Bild: Konjunkturverlauf von Bernard Ladenthin Lizenz: gemeinfreiAufschwung: Wie man Feuer mit Benzin löscht 15. September 2009 Neue Wirtschaft Es ist Aufschwung! 0,3 Prozent wuchs unsere Wirtschaft wieder. Na Gott sei Dank: Wachstum! Das ist es doch, was wir so lieben. Wachsen muss die Wirtschaft, bis sie rechts und links aus Deutschland rausquillt und oben an die rosa Wolken stößt. Da sind wir der Krise aber noch mal von der Schippe gesprungen! Und wem haben wir’s zu verdanken? Der Mathematik! Schönrechnen heißt der neue Volkssport. Bis sich die Zahlen biegen unter dem Zuckerguss. Mal überlegt, verglichen zu was wir da eigentlich gewachsen sind? Zum vorhergehenden, desaströsen Quartal nämlich. Verglichen mit dem gleichen Quartal im Vorjahr sieht das natürlich schon ganz anders aus: Minus 7,1 %, der stärkste Konjunktureinbruch in der deutschen Wirtschaftsgeschichte, der jemals im Jahresvergleich statistisch erfasst wurde. Man muss halt nur wissen, wie man die Zahlen richtig hinruckelt, damit es schön aussieht. Aufschwung: Müll mit neuen Preisschildern Aber den Banken geht es wieder gut, das hört man ja überall. Da mussten wir ganz schön tricksen, aber wir haben sie rausgekriegt aus den roten Zahlen – mit Mathematik! Das geht so: Bevor wir angefangen haben schönzurechnen, mussten Banken ihre Wertpapiere mit dem derzeitigen Marktwert in ihre Bilanzen schreiben. Das ist natürlich blöd, weil viele davon heute überhaupt nichts mehr wert sind – sieht nicht schön aus in der Bilanz. Aber weder die EU-Kommission, noch die USA sind ja auf den Kopf gefallen: In Windeseile wurde eine Lockerung des Bilanzrechts durchgepeitscht. Jetzt dürfen die Banken ihre Wertpapiere zu dem Preis in die Bücher schreiben, zu dem die Papiere gekauft wurden – auf der Gewinn-Seite. Das wäre so, als würde ein Gebrauchtwaagen-Händler alle seine Autos zum Neupreis als Gewinn in die Bücher schreiben – ohne auch nur ein einziges davon wirklich zu verkaufen wohlgemerkt! Und wenn im Falle der Wertpapiere der aktuelle Preis höher liegt, na dann dürfen die Banken natürlich auch den nehmen, das können sie sich jetzt aussuchen. Sieht ja schöner aus. Das kann dann schon einen Unterschied machen. Nehmen wir nur mal die Deutsche Bank: Nach den alten Bilanzregeln hätte sie 900 Millionen Euro an Abschreibungen vornehmen müssen. Dank der neuen Regeln sind es nun hübsche 414 Millionen Euro Gewinn geworden. Das ist doch mal was! Unsere unabhängigen Rating-Agenturen Damit niemand auf den Gedanken kommt, dass es sich bei den ganzen Wertpapieren um höchst risikobeladenes Gift-Material handelt, mussten wir dann auch noch unsere „unabhängigen“ Bewertungs-Agenturen etwas geradebiegen. Die sollen ja eigentlich durch ihre Bewertungen Aufschluss darüber geben, wie sicher eine Anlage ist – nur wenn wir den Leuten die Wahrheit sagen würden, könnten wir das Zeug ja nicht mehr verkaufen! Da kamen doch tatsächlich einige Agenturen auf die Idee, die Schrottpapiere abzustufen! Das geht natürlich nicht. Nach massiver Kritik aus der Finanzbranche haben sie das aber auch eingesehen und alles wieder auf höchste Sicherheit gesetzt. Da haben wir noch mal Glück gehabt, es drohte schließlich eine „Massen-Abstufung“ von Wertpapieren – das hätte den Aufschwung in Gefahr gebracht! Die Leute müssen das Zeug kaufen, da dürfen wir ihnen nicht mit irgendwelchem Bewertungs-Papperlapapp Angst machen. „Um den – vom Steuerzahler subventionierten – Handel mit all den toxischen „Wertpapieren“ nicht zu gefährden, dürfen diese natürlich nicht entsprechend ihres Werts als Finanzmüll bewerten werden. Das Auftauen der „eingefrorenen“ Finanzmärkte kann nur vermittels systematischen Selbstbetrugs gelingen“ schreibt Tomasz Konicz sehr richtig auf telepolis. Überhaupt: Was bilden die sich ein? Schließlich bezahlen die Herausgeber der Wertpapiere die Agenturen ja für ihre Bewertung. Da kann man doch wohl mal ein Auge zudrücken. Schulden verstaatlichen Arme Banken: Abends vollbesoffen im Kasino alles verzockt und dann am nächsten Morgen mit einem ordentlichen Kater und einem Berg von Schulden aufgewacht. Aber wir sind ja nicht so. Da geben wir doch gerne unsere Steuern her, damit die Jungs abends wieder losziehen können. Und wenn sie was gewinnen, können sie sich ja ein paar schöne Autos davon kaufen. Falls sie verlieren, übernehmen wir wieder die Schulden, ist doch klar. Das Merkel-Prinzip lautet: Gewinne privatisieren und Schulden verstaatlichen – dann gibt’s auch wieder Wachstum. Natürlich: Auf dem Staatskonto sieht es dann nicht mehr so schön aus. Aber der Staat ist anscheinend auch nicht „systemrelevant“ so wie die ganzen Banken. 4,7 % des gesamten Einkommens der Welt sind inzwischen in die Konkjunkturpakete geflossen. Nächstes Jahr werden die Schulden der europäischen Staaten 80% des Bruttosozialprodukts (im gesamten Kreislauf bewegtes Geld) betragen. Der ganze Aufschwung findet überhaupt hauptsächlich da statt, wo der Staat das bröckelnde Gemäuer mit ordentlich Euros stützt. Schuldenfinanzierter Aufschwung – mal sehen, wie lange das gutgeht. Jobs wird es sowieso keine neuen geben – die Amerikaner nennen das ganze schon „jobless recovery“. Klingt eigentlich auch gar nicht so schlimm – immerhin „recovery“. Das Beste aber ist: Die ganzen Staatshilfen sind schon wieder schön in die nächste Blase gewandert. Und die wächst und wächst und wächst. Genau das wollen wir ja: Wachstum. Anders geht es nicht. Noch nie ein Feuer mit Benzin gelöscht? Links Focus: Die Mär vom Ende der Krise Telepolis: Hurra, der (Pseudo-) Aufschwung ist da! 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