Coaching kann hilfreich sein zu Klarheit zu gelangen oder herausfordernde Phasen besser meistern zu können. Im besten Falle gibt der Coach nicht die Antworten, sondern stellt die richtigen Fragen, die wieder mit der eigenen Weisheit verbinden. Aber warum sollten wir uns nicht selbst ein Coach sein?

Ian Kyburz aus Zürich stellt in seinem Buch „Abenteuer Selbstcoaching – Eigenes Potenzial entdecken und ausschöpfen“ genau diesen Ansatz vor. Wir haben den Autor gefragt, worum es beim Selbstcoaching geht und wie es funktioniert.

 

Was ist Selbstcoaching?

Selbstcoaching ist die achtsame Begleitung der eigenen aktiven Selbstentwicklung durch eine innere Instanz, den inneren Coach. Im Selbstcoaching nehme ich mir gegenüber die Haltung eines achtsamen Begleiters und Unterstützers ein und lasse mich auf einen offenen Prozess der Selbstentwicklung ein. Damit unterscheide ich Selbstcoaching deutlich vom Selbstmanagement, wo ich zu mir die Haltung des Strategen und Planers sowie des Umsetzers und Kontrolleurs einnehme.

 

Geht es beim Coaching nicht gerade darum, einen „objektiven“ Spiegel im Außen zu bekommen? Von jemandem, der ggf. sehen und aufdecken kann, wo wir nicht aufrichtig mit uns selbst sind?

Ja, darum geht es unter anderem im Coaching. Selbstcoaching kann die Begleitung durch einen professionellen Coach nicht ersetzen, aber einerseits kann es diese ergänzen und es kann so oder so die aktive Selbstentwicklung unterstützen. Das Konzept des Selbstcoachings baut darauf auf, dass wir verschiedene teils un- oder vorbewusste Persönlichkeitsanteile in uns haben. Das machen sich auch Konzepte wie jenes vom inneren Kind oder vom inneren Team zunutze. Im Selbstcoaching formen wir aus solchen Persönlichkeitsanteilen einen „inneren Coach“ als eine eigene Gestalt und machen uns über diesen „Umweg“ verstärkt unsere tiefe eigene Weisheit zunutze. Der Weg dorthin bedeutet natürlich Arbeit an sich selber. Ich versuche, mit meiner Schrift diesen Weg zu ebnen.

 

In vielen spirituellen Traditionen wird dazu geraten, ein Beobachter seiner selbst zu werden – um Raum zu schaffen für einen bewussteren Umgang mit dem Mind, den Emotionen und den Motivationen für Handeln. Lehren diese Traditionen damit vielleicht schon eine Art Selbstcoaching?

In gewisser Weise ja, auf jeden Fall. Ohne diesen inneren Beobachter ist das, was ich als Selbstcoaching bezeichne schlicht nicht möglich. Auf welche Tradition man sich dabei beruft, ist meines Erachtens zweitrangig. Entscheidend ist, dass man in der Praxis der Achtsamkeit alles, was aus dem Inneren auftaucht, auf sich zukommen lässt, annimmt als Ausdruck seiner selbst, würdigt, und wieder gehen lässt, ohne festzuhalten, ohne wegzuweisen oder lösen zu wollen. Damit alleine mache ich aber noch kein Selbstcoaching.

 

Wo liegt der Unterschied zwischen einer solchen Praxis der Achtsamkeit mit sich selbst und Selbstcoaching?

Die Praxis der Achtsamkeit ist eine Grundvoraussetzung für das Selbstcoaching. Sie ist sozusagen eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung dafür. Im Selbstcoaching baue ich in einem längeren Prozess bewusst eine innere Gestalt auf, die mir innerlich als Coach gegenübertreten kann. Dieser innere Coach kann in vielen Situationen eine ähnliche Rolle übernehmen wie ein realer Coach – genau so, wie ich bei der Arbeit mit einem inneren Kind jenen Persönlichkeitsanteilen in mir Gestalt annehmen lassen kann, die meine noch wirksamen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster aus meiner Kindheit repräsentieren. Beim inneren Coach sind es erwachsene, achtsame, wertschätzende, weise Persönlichkeitsanteile, die seiner Gestalt führen. Dieses bewusste Gestalten eines inneren Coaches geht über die Praxis der Achtsamkeit hinaus und erschließt mir neue Räume für mein Wachstum. Dank der Praxis der Achtsamkeit kann ich inneren Weisheiten begegnen, die ich „schon immer“ in mir trage und sie mit der Gestalt des inneren Coaches verbinden.

 

Du sprichst von einer „tiefen inneren Weisheit“: Woher kommt diese? Und warum ist sie unserer „Alltagspersönlichkeit“ so oft scheinbar verborgen?

Eigentlich spreche ich von inneren Weisheiten und meine damit alles, was wir „eigentlich“ schon wissen, aber nicht immer zur Verfügung haben oder aber nicht wahrhaben wollen, weil es nicht in die Welt passt, die wir uns mit unseren Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster in uns kreiert haben. So kann es sein, dass Philipp R. (fiktives Beispiel) sehr wohl weiß, dass er daran ist, sich unglücklich zu verlieben, es aber trotzdem tut, weil er den Schmerz des Abschiedes dem (vermeintlichen) Horror vorzieht, sich alleine fühlen zu müssen. Um diese vermeintliche Bedrohung nicht fühlen zu müssen, nimmt er sie schon gar nicht wahr. So existiert für sein Bewusstsein weder der Horror noch die darunter liegende Lebens- und Liebeskraft aus dem Herzen. Wenn er dank der Praxis der Achtsamkeit besser in sich hören könnte, würde er vielleicht wahrnehmen, dass die Angst vor dem Alleinsein aus früheren Erlebnissen in seiner Jugend oder Kindheit stammt, dass sie damals sehr berechtigt war, heute aber keinen realen Grund mehr hat. Wenn er diese damalige Angst wirklich würdigen und annehmen kann, dann kann er sein Herz wieder ohne diese Angst öffnen.

 
Kannst du andeuten, wie man vorgeht, so einen „inneren Coach“ zu formen? Wie nehmen wir Kontakt auf? Wie treten wir in Kommunikation mit diesen Persönlichkeitsanteilen?

Der Umstand, dass es keine allgemeingültige Methode für das Selbstcoaching gibt, macht ja gerade das Abenteuer aus. Jeder muss sich selbst auf den Weg machen, um beginnend mit einer achtsamen Haltung sich seinem Körperwissen, seinen Gefühlsbildern, seine Träumen, seinen Fantasien und vielen anderen Ressourcen zu öffnen. Alles, was uns auf diesem Weg als achtsam, vertrauensvoll, herzhaft, liebevoll, Mut bringend usw. begegnet, können wir zu der Gestalt beigesellen, die wir uns als unseren inneren Coach formen möchten. Diese Gestalt kann ein fantasierter Mensch sein, aber auch ein Krafttier, ein Baum, ein Fantasiewesen, die Sonne. Wichtig ist nur, dass dieser innere Coach frei von Ambivalenzen ist, dass er uns uneingeschränkt wohlgesonnen ist. Diese Coach-Gestalt können wir vor unser inneres Auge treten lassen und ihr so begegnen. Es kann auch sein, dass uns diese Gestalt z.B. in trance-artigen Zuständen, auf einsamen Wanderungen oder im Traum von selbst begegnet. Vielleicht gibt sie uns dabei Mut, Vertrauen, Liebe oder Ratschläge. Vielleicht können wir sie auch etwas konkretes Fragen und eine Antwort kommen lassen. So entwickelt sich die Kommunikation wie von selbst. Oft mag es auch reichen, zu fühlen, dass dieser innere Coach einfach da ist.

 

Wie ist die Beziehung von Selbstcoaching zu Intuition und Herz- oder Bauchgefühlen? Auch hier scheint oft eine größere Weisheit am Werk, ein unmittelbares Wissen, das dem Verstand nicht unmittelbar erklärlich ist.

Selbstcoaching baut sehr stark auf Intuition auf. In einer achtsamen Haltung öffnen wir uns der Intuition. Wenn sich auf dem Weg zum Selbstcoaching ein innerer Coach gebildet hat, verbinden sich zunehmend Intuition, Herz- und Bauchgefühle mit unserer bewussten Wahrnehmung, mit dem rationalen Denken und mit dem „sozialen Schwingen“. Diese Aspekte zusammengenommen könnte man auch als die „Intelligenz unseres ganzen Wesens“ bezeichnen. Unsere ganzheitliche Intelligenz umfasst also weit mehr also der rationale Verstand. Und wer sich nur auf den rationalen Verstand abstützt, verwehrt sich den Zugang zu enorm vielen inneren Ressourcen! Selbstcoaching ist eine Möglichkeit, uns in einen stärkeren und tieferen Kontakt mit uns als Ganzes, mit unserer Seele zu bringen.
 

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Über den Autor

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war lange Jahre in der internen und externen Unternehmensberatung, in der Personalberatung sowie in der Organisations- und Teamentwicklung tätig. In verschiedensten beruflichen und persönlichen Veränderungssituationen hat er prägende Erfahrungen als Klient und Beratener gemacht, die ihn jeweils zu neuen Ufern und zu nachhaltigen Lernprozessen geführt haben. Seit 40 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Themen rund um Coaching und Selbstcoaching, so z. B. mit Selbstentwicklung, Organisationsentwicklung, Change Management, Neurobiologie, Psychologie, Psychotherapie, westlicher und östlicher Philosophie, Meditation sowie systemischem Denken (z.B. nach Bateson, Varela, Willke). In seiner Coaching-Tätigkeit stützt er sich unter anderem auf bewährte Coaching- und Selbstcoaching-Standards, auf integrative, systemische und ressourcenorientierte Ansätze sowie auf weitere bewährte Ansätze aus der Tradition der humanistischen Psychologie und schliesslich insbesondere auf den integrativen Coaching-Ansatz des Institutes für Integrative Körperpsychotherapie in Winterthur bei Zürich.

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2 Responses

  1. Alexander
    Die richtigen Fragen stellen

    Sehr geehrter Herr Kyburz,
    ein gelungener, informativer Artikel um das Thema „Selbstcoaching“. Ich beschäftige mich seit längerem verstärkt mit dem Thema Selbstcoaching. Wie Sie auch schon erwähnten, dreht sich das Coaching allgemein mehr um das Stellen der richtigen Fragen. Meine Erfahrung hat mir bis jetzt gezeigt, dass es Menschen ohne sonstigen Bezug zum Thema Coaching schwer fallen kann diese richtigen Fragen zu finden und sich zu stellen. Meiner Meinung nach ist ein vorgefertigtes Programm mit sinnvollen Fragen und einer Methodik sehr hilfreich die eigene Intuition und weniger bewusste Gedankenstränge aufzudecken und das Selbstcoaching damit zu stützen.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Alexander
    -Initial Akademie-

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  2. Andre Neuschäfer

    Sehr geehrter Herr Kyburz,
    ich bin beim „googlen“ auf Sie gestoßen. Ich finde, daß ihr Ansatz sehr gut mit meinem Ansatz der Numerologie zusammenpassen würde und möchte Sie gerne einladen, auf meine Web-Site zu kommen. (www.chiren.net). Mich würde Ihre Meinung interessieren und wäre für Feedback dankbar !

    mit freundlichen Grüßen
    Andre Neuschäfer

    Antworten

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