Ein Appell an die Jugend und an alle anderen

Dieter Duhm, 76 Jahre alt, ist heute noch so politisch aktiv wie in der Studentenbewegung 1968.  Mit dem Verständnis dafür, warum bisher fast alle Bewegungen gescheitert sind, teilt er hier seine Erfahrungen mit. Der Text richtet sich an alle Menschen, die sich  für eine lebenswerte Zukunft, den Klima- und Naturschutz engagieren. Er spricht  aus seiner langjährigen Erfahrung über die Kraft und Bedeutung  eines positiven gemeinsamen Ziels. Es ist ein authentisches Dokument eines zu tiefst engagierten Friedensarbeiters.

Heute gehen viele Tausend junger Leute auf die Straßen für Klimaschutz und Systemwechsel. Danke dafür! Ich kann nur hoffen, dass diese Bewegung genügend innere Kraft und Ausdauer gewinnt, um tatsächlich zu einem Systemwechsel zu führen. Das wäre wirklich eine historische Wende, denn seit Jahrhunderten kämpfen Menschen gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt, und seit Jahrhunderten verlieren sie ihren Kampf gegen die Übermacht des bestehenden Systems. Und doch ist dieser Kampf nicht mehr zu stoppen, denn überall sind Menschen, vor allem junge Menschen, welche die Barbarei der bestehenden Gesellschaft nicht ertragen können. Sie kämpfen bei den Lakota-Indianern in Standing Rock (USA), sie kämpfen im Hambacher Forst in Deutschland, sie kämpfen in der Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó in Kolumbien, sie kämpfen um die Wiederherstellung von Riace (Italien), sie kämpfen auf den Rettungsschiffen für die Flüchtlinge im Mittelmeer, sie kämpfen – auf allen Kontinenten.

Und immer wieder verlieren viele nach einiger Zeit ihre Kraft, enttäuscht und entmutigt ziehen sie sich zurück, werden krank oder drogensüchtig oder kriminell. Ich selbst habe in der marxistischen Linken in Deutschland (1968) vier Jahre lang diese Art von Kampf miterlebt und mitgeführt. Bis ich gemerkt habe, dass wir eine andere Lösung brauchen. Die Vorstellung der alten Revolutionen ist vorbei, durch Gewalt kam noch nie etwas Besseres auf die Erde. Die ganze Welt braucht eine neue Information. Wie erzeugen wir diese neue Information und wie bringen wir sie in die Welt? Das war seitdem die Frage und die Aufgabe.

Wir danken euch für den kollektiven Aufruf zu einer lebenswerten Zukunft. Möge eure weltweite Rebellion ihr inneres Ziel finden, ein Ziel für die ganze Menschheit. Die wenigen, die heute den Mut haben, aus dieser kollektiven Hypnose auszutreten, brauchen solidarische Unterstützung. Nutzt euren Freiraum stellvertretend für alle, die jetzt nicht diese Möglichkeit haben und deshalb eure Hilfe dringend brauchen. Nutzt eure Wut nicht nur gegen das System und seine Handlanger, sondern nutzt sie, um das Alte von euch selbst abzuwerfen. Wir sind nicht das Produkt einer Gesellschaft, einer Tradition, einer Familie, wir sind Menschen. Befreit euch aus den Altlasten einer fürchterlichen historischen Vergangenheit.

Lasst uns gemeinsam das Leben schützen, das heute im Namen von Konzernen und Regierungen überall zerstört wird. Es gibt einen Sozialismus, der jenseits aller Parteien und Ideologien steht: es ist der Sozialismus von Vertrauen, Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung. Es sind Gedanken der Wahrheit und Gedanken einer parteinehmenden Liebe, die heute die Überlebenskraft in sich tragen und zu dem Wissen führen, das ihr und wir alle für unsere Heilung brauchen. Es ist so einfach, elementar und wahr – und wenn wir es schaffen, dann entsteht ein Feld des Vertrauens, das auch in Krisengebieten wirksam werden kann.

Im Folgenden möchte ich Dinge sagen, mit denen sich die große Rebellion in eine konkrete Kraft verwandeln könnte, die nicht mehr vom bestehenden System eingefangen werden kann. Die gegenwärtigenDemonstrationen für eine lebenswerte Zukunft, für Klimaschutz und Naturschutz, für Menschenrechte und Tierrechte sind Zeichen eines globalen Aufbruchs in fast allen Kontinenten. Sie brauchen aber ein gemeinsames Ziel, sonst verlieren sie ihre Auseinandersetzung mit dem bestehenden System. Die Ziele können nur durchgesetzt werden, wenn es für den nötigen Systemwechsel eine klare Vision gibt.

Systemwechsel! Was heißt das in unserer Zeit, in einer Zeit, wo jährlich viele Millionen Dollar ausgegeben werden für eine gezielte Falschinformation (Verharmlosung) zum Thema des Weltklimas…
in einer Zeit, wo es verboten wurde, Flüchtlinge zu retten, die im Mittelmeer ertrinken… in einer Zeit, wo der Wohlstand auf der einen Seite durch unsägliche Raubzüge und Grausamkeiten auf der anderen Seite erzeugt wird? Ganz zu schweigen vom Schicksal der Kinder in den Kriegsgebieten, vom Schicksal der Tiere in Schlachthöfen, Tierlaboratorien oder Pelztierfarmen…

Um das kapitalistische System zu überwinden, brauchen wir eine positive Vision für eine nachkapitalistische Lebensordnung. Wir brauchen eine gemeinsame Vision für uns, unsere Kinder, für alle, die jetzt auf der Flucht sind und keine Heimat haben, eine Vision für Opfer und Täter, eine Vision für die Liebe, auch für unser Verhältnis zu den Tieren, zur Natur und zur ganzen kosmischen Welt, aus der wir ja alle kommen. Diese Vision ist keine Erfindung von Menschen, denn sie existiert als latente Realität im gesamten Bauplan des Lebens.

Der Bauplan des Lebens: Die lebendigen Systeme der Erde und des Universums folgen einer inneren Matrix, die auf Heilung und Einheit, auf höhere Entwicklung durch Kooperation und Zusammengehörigkeit gerichtet ist. Jede Krankheit ist heilbar, jeder Konflikt lösbar, wenn sich das menschliche Frequenzfeld mit der Frequenz dieses kosmischen Feldes verbindet. In diesem Feld sind die Konzepte von Ausbeutung, Feindschaft und Krieg nicht vorhanden. Wo Menschen sich in dieser neuen Lebensordnung begegnen, verwandeln sich Feinde in Freunde. Und genau darum geht es: diese Lebensordnung real auf der Erde zu errichten, eine Ordnung von Vertrauen, Liebe, Kooperation und Solidarität.

Dieser Traum wird Wirklichkeit, sobald die ersten Gruppen auf der Erde angefangen haben, ihn zu erkennen und zu verwirklichen. Wir sprechen hier vom „Plan der globalen Heilungsbiotope“. (Nähere Informationen in meinem Buch „Terra Nova. Globale Revolution und Heilung der Liebe“).

Die gequälte Erde kann sich innerhalb kurzer Zeit in ein Paradies verwandeln und große Mengen von CO2 aus der Atmosphäre binden, wenn wir mit der Natur kooperieren und ihre Lebensgesetze befolgen. Wasser, Energie und Nahrung stehen allen Menschen kostenlos zur Verfügung, wenn wir der Logik der Natur und nicht den Gesetzen des Profits folgen. Aber das Problem, vor dem wir heute stehen, ist komplizierter, denn Mensch und Natur bilden in der Biosphäre eine energetische Einheit. Das heißt mit anderen Worten: Die Umweltkrise zerstörter Ökosysteme und die Inweltkrise zerstörter menschlicher Beziehungen und Gemeinschaften sind zwei Seiten desselben Gesamtproblems.

Auf der menschlichen Ebene brauchen wir neue Perspektiven für ein Zusammenleben ohne Angst und Gewalt und ohne die traumatischen Reste unserer historischen Herkunft, wir brauchen sie vor allem in den intimeren Zonen von Sexualität, Liebe und Partnerschaft, denn das tiefste (und heimlichste) Krisengebiet unserer Zeit ist die Beziehung unter Menschen. Es kann in der Welt keinen Frieden geben, solange in der Liebe (latenter) Krieg ist. Wir haben in der Zeit der Studentenrevolution vor 50 Jahren viele Ziele erreicht, – aber dann begann der Kampf im Inneren der Gruppen, der Kampf um die richtige Ideologie, um Anerkennung, Macht und Sex! Darauf war noch niemand vorbereitet. Niemand wusste, wie sehr die äußere Gewalt des Systems und der innere Kampf der Menschen aus derselben Quelle kamen. Wenn wir heute zum Erfolg kommen wollen, müssen wir Orte aufbauen, an denen Wahrheit und zwischenmenschliche Solidarität gelernt werden können.

Die Vision einer geheilten Welt kann natürlich nicht mit Zwang oder Gewalt durchgesetzt werden, auch  nicht allein mit den herkömmlichen menschlichen und technischen Kommunikationsmitteln, dafür sind die Gegenkräfte noch zu stark. Aber neben der mechanistischen Logik des bisherigen Denkens in den Bereichen von Politik und Ökologie gibt es eine ganz andere Logik: Sie eröffnet sich uns, wenn wir unser Bewusstsein auf die Funktionsweise lebendiger Systeme richten. Resonanz statt harter Macht gehört zu ihren Erfolgsgeheimnissen. Dies bedeutet: Eine Information, die mit der inneren Matrix des Lebens und ihrer universellen Ethik übereinstimmt, verbreitet sich von selbst überall dort, wo empfangsbereite Menschen und Gruppen sind. Wir verwenden für dieses erstaunliche Phänomen den Begriff der „morphogenetischen Feldbildung“ des englischen Biologen Rupert Sheldrake. Wenn die Vision einer neuen Kultur in den ersten Gemeinschaften real entsteht und gelebt wird, gerät die Welt in einen „angeregten Zustand“, denn das, was jetzt an den ersten Orten geschieht, steht in Resonanz mit der höheren Lebensordnung im Bauplan des Lebens. Alle Menschen sind an diese höhere Ordnung genetisch angeschlossen. Viele Gruppen werden sich der neuen Information anschließen. Es entsteht der Gencode für eine neue Zivilisation.

Die Information für eine lebenswerte Zukunft enthält nicht die revolutionären Kampfparolen der alten Zeit, sondern zielt auf eine absolute Parteinahme für das Leben, auf die innere Verbindung mit den höheren Gesetzen der geistigen Welt und auf die Zusammengehörigkeit aller Wesen in der großen Familie des Lebens. Wir leben in der Zeit eines großen Epochenwechsels, dem Wechsel vom Patriarchat zu einer partnerschaftlichen Kultur, vom Hologramm der Gewalt zum Hologramm des Vertrauens. Je mehr Menschen sich weltweit mit diesem globalen Vorgang verbinden, desto schneller kann die grausame Zeit der Kriege beendet sein. Es könnte sehr schnell gehen.

Im Namen der Liebe für alle Kreatur!

 

24.7. – 4.8 2019 Lebenskraft beheimaten
Verbundenheit, Vertrauen, und Wärme
als Basis für gesellschaftlichen Wandel
im ZEGG, Bad Belzig, Sommercamp

 

 

Über den Autor

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Mehr Infos

geb. 1942, Psychoanalytiker, Kunsthistoriker, promovierter Soziologie und Autor vieler Bücher (u.a. „Angst im Kapitalismus“, „Der unerlöste Eros“, „Die heilige Matrix“), Initiator des Plans der Heilungsbiotope und Mitgründer von Tamera. Dieter Duhm war ein Vordenker der deutschen Studentenbewegung nach ´68 und prägte mit dem Satz: „Revolution ohne Emanzipation ist Konterrevolution“ den subjektiven Faktor. Er stieg aus der akademischen Laufbahn aus und gründete eine alternative Friedensforschungsstätte, aus der das Heilungsbiotop 1 Tamera in Portugal hervorgegangen ist.



2 Responses

  1. AVAN
    Hoffnungslos der Fall?

    Solange es Aktienmärkte gibt und das Vermögen bei wenigen konzentriert ist, bleibt der Durchbruch aus. Zusätzlich ist der Mensch zu bequem für Veränderungen. Wenn das System aus sich heraus kippt und Katastrophen in vielen Formen der Dauerzustand sind, gibt es keine andere Wahl mehr als Veränderungen. Solange immer alles ökonomisiert und funktionalisiert wird, ist eine Wende in weiter Ferne (Pflege, Bildung, auch Spiritualität!).

    Der Evolution ist es nicht wichtig wie der Verlauf sein wird…

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    • Roy Rempt
      Entspricht meinen Erlebnissen mit 2½-Tages-Zukunftswerkstätten + IdeenWerkstätten + SzenarioWerkstätten

      Danke für den erklärenden Beitrag!!

      .. Meine Erlebnisse in + mit „2½-Tages-Zukunftswerkstatt-Prozessen“ entspricht dem Geschriebenen in allen Aspekten und zeigt mir mal wieder, dass dieses Werkzeug, dieser Prozess umfassend und passend wirkvoll ist.
      .. Probleme müssen erkannt werden und nicht nur an der Oberfläche, sondern (in der Gruppe der Begleiteten) breit und tief analysiert worden sein, damit eine Vision / „Eutopie“ entsteht, die nicht auf dem¹ Aufbaut nicht von dem¹ Abhängig ist, was bereits kritisiert und als Ursache¹ analysiert worden ist. Darum folgt die Visions-Eutopie-Suche der ‚Kritik+Analyse-Phase‘.
      .. Vorallem die persönlichen Visionen / „Eutopien“ (die sich die Begleiteten einander vorstellen) verbinden diese Menschen sehr authentisch + passend + stark.
      .. Im dritten Teil der Zukunftswerkstatt lernen die Begleiteten die Planung des Weges zum Erreichen ihrer persönlichen Eutopie, lernen sich einander noch besser kennen, passend zueinander zu finden, kooperieren, bilden starke Teams/Gemeinschaften.
      –> Die Idee dafür habe ich vom Robert Jungk und dann noch etwas verbessert (z.B. durch die Analyse + Traumreise).

      „IdeenWerkstätten“ sind kürzer und ’schwächer‘ und können u.a. mit der Design-Thinking-Methode, „Open Space“, „World Café“, „Barcamp“,.. begleitet werden, beinhalten keinen ‚Problem-Analyse-Prozess‘, mit der Folge, dass die Ergebnisse oft auf etwas aufbauen, was sonst als kritisch hätte analysiert werden können.
      .. Besonders die Kürze (z.T. auch die beliebige Struktur) wirken schlecht für die Realisierungs-Planung und erzeugen nicht die dynamischen Prozesse wie Zukunftswerkstatt.

      SzenarioWerkstatt ist beschränkt auf die Änderung von Szenarien und dafür jedoch perfekt (besser als die anderen Methoden+Prozesse).
      .. Durch Vorspiel einer ungewünschten Alltags-Szene und das anschließende Austauschen von Menschen mit leicht geänderter Einstellung (wie bei einem Theaterstück, wo das Publikum Rollen austauschen kann) wird gefunden, welches andere Agieren+Verhalten das gewünschte (für alle bessere) Ergebnis erzeugt. Eine Vision (die jemand hat + die die Alltags-Szene verbessern könnte), wird also gespielt und getestet.
      .. So kann auch (nach und nach) eine (global-)freundlichere Kultur + Gesellschaft erzeugt werden.
      –> Die Idee dafür stammt meines Wissens von Augusto Boal.

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