein, da sie sich die Bedürfnisse noch nicht selbst erfüllen können. Ausgeschlossen sein aus der Gruppe kam evolutionsgeschichtlich einem Todesurteil gleich. Das Gefühl ausgeschlossen zu sein ist deshalb ein unermesslich großer Stressfaktor. Wenn Bedürfnisse eines Säuglings erfüllt werden, lernt das Kind, dass es wichtig und wertvoll ist.

Sättigung

Kinder, deren Bedürfnisse erfüllt wurden sind emotional gesättigt. Sie entwickeln automatisch Zuneigung, Dankbarkeit und Wertschätung. Kinder, die nicht emotional gesättigt wurden, werden durchgehend ein Gefühl des Mangels haben. Gier, Neid, Habsucht und Geiz sind bei ihnen an der Tagesordnung.

Positive Affektregulierung

Sanft und sicher im Arm gehalten und beruhigt zu werden ist nötig, damit Kinder lernen, Übergänge aus emotional leidvollen Zuständen in Zustände der Ruhe zu kreieren. Beruhigende Berührungen mit wohltuender emotionaler Wärme sowie ein homöostatisches Gleichgewicht in bezug auf Schlaf , Hunger und Stimulation unterstützen diesen Vorgang.

Erfahrungen machen dürfen

Eltern sollen Kinder unterstützen, eigene Erfahrungen zu machen. Unterstützung heiß nicht, dass ich meinem Kind sagen soll, wie es Dinge machen soll. Unterstüzen heißt, ein Kind durch Fragen zum Selbstdenken anregen. Oder Überlegungen mit dem Kind anstellen, wie es an geeignete Informationen kommt, um sich selbst die Fragen zu beantworten.

Unterstützen heißt auch Kindern etwas zuzutrauen und selbst ausprobieren zu lassen. Wenn es nicht beim ersten Versuch klappte, ist das kein Hals- und Beinbruch. Es ist nur eine günstige Gelegenheit mit dem Kind in ruhiger Athmosphäre zu reflektieren, was es aus der Situation gelernt hat.

Risikominimierung kann ich in der Art und Weise betreiben, dass ich zusammen mit dem Kind überlege (nicht vorsage), wie es sich verhalten könnte, falls sich die Situation in diese oder jene Richtung entwickelt.

Neugier auf Neues weckt Lust an der Sache, eine erfolgreiche Bewältigung unterstützt durch positive Ermutigung, stärkt das Selbstvertrauen. Außerdem werden bei einer erfolgreichen Bewältigung Dopamin und Endorphine ausgeschüttet (siehe auch Vorteile Wachstumsmodus).

Selbstkontrolle

Selbstkontrolle ist nicht Kontrolle durch Angst vor der Bestrafung, Selbstkontrolle ist Kontrolle durch Gehirnwachstum. Unterdrückung von Impulsen ist Selbstkontrolle. Dies kann mit Kindern gezielt geübt werden. Wir können ihnen kleine Hilfestellungen geben. In Situationen, wo sie zum Beispiel gut zuhören, aber nicht sprechen sollen, bekommen sie eine Karte mit einem Ohr in die Hand.

Das singen von Liedern wie „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ne kleine Wanze“. Bei jeder Strophe wird ein Buchstabe weggelassen. 2. Strophe „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ne kleine Wanz..“ Ein Impuls wird bewusst gestoppt.

Wir ermuntern und unterstützen Kinder emotional angefangene Aufgaben zu Ende zu bringen. Oder wir backen mit den Kindern einen Kuchen, aber bis sie ihn probieren dürfen dauert es noch eine ganze Zeit. Er muss kalt werden, dann warten wir noch auf den Vater, wir decken den Tisch, singen dann vielleicht noch ein Lied und erst dann wird der Kuchen angeschnitten.

Weitere unterstützende Methoden

• Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung und Yoga regen heftig die Anflutung von Endovalium-Molekülen im Körper an (Zehentbauer, Körpereigene Drogen, S. 115). Diese haben beruhigende, hemmende und ausgeprägte angstlösende Effekte auf das Gehirn

• Durch kinesiologische Methoden, EMDR, EFT, MET werden unbewusste hinderliche
Glaubenssätze ins Bewusstsein geholt und können in unterstützende Glaubenssätze transformiert werden. Außerdem können Resonanzmöglichkeiten unterbrochen werden. Das bedeutet, dass unser Unbewusstes weniger Situationen als „nicht dienlich“ einstuft.

• Stärkung durch Visualisieren: Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen vorgestellten und realen Situationen. Wenn wir in ruhigen Zeiten z.B. einen „Kraftort“ in uns installiert haben, sind wir in Stresssituationen schnell in der Lage, uns zu beruhigen. Solche Visualisationen stimulieren auch unser Adrenalin-, Noradrenalin- und Dopaminsystem. Adrenalin ist für Wachheit und Aufmerksamkeit zuständig, Noradrenalin ist stimmungsaufhellend und psychisch motivierend und Dopamin ist angstlösend und antidepressiv.

• Trainig der Emotionalen Intelligenz: Benennen Sie Gefühle, die ihr Kind zeigt. Es gibt keine guten oder schlechten Gefühle, alle dürfen sein. Es gibt nur sozialverträgliche und weniger sozialverträgliche Ausdrucksweisen von Gefühlen.

Denken sie auch daran, dass das Gehirn des Kindes noch nicht ausgereift ist. Der Teil des Gehirns, der Impulse unterdrücken kann, ist erst mit 10-12 Jahren voll ausgereift. Wenn das Kind seine Emotionen also in unangemessener Weise zum Ausdruck bringt, dann tut es dies nicht, weil es sie ärgern möchte, sondern weil es sein Gehirn noch nicht anders zulässt. Trennen Sie dann Sach- und Beziehungsebene. Reflektieren Sie in ruhigen Minuten, wie Gefühle sozialverträglich zum Ausdruck gebracht werden können und freuen Sie sich über jede Lernsituation, die sich ihr Kind nimmt. Sagen Sie nie, wenn du dich so verhälst, habe ich dich nicht mehr lieb oder machst du mich sehr traurig. Stärken Sie jedoch die Empathie ihrer Kinder, indem Sie sie regelmäßig bitten sich vorzustellen, wie sich Sie oder auch Andere an der Situatiion Beteiligte gerade fühlen.

• Nutzen Sie die Intelligenz des Herzens. Mehr zur Intelligenz des Herzens steht auf meiner Homepage. Die Intelligenz des Herzens senkt Stresssymptome und aktiviert Grundgefühle wie Wertschätzung, Anteilnahme, Mitgefühl, Nicht-Bewerten, Vergebung und Liebe.

• Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg: Sie ist auf die Bedürfnisse und Gefühle gerichtet, die hinter Handlungen und Konflikten stehen und berücksichtigt Wertschätzung, Achtung, Dankbarkeit und Eigenverantwortung.

Verwandeln Sie destruktive Einstellungen und Haltungen (Glaubenssätze) in kontruktive mittels Kinesiologie oder Klopfakkupressur. Glaubenssätze steuern unser Leben (ich sage ja, obwohl ich nein sagen will). Sie sorgen für nicht autonome Entscheidungen (man muss, man soll) und sie boykottieren unsere Ziele (das kann ich nicht, das verdiene ich nicht). Glaubenssätze entscheiden unbewusst mit (bewerten), was dienlich und was nicht dienlich ist. Empfinden wir unbewusst viele Situationen als „nicht dienlich“ leben wir fortwähren im Stress und haben dauernd den ungünstigen Schutzmodus eingeschaltet.

Durch die energetischen Methoden (Kinesiologie, EMDR, EFT, MET) kann man erreichen, dass das Urvertrauen und auch die Sättigung gestärkt werden. Man kommt zur tiefsten Überzeugung, dass man in der Welt gehalten ist. Die Bewertungen werden positiver.

Schon bestehende Stresslevel sollten Sie aktiv verringern. Geignet sind Methoden zur Beruhigung wie Meditation, Autogenes Trainign oder Ähnliches. Durch kinesiologische Methoden gellingt es ganz geziehlt, die Stresssysteme im Gehirn entstressen.

Ich habe Ihnen viele Methoden aufgezeigt und bin mir sicher, dass Sie die eine oder andere Methode anwenden werden, damit ihre Kinder und auch Sie die Vorteile des Wachstumsmodus ausgiebig nutzen können.

Foto: Stephanie Hofschlaeger pixelio.de