Tiefste Intimität in Beziehungen kann nur dadurch geschehen, dass wir lernen zu lieben. Sexualität spielt eine tragende Rolle in den meisten unserer Paar- und Liebesbeziehungen, und Tantra ist ein befreiender Weg, der uns zu einem tieferen Ja zu uns selbst und zum Anderen verhelfen kann. Aber weder die tiefste Schönheit noch das größte Vergnügen beim Sex findet sich im Sex selber! Sex ist nur der Weg zu einer Erfahrung, die so gewaltig ist wie die Existenz selbst. Durch seine Natur lädt der Sex dazu ein, uns zu öffnen und so die gesamte Erfahrung unseres Lebendigseins zu verstärken. Im Tantra geht es um die Entdeckung und das Erlernen dieser Offenheit, mit der wir den Reichtum und die Tiefe des Lebens erfahren können. Es ist eine Reise, die immer mehr von unserem Sein erweckt. Es ist das Streben nach menschlicher Ganzheit ebenso wie nach spirituellen Erwachen, das uns eines Tages unausweichlich zum ewigen Geist in der Existenz führt.

Tantra als ein Weg zur Ganzheit

Deswegen erscheint Tantra einigen Menschen als etwas, bei dem es um Sex geht, während es für andere nichts mit Sex zu tun hat. Beide Seiten haben Recht. Tantra bedeutet „das Einschließen der Ganzheit in der Existenz“. Es ist das Gegenteil vom Zen; beide sind wie zwei Wege, die nach Osten und nach Westen um die Welt führen, um schließlich am gleichen Ort anzukommen. Im Zen sitzen wir in der Präsenz von allem, was ist, und befreien uns von allem, was wir erfahren: Wir sagen zu allem „Nein! Weder dies noch dies, nicht dies, nicht dies …“, bis wir das Nichts erreichen. Und auch zum Nichts sagen wir: „Nicht dies.“ Schließlich erwachen wir eines Tages in den Zustand des „No-mind“, des „Nicht-Verstandes“ hinein, in dem wir nicht mehr getrennt sind von dem, was ist und was nicht ist. Tantra ist die gleiche Reise des Erwachens – in die Gegenrichtung: Alles, was wir erfahren, akzeptieren wir. „Und dies, und dies, und dies, und dies …“ – bis all unsere Ängste und Urteile sich auflösen und wir in unserer Freiheit eins mit allem sein können, was hier und jetzt ist. In unserer völligen Akzeptanz von allem, was das Leben in uns berührt, leben wir wach und in Liebe mit der ewigen Gegenwart. Die Essenz ist dieselbe: frei zu werden von den normalen Ängsten und Begrenzungen, die uns verschlossen und unbewusst halten und frei zu werden für die Erfahrung des Lebens als bewusste Wesen, die das kostbare Geschenk des Seins feiern.

Intimität mit der Existenz – die Erfahrung des Berührtseins

Tantra kann wirklich alles im Leben sein, das uns lehrt, einschränkende Glaubenssätze und Haltungen loszulassen und stattdessen zu lernen, wie wir die Gesamtheit all dessen, was ist, erfahren können. Das heißt nicht, dass wir mit allem einverstanden sein müssen. Aber es bedetet, dass wir in unserem Wesen offen und empfindsam genug sind, um alles zu spüren, was das Leben hier und jetzt in uns berührt. Wenn wir so offen sind, werden unsere Erfahrungen immer lebendig sein und wir funktionieren bestens, weil all unsere inneren Ressourcen verfügbar sind, um uns auf das Leben einzulassen. Das schließt natürlich auch unsere Erfahrungen mit sexueller Liebe ein und da diese eines der größten Vergnügen im Leben ist, ist es sehr wichtig, das Tantra des Lebens durch sexuelle Liebe zu entdecken. Im Tantra geht es um Intimität mit der Existenz, was bedeutet: fühlen zu können – bis zum innersten Kern unseres Wesens. Wir müssen bereit sein, zu fühlen, und zwar auf eine freundliche Weise – nicht in Gestalt von Problemen oder Lasten, sondern als farbige Empfindungen, die uns lachen oder weinen lassen. Es geht um alle Nuancen jedweder Berührung des Lebens mit unserer Persönlichkeit – von der Berührung einer Feder auf unserer Haut bis zu Berührungen durch Liebe, Glück oder Tragödien in Bauch, Herz und Seele. Tantra bedeutet die Bereitschaft und das Lernen, präsent zu sein für alles, was berührt. Es bietet uns die Erfahrung von Alchemie: die Transformation unserer Natur durch unsere Natur.

Die kulturelle Verfremdung unserer sexuellen Natur

Wir leben in einer Kultur, die uns von unserer Natur entfremdet. Wir haben nicht gelernt, unsere Gefühle zu würdigen, und obwohl Sex eines der Hauptthemen in unseren Medien ist, reflektiert das meiste, was im Fernsehen, in Kinofilmen, der Presse usw. gezeigt wird, nur, wie sehr wir uns als sexuelle Wesen verurteilen und wie wenig wir gelernt haben, unsere sexuelle Natur mit unseren Gefühlen, unseren Herzen und Seelen abzustimmen. Wie sollte man nicht verwirrt sein, wenn man in einer Gesellschaft aufwächst, die unter anderem dem Sex unsicher, verschämt, besessen, verklemmt, verängstigt, hungrig, pornografisch, ausbeuterisch, machomäßig, kichernd oder gleichgültig gegenübersteht? Was für ein Schlamassel!
Es liegt an der kraftvollen, instinktiven Vitalität unserer Natur, dass wir gelernt haben, irgendwie zu überleben, aber wir verdienen viel mehr als bloßes Überleben. Wir verdienen Licht und Leichtigkeit, unsere Schönheit, Verspieltheit, Kreativität, Leidenschaft und Mitgefühl. Unsere natürlichen Instinkte sorgen sehr gut für uns. Ein Kennzeichen, menschlich zu sein und unser größtes Geschenk ist unser instinktiver Trieb, nach der Wahrheit zu suchen, danach, wer wir sind. Vorausgesetzt, dieser Teil wurde in unserer Kindheit nicht unterdrückt oder zerstört, werden wir von innen heraus gezwungen, in das Sein zu erwachen.

Sex als Einladung ins Erwachen

Es gibt so viele Wege, aufzuwachen, wie es Erfahrungen im Leben gibt! So wie ich es sehe, ist das ganze Leben, von seinen süßesten Segnungen bis zu seinen unmöglichsten Herausforderungen, von seinen leichtesten Genüssen bis zu seinen dunkelsten Abgründen, eine Einladung, jetzt hier zu sein. In einer gesunden Kultur wäre das Heranwachsen gleichzeitig das Erwachen und unser Schulsystem würde darauf aufbauen – das heißt, es wäre begründet auf Bewusstheit und Liebe. In unsrer Zivilisation ist das nicht so, deshalb muss jeder von uns seinen eigenen Weg finden.
Sex spielt eine Schlüsselrolle bei der Einladung ins Erwachen. Beim Sex geht es um den Körper, um das Vergnügen, es geht um uns als Männer und Frauen, die sich an ihrer eigenen Natur und der des Anderen erfreuen. Aber es ist nicht nur das. Eine der komischen Sachen am Sex ist, dass, wenn er für uns nicht als Weg zum Erwachen dient, er uns entweder in eine eintönige Sackgasse führt, weil seine Mechanik uns langweilt, oder zur Droge wird und uns zu immer ausgefalleneren Experimenten treibt auf der Suche nach mehr. Der Ärger mit dieser Option ist, dass wir dabei weder wachsen noch blühen und eines Tages gehen uns sowieso die Wahlmöglichkeiten aus: Die Natur sorgt dafür! Sex als Weg zum Wachstum bedeutet nicht nur mehr Vergnügen, sondern auch und im Wesentlichen seine Integration in unsere Gefühle und unser Bewusstsein. Es ist ein Weg, um ganz zu werden als glückliche Männer und Frauen, die zu lieben wissen und für die Sex heilig ist, schön und ekstatisch.

Genau darum geht es im Tantra. Es geht nicht um das Erlernen von Techniken, um besseren Sex zu haben. Das Bedürfnis danach ist Teil des Problems, nicht die Lösung! Nein, wir müssen die innere Welt unserer Gefühle und unserer Natur wieder entdecken und lernen, wie wir unsere Geschenke als Männer und Frauen feiern können – in einer Existenz, die sowohl spirituell als auch physisch ist, sexuell und heilig. Wir brauchen es, damit wir die intimen Liebesbeziehungen haben können, nach denen sich die meisten von uns wirklich sehnen. Dazu müssen wir aufwachen und all die Reichtümer in uns entdecken, von denen wir geträumt haben. Intimität ist das Vergnügen, unsere Schätze miteinander zu teilen. Zu lernen, wie wir unsere Ganzheit zurückgewinnen als Männer und Frauen, die glücklich leben und leidenschaftlich lieben, ist der wichtigste und erfüllendste Weg des Erwachens.

Darum geht es in unseren Seminaren, ob sie von Geburt, Tod, Beziehungen, Sex oder dem reinen Sein handeln – sie sind alle in ihrer Essenz Einladungen zur Feier all dessen, was wir sind und allem, was ist.

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