Interview mit Bommi Baumann

Dieses Interview erschien erstmals in SEIN Ausgabe Juli 1998

 

Hiermit stellen wir diesen Beitrag erneut zur Diskussion: 

Was ist Arbeit, was ist politische Arbeit für Sie?

Was macht Menschsein lebenswert?

Wir denken Sie darüber? Schreiben Sie uns Ihre Meinung.
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SEIN: Arbeit wird weltweit zum knappen Gut. Was ist Arbeit für Dich? Muß man Arbeit neu definieren, ja sogar neu erfinden?

Bommi Baumann:
Eigentlich müßten die Eigentumsverhältnisse anders strukturiert werden. Du kannst jetzt nicht sagen, wir versuchen noch mal den richtigen Sozialismus, wie auch immer der aussehen würde. Dem brauchen wir nicht nachzutrauern. Aber auch der Kapitalismus stößt mittlerweile an seine Grenzen, weil er unbegrenztes Wachstum nicht garantieren kann, denn wenn er das würde, wären über kurz oder lang alle arbeitslos. Z.B. die Autoproduktion, reiner Quatsch, daß da noch irgend ein Mensch hingeht. Diese Form von Arbeit hat sich überholt. Der Kapitalismus könnte längst komplett auf vollautomatische Produktion umschalten. Nur Autos kaufen keine Autos, das hat Henry Ford ja schon lange klar erkannt. Jetzt will die IG-Metall wieder den Bau einer neuen Autofabrik. Vollkommener Unsinn. Die haben ja nichts mehr erkannt. Das ist ja Neandertal was sich da äußert.
“Richtige” Arbeit gibt es im ökologischen Bereich doch genug. Die Natur ist schon so weit vernichtet, da müßten Millionen Menschen ran, um den ganzen Schaden zu beheben, den die Industrialisierung in den letzten 200 Jahren angerichtet hat. Ehemalige Regenwälder und Wüsten aufforsten, Flüsse renaturieren u.s.w.. Dieser gigantische Aufgabenberg, der sich hier angetürmt hat, der muß doch mal angegangen werden. Die können doch nicht weiter unsere natürlichen Lebensgrundlagen verkommen lassen.

SEIN: Wie soll diese Umweltarbeit finanziert werden? Die Industrie- und Arbeitgeberverbände sagen klar, eine Energiesteuer wird es mit uns nicht geben.

Bommi Baumann: Nein, nicht auf die Industrie warten. Jetzt sind die gefragt, die ihr Geld in umweltfreundliche Unternehmen investieren wollen.

SEIN: Also auf die Menschen setzen, die Kapital halten oder in Zukunft halten werden.

Bommi Baumann: Ja! Es soll z.B. einen Erben eines größeren RWE Aktienpaketes geben, der laut bei Aktionärsversammlungen darüber nachdenkt. Es gibt also Leute auch innerhalb dieser Besitzstände, die anfangen anders darüber zu denken. Auch muß darüber nachgedacht werden, wie Firmenbeteiligungen breiter gestreut werden können. Bisher ist es doch so, daß die Neuausgabe von Firmenanteilen gesteuert wird. Es fließt wieder in dieselben Hände. Hier muß ein Hebel her. Das ist keine Kapitalismuskritik. Nur, der Zugang zu Firmenanteilen muß allen möglich sein.

 

SEIN: Was ist für dich heute politische Arbeit?

Bommi Baumann: Parteienpolitik ist für mich nicht mehr interessant. Ich mache zur Zeit ein Buch über Drogen und Drogenpolitik. Die wirtschaftlichen Aspekte im Drogengeschäft sind wesentlich interessanter, z.B. die gigantische Anhäufung von Schwarzgeldern. Bill Gates hat 20 Jahre gebraucht um ein Vermögen von 30 Milliarden Dollar anzuhäufen. Diese Summe verdient der Chef des Kali Kartells in einem Jahr. Und das ist nur der Kokainhandel. Und jetzt stell dir mal den Heroinhandel vor, wo auch nur zwei drei Leute sitzen. Diese riesigen Summen, die da pro Jahr umgesetzt werden und irgendwo schwarz durch die Welt geistern, langsam gewaschen werden, dann in wirtschaftliche Prozesse einfließen und damit zu Macht werden. Da muß was geschehen.

SEIN: Politische Arbeit ist also in erster Linie Drogenarbeit, Drogenpolitik für Dich?

Bommi Baumann: Richtig, im Augenblick ja. Deshalb mache ich auch dieses Buch. Gerade weil ich selber jahrelang Drogen genommen habe und mir einbilde noch eine gewisse Fachkompetenz mitzubringen.

 

SEIN: Zunehmender Rechtsradikalismus. Wohin driftet Deutschland deiner Meinung nach?

Bommi Baumann: Die Debatte der CDU zum Problem des Rechtsradikalismus in Deutschland ist von den Nachkriegsjahren bis heute nichts anderes als eine Verharmlosung des Faschismus gewesen. Hier handelt es sich um knallharten Rassismus. Das ist eine Denkweise, die ist nicht mit Arbeitsplätzen oder mit Sozialarbeitern zu beseitigen. Das ist doch alles Mumpitz. Gegen Hooligans oder Skinheads helfen im Endeffekt nur Gesetze und die Polizei. Da mußt du erst mal die Straße wieder freikriegen von solchen Spinnern. Jetzt wollen wir uns doch nichts vormachen. Wenn es so etwas wie ausländerfreie oder zeckenfreie Zonen gibt in diesem Land, na sag mal, wo leben wir denn? Wozu gibt es Gesetze und die Polizei, die noch nicht einmal durchdrückt, daß ein freier Mensch gewisse Straßen betreten kann? Da bricht ja eine Rechtsordnung zusammen. Hat der Staat das Macht- und Gewaltmonopol oder hat er es nicht? Gegen Leute wie mich damals, haben sie ununterbrochen die Gesetze geändert. Da gibt es doch noch den § 129. Der wurde gegen uns angewandt und gegen Skinheads und Neonazis wird er nicht angewandt? Die können doch klar sehen, ihr rottet euch zusammen, ihr bewaffnet euch, ihr wollt einen anderen Staat. Die erfüllen alle Tatbestände des § 129, also ist er anwendbar. Doch den Irrsinn lassen sie zu und leisten damit Beihilfe.

SEIN: Hast Du noch einen Traum?

Bommi Baumann: Ob ich noch einen Traum habe? Mein Gott, daß ich, solange ich noch lebe, die Welt heil und in Frieden sehe. Das ist zwar nicht viel, aber letztlich der einzige minimale Nenner auf den sich hoffentlich alle einigen können. Es sind keine blühenden Landschaften, aber wenn der Traum nicht mehr da ist, sind wir alle nicht mehr da.

SEIN: Wer ist Bommi Baumann?

Bommi Baumann: Wenn du zehn Jahre illegal warst, dann hast du sowieso Identitätsprobleme größerer Art. Wenn du illegal bist mußt du dich immer zurücknehmen. Du darfst um Gottes willen nicht auffallen, nicht mal schwarz fahren. Du bist damit der Angepaßteste der Angepaßten geworden und natürlich hast du dieses Verhalten auf Dauer verinnerlicht. Da kannst du dich nicht dagegen wehren. Dieser Job als Bauleiter, war für mich sehr hilfreich, weil ich mich zeitweise gegen 150 Bauarbeiter durchsetzen und auch mal laut werden und auf den Tisch hauen mußte. Als der Job zu Ende war habe ich erst begriffen, daß der mich langsam wieder normal gemacht hat.

SEIN: Hast du was, was du den Jungen mit auf den Weg geben kannst?

Bommi Baumann: Das ist schwierig, weil ja eh keiner hinhört. Uns ham se ja auch alles mögliche erzählt. Davon ist ja manches auch vernünftig gewesen. Ein bißchen mehr Anteil nehmen an der ganzen Scheiße, ein bißchen mehr drum kümmern was so um einen herum passiert, solltet ihr schon. Wenn du Angst hast du kriegst keine Lehrstelle, keinen Studienplatz, oder keine Arbeit, dann reicht es nicht aus, daß du dir nur Gedanken um dich selber machst. Da mußt du dich gesamtgesellschaftlich umsehen. Das Minimum muß dann einfach stattfinden.

SEIN: Also Tu Was!

Bommi Baumann: Nicht nur Techno, sondern mal die Brille abnehmen.


Bücher von Bommi Baumann:

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Bommi Baumann
HiHo

ISBN: 9783936732047,
224 Seiten,
€ 16,90

http://www.panama-publications.de/

 

Textauszug:

» Ein spiritueller Trip

Eigentlich wollte ich ja nie nach Indien. Ich dachte, um Gottes willen, das ist ja der reinste Horror: nur Elend und Schlangen. Aber je weiter du nach Indien rein kommst, desto stärker fasziniert dich das Land, desto mehr willst du davon sehen. Es ist ein Land, in dem man einfach losmarschieren und für den Rest seines Lebens nur noch wahllos herumwandern könnte.

Das machen auch die ganzen Asketen und Sadhus, die hinduistischen Pilger. Die gehen von zu Hause los und bleiben auf der Straße, bis sie irgendwo sterben. Für die Hindus ist es ein Ideal, loszuziehen, sobald ihre Kinder sich allein durchschlagen können. Sie lassen ihr ganzes Geld zu Hause, binden sich ein Lendentuch um, nehmen eine Bettelschale und einen Rosenkranz und ziehen los.

Die Hippies und Freaks sind damals nicht nur wegen der Drogen in diese Region gefahren, sondern auch, um diesen spirituellen Trip im Osten kennen zu lernen. Denn der findet auf der Straße statt, nicht in der organisierten Kirche wie hier. Diese menschliche Erfahrung kann man ja nur noch in Asien machen, und sie erweitert einfach das Menschenbild.

Die Sadhus, die da auf der Straße pilgern, müssen sich mit jeder Lebenslage abfinden. Mal wohnen sie im Palast, mal auf der Straße, ohne Geld und ohne Nahrung. Beides nehmen sie mit derselben Gelassenheit hin. Denn die Welt ist für sie ein Platz, wo die Menschen sich nur eine Weile aufhalten und dann weiterziehen. Menschen werden geboren, ziehen durchs Leben und sterben. Und so sollst du auch jeden Königspalast betreten oder jede Armenhütte und den irdischen Belangen nicht mehr viel Beachtung schenken. Die Leute, die so denken, sind auf angenehmste Weise entspannt. Mit denen kommt man auf Anhieb am besten klar.

 


68_Amerika.gifBommi Baumann
Till Meyer

Radikales Amerika
Wie die amerikanische Protestbewegung Deutschland veränderte

Der Irakkrieg ist völkerrechtlich ein Verbrechen. Eine nennenswerte Protestbewegung gibt es trotz allem nicht. Früher war das anders: Die Jugendproteste gegen den Vietnamkrieg haben die Welt verändert. Die Autoren zeigen die Anfänge des Protests in den USA der 60er Jahre.

ISBN 978-3-86789-010-6
240 Seiten
17.90 EUR
Rotbuch Verlag


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Bommi Baumann
Wie alles anfing

Dieses Buch, 1975 entstanden, wurde zweimal verboten. Doch die juristischen und publizistischen Auseinandersetzungen machten es erst möglich, daß »Wie alles anfing« zum Bestseller wurde. Es ist ein wichtiges Buch aus dem innersten Kreis der Berliner linken Szene.

ISBN 978-3-86789-000-7
166 Seiten
9.90 EUR

 

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