Im September diskutiert ein Kongress in Berlin den Einsatz bewusstseinserweiternder Substanzen – auch von Ayahuasca – in Therapie und Forschung.

 

Der Schamane, der das kaffeebraune, aber nicht ansatzweise so wohlschmeckende Getränk reicht, ist Ubaldo Maceda aus dem peruanischen Urwald. Er stammt aus einer Schamanenfamilie, hat mit neun Jahren sein erstes Ayahuasca getrunken und wurde von seinem Vater in einer mehr als tausendjährigen Tradition ausgebildet. Er bietet uns einen Trank, der in Geschmack und Wirkung an einen chemischen Rostlöser aus dem Regal der einheimischen KFZ-Werkstätten erinnert.

Ayahuasca ist heilige Medizin – eine Mischung aus zwei der potentesten Kraftpflanzen dieser Erde. In der Wirkung ähnlich dem Peyote-Kaktus, den heiligen Pilzen der Maria Sabrina, dem Fliegenpilz aus unseren Landen oder dem Iboga aus Afrika. LSD und MDMA, die bei der Suche nach Medikamenten in westlichen Laboren gefunden wurden, gehören auch zu dieser Klasse der heiligen Medizin. Heilig, weil sie in der Lage sind unsere rostigen Ego-Schrauben zu lockern und etwas zu offenbaren, das von Konzepten und Vorstellungen verdeckt wird.

Das Wort „heilig“ entspricht nicht jedermanns Geschmack im Zusammenhang mit Medizin, da diese bei uns einen sehr exakten und wissenschaftlichen Charakter hat. Der Begriff Entheogene klingt weniger esoterisch und bezeichnet spirituell und therapeutisch nutzbare Substanzen mit halluzinogenen Eigenschaften. Das Adjektiv entheogen stammt aus dem Altgriechischen und setzt sich zusammen aus: en = in, theos = Gott und genesthai = bewirken. Damit wird eine spirituelle Erfahrung beschrieben, welche häufig bei Gebrauch dieser Substanzen gemacht wird.

Das ungefähre Wirkungsspektrum von Ayahuasca

  • Verstärkung psychosomatischer Affekte
  • Wiedererleben biographischer Sequenzen
  • Wiedererleben der eigenen Geburt
  • transpersonale Erfahrungen (Erweiterung der objektiven Realität)
  • Identifikation mit anderen Daseinsformen
  • Erinnerungen an frühere Inkarnationen
  • Todes- und Nahtoderfahrungen
  • Erwachenserfahrungen – Samadi / Jhana / Satori
  • Kundalinierfahrungen

Die Meisterpflanze

Die Liane, Hauptbestandteil des Ayahuasca, gilt bei den Heilern als mächtigste Pflanze des Waldes und wird deshalb auch als „Meisterin der Meister“ verehrt. Die Pflanze spricht zum Schamanen, sie ist „der Lehrer“, der Schamane „ein Berater“. Es verwundert nicht, dass in der westlichen Welt, die unter Entfremdung, Sinnentleerung und Zersplitterung leidet, das Trinken von Ayahuasca immer populärer wird.

Über die Hälfte aller Touristen, die beispielsweise nach Peru reisen, haben diese Reise gebucht, um jemanden wie Ubaldo Maceda aufzusuchen und im Regenwald an einem Ayahuasca-Ritual teilzunehmen. Es ist ein regelrechter Ayahuasca-Tourismus nach Peru und Brasilien entstanden.

Das fertige Getränk enthält den Inhaltsstoff DMT (Dimethyltryptamin), der für die Wirkung verantwortlich ist, in vielen Ländern aber dem Betäubungsmittel – gesetz unterliegt und verboten ist. Dies gilt auch für Deutschland. Dennoch werden seit einigen Jahren in vielen Großstädten in Wochenendworkshops diese Rituale angeboten – allein in Berlin finden an jedem Wochenende Ayahuasca-Rituale statt.

Die heilige Medizin führt in Gefilde, die rein wissenschaftlich nicht – oder noch nicht – zu erklären sind. In den USA wird aktuell die Anwendung von LSD in der Therapie für Krebspatienten untersucht und in der Schweiz erforscht man den medizinischen Einsatz von Psilocybin – dem Wirkstoff aus psychogenen Pilzen.

Die wissenschaftliche Erforschung der psychoaktiven Substanzen ist problematisch, da kein konkretes medizinisches Anwendungspotenzial definiert ist und die Substanzen im Untergrund der Großstädte illegal genutzt werden. Die Medien lieben das Sensations – potenzial der Berichte über „Horror-Drogen“ und Flashbacks.

Mit Ayahuasca verborgene Räume erkunden

Rick Strassman, Professor für klinische Psychiatrie an der Universität New Mexico, begab sich Anfang der 90er Jahre auf den mühsamen Weg durch bürokratische Institutionen, um mit der Substanz DMT experimentieren zu dürfen, welche für den visionären Teil der Erfahrung im Trank, den uns Ubaldo Maceda anbietet, verantwortlich ist. DMT ist ein chemisch nicht sehr komplexes Molekül und dem Serotonin, einem Botenstoff in unserem Gehirn, sehr ähnlich. Geraucht oder als Ayahuasca getrunken, ist es eine der stärksten psychedelischen Substanzen. Sie löst den „Rost“ und die Verkrustungen unserer Vorstellungen über Zeit und Raum und schenkt uns eine Flut von Bildern und Wahrnehmungen, die uns den Blick in verborgene Räume unseres Seins und damit tiefe spirituelle Erfahrungen und Einsichten in unsere Biographie ermöglicht.

Auch in unserer westlichen Kultur haben psychoaktive Substanzen viele tausend Jahre eine wichtige Rolle in Spiritualität, Medizin und psychischer Heilung gespielt. Die Mysterien von Eleusis existierten über einen Zeitraum von fast 2000 Jahren hinweg und bildeten einen zentralen religiösen Kult im antiken Griechenland. Die Teilnahme war einem Menschen nur einmal erlaubt und wurde oft als Höhepunkt dieses Lebens beschrieben. Während der Zeremonie (über die niemals gesprochen werden durfte) wurde ein Trank gereicht, der vermutlich dem Ayahuasca sehr ähnlich war und die Teilnehmer in einen entheogenen und visionären Zustand führte. Bekannte Philosophen, Dichter und Politiker dieser Zeit haben an diesem Ritual teilgenommen, darunter Platon, Aristoteles, Pythagoras, Cicero und Sophokles.

Die Entheogene sind also nicht nur in uns kulturell und religiös fernstehenden Kulturen wie Peru und Brasilien zu Hause, sie erinnern uns auch an etwas, das hier in Vergessenheit geraten ist. In Woodstock feierten die Hippies den Beginn einer neuen Zeit, und die Wiederentdeckung der psychedelischen Drogen war ein wesentlicher Teil der 68er- Bewegung. In dieser Zeit äußerte der amtierende Vizepräsident der Vereinigten Staaten in einer öffentlichen Rede folgenden Satz: „Es gibt zwei Hauptfeinde, welche die USA derzeit bedrohen, der eine ist das kommunistische China, der andere ist LSD.“

Die Hippies hatten nicht verstanden, warum es den Teilnehmern der Mysterien von Eleusis nicht erlaubt war, über das Ritual zu sprechen, und warum gewisse Dinge im Inneren besser aufgehoben sind als auf Transparenten. Sie begingen mit der verfrühten öffentlichen Diskussion einen Fehler, der jede Hoffnung auf eine gelungene Reintegration von Entheogenen in unsere Kultur für lange Zeit unmöglich machte.

Die Zeiten ändern sich, und nun lesen wir Meldungen wie diese: „Im Jahr 2020 wird MDMA als Medikament zugelassen sein!“ Wie soll das gehen? Hat sich der „War on Drugs“ in seiner Sinnlosigkeit selbst erschöpft?

Die Legalisierung von Entheogenen wie Ayahuasca, Psilocybin und LSD könnte tatsächlich nur noch eine Frage der Zeit sein.

Über zwanzig Millionen US-Dollar an Spenden für psychedelische Studien gesammelt

MAPS steht für „Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies” und finanziert mit Spendengeldern – bisher über zwanzig Millionen US-Dollar – wissenschaftliche entheogene Forschung. Rick Doblin, Ph.D., Gründer und Direktor von MAPS, spricht in einem Talk bei Google über die gesellschaftliche Akzeptanz von psychoaktiven Substanzen in der Zukunft: „Bei der Frage der Legalisierung von Hanf gab es über Jahrzehnte keine Bewegung, obwohl zunehmend auch Polizei und Staatsanwälte ein Umdenken gefordert haben. Inzwischen ist Cannabis als Medizin zugelassen, und damit begann ein Wandel.“ Doblins Schlussfolgerung: Auch MDMA und die Entheogene werden als Medizin in unsere Kultur zurückkehren. Wenn sich ihre guten Qualitäten in der therapeutischen Anwendung bestätigen, wird dies eine neue gesellschaftliche Debatte über den Wert und Umgang mit der heiligen Medizin zur Folge haben.

Der Trend ist jetzt schon spürbar, es wird wieder deutlich mehr und ergebnisoffener über das Thema gesprochen. Während man die 80er als das dunkelste Zeitalter der psychedelischen Forschung beschreiben könnte, steigt die Anzahl der Studien, welche die Potenziale der Entheogene ausloten, seit den 90ern deutlich an. Die Frage des Bewusstseins rückt wieder mehr ins Zentrum der wissenschaftlichen Untersuchungen. Neue bildgebende Verfahren ermöglichen es, live zu verfolgen, wie die Wirkung der Entheogene die Vernetzung innerhalb unserer Hirnstrukturen beeinflusst. Mittels neurologischer 3D-Scans können diese Prozesse erfasst und analysiert werden, wie die Forscher am Imperial College in London im Rahmen einer LSD-Studie zeigten.

Das sind echte Meilensteine und wirklich gute Nachrichten! So gut, dass man es kaum glauben kann. Liegt es am Bewusstseinswandel, am neuen Zeitalter, an dem, was uns für die Zeit nach 2012 prophezeit wurde?

Vielleicht ist ein Grund der Generationswechsel in sehr einflussreichen Positionen und Organisationen.

Psychedelika – Der Ursprung von Kreativität in der IT-Branche

Das neue Büro von Apple kostet knapp fünf Milliarden US-Dollar und ist deutlich größer als das Pentagon. Es ist ein ringartiges Gebäude mit einem Außenumfang von 1,6 Kilometern. Der Mitgründer und langjährige CEO von Apple, Steven „Steve“ Jobs, gründete Apple 1976 und setzte über die Jahre hinweg revolutionäre Ideen in die Realität um, darunter das Konzept des Personal Computers mit grafischer Benutzeroberfläche, Smartphones, Tabletcomputer, iPod und iTunes Store. Jobs war ebenso CEO und Hauptaktionär der Pixar Animation Studios, ein auf Computeranimationen spezialisiertes kalifornisches Unternehmen, das den genial-realistischen Standard heutiger Zeichentrickfilme mitgestaltet hat. Jobs starb am 5. Oktober 2011, sein Vermögen wurde vom Forbes Magazine auf 8,3 Milliarden US-Dollar geschätzt. Woher kommt dieser Sturm an Kreativität und Aktivität, der bei Jobs und einigen anderen IT-Köpfen zu ungeheurem Reichtum und fast grenzenlosen Gestaltungsmöglichkeiten geführt hat?

Die Antwort gibt Steve Jobs selbst: „LSD zu nehmen war eine tiefgreifende Erfahrung, eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben. LSD zeigte mir, dass es eine andere Seite der Medaille gibt. Es lässt sich nicht voll erinnern, wenn die Wirkung nachlässt, und dennoch weißt du es. Es verstärkte mein Gefühl von dem, was wirklich wichtig ist: Schaffe große Dinge, anstatt Geld zu verdienen. Setze die Dinge wieder in den Strom der Geschichte und des menschlichen Bewusstseins, so gut du kannst.“ Daniel Kottke, einer der ersten Angestellten und ein enger Freund von Steve Jobs, erzählt: „Es entwickelte sich zwischen uns eine Freundschaft, und wir entdeckten, dass wir beide dasselbe Buch mochten: „Be here now“ von Ram Dass1, ein Buch über „psychedelics & spirituality.“

Diese Interessensähnlichkeit ist kein Einzelfall. Ein wesentlicher Teil des Erfolges im Silicon Valley nahe San Francisco, einem der bedeutendsten Standorte der IT- und High-Tech-Industrie weltweit, steht im Zusammenhang mit der Funktion eines sehr besonderen Organs: des Gehirns. Das für diese Branche notwendige schnelle Memorieren von Zahlenfolgen und Erkennen von Fehlern ist eins – der andere Teil ist Kreativität. Die Fähigkeit, „outside the box“ zu denken und den richtigen Moment zum Handeln und dem Umsetzen einer Idee zu erkennen, kann in dieser schnell wachsenden Branche Millionen bringen.

Der Buchautor Tim Ferriss, der die dortige Szene gut kennt, meint: „Alle Millionäre, die ich kenne, nutzen nahezu ausnahmslos und selbstverständlich Psychedelika. Es wird sehr offen darüber gesprochen. Es stimmt, diese Substanzen zu nehmen, ist wie Benzin ins Feuer zu gießen. Werden sie auf eine sehr intelligente und achtsame Weise eingesetzt, wird klar, wie man dieses Feuer nutzen kann.“

Zahlreiche Kongresse und Tagungen ziehen immer mehr Menschen an. Zum LSD-Symposium in Basel, anlässlich des 100. Geburtstages des Entdeckers, kamen über 2.000 Gäste. Die Breaking Convention 2015 in London zog über 600 Menschen an, und in Berlin gibt es vom 3.-4. September diesen Jahres zum 3. Mal den Entheo-Science-Kongress. Denn: Die Wiederkehr der heiligen Medizin ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einer ganzheitlichen Medizin und zur spirituellen Selbstbestimmung des Menschen.

 

1 einem ehemaligen Psychologie-Professor an der Harvard- Universität, der sich Bewusstseinserweiterung und spirituellem Wachstum verschrieben hatte


Kongress Ethno ScienceKongress Entheo Science – let’s talk about psychedelics

Mehr als 30 Vorträge und Workshops zum Thema Psychoaktive Substanzen im Kontext von Bewusstseinsforschung, Ethnobotanik, Spiritualität, Therapie und Politik.

Unter anderem mit:
Ronald Steckel, Autor, Komponist, Regisseur
EKSTASE UND ENSTASE – über mögliche Wege der Bewusstseinserweiterung
Dr. Jochen Gartz, Dr. der Chemie
40 Jahre psychedelische Forschung: Einsichten und Aussichten
Dr. med. Friederike Meckel, Psychotherapeutin, Holotropic Breathwork
Die praktische Anwendung der psychedelisch unterstützten Psychotherapie
Dr. med. Gernot Rücker, Uniklinik Rostock
Konsum von psychoaktiven Substanzen – Risikokonstellationen für vitale Gefährdung
Dr. med Peter Gasser, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Präsident der SÄPT
Erforschung bewusstseinsverändernder Substanzen zu therapeutischen Zwecken
Dr. phil. Margrit Jütte, Kultur- und Sozialanthropologin, Therapeutin, Autorin
Das Entheogen Yajé (Ayahuasca) bei den Kofán
Sabrina Chetouani, Kultur- und Sozialanthropologin
Schamanische Trance und buddhistische Traditionen
Ansgar Rougemont-Bücking, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Zwischen Spiel und Schmerz: der Lebenszyklus und das endogene Opiatsystem

Termin: 3. bis 4. September 2016
Ort: Essentis Biohotel, Weiskopffstraße 16, 12459 Berlin
Mehr Infos und Tickets (70 €) auf http://entheo-science.de

 

Abb: © neurolle – Rolf_pixelio.de

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