C T auf UnsplashBewegung als Ausdruck der menschlichen Seele 4. März 2025 von Karin Paul Es ist Sommer und extrem warm. Ich tanze am Brunnen im Zentrum der kleinen Stadt, in der ich wohne. Das war eine Sonntags-Gewohnheit geworden. Tanzend spiele ich, eine Clownsjacke übergezogen, mit den Zuschauern, als plötzlich ein heftiges Gewitter aufkommt, Windböen, dunkle Wolken und die ersten Tropfen. Schnell die Technik unter ein Vordach gestellt, drei Paare sind wir, die vor dem Wetter jetzt Zuflucht suchen. Mit einem großen Schirm eile ich hin und her – plötzlich empfinde ich eine tiefe Freude, die wie Seifenblasen in mir hochsteigt. Es ist warm, es ist eine wunderbare Stimmung – ich will mit dem Regen tanzen! Marriage D’amour aus der Musikbox wieder angestellt, ich bin der Clown, der mit den Regentropfen spielt, der dem Gewitter zulacht – der Tanz strömt nur so aus mir heraus. Was war das? Hat der Gewittereinbruch etwas in mir in Schwingung gebracht, vielleicht so eine Art innere Erlaubnis, die ich sonst in diesem Maße nicht spüre? Die äußeren „Widrigkeiten“ pushten mich im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Tanz in Verbindung mit der Natur, als ob ich jetzt mit dem Gewitter spiele. Ich fühlte mich Eins mit mir Allem drumherum. Die Einheit von Körper und Seele Spiegeln nicht generell unsere Bewegungen, bzw. der Bewegungsumfang und der -reichtum wider, wie wir uns selbst fühlen? Beleuchten wir etwas die Historie und schauen uns einige Begriffe an, die in der Forschung entwickelt wurden, um Licht in diese Fragestellung zu bringen. Vor nicht allzu langer Zeit, bis in das 19. Jahrhundert hinein, war der Alltag der meisten Menschen von körperlichem Tun geprägt. Egal ob Bauer, Müller, Schneider, Jäger, Kutscher oder Zofe am Hof – ca. 90 % der Menschen bewegten sich, um ihr Leben zu sichern. Das Tempo und was getan wurde, hing von den Materialien und dem Wetter ab, den Umständen, in die frau/man hineingeboren wurde. Das Tempo des Lebens entsprach den natürlichen, körperlichen Bewegungsfähigkeiten, der Kraft der Arme, die Art des Zupacken-Könnens, der Fähigkeit zu laufen usw. und natürlich auch der eigenen Geschicklichkeit für das notwendige Tun. Verreisen im heutigen Sinne war undenkbar, Handwerkergesellen machten sich zu Fuß auf den Weg um zu lernen und diese Erfahrungen irgendwann wieder mit nach Hause zu bringen. Der eigene Körper und seine Fähigkeiten wurden genutzt und gebraucht. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für das innere Gefühl des sich „Auf sich selbst verlassen Könnens“. Das wurde jeden Tag geprobt, erlebt und bedeutete die Sicherung der eigenen Existenz. Machen wir uns bewusst – vor dem Zeitalter der Industrialisierung determinierte die Bewegung im Rahmen der körperlichen Fähigkeiten die meisten Menschen. Sie bildete die Möglichkeit und die Grenze des Alltags, eingebunden in die natürlichen Bedingungen und der gesellschaftlichen Regeln. Nur in Verbindung mit Allem gelang die Lebenssicherung, als Teil eines Ganzen nahm der Einzelne die Bedingungen an und machte sie sich zu eigen und er erfuhr sich selbst, war damit mit sich verbunden. Liegt darin ein Schlüssel für innere Zufriedenheit? Habe ich mir das Gewitter in meinem Sommertanz zu eigen gemacht? Ich empfand keinerlei Wut, Trotz oder Ärger, dass der Auftritt am Brunnen so abrupt von Sturm und Regen abgebrochen wurde – ich fühlte Kraft und Energie für das Neue. Eine Beschreibung dieses faszinierenden Lebensausdrucks fand ich bei Mabel E. Todd in ihrem Buch „Der Körper denkt mit“: „Bewegung und Aktivität, die den Grundmustern der Tiere folgt, enthüllt eine tiefe Verbindung der vitalen Prozesse des Körpers miteinander ebenso wie strukturelle Wechselbeziehungen und Zusammenhänge. Wird der Körper als funktionelle Einheit aktiv, wie dies beim Gehen, Rennen oder anderen Auseinandersetzungen mit der umgebenden Welt der Fall ist, zeigen sich die strukturellen Verbindungslinien deutlich.“ … „Strukturelles Ungleichgewicht spiegelt nervliches Ungleichgewicht wider. Die körperlichen Folgen von Schwierigkeiten zeigen sich als Körperschäden. Daraus resultiert eine Verunsicherung des Denkens. Durch die Einheit physischen Seins hat jedes Ungleichgewicht Auswirkungen auf die geistige und emotionale Verfassung, selbst wenn es offensichtlich mechanische Ursachen hat.“ (1) Unsere Gedanken und Gefühle beeinflussen unser körperliches Verhalten ebenso wie unser Bewegungsverhalten Einfluss auf unsere körperliche und geistige Verfassung hat. Ein Alltag, der Bewegung auf ein Minimum reduziert, wird unserem Wesen nicht gerecht und ist – ohne Ausgleich durch Tanz und langanhaltende sportliche Betätigung – im wahrsten Sinne des Wortes Gift für unser körperliches, geistiges und seelisches Wohlbefinden. Das empfinde ich als sehr stimmig. Ich spüre es, seitdem ich tanze und Training gebe ging mir im wahrsten Sinne ein Licht auf, was so in mir steckt. Selbstbild als Chance oder Begrenzung Beleuchten wir unsere menschliche Seele also etwas näher. Was prägt das Gefühl zu uns selbst? Da ist erstmal der Begriff Leib, der vor einigen Jahrhunderten zum Sprachalltag gehörte. Es ist ein Ort, in dem sich unsere Lebenserfahrungen widerspiegeln, praktisch ein Ort „archivierter Erfahrungen“ (2), einmalig und einzigartig. Im Märchen steht der Teufel leibhaftig vor einem, das Gefühl und der Charakter des Teufels werden im Begriff gleich mit erfasst. Der Körper bildet mit seinen Strukturen und dem Aussehen eher die Hülle im weitesten Sinne. Sehen wir im Spiegel nicht nur unseren Körper, sondern mehr? Lächeln wir oder kritisieren wir uns gleich? Sehen wir uns mit Skepsis und Abwertung oder Stolz und Freude entgegen? Meinen wir dann wirklich nur das Äußere? Oder steckt unbewusst das Bild von uns selbst dahinter? Das Gefühl, das wir mit uns selbst verbinden, entsteht schon in der Embryonalentwicklung, abhängig davon wie die Mutter ihre Schwangerschaft persönlich erlebt. Von der Reizdarbietung nach der Geburt, von der Qualität der Berührungen und dem Verhalten aller Bezugspersonen hängt die weitere Prägung ab. Je mehr das Neugeborene seine Welt wärmend und schützend erlebt, wie als Fortsetzung der Zeit im Mutterleib (ein sehr positiv besetzter Begriff), umso mehr formt sich ein positives, inneres Bild von sich selbst. Dieses schenkt uns ein Leben lang Vertrauen. Das innere Bild, das Selbstbild, was wir von uns selbst haben, ist nur eine Vorstellung, eine Imagination, die im Extremfall nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben muss. Doch aus dieser inneren Grundeinstellung zu uns selbst treffen wir Entscheidungen, entspringt das tägliche Handeln und Tun. Das Selbstbild, der innere Kompass, legt fest, mit welcher Brille wir die Welt und unsere Beziehung zu ihr betrachten – als Chance und Reich der Möglichkeiten oder eher als Gefahr oder Bedrohung. Im Positiven leben wir das Leben aus dem eigenen Selbstwert heraus, unser Wohlbefinden hängt weniger an äußeren Bedingungen. Wir geben uns die innere Erlaubnis und das Recht, Gestalter unseres Lebens zu sein, sehen eher die Möglichkeiten ohne die negativen Seiten zu übersehen, treffen Entscheidungen aus einer inneren Überzeugung heraus. Bei eher negativen Prägungen empfinden wir uns oft als Opfer der Umstände als zu kraft- und wertlos, um etwas verändern zu können. Oder wir kämpfen uns durch das Leben mit (innerer) eiserner Faust, verbunden mit Wut und Enttäuschung (tiefen Verlust- und Existenzängsten) wenn es nicht so läuft wie gewollt. Entscheidungen werden eher schwieriger, sind oft mit Angst behaftet, etwas falsch zu machen. Die Neurowissenschaft konnte nachweisen, dass 90 – 95 % unseres täglichen Handelns unbewusst abläuft. Alle Erfahrungen, die mit Empfindungen verbunden sind, werden im Körpergedächtnis gespeichert. Unser Gehirn musste in urmenschlichen Zeiten in Bruchteilen von Sekunden entscheiden, ob eine Gefahr droht oder das Gegenüber freundlich gesonnen ist. Diese archaische Notwendigkeit des Überlebens steckt nach wie vor in uns und bildet damit einen großen Teil eines sinnbildlich unbewussten Eisberges. Das gilt für positive, freudvoll besetzte Erinnerungen genauso wie für traumatische, negative Erfahrungen. Bewegungsfreude – der Körper erzählt seine eigene Geschichte Damit steckt auch die Ursache für die Bewegungsfreudigkeit oder eben das Vermeiden von Bewegungen ganz tief in uns drin. Es sind die gespeicherten Erfahrungen, verbunden mit dem eigenen Selbstbild. Der Bewegungsantrieb, der -umfang und die Fülle an Bewegungen, die ein Mensch zur Verfügung hat und anwendet, hängen von Gefühlen ab, die er damit verbindet. Beim Laufen lernen eines Kindes freuen sich die Eltern über den Erfolg. Spätestens mit 6 Jahren heißt es dann, stillsitzen! Die Leistungen des Schulsports werden bewertet. Freude und Spaß an Bewegung gehen bei Vielen verloren. Wer als Kind beim Tanzen lächerlich gemacht oder ausgelacht wurde, wird diese Erfahrung nicht wiederholen wollen und höchstwahrscheinlich als Erwachsener glauben, dass Tanzen nichts für ihn ist. Wie ein roter Faden zieht sich das „Gefühl des Nicht-Könnens und lächerlich Machens“ durch das Leben, so habe ich es auch sehr lange erlebt. – Das warme, kräftige Sommergewitter hatte in mir eine Schranke geöffnet, die mir die Innere Erlaubnis gab, mich so auszudrücken, wie ich es spürte, ohne Angst vor Kritik oder Ablehnung. Alle unsere Tätigkeiten und unser DaSein in der Welt werden durch das innere Bild geprägt. Wir meinen zwar, die Realität zu sehen, doch unsere eigene Sichtweise und die erworbenen Bewertungen dazu sind vorgeschaltet. Ein anderer Mensch sieht genau dasselbe, hat aber eine andere Sichtweise, der eigene Fokus sieht ganz andere Details und führt zu anderen Handlungsimpulsen. „Solange wir leben, drückt unser Körper seine Bedeutung aus und erzählt beim Stehen, Sitzen oder Gehen, im Wach- und Schlafzustand seine eigene Geschichte. Er macht den ganzen Umfang des Lebens sichtbar und spiegelt ihn im Gesichtsausdruck des Philosophen oder in den Bewegungen des Tänzers wider.“, führt Mabel E. Todd an anderer Stelle weiter aus. (3) Die Prägungen umschreiben Mit der Fähigkeit zur Neuroplastizität, was wissenschaftlich nachgewiesen wurde, sind wir jedoch in der Lage, diese Prägungen umzuschreiben, sie sind nicht aus Stein und kein ewiges Schicksal! Im Bewusstwerden von Zusammenhängen, in Verbindung mit positiven Gefühlen, schafft das Gehirn neue neuronale Verbindungen. Die alten Denkmuster, Paradigmen genannt, d. h. erworbene Verhaltensweisen, lassen sich um- und überschreiben, sie verschwinden nicht so einfach. Wichtig ist dafür eine Entscheidung. Prüfe ich bewusst, ob mir das wirklich nützt, was ich denke, stimmt das mit meinen inneren Werten überein. Vielleicht habe ich Möglichkeiten glatt übersehen, gibt es noch andere Seiten der Realität? Passt das, was ich denke, zu meinen eigenen Wünschen und Vorstellungen? Wir dürfen uns bewusst auf neue Erfahrungen einlassen. Es ist normal, dass zu Beginn ein ungutes Gefühl entsteht. Dieses auszuhalten und immer wieder zu üben mit guter Laune dabei, garantiert den Erfolg, lässt merken, so schlecht ist mein Tanzbein doch gar nicht, wie ich dachte. Je mehr wir unsere Seele in das alltägliche Tun einfließen lassen können, um so mehr wird auch die Freude am täglichen bewegt Sein – im weitesten Sinne – steigen. Die gesellschaftlichen Bedingungen mit der hocheffizienten Technisierung haben den bewegten Alltag zu einem großen Teil verdrängt. Daraus entsteht aus meiner Sicht die Notwendigkeit, die Verbesserung und/oder die Wiederherstellung von körperlichen Fähigkeiten mit guter Motivation in die Zukunft zu verbinden. Wie fühlt es sich an, wenn ich ohne Weiteres die Treppen steige, eventuell sogar hüpfe mit einem Lächeln auf den Lippen? Nehme ich wahr, dass meine Schultern hochgezogen sind? Da gehören sie natürlicherweise nicht hin. Wie liebevoll können wir mit unserem Körper umgehen, auch wenn es Einzelteilen nicht so gut geht? Die Verbindung von Training und Körperwahrnehmung entlastet den Geist, entspannt das vegetative Nervensystem und führt dazu, dass eine tiefe, innere Ruhe entsteht, aus der neue Kraft erwächst. Im Alltag geht es nicht um Höchstleistungen, sondern darum, sich in seinem Körper zu Hause zu fühlen. Quellenangaben: (1) Mabel E. Todd, Der Körper denkt mit, Anatomie als Ausdruck dynamischer Kräfte, 3. Auflage 2009, Verlag Hans Huber Bern, S. 27 (2) ebenda, S. 250 (3) Martin J. Waibel, Integrative Leib- und Bewegungstherapie (ITB) Eine kleine Auswahl von Grundkonzepten, erläutert an Beispielen, in ktb 1/2013, S. 27 (4) Mabel E. Todd, Der Körper denkt mit, Anatomie als Ausdruck dynamischer Kräfte, 3. Auflage 2009, Verlag Hans Huber Bern, S. 251 Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.