Das Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin bietet schwerkranken Kindern einen Ort des Lichts für die letzte Zeit ihres Lebens. Jasmin Dorogi hat diesen besonderen Ort besucht, an dem die Liebe zum Leben den Tod umarmt.

Ein geschützter Raum

Wer je einem Kind das Leben geschenkt hat,
kann wissen,
dass es sich nie ganz ablöst,
sondern immer eine ganze Lebenszeit ein Teil von ihm bleibt.

Wer je ein Kind hat hergeben müssen,
der weiß,
wie wenig von ihm selbst übrig bleibt.
(Jörg Zink)

An einem sonnigen Vormittag im November besuchte ich einen Ort der Liebe und des Lichts – das Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin-Pankow. Schon im Licht durchfluteten Foyer wurde ich von einer Energie der Wärme und Geborgenheit empfangen, die nur dann existiert, wenn Menschen dass, was sie tun, zutiefst lieben. Tief beeindruckt davon, was möglich ist, wenn Menschen von Herz zu Herz geben, möchte ich von dieser besonderen Einrichtung berichten.

Der Sonnenhof ist eines von mehreren Projekten der Björn-Schulz-Stiftung. Den Namen verdankt die Stiftung Björn Schulz, einem krebskranken Jungen, der 1982 im Alter von sieben Jahren verstarb. Sein Leben, das viel zu früh endete, setze in seinen Eltern unglaubliche Energien für die Gestaltung einer Vision frei, die sie die vergangenen mehr als dreißig Jahre begleitete und die sie Stück für Stück Realität werden ließen. Schon kurz nach seinem Tod gründeten sie in West-Berlin zusammen mit anderen Betroffenen einen Verein, der sich um Familien kümmerte, deren Kind an Krebs erkrankt war. Über Jahre begleiteten sie die Familien bei der Pflege ihrer Kinder und kämpften um die Verbesserung der Behandlungsbedingungen der betroffenen Kinder in den Krankenhäusern.

Zunehmend wichtiger wurde im Laufe der Jahre auch die Betreuung der Eltern, deren Kinder nicht wieder gesund werden würden. Insbesondere in der sensiblen Sterbephase ihrer Kinder – einer Phase, in der die Eltern oftmals allein dem Undenkbaren gegenüberstanden – leistete der Verein Pionierarbeit, auch über den Tod des Kindes hinaus.

Aufgrund ihrer vielen Erfahrungen kristallisierte sich mehr und mehr der Wunsch heraus, den betroffenen Eltern und Kindern in dieser schweren Zeit des psychischen und physischen Ausnahmezustandes einen Schutzraum zu bieten – einen Raum, in dem sie SEIN dürfen, einen Raum der Liebe und Geborgenheit, der Anteilnahme, der Freude, der Stille und des Lebens. Einen Raum, an dem die Eltern mit ihren Kindern leben können, die Kinder leben können mit all dem, was ihnen wichtig ist. So entstand die Idee, eines der ersten Kinderhospize in Deutschland zu gründen. Der Sonnenhof wurde 2002 eröffnet.

Er unterstützt Familien mit schwerst- und unheilbar kranken Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Altern von 0 bis 35 Jahren. Die Kinder leiden neben Krebs oft an genetischen Erkrankungen oder an seltenen Stoffwechselerkrankungen. Neben der palliativmedizinischen Versorgung bietet der Sonnenhof auch die Möglichkeit der Kurzzeitpflege von schwerstkranken Kindern, um ihren Eltern eine kurze Erholung von den Strapazen der Pflege zu ermöglichen.

 

Sonnenhof: Haus der Freude und des Lebens

„Wir sind ein Haus der Freude und des Lebens“, sagt Frauke Frodl, Pressesprecherin der Björn-Schulz-Stiftung. Wie wahr diese Worte sind, erlebt man bereits beim Betreten des lichtdurchfluteten Foyers. Aus so vielen kleinen und kleinsten Details, wie beispielsweise den süßen Frosch-Fliesen im Badezimmer der Kinder spricht die Liebe, mit der diese Einrichtung gestaltet wurde. Ein Zimmer mit einer riesigen Glaskuppel ermöglicht es auch den schwächsten Kindern, die an ihr Bett gefesselt sind, den Himmel und den wunderschönen Garten zu sehen. Jeder Raum ist so ausgestattet, dass er einem ein „zu-Haus-Gefühl“ gibt.

In der Küche kommen alle Kinder zusammen, selbst die, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Krankheitsstadiums künstlich ernährt werden, um die im Hause frisch zubereiteten Mahlzeiten gemeinsam zu sich zu nehmen. Es geht dabei um viel mehr, als um Nahrungsaufnahme – zusammen sein, dazugehören, Gemeinschaft, riechen, fühlen – ganzheitlich Leben. Die Kinder dürfen zu jeder Tageszeit essen, was sie möchten – ihre Krankheit macht oft sämtliche starren Strukturen zunichte. Ein liebevoll eingerichteter Snoezelenraum gibt den Kindern die Möglichkeit, in einer warmen, kuscheligen Atmosphäre körperliche Nähe und Geborgenheit zu erfahren, ein Bewegungsbad ermöglicht selbst den extrem körperlich eingeschränkten Kindern die so wichtige Erfahrung, ihren Körper zu spüren.

Der wunderschöne, parkähnliche Garten beherbergt einen Therapiezoo – in einer Stadt wie Berlin eine absolute Attraktion – und zieht oft auch kleine Besucher aus der Nachbarschaft an. Insbesondere diese Öffnung zur Nachbarschaft, nach Außen ist Teil des Konzeptes vom Sonnenhof. Eine ihrer gesellschaftlichen Aufgaben sehen die Mitarbeiter des Sonnenhofes darin, die sterbenskranken Kinder so gut es geht zu integrieren, ihnen als Teil der Gesellschaft Gemeinschaft mit anderen zu ermöglichen, genauso wie der Tod ein Teil des Lebens ist. Entsprechend dieser Philosophie wird auch das interne Schwimmbad seit einiger Zeit stundenweise für Babyschwimmkurse genutzt – erstaunlicherweise nehmen viele Mütter dieses Angebot wahr, ein Ergebnis der engagierten und integrativen Öffentlichkeitsarbeit des Sonnenhofs.

Überhaupt ist alles im Sonnenhof erstaunlich unkompliziert – ohne großartigen bürokratischen Vorlauf können die Eltern auch gemeinsam mit ihren Kindern einziehen, selbst für die Geschwister ist Platz genug. Es stehen Elternwohnungen zur Verfügung, aber die Eltern können auch zusammen mit ihren Kindern in deren Zimmer wohnen. Und wenn es der Herzenswunsch des Kindes ist, findet auch das geliebte Haustier seinen Platz im Sonnenhof. „Sterben ist Lebenszeit, die Kinder sollen ihre letzten Wochen und Monate hier genießen“ – entsprechend eines ganzheitlichen Ansatzes wird den Kindern fast alles ermöglicht, um sich wohl zu fühlen. Sie können Besuch von ihren Freunden bekommen, ihren Geburtstag feiern und wenn es nachts um drei ein Wiener Würstchen sein soll, wird auch das gebracht.

„Wenn ein Kind erkrankt, ist die ganze Familie betroffen!“, dieser Satz prägt die Arbeit der Björn-Schulz-Stiftung. Dementsprechend bieten sie eine umfassende psychologische, lebenspraktische und seelsorgerische Hilfe in Form von Einzelbetreuung, Gruppenangeboten und Selbsthilfeforen, auch weit über den Tod des Kindes hinaus. Neben diesen Angeboten ist viel Raum für den Einzelnen, seinen ganz eigenen Umgang mit der herausfordernden Lebenssituation zu finden. Ein Erinnerungsteich ermöglicht es Eltern, dem Gedenken einen Platz zu geben – alle Eltern können hier selbst gestaltete Gedenksteine für ihre Kinder hineinlegen und haben jederzeit die Möglichkeit, unangemeldet diesen Ort der Stille und der Verbundenheit mit ihren Kindern zu besuchen – auch lange, nachdem sie gegangen sind.

Sehr berührt hat mich das Abschiedszimmer, das es Eltern ermöglicht, in einem geschützten Raum in aller Ruhe Abschied von ihrem Kind zu nehmen. In diesem besonderen Raum können die Kinder nach ihrem Tod bis zu 72 Stunden aufgebahrt werden, umgeben von ihrem Lieblingskuscheltier oder was immer sie sich selbst für diesen Moment gewünscht haben. Dieser Raum steht allen Eltern offen, deren Kind im Großraum Berlin gestorben ist, unabhängig von einem Aufenthalt im Sonnenhof – ein stiller Lichtblick in Zeiten der möglichst schnellen, kostengünstigen Beerdigungen.

 

„Ich möchte in Rosen gebettet werden“

Wie gehen die Kinder nun eigentlich mit ihrer Erkrankung um, mit dem Wissen um ihren bevorstehenden oder nahen Tod? „Wir haben den Anspruch an eine absolute Offenheit unseren Gästen gegenüber – wir werden niemanden damit trösten, dass alles wieder gut wird, wenn es das nicht wird“, sagt Frauke Frodl. Jedes Kind wählt sich im Laufe der Zeit eine Person des Vertrauens unter dem helfenden Personal – ein Freund, eine Freundin auch für die Fragen, deren Antwort schlussendlich ein jeder nur in sich findet. Es wird die kulturelle und religiöse Herkunft jedes Kindes berücksichtigt bei diesem sensiblen Thema. Was ist danach? Wo gehe ich hin? Wie sehe ich dann aus?

Oft haben die Kinder ihre eigenen Antworten auf diese Fragen. Kaum ein Kind hat nicht die tiefe Gewissheit in sich, dass das Ende auch ein Anfang ist – für eine andere Daseinsform, in Licht und Wärme, ohne Leid und Schmerz. Für die meisten jüngeren Kindern zählt ohnehin der Moment mehr als das Morgen – und heute wollen sie möglichst viel Spaß haben, da sind sich alle einig. Ein Bedauern oder gar ein tiefer Schmerz über die ungelebte Zukunft setzt erst mit der Pubertät ein, wenn Kinder einen neuen Begriff von Zeit erlernen und anfangen, Pläne zu schmieden. In diesen Phasen erfordert es besonders viel Fingerspitzengefühl, ehrlich und offen über das frühe Ende zu reden, auch darüber, wie sich die Betroffenen ihre Beerdigung wünschen und ihnen so ein Loslassen in Liebe und Geborgenheit, in der inneren Akzeptanz des Unabwendbaren zu ermöglichen.

 

Man bekommt mehr zurück, als man gibt

Der Sonnenhof trägt sich seit Jahren von Spenden. Obwohl auch große und größere Betriebe zu den Unterstützern zählen, wird ein nicht unerheblicher Teil der finanziellen Mittel von vielen Einzelpersonen gestemmt – Menschen, die, beeindruckt von dem Engagement der Mitarbeiter und der einzigartigen Gestaltung dieses Hauses ihren finanziellen Beitrag leisten wollen.

Weiterhin ist der Sonnenhof Vorreiter in der Ausbildung und fachlichen Qualifizierung von sogenannten Familienbegleitern. Dieses außergewöhnliche Projekt ist auf die Bedürfnisse von jungen schwerst- und unheilbar Kranken und deren Familien zugeschnitten. Ehrenamtliche bieten Freundschaft und Unterstützung im Alltag. „Man bekommt mehr zurück, als man gibt“, sagt eine ehrenamtliche Familienbegleiterin. Dieser Weg der ambulanten Hilfe bietet beiden Seiten die Möglichkeit, ohne bürokratische oder finanzielle Hürden zu geben und zu empfangen – von Mensch zu Mensch.

Ich habe mich von meinem Besuch im Sonnenhof tief berühren lassen. Berühren von der gelebten Liebe, von der tiefen Mitmenschlichkeit, von der besonderen Energie, die entsteht, wenn Menschen ihre Bestimmung leben und das, was sie tun, lieben.

Vielen Dank an Frauke Frodl für Ihre Zeit und Offenheit.

 

 

Über den Autor

Avatar of Jasmin Dorogi

ist 34 Jahre alt, arbeitet als freie Autorin und baut zusammen mit ihrem Partner gerade ein spirituelles Netzwerk auf (www.den-weg-gehen.de).Die vielfältigen Herausforderungen und Konfrontationen, die das Mutterdasein mit sich bringt, haben sie dazu gebracht, immer mehr von dem, was unsere Gesellschaft insbesondere den Umgang mit unseren Kindern betreffend als „normal“ betrachtet, kritisch zu hinterfragen.

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2 Responses

  1. Vera Wittkowski
    Leben und Sterben

    Herzlichen Glückwunsch zu ihrerArbeit. In 2 Jahren kann ich sie unterstützen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Vera Wittkowski

    Facherzieherin für Integration

    Antworten
    • Vera Wittkowski

      Tief beindruckt möchte ich mich als Ehrenamtliche bewerben. Vera Wittkowski

      Antworten

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