Heilung durch die Umkehr

von Daniela Schuchardt

Wenn durch eine Krankheit wie Krebs plötzlich der Tod ins Leben tritt, ist das erst einmal ein Schock und es löst Angst vor Schmerzen und vor dem Tod aus – so auch bei Johanna, meiner Mutter, und uns, den ihr nahestehenden Menschen.

Dem Bewusstseinsprozess, dem sich Johanna und ich ebenso anvertraut haben, wird Schmerz als ein Signal anerkannt, für bisher nicht bewusste Angstgedanken, gedankliche Überzeugungen, die Schmerz und Leid erzeugen. Ist Schmerz als Signal für die Umkehr anerkannt, kann ich in der Folge schmerzerzeugende Angstgedanken aus der umgekehrten Perspektive betrachten und es erscheint das, was ich wirklich bin. In der Umkehr ist es still und friedlich. Frieden.

Es ist ein Prozess, das Leben immer jetzt anzunehmen, so wie es sich gerade zeigt, auch wenn Krankheit und Schmerzen da sind. Der Wahrheit in sich selbst zuzuhören, ist ein heilsamer Prozess und dabei geschieht ein tiefer werdendes Erkennen, was ich wirklich in Wahrheit bin.

Ich bin nicht der Körper
Ich bin Liebe
Weites Bewusstsein
Vollkommenheit
Dankbarkeit
Unschuld
Geborgenheit
und Freiheit.

Glückseligkeit im Jetzt-Bewusstsein

Die tägliche Praxis, die innere Einkehr in die Erinnerung an das, was ich in Wahrheit bin, wird lebendig. Trotz Schmerzen erlebt Johanna während dieser heiligen Erinnerung, dass sie im gegenwärtigen Augenblick ankommt. In diesem „Jetzt“- Bewusstsein erlebt sie Momente von Glückseligkeit, die sie tief berühren, denn sie erlebt, dass diese Glückseligkeit in ihr ist, dass das nichts von Außen ist. Dabei sieht sie wunderschöne, lichtvolle Farben. Glückseligkeit. Die Präsenz des Friedens in ihr zu sehen, berührt mich. Es ist Schönheit. Alles ist angenommen, wie es ist. In diesem Moment ist auch mir klar, dass dieser Frieden nie abwesend war. Ich habe ihn bisher nur nicht wahrgenommen. 

Während der körperliche Zustand von Johanna schwächer wird, ihre Konzentration auf Worte nachlässt, verkürzt sich auch das Sprechen, Worte verlieren sich. Hin und wieder tauchen Bruchstücke von gewohnten Alltags-Gedankenmustern bei ihr auf, die sich abspielen wie kurze Filmszenen, die nicht zu Ende gespielt werden. Sie verlieren im Moment des Aussprechens schon ihre Bedeutung. Johanna bestätigt die Bedeutungslosigkeit von sich wichtig machenden Gedanken, die nicht einmal mehr von sich selbst wichtig genommen werden. 

Das Einverstanden Sein mit dem Leben und dem Sterben eröffnet tiefes Lebendig Sein und ist gleichzeitig die Heimkehr in den Frieden. Hier ist jegliche Trennung aufgehoben. Ich BIN DAS.

Das Leben ist ein Geschenk

Die Haltung des Im-Frieden-Seins mit körperlichen Herausforderungen und Sterben einerseits und die tiefe Dankbarkeit für alles Erleben im Jetzt andererseits ist erfüllend und berührend. Da ist immer wieder staunende Freude und Dankbarkeit – an der Weite des Himmels, an einer Blume oder am kalten Wasser auf der Haut. Immer jetzt. Es ist ein Geschenk für alle begleitenden Menschen, im Spiegel von Johanna zu erkennen, was erfülltes Leben wirklich ist. Trotz körperlicher Einschränkungen ist Freude und Dankbarkeit präsent und gleichzeitig ist da eine tiefe Gewissheit, ewiges Leben, Frieden zu sein. 

Auf Schmerzen reagiert Johanna immer wieder mit der inneren Einkehr, der Erinnerung an das, was ich in Wahrheit BIN, und erlebt dabei das Leben als Geschenk im Inneren und im Äußeren. Sei es, dass plötzlich jemand unerwartet vorbeikommt und ihr die Schmerzen etwas lindern kann, sei es, dass sie innerlich in den Frieden zurückfindet. Dieses Erleben ruft ein Staunen hervor, dass das Leben wie ein Wunder von selbst geschieht. 

Das Erleben, dass immer alles da ist, was gerade gebraucht wird, erfüllt sie mit Dankbarkeit und staunender Präsenz. Es ist ein Bewegtsein, Beschenktsein, Geborgensein, was durch tiefe Hingabe und Annahme von selbst geschieht.

Sie erlebt eine tiefe Dankbarkeit und ist sehr glücklich darüber, da sie sich wohl immer gewünscht hat, am Ende ihres Lebens dankbar zu sein.

Himmel und Erde sind Eins

Johanna beschreibt das Erleben, das etwas von ganz allein passiert, was sie einerseits ins Nichts führt und sie andererseits Glückseligkeit ist, was kaum beschreibbar ist. Alles erlebt sie nun als Geschenk. 

Es ist die Erkenntnis, dass ich nicht der Körper bin. Nichts ist falsch, je falsch gewesen. Es ist glückliches, unschuldiges, freudiges Sein, das durch Demut und Hingabe gewonnen ist. 

Ich BIN das. Es ist der Himmel, der jetzt schon auf der Erde ist. In der Begleitung sehe ich durch das Loslassen, das geschieht, den Prozess fast etwas unpersönlich, und gleichzeitig gibt es nichts Näheres, mich in Johanna als das zu erkennen, was ich selbst bin. Das Ich löst sich auf, ist nur eine Geschichte und die Weite des Friedens ist schon da, was in ihr, in mir und in dir dasselbe ist. Es gibt nichts „Näheres“. 

Die Zeit verliert ihre Bedeutung. Es ist so, als wäre ich aus der Zeit gefallen. Jetzt bin ich still erinnert an das Wesentliche, an das Leben, den Frieden, die Weite, die Freude – an DAS, was ich bin.

Und es geschehen immer erkennbarer die Wechsel von Hiersein und Jenseitssein. Dabei äußert Johanna in freudigem Staunen: „Ich bin Alles.“ In der absoluten Hingabe an das, was geschehen soll, geschieht immer mehr der Rückzug aus dem körperlichen Leben. 

Sie scheint in den letzten Stunden schon woanders zu sein. ES atmet.

Ich beginne, ein Mantra zu singen und erlebe einen sehr berührenden Moment, denn sie summt die Töne plötzlich mit mir gemeinsam. Sie ist schon auf der Reise und gleichzeitig ist sie hier in dieser friedlichen Melodie. Es ist ihre friedliche Präsenz, die eingeht in das ewige Leben und die gleichermaßen hier präsent ist. Ich selbst bin mit dem Leben und dem Sterben im Einklang, es ist ein `im Frieden sein`.

Frieden ist DAS, was ich BIN

Es ist eine stille, friedliche Präsenz in mir, sie ist gegenwärtig und sie umgibt mich. Es ist eine tiefe Geborgenheit. Nichts kann verloren gehen, denn ich bin das.

Johannas bewusster Sterbeprozess hat mir gezeigt, dass diese friedliche Präsenz immer da ist, die ich in stiller Einkehr in mir selbst aufsuchen kann. Es ist die Heimkehr zu der lebendigen friedlichen Präsenz, die ich bin und die unabhängig von äußeren Bedingungen ist.

Der Tag des Übergangs war ein herrlicher Frühlingstag. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, die ersten Blumen blühten. Die friedliche Präsenz in all dem und in mir zu erkennen, ist tröstend und erfüllend zugleich. Nichts geht verloren, alles ist da, in mir, um mich herum. Liebendes Lebendiges Sein – jetzt. 

Rückblickend staune ich über diese Regie des Lebens, über das vollkommene Zusammenspiel der vielen Begebenheiten, die geführt erschienen. Wunder – volles – Leben. Der Einklang mit dem Sterben enthält nichts Bedrohliches. Wo EinsSein ist, ist keine Angst.

In der Spiegelung offenbart sich das Wunder des Lebens in jedem Selbst. Es ist ein heiliger Moment, die Wahrheit ewigen Lebens, zu erkennen und im BewusstSein das Wunder, das das Leben ist, zu erfahren.

In Dankbarkeit.

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