Michael Regner hängt seine Klienten an einen Ast – an den Füßen mit dem Kopf nach ­unten. Die Umkehrperspektive soll nicht nur körperliche ­Blockaden lösen, sondern – wenn der Proband reif dafür ist – auch für kurze Momente das eigene, konditionierte Welt­bild auf den Kopf stellen. Ein Interview von Jörg Engelsing.

 Michael, was soll das Aufhängen bewirken?
Erst einmal gibt es da die rein körperliche Ebene. Der gesamte Körper wird ganz sanft bis zu drei Zentimeter gedehnt, eine innere Ausdehnung findet statt – was sich durchaus manchmal  unangenehm anfühlt. Diese Dehnung gibt allen beweglichen Elementen des Körpers die Möglichkeit, sich neu zu justieren, zu reorganisieren. Besonders die Gelenke, der Rücken und die Wirbelsäule profitieren, denn sie werden ja durch die Schwerkraft von Geburt an zusammengepresst. Knorpel können sich ausdehnen, Energie tanken und Gifte loslassen, Zwischenwirbelscheiben können sich wieder mit Flüssigkeit vollsaugen und an die passende Stelle rutschen. Verspannte Muskulatur dehnt sich, Widerstand ist nicht möglich… Im aufgehängten Zustand wirkt die Gravitation für uns, nun allerdings in die andere Richtung: ENT-Spannung findet statt.

Aber nicht nur auf der körperlichen Ebene! Im aufgehängten, umgekehrten Zustand mit geschlossenen Augen und im Schweigen greift die Kontrollfunktion des Verstandes nicht mehr, mentale, emotionale und physische Muster laufen ins Leere, werden weich und können sich auflösen, ins Fließen kommen, sind sie doch nichts anderes als strukturierte Energie. So vermindern sich die physischen Beschwerden oder lösen sich vollständig, weil sie eben sichtbarer und fühlbarer Ausdruck dieser tieferen energetischen Muster sind. Der Körper ist lediglich der „magic screen“, in und auf dem sichtbar wird, was in uns vorgeht…

Wie bist du zu Hang Loose gekommen und was ist das Besondere an deinem Ansatz?
Ich hatte 1997 selbst einen schweren Bandscheibenvorfall – das war mein „Aufhänger“, warum ich mich für die Methode interessiert und sie auch erlernt habe. Um mich selbst zu kurieren, habe ich mich intensiv mit dem Thema Rückenprobleme beschäftigt. Ich habe dann festgestellt, dass die Probleme viel tiefer liegen als auf der körperlichen Ebene. Bei mir waren es emotionale Dysbalancen. Natürlich kann man weiter am Körper arbeiten und das wird auch etwas besser durch Massage oder Ähnliches. Nur: Das, was zu der Problematik geführt hat, bleibt. Vielleicht bleibt der Rücken der Schwachpunkt, vielleicht zeigt sich das Thema beim nächsten Mal als Magengeschwür – aber die Dysbalance bleibt. Also habe ich für mich selber versucht, dieses ganzheitliche Thema der Dysbalance in das Aufhängen zu integrieren. Das hat dazu geführt, dass eine Session nun im Prinzip die Möglichkeit bietet, dieses Konstrukt von Gedanken, Glaubensmustern und Ideen, die wir sind, zu durchbrechen. Es ist möglich, in diesem Kopfüber-Hängen für einen kurzen oder längeren Moment – je nachdem, wie sehr der Klient das schon zulässt – eine Erfahrung tiefster Entspannung zu machen – ich nenne es eine Erfahrung unserer wahren Natur, denn unsere wahre Natur ist Entspannung, eine weite, offene, sensitive Wahrnehmung. Und wenn mein System diese Erfahrung schon einmal gemacht hat, dann kann ich immer wieder dahin zurückfinden. Das ermöglicht es mir, langfristig aus dem Sumpf meiner ganzen Konditionierungen herauszukommen. Es ermöglicht mir auch, die Dysabalancen, die zu meinen körperlichen Problemen geführt haben, aufzulösen. Und zwar sehr direkt und nachhaltig. Ich habe überhaupt keine Rückenprobleme mehr. Ich würde nicht sagen, dass sie weggeblasen sind, aber sich vom Fast-Rollstuhl-Status zu Aktivitäten wie Fallschirmspringen, Reiten oder Joggen zu „erheben“– das ist wunderbar.

Wie genau erklärst du dir denn diese spirituell-transformative Wirkung des Umgekehrt-Aufhängens?
Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur aus acht bis zehn Jahren Praxis, dass immer das Richtige passiert. Keine Session ist wie die andere. Ich und der Klient schaffen einen total entspannten, weit offenen Raum, in dem alles sein kann, wie es ist. Eine Sitzung wirkt umso kraftvoller, je mehr es demjenigen, der hängt, gelingt, dem, was da passieren will, aus dem Weg zu gehen. Für mich ist es ein energetisches Phänomen. Ich arbeite viel mit Hsien Shin, mit Reiki und auch mit einer Art Transmission, das heißt, dass ich Stellen sehen und erfühlen kann, denen ich mich zuwende – aber in dem Moment, in dem ich das mache, bin ich ein Werkzeug. Ich habe keine Ahnung, was ich tue, ich habe kein Ziel, ich habe keine Idee, ich versuche mich so weit wie möglich zu öffnen und für das, was in mir als Impuls auftaucht – sei es ein Wort oder eine Aktion – zur Verfügung zu stehen.

Letztlich geht es also nicht vordergründig um eine Heilung von Beschwerden, sondern um eine Rückverbindung zu unserem wahren Wesen …
Was ist denn Heilung? Heilung ist die Rückverbindung zu deinem wahren Wesen. Wirkliche Heilung ist Liebe. Alles passiert aus diesem Grund heraus. Mögliche Heilung ist nichts anderes als eine Rückverbindung dahin – über eine totale Entspannung des Körpers und die entsprechenden Bewegungen, die der Körper selbst macht, ohne dass wir eingreifen. Niemand macht eine Spontanheilung bei Krebs, sie passiert durch eine Rückverbindung desjenigen, der sich total entspannt, vertraut und ja sagt zu dem, was geschieht, was auch immer das sein mag. Daraus entsteht Heilung. Und die sieht vielleicht nicht so aus, wie wir uns das denken, sie ist vielleicht manchmal sogar unangenehm. Es kann auch sein, dass dir nach dieser Geschichte dein Leben aus den Fugen gerät. Es ist nicht so: Ich mach das, und danach geht es mir besser. Dieses Bessergehen ist eine Idee von uns. Wir möchten besser schlafen, besseren Sex haben, es sollte auf der Arbeit besser sein usw. – das wird nicht unbedingt so sein. Was aber passiert: Du wirst immer besser in dir ruhen können, während alle diese Dinge passieren. Und das ist wirkliche Heilung.

Du hast also letztlich – unter anderem – durch das Aufhängen gelernt, deinen ganzen Gedanken und Konzepten nicht mehr zu folgen und stattdessen immer mehr im Moment zu sein, damit zu fließen und dem Leben zu vertrauen.
Genau, das war der Lernprozess. Als ich anfing, Sessions zu geben, hatte ich selbst ziemlich viel Angst. Ich dachte: Hoffentlich hält das Seil und der Ast bricht nicht ab. Ich habe dann immer mehr gelernt, mich völlig zu leeren, so dass ich ein Werkzeug der Energie des Momentes sein und das sagen und tun kann, was aus dem Moment heraus entstehen will. Und dabei erfahre ich auch selbst Heilung. Geht es mir beispielsweise schlecht oder befinde ich mich in einer emotional unangenehmen Situation – nach einer Session bin ich völlig in Liebe, entspannt, eins. Wunderbar. Was da passiert, ist also nicht nur einseitig. In diesem gemeinsamen Raum geschieht natürlich auch bei mir eine Bewegung Richtung Heilung.

Letztlich geht es dir also darum, deinen Klienten einen Weg in die Freiheit zu eröffnen.
Das ist der tiefste, innerste, leidenschaftlichste Wunsch, den ich habe. Schon immer. Und diesen Wunsch hat jeder. Er ist nur bei den meisten Menschen ummantelt von dem, was man uns erzählt hat über uns und die Welt. Was wir lernen, ist: Wir sind nicht perfekt, und wenn wir uns anstrengen, dann werden wir mal so, wie wir sein sollten. Und dieses Spiel setzt sich durch unser ganzes Leben fort. Wir wollen immer ein besserer Mann sein, ein besserer Liebhaber, ein besserer Reporter usw.  Bullshit: In diesem ganzen Gespinst machen wir uns nur klein und entfernen uns von unserer wirklichen Natur – wir dimmen unser Licht. Die alten Meister haben gesagt: Wir haben nicht Angst vor dem Teufel oder Ähnlichem, sondern davor, Gott zu sein. Wir haben Angst davor, wirklich diese großen, wunderbaren, mächtigen Wesen zu sein. Doch das Universum will eine neue Art, wie wir zusammen existieren. Das spüre ich. Es ist fühlbar in jeder Bewegung, dass ein energetischer Umschwung passiert. Der findet aber nicht unabhängig von uns statt, der kann nur geschehen, indem wir diesem energetischen Umschwung in uns Platz geben, indem wir uns dem zur Verfügung stellen, was da passieren will. Indem wir sagen: Ja –  und wenn es mich umbringt, und wenn es meine Karriere kostet, und wenn es meine Beziehung durcheinanderbringt, und wenn es das Schlimmste mit mir macht, was möglich ist –  ja, ich bin dafür da. Diese Leidenschaft muss uns beflügeln. Und die beflügelt uns alle, wenn wir es zulassen.

Und dieses Aufwachen zu dieser neuen Art zu existieren kommt jetzt vordergründig durch das Aufhängen?
Nein, das Aufhängen kann dir aber diesen Raum erst einmal erschließen.

Was hat dich sonst unterstützt?
Ich wollte eigentlich immer nur glücklich und zufrieden leben wie jeder Mensch. Ich habe natürlich alles ausprobiert, was in konventionellem Sinne dahin führt – ebenfalls wie die meisten Menschen. Geld, Beziehung, Auto, blabla. Irgendwann merkst du, dass das nicht funktioniert, dann geht der Weg nach innen – Meditation, Mantrasingen, Tantra, Yoga, was auch immer. Alles war toll für einen begrenzten Zeitraum, aber anschließend stand ich da, wo ich schon vorher war. Es war natürlich ein bisschen anders, aber letztlich hatte sich nichts fundamental verändert. Und dann irgendwann kommt tiefe Verzweiflung. Wenn du alles versucht hast und nichts davon führt dahin, wohin du willst – mein Ziel war erst einmal, dass ich dauerhaft liebevoll mit anderen Menschen, vor allem mit meiner Frau, sein kann –, sondern du stehst immer wieder an der gleichen Ecke, in der du dich verteidigst und zumachst, dann gibst du irgendwann auf.

An dem Punkt dachte ich: Offensichtlich geht es hier nicht mehr um mich. Dann habe ich Gott in den Mittelpunkt gestellt. Auch das ist natürlich ein Konzept, aber es weicht schon so ein bisschen die Realität auf, in der du bist. Und dann bin ich über den Umweg Satsang auf Balanced View  gestoßen. Und das waren die ersten, die erzählt haben, dass du den Weg in dieses neue Bewusstsein trainieren kannst. Der indische Weise Nisargadatta hat gesagt: Die Gedanken sind die Ringe, und wir haben die Haken. Osho hat gesagt: Trockne die Vergangenheit aus, indem du keinen Gedanken mehr aus der Vergangenheit zulässt. Alle haben sie das Richtige gesagt, aber niemand hat ein Training angeboten. Balanced View sagt: Du kannst es jeden Tag trainieren. Lasst uns in Meetings zusammenkommen mit einem einzigen Ziel: zu entspannen mit allen Gedanken, Gefühlen und Erfahrungen. Das ist das Einzige, was wir wollen. Darauf habe ich mich eingelassen. Und mehr und mehr kamen diese kurzen Momente, in denen ich mich entspannt habe – und diese Momente wurden länger, bis hin zu Phasen von einem halben Tag, in denen ich in einem Raum war, in dem alles sein konnte und in dem ständig im Hintergrund so eine subtile Freude, Energie und Kraft war – egal, was passiert, ob ich mich mit meiner Frau streite oder nicht, ob irgendetwas klappt oder nicht. Immer mehr konnte ich die Erscheinungen ihr Spiel spielen lassen, ohne dass ich irgendwie eingreifen muss. Es ist unglaublich kraftvoll. Durch das Training haben sich diese Räume immer mehr ausgeweitet. Aber das Ganze ist keine Technik, sondern einfach die Achtsamkeit, immer dann, wenn ich  merke, dass ich wieder auf irgendeinem Trip bin, anzuhalten, auszuatmen und für einen kurzen Moment bewusstes Sein zu genießen, augenblickliches Wohlbefinden und tiefes Mitgefühl zu erfahren.

Und mit dem Aufhängen hast du etwas gefunden, das solche Momente auch initiieren kann?
Genau. Es schafft solche Momente – je nachdem, wie offen der jeweilige Mensch ist. Er kann die Erfahrung machen: Ja, da sind Schmerzen am Fuß, und ich muss nichts damit machen. Da ist Angst, und ich muss nichts damit machen. Da kommt die Geschichte mit meiner Mutter hoch, die mich geschlagen hat, und ich muss nichts damit machen. Das ist die Erfahrung, die du mit dem Hängen machen kannst: dass dein Wohlbefinden garantiert ist unabhängig von allem, was kommt und geht – und das ist deine wahre Natur. Du bist immer vollständig, perfekt, offen, weit –  egal, was da gerade für Seifenblasen um dich herumschwirren. Als Nisargadatta am Sterben war, bedauerten ihn die Leute, aber er sagte: Glaubt ihr wirklich, dass ich dieser Hautsack bin, den ihr vor euch seht? Dieses größere Bewusstsein muss deine Erfahrung sein – und dann musst du sie leben. Du sitzt an deinem Schreibtisch und ärgerst dich über einen Kollegen – puff! merkst du: Ich bin wieder in der Illusion. Und kannst loslassen. Es muss zur praktischen täglichen Erfahrung werden, die es dir ermöglicht, mit allen Menschen in tiefer Verbindung zu sein. Du kannst es auch Liebe nennen.

Dieses Sich-nicht-mehr-auf-Gedanken-Fokussieren ist ja eigentlich sehr einfach.
Es muss einfach sein, es muss die allereinfachste Einfachheit sein, die wir uns vorstellen können. Deswegen scheitern wir mit allen unseren intellektuellen Verkomplizierungen. Es gibt nur diese unermessliche offene Intelligenz, in der Erscheinungen kommen und gehen, unberechenbar unvorhersehbar, nicht manipulierbar. Und wir können uns nur zwischen zwei Dingen entscheiden: Entweder wir fokussieren uns auf die ­Erscheinungen, und dann sind wir ängstlich, unsicher und verwirrt, weil wir sie nicht kontrollieren können. Oder wir fokussieren uns auf den Hintergrund aller Dinge, auf das, was immer da ist, und entspannen uns – erst einmal in ganz kurzen Momenten – in unserer wahren Natur. Diese Momente werden länger, und ganz automatisch wirst du erkennen, was deine wahre Natur ist. Du kannst sie weder verstehen noch erklären noch beschreiben – du kannst sie nur sein. Diese Einfachheit ist so unermesslich einfach, dass wir sie meist übersehen. Es gibt diese Parabel von den zwei Fischen, die sich im Ozean treffen. Der eine Fisch schwimmt ganz sorgenvoll zu dem anderen und fragt ihn: Kannst du mir helfen? Ich habe gehört, dass es Wasser geben soll, und ich habe keine Ahnung, was es ist und wo es ist. Aber der andere Fisch schüttelt auch nur den Kopf und sagt: Ich habe keine Ahnung …

Über den Autor

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war Olympia- und Nationalmannschaftstrainer der Schwimmer in der DDR, nach seiner Flucht 1989 Trainer in Neuseeland und Australien. Seit 2005 selbständig als Coach, Physio- und Psychotherapeut, Lehrer für Tantra, ­Yoga, Meditation. Er unterstützt Menschen, sich für die Unendlichkeit des Seins zu öffnen, um die Freude und Leichtigkeit des freien ­Fließens zu erleben – mit dem Leben, so wie es ist. Er lebt von November bis März in Indien, ab April in Deutschland.