vonTatjana Haas

Im gewöhnlichen Menschenverstand empfinden wir Dankbarkeit, wenn wir etwas bekommen haben, was uns als besonders wertvoll erscheint, oder es uns selbst geben. Das kann eine schöne Reise oder ein Erlebnis sein, ein tolles Geschenk, eine tolle Begegnung mit einem Menschen, einen gut bezahlten Job, einen Lottogewinn, eine neue Wohnung entsprechend meiner Vorstellung, eine neue Partnerschaft, ein Verliebtsein. Es entsteht ein Gefühl der Freude, eine Euphorie. Das Ego ist befriedigt und ich bin dafür dankbar. Ich habe das bekommen, was ich will, ein Wunsch ist erfüllt.

Das ist wunderbar. Daran ist nichts auszusetzen. Im ersten Moment scheint es mein Leben wertvoller und mich glücklicher zu machen. Doch was passiert, wenn ich dieses mir so lieb gewonnene Objekt wieder verliere? Wenn sich mein toller neuer Partner, für den ich so dankbar bin, plötzlich in eine andere Frau verliebt? Wenn mein Chef mit meiner Arbeit nicht zufrieden ist und mir wieder kündigt? Wenn ich meine Wohnung verliere oder all mein Geld? Wenn ich die Reise, die ich mir so sehr wünsche, gar nicht machen kann? Oder wenn mein gesunder Körper durch Krankheit oder einen Unfall plötzlich ausfällt?

Wo eins so eine große Dankbarkeit und Freude war, ist plötzlich Wut, Trauer, Einsamkeit, Enttäuschung. Der Verlust dieses mir so wertvoll und wichtig erscheinenden Objektes macht mir zu schaffen. Die Dankbarkeit ist hinüber, es ist sogar völlig undenkbar in diesem Moment des scheinbaren Verlustes weiterhin Dankbarkeit zu empfinden.

 

Täuschung und Ent-Täuschung

Merkwürdigerweise ist Enttäuschung das Beste, was mir passieren kann. Da, wo es mich schmerzt, kann ich sehen, dass ich in einer Täuschung involviert war. Keine Ent-Täuschung ohne vorherige Täuschung. Die Täuschung besteht darin, dass ich den Wert meines vollkommenen Seins an die äußeren, mir wertvoll erscheinenden Dinge, Objekte oder Ereignisse knüpfe. Das tut weh, denn es ist eine Lüge. Die Wahrheit ist, dass der Wert meines Seins, meines vollkommenen Lebens niemals von äußeren Bedingungen abhängig ist. Jetzt, wo das schmerzliche Gefühl der Enttäuschung aufkommt, kann ich mich nach innen wenden und erkennen, wo ich meinen Wert abgegeben habe, wo ich einer Lüge an den Leim gegangen bin und mich abhängig gemacht habe von einer äußeren Erfüllung, wo ich dem geglaubt habe, was mein Verstand mir suggeriert hat.

 

 

Wahre Dankbarkeit ist ein Zustand, eine innere Haltung dem Leben gegenüber

Es ist nicht wirklich Dankbarkeit, wenn ich die Dankbarkeit an Objekte oder Erlebnisse kopple, wenn ich sage: „ich bin dankbar für das oder für jenes.“ In dem Moment, in dem mir das vom Leben wieder genommen wird, kann ich es erkennen. Dieser vorerst schmerzliche Moment lässt mich hinschauen und mich hinterfragen, ob ich das wirklich brauche und es stellt sich heraus, dass dies das wahre Geschenk ist, denn dieser Moment gibt die Chance mit der tieferen, wahren Dankbarkeit, für alles was ist, in Kontakt zu kommen. 

Wahre Dankbarkeit kommt in den Momenten der Besinnung auf. Es ist Gnade. Wenn ich mich voll und ganz, mit all meinen Sinnen auf den gegenwärtigen Augenblick besinne, ohne diesen durch meine bewertenden Gedanken zu betrachten, bin ich dankbar. Ich bin dankbar, dass ich bin. Die Sinne öffnen sich und ich sehe, was um mich herum alles da ist, was jetzt schon gegeben ist. Ich sehe die Fülle des Lebens jetzt. Ich nehme all das wahr, was ich vorher ausgeblendet habe, eine tiefe Erfüllung steigt auf und plötzlich kann ich alles um mich herum wertschätzen. Ich bin dankbar. Es ist das Größte, was wir erleben können.

Dankbarkeit ist die spirituelle Qualität der Liebe, des liebenden Seins. In Kontakt mit dem reinen Sein, mit dem, was ich wirklich bin, bin ich aus mir selbst heraus dankbar. Es ist reine Seins-Freude, reine, unschuldige Dankbarkeit. Es ist berührt Sein in der Tiefe meines Seins, es ist Herzkontakt und gleichermaßen die Erkenntnis, dass ich all das, woran der Verstand in der äußeren Welt anhaftet, nicht brauche, um wertvoll, glücklich, liebend, dankbar zu sein. Diese Dankbarkeit ist unabhängig von äußeren Bedingungen. So kann ich sogar sagen: es kommt ein neuer Partner – ich bin dankbar. Er geht wieder – ich bin dankbar. Ich habe einen tollen neuen Job – ich bin dankbar. Ich habe ihn wieder verloren – ich bin dankbar. Selbst wenn ich von heute auf morgen durch die Inflation all mein Geld verliere, bleibt die Dankbarkeit. Denn es ist klar, ich habe, was ich brauche, und brauche, was ich habe – immer und in jedem Moment. Reine Seins-Freude ist unberührt von dem, was äußerlich geschieht. Diese Freude ist reine Dankbarkeit.

Hier kann ich das in mir finden, wovon auch der Benediktiner-Mönch David Steindl-Rast spricht: „Dankbarkeit ist der Schlüssel zur Freude. Dankbar zu sein für den gegenwärtigen Augenblick, wie immer dieser sein mag, ist eine tiefe innere Haltung dem Leben gegenüber.“ In dieser Haltung ist klar, dass alles bereits gegeben ist. Ich habe stets alles, was ich brauche. Ich bin von innen berührt und sehe das wahre Wesen, das ich bin. Es ist Dankbarkeit, Freude, Schönheit, Vollkommenheit, Unschuld, Klarheit. In dieser Erkenntnis ist Ruhe, das Herz findet den Sinn.

4 Responses

  1. Christian
    Umkehrarbeit - Die ewig Trennung in Ich und das Leben

    Jede Umkehr ist immer zu spät. Um die Umkehr im Alltag einblenden zu können, braucht es Zeit. Und Zeit gibt es nur für das Ego. Und so hält die Umkehrarbeit den Glauben an Raum und Zeit aufrecht.

    Auch hält die Umkehrarbeit den Glauben aufrecht, etwas Getrenntes zu sein. Etwas Getrenntes von dem auftauchenden Wunsch. Aber da ist nur der Wunsch. DAS, das als Wunsch erscheint. Nicht der Wunsch und du. Was für ein Irrsinn diese Umkehrarbeit.

    So schreibt die Autorin:

    „Dankbar zu sein für den gegenwärtigen Augenblick, wie immer dieser sein mag, ist eine tiefe innere Haltung dem Leben gegenüber.“ In dieser Haltung ist klar, dass alles bereits gegeben ist. Ich habe stets alles, was ich brauche. Ich bin von innen berührt und sehe das wahre Wesen, das ich bin.“

    Wenn die Autorin es tatsächlich ernst nehmen würde, was sie da schreibt, würde sie sofort mit der Umkehrarbeit aufhören. Denn wenn da z.B. die Begierde nach einem Mann ist, dann ist diese Begierde das was ist! Alles ist bereits gegeben? Ja dann nimm die Begierde nach dem Mann als das was sie ist. Triff den Mann! Ich bin von innen berührt? Das ist Trennung. Das sind zwei. Es gibt kein Innen und Außen, kein Oben und Unten. Es gibt nur DAS! Eine tiefe Innere Haltung dem Leben gegenüber? Du bist das Leben! Es gibt nicht dich und das Leben.

    Was auch immer zu passieren scheint, ist DAS. Unbedingt, ungeteilt, unbekannt für sich SELBST, unmittelbar direkt.

    Die Umkehrarbeit ist die Karotte, die dem spirituellen Ego vor die Nase gehalten wird. Da wo Frieden ist, ist die Wahrheit heißt es bei den Umkehrern. Unerreichbar.

    Erst muss Sein sein, damit Bewusstsein sein kann. Bewusstsein ist bereits eine Erscheinung, nicht existierend.

    Dann hört man von den Umkehren, dass sie Erkenntnisse machen. An dem Punkt ist spätestens alles klar. Da wo jemand meint, eine Erkenntnis zu machen, ist es ein spirituelles Ego. Denn nur ein Ich kann Erkenntnisse haben. DAS hat keine Not, Erkenntnisse zu machen. Da wo jemand von eigenen Erkenntnissen berichtet, also anwesend ist, spricht ein spirituelles Ego.

    „Jetzt bin ich wunschlos glücklich.“ Als würde es dieses herbeigeredete andere, bessere DAS geben.

    Pass aber auf, dass du das wunschlos glücklich Sein nicht wieder verlierst, sonst war alles umsonst. Und so ist der Umkehrer ständig damit beschäftigt, bloß das wunschlos glücklich Sein nicht wieder zu verlieren. Denn dies ist notwendig. So sind die Umkehrer quasi Tag und Nacht damit beschäftigt, Fragebögen auszufüllen und zu besprechen. Unzählige Worte werden gewechselt. Talk, Talk, Talk. Doch in der nächsten Situation im Alltag geht das wunschlose glücklich Sein wieder verloren. Und dann fragt sich der Umkehrer, was er bloß falsch gemacht hat. Ewiger Loop.

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  2. Uwe Rapp
    Freude

    Diese liebevolle Erinnerung, dass ich schon alles habe was ich bin und erfüllt sein kann, ohne etwas Bestimmtes zu brauchen, ist für mich wie ein Umwenden, ein Umkehren zum wirklich Wahren. Ich schätze das sehr. Danke.

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  3. Hans-Jörg Tschäni
    Wahre Dankbarkeit

    Mir hilft anzuerkennen, dass alles was geschieht zu meinem Besten ist. Auf den ersten Blick erscheint das vielleicht nicht so, aber im Rückblick geschieht das Verständnis, dass alles gut war was geschah.

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  4. Ingrid Huhn
    Lebensaufgabe

    Danke,Danke,Danke, für den gut verständlich und lebensnah geschriebenen Artikel. Wahre Dankbarkeit ist Demut, Demut ist Hingabe/Lebens-aufgabe!

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