Die Renaissance eines lange vergessenen Baustoffes

Die Wiederentdeckung des Baustoffs Lehm ist die Erfolgsgeschichte eines sich wandelnden Bewusstseins, der „Entdeckung“ der Endlichkeit der Welt, der Überwindung der Hybris der Moderne. Über Bauen mit Lehm.

Lehm war früher einer der fünf, sechs wichtigen Baustoffe auf jeder Baustelle. Schlägt man heute irgendeine Geschichte der Baukunst auf, ist kaum ein Hinweis auf diesen Baustoff zu finden. Das war nicht immer so. In der Krünitzschen Enzyklopädie, dem „Brockhaus“ vor zwei-, dreihundert Jahren, waren es viele Seiten, und das war erst der Beginn einer Veröffentlichungswelle, an der sich bekannte Baumeister von David Gilly, dem Mitbegründer der preußischen Bauakademie, über Le Courbusier, Frank Lloyd Wright und Albert Speer bis Henselmann und Otto Bartning beteiligten.
Kräftigere Spuren hat der Lehmbau bis heute in unserer Sprache hinterlassen. Lehm klebt – derselbe Wortstamm, und kaum ein Herr Kleiber wird sich an die schwere Arbeit seiner Vorfahren erinnern. Lehmkuhlen gibt es fast in jedem Dorf, Ortsnamen wie Letter, Glinicke, Glindow nach dem slawischen Wortstamm glin für Lehm sind verbreitet wie einst das Bauen damit.

Sparsam bauen mit Lehm

Seit der frühesten Besiedlung wurden in Mecklenburg die Flechtwerkwände der Häuser mit Lehm verstrichen, Lehm im Fachwerkbau war selbstverständlich, das ökonomische Bauen, die Land-Bau-Kunst der Gutsherren, entdeckte den Massivlehmbau im 18., 19. Jahrhundert auch in unserer Region. Solche Häuser, bei denen die Lehmwände die Dachlasten abtragen, gibt es auch in unserer Umgebung, in Brook und in Langenhagen. Verwechselt werden sie leicht mit einer ebenfalls von dem Franzosen Cointereaux propagierten Bauweise, dem Kalkpisé. Beispiele gibt es in allen umliegenden Dörfern. Lehmhäuser werden erst kenntlich, wenn der äußere Putz abfällt. In der Stadt Weilburg an der Lahn, in der ein hundertfünfzig Jahre altes, fünfgeschossiges Stampflehmhaus von der Dauerhaftigkeit dieser Bauweise Zeugnis ablegt, fand erst eine engagierte Bürgerinitiative, dass es noch weitere sechzig Häuser in derselben Bauweise gab. Auch hier bei uns werden wir sicher noch etliche Häuser aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert in tragender Lehmbauweise finden.

Ökonomisches Bauen heißt sparsames Bauen. Mit Lehm bauen heißt sparsam bauen. Das Wort Sparsamkeit in seiner ambivalenten Bedeutung riecht in unserer Generation leicht nach Kohlsuppe. In den siebziger Jahren kam die Rede auf vom guten einfachen Leben (Scott/ Nearing), Mathias Horx fand einen Megatrend in der Gesellschaft, die „Purifikation“: den Dingen ihre Einfachheit belassen heißt, die ihnen innewohnende Schönheit entdecken.
Die Anforderungen an den Wohnkomfort sind in den vergangenen zweihundert Jahren stark gestiegen. War es früher im Bauernhaus in der Wohnstube vier Grad wärmer als draußen, erwartet heute jeder Mensch eine Raumlufttemperatur von mindestens zwanzig Grad das ganze Jahr über, oder wie Rudolf Bahro es ausdrückte: Gegenüber der Goethezeit mit zwanzig benötigen wir heute zweihundert Energiesklaven. Die Energiekrise Anfang der siebziger Jahre machte dies allen deutlich, das einsetzende Energiesparfieber wirkte sich auf die Gestaltung der Außenhülle der Häuser aus, auf die Dächer und Außenwände. Leichte Baustoffe dämmen besser als schwere, die eingebauten Lehmbaustoffe wurden immer leichter, Strohleichtlehm, Holzleichtlehm, Mineralleichtlehm, zum Schluss trennte sich das Leichte vom Schweren, außen Dämmung, innen Lehmmauerwerk.

Gesund bauen mit Lehm

Über Gesundheit spricht man bekanntlich erst, wenn man mit ihr Probleme hat. Genauso ist gesundes Bauen eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dass es betont werden musste, ist das Erschreckende. Hubert Palm brachte 1955 als einer der ersten die Begriffe „wohngesund“ und „Baubiologie“ in die Diskussion. Dass Wände Stoffe auswählen, von außen eindringendes Schlechtes nicht einlassen und Schlechtes ausscheiden. Auch hier sagte der Baustoff Lehm: „Ick bin all hier“, die kleinen Tonpartikel haben eine tausendmal größere Oberfläche, bestückt mit Molekülen, die Schadstoffe binden, die Luftfeuchtigkeit regulieren und die Ionisation der Luft herabsetzen. Soweit die naturwissenschaftliche Erklärung. Man kann auch einfach sagen – und das sagen Bewohner von Lehmhäuser seit langem – Lehm ist ein Baustoff, der ein angenehmes Wohnklima schafft.

In den Achtzigern hat die umweltpolitische Diskussion einen Paradigmenwechsel vollzogen. Nicht mehr die Gifte, sondern die Massenströme, nicht mehr die Nanogramm, sondern die Megatonnen stehen im Mittelpunkt des Interesses. Beim „ökologisch intelligenten Produzieren und Konsumieren“ überlegt man nicht erst am „end of the pipe“, wo denn der ganze Müll bleiben soll, der im Lebenszyklus des Produkts entstanden ist. Man überlegt vorher, wie ein ganz normaler Mensch, was denn unter dem Strich an Müll und Umweltbelastung dabei herauskommt. Und auch hier kann sich der Baustoff Lehm sehen lassen, wenn er in der Region produziert und verarbeitet wird, wenn er im Rahmen einer lokalen Entwicklung gesehen wird.

 

Lehm – durch und durch wohngesund

Lehmbaustoffe müssen nicht beweisen, dass sie frei von Schadstoffen und chemischen „Schönungsmitteln“ sind. Auf der Checkliste des Instituts für Baubiologie und Ökologie Neubeuren haben sie bei 15 Bewertungskriterien den Spitzenplatz. Wen wundert das, ist doch Lehm nicht nur das älteste Baumaterial des Menschen, sondern auch sein ältestes Heilmittel.

Lehm sorgt für angenehme Luftfeuchte. Lehm nimmt sehr schnell Luftfeuchte auf, gibt sie wieder ab und sorgt so für ein angenehmes, gesundes Raumklima. Trockene Zentralheizungsluft, verstärkt durch elektrisch aufgeladene Staubpartikel, ist in „Lehmräumen“ unbekannt und ihre Bewohner kennen deshalb Husten und Schnupfen nur noch vom Hörensagen.

Lehm bindet Schadstoffe
Die Tonminerale des Baustoffs Lehm haben freie Bindungen („Ionenbindungskapazität“), an denen sich Schadstoffe anlagern. Diese Eigenschaft wird auch im technischen Umweltschutz in Berlin bei der Phosphatrückgewinnung aus Abwässern und bei der Sanierung der Rieselfelder genutzt.

Lehm gegen Elektrosmog
Lehm dämpft nachweislich die hochfrequente Strahlung von Handys und elektrischen Feldern.

Lehm speichert Wärme und ist schallschützend
Wie alle schweren Baustoffe speichert Lehm die Wärme und ist als Feuer- und Schallschutz seit Jahrhunderten bewährt.

Lehm eignet sich für Selbstbau
Durch einen „Lehmfachmann“ angeleitete Selbsthilfe ist auf Lehmbaustellen fast die Regel. Die Konstruktionen sind einfach, Fehler, die jedem „Anfänger“ einmal passieren, können leicht korrigiert werden. Und alle nehmen den Baustoffe natürlich gern in die Hand – auch Kinder bauen gerne mit.

• Ausbesserung schadhafter Gefache im Bestand
• Innendämmung in der Altbausanierung aus Leichtlehm zur Angleichung an heutigen Wohnkomfort.
• Lehminnenschalen bei Holzständer- und Holzrahmenkonstruktionen sorgen für angenehmes Raumklima.

Und wenn ganz traditionell Lehmstein auf Lehmstein gemauert wird, sind mit den genannten Dämmstoffen Niedrigenergiehäuser zu realisieren. Vorfertigung, Putzmaschinen und Silobehälter machen die heutigen Lehmbaustellen platzsparender, witterungsunabhängiger und kalkulierbarer. Bei all dem bleibt die Faszination des ältesten Baustoffs: Schon immer fühlten sich die Menschen in Lehmhäusern besonders wohl.

2 Responses

  1. René Dünki

    Sehr geehrter Herr Rüger Ich bin im Besitz eines alten Fachwerkhauses es handelt sich um ein sogenanntes Gestricktes Haus. Der Kern des Hauses ist über 600 Jahre alt. vor circa 230 Jahren wurde es an – und umgebaut. Viele der Gefache sind noch gut erhalten andere bestehen nur noch aus den geflochtenen Holzlruten. Das gleiche gilt für die Ostfassade , die ich dieses Jahr neu verputzen will und muss Bin.Handwerklich sehr begabt. Maler mit diversen Weiterbildungen und Erfahrung als Gipser. Was mir fehlt ist eine Rezeptur für einen fetten Grundputz. Zudem noch eine Rezeptur für einen Deckputz der nach der Trocknung einen leicht Ockerfarbenen Erscheinungsbild haben soll. Da die Witterung langsam freundlicher wird bin ich auf der suche nach einer Mischung die den Bedürfnissen gerecht wird um ein schönes Erscheinungsbild im Septemper nach entfernen des Gerüstes zu haben . Für einen Rat wäre ich Ihnen sehr Dankbar mit freundlichen Grüssen René Dünki Hemmental 12 8254 Basadinden Schweiz

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  2. Petra Kind

    Sehr geehrter Herr Rueger,
    vielen Dank für den schönen Artikel. Ich bin auf der Suche nach Informationen über Lehmbauten in der DDR, die Zeit um 1952. Haben Sie eventuell Literaturhinweise für mich.
    Ich danke Ihnen,
    Petra Kind
    0175-3551494

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