Der Ehe-Führerschein 26. September 2018 Die Liebe ist eine Kunst. So hat es der berühmte Psychologe Erich Fromm in seinem Bestseller-Buch „Die Kunst des Liebens“ einmal formuliert. «Kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe.» Fromm hat einen wesentlichen Beitrag in der Paarpsychologie geleistet, indem er darauf hingewiesen hat, dass die Liebe eine Kunst ist, die man auch erlernen kann – und sollte. Eine Kunstfertigkeit, die man sich aneignen kann wie das Klavierspielen oder Tennis. Aber an der man auch ein Leben lang arbeiten kann um sie stetig zu verfeinern. Bei dem Begriff „Arbeit“ – wenn es irgendwie im Zusammenhang mit einer Beziehung steht – zucken Viele innerlich zusammen. Arbeit hätten sie wahrlich schon genug, denken sie, und so erscheint der Aspekt einer Beziehungsarbeit lästig, anstrengend und überflüssig zu sein. Beziehungen gehören zu den sogenannten Defizitärbedürfnissen eines Menschen. Kann das Bedürfnis nicht in ausreichendem Maße befriedigt werden kann es zu psychischen und auch zu physiologischen Störungen kommen. Wie wichtig diese sind, zeigt sich nicht zuletzt daran, worüber Menschen hauptsächlich sprechen wenn sie am Ende ihres Lebens angekommen sind. Auf dem Sterbebett geht es nicht um Arbeit oder Geld, sondern um Menschen und Beziehungen. Das gute Verhältnis zu anderen Menschen ist eine Lebensquelle für Zufriedenheit und Erfüllung. Beziehungs-Knowhow Dafür, dass Beziehungen einen so großen und gewichtigen Raum im Leben eines Menschen einnehmen ist es erstaunlich zu beobachten, wie wenig sich mit dem Gelingen dieses Unterfangens auseinandergesetzt wird. Man bedenke: es gibt zwei sehr folgenreiche Entscheidungen, die im Leben zu treffen sind: die Frage nach dem Beruf sowie auch die nach dem Partner für das Leben. Während wir uns im ersteren Fall oft jahrelang ausbilden lassen, so gehen wir meist davon aus, dass Beziehungen keinerlei Ausbildung bedürfen. Dies erweist sich jedoch oft als Irrtum, spätestens wenn man fassungslos vor den Problemen oder gar Scherben einer Partnerschaft steht. Aus diesem Grund sollte ein Umdenken eingeleitet werden. Die Einsicht zum Erwerb von Beziehungs-Know-how, um womöglich zahlreiche Fallen vermeiden zu können, erweist sich als sehr wertvoll. Es gibt tatsächlich sehr viele hilfreiche Aspekte, Tipps und Tricks, die eine Partnerschaft ungemein erleichtern können. Beispielsweise im Rahmen eines „Ehe-Führerscheins“, wie wir ihn für unsere Praxis entwickelt haben, kann das Wissen für das Gelingen einer erfüllten Partnerschaft erlernt werden. Auszugsweise stelle ich hier ein paar Grundlagen dieses Workshops vor. Das BIWAK©-Prinzip Im Wesentlichen kreisen die Probleme bei Partnerschaften um fünf Kernbereiche, deren Bedeutung wir in unserer Praxis als das BIWAK-Prinzip bezeichnen. Es umfasst die Themen: Bedürfnisse, Ich-Botschaften, Würdigung, Auswirkungen sowie Kodierungen. Typischerweise ist mindestens eines dieser Themen betroffen, wenn es zu einer Auseinandersetzung in der Partnerschaft kommt. Wer über diese Themen jedoch schon einmal reflektiert hat oder sie gar beherrscht besitzt damit fünf der wesentlichsten Glücks-Schlüssel, um nicht nur Eskalationen zu verhindern, sondern um Beziehungen in die Erfüllung zu bringen. Bedürfnisse Die Bedürfnisse eines Menschen stehen gewissermaßen am Anfang des Lebensglücks. Alle Menschen haben bekanntlich welche. Die uns vereinenden Bedürfnisse hat der amerikanische Psychologe Abraham Maslow in der Vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts in seiner berühmten und nach ihm benannten Maslow’schen Bedürfnis-Pyramide beschrieben. Dort finden wir neben den lebenserhaltenden Grund-Faktoren wie Essen, Trinken, Schlafen auch die Bedürfnisse nach Unversehrtheit und Sicherheit, sowie darauf aufbauend diejenigen nach sozialem Kontakt und schließlich die ganz individuellen Wünsche bis hin zur Selbstverwirklichung. Es sind die individuellen Wünsche, die uns das Leben in Partnerschaften schwer machen können. Insbesondere immer dann, wenn der Partner diese nicht in gleichem Maße oder womöglich gar nicht teilt. Da der Mensch dazu tendiert, von sich auf andere zu schließen, also davon ausgeht, andere Menschen würden in etwa nach dem Gleichen streben wie er selbst, kann es dabei zu erheblichen Missverständnissen kommen. Denn immer wieder machen wir dann – oft schmerzhaft – die Erfahrung, dass Andere doch gänzlich anders sein können als man selbst. Zunächst einmal lehnen wir das unbewusst ab und geben mit Ausdrücken wie „Du spinnst!“, „das ist doch nicht normal“, oder „das siehst Du falsch“ zu erkennen, dass wir die Bedürfnisse des anderen für nicht akzeptabel halten. Aber die Weisheit der Sprache gibt uns bereits einen wertvollen Hinweis: Bedürfnisse dürfen sein! Jeder von uns ist mit seinen Wünschen grundsätzlich in Ordnung. Niemand ist krank oder falsch nur weil er sich etwas unterschiedliches vorstellt oder braucht als ein anderer oder vielleicht die Mehrheit der anderen. Konflikte mit anderen entstehen aber grundsätzlich aus der Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse. Werden wir mit unterschiedlichen Interessen konfrontiert, kommt es leicht zu Kritik oder infolgedessen zu Streit. Hinter jedem Vorwurf, hinter jedem Konflikt steckt jedoch immer ein Wunsch. Ungünstigerweise – ich nenne dies die menschliche Kommunikationstragödie – sprechen wir in diesem Moment aber nicht über unsere Bedürfnisse, die wir gerade unerfüllt oder bedroht sehen, sondern wir sprechen über den Anderen, der hierfür verantwortlich gemacht wird. Und genau an dieser Stelle begeben wir uns oft umgehend in Startposition zum beschleunigten Besuch der nächstliegenden Palmenkrone. Von dort werfen wir dann mit Kritik-Kokosnüssen. Das Frustrierende daran: der andere wirft sie umgehend zurück, der Streit ist in vollem Gange. ICH-Botschaften Um diesen reflexhaften Mechanismus zu durchbrechen, braucht es eine Kommunikationstechnik, die uns die sogenannte Gewaltfreie Kommunikation (GfK) anbietet. Sie wurde vom Amerikaner Marshall Rosenberg formuliert und gefördert. Im Wesentlichen geht es bei dieser Methode darum, dem Gegenüber zu keinem Zeitpunkt das Gefühl zu geben, er sei falsch und würde gerade angegriffen. Denn in dem Moment, in welchem sich ein Mensch durch einen Vorwurf angegriffen fühlt, unterscheidet unser Gehirn nicht mehr zwischen einem tätlichen und einem verbalen Angriff. In beiden Fällen läuft im Stammhirn ein Programm der Reflexe ab: Flucht-, Kampf- oder Totstellreflex. Diese archaischen Reaktionen dienten und dienen unserem Überleben und viele verbalen Angriffe signalisieren dem Gehirn unwillkürlich eine Gefahr für Leib und Leben – insbesondere wenn auch noch der drohende Zeigefinger hinzukommt, der unterbewusst als Dolch wahrgenommen wird. Daher wird es zwingend notwendig, unsere Kommunikation dahingehend auszurichten, daß diese Reflexe der Verteidigung und des Entzugs nicht ausgelöst werden. Dies wird nur gewährleistet, wenn es uns gelingt, in sogenannten Ich-Botschaften zu sprechen, und nicht etwa in Du-Botschaften. Während in letzteren über den anderen, seine Fehler und seine Versäumnisse gesprochen wird, kommt in einer Ich-Botschaft der andere überhaupt nicht vor! Kein Finger zeigt auf ihn, weder live noch im übertragenen Sinne. Man spricht ausschließlich über sich selbst, seine Wünsche und seine Befindlichkeit, seine eigenen Ängste und seine Sorgen. Und genau deshalb kann der andere sich auch gar nicht angegriffen fühlen. Die Folge: kein Angriff, keine Verteidigung – und somit kein Gegenangriff. Würdigung Der Artikel 1 des Grundgesetzes lehrt uns: die Würde des Menschen ist unantastbar. Aber genau das missachten wir nur allzu leicht, wenn wir in einen Streit eintreten. Hierbei kommt es regelmäßig zu einem Schlagabtausch, bei welchem der andere sich abgewertet und entwürdigt fühlt. Dafür reichen schon vermeintlich harmlose Worte wie „Du nervst“ oder „ich glaube Dir das nicht“. All das wird bereits unwillkürlich als Respektlosigkeit wahrgenommen, welche mit einer Entwürdigung gleichzusetzen ist. Aber nicht nur der Mensch als solcher bedarf einer Anerkennung, sondern auch seine Ideen und seine Verletzungen sehnen sich nach einer würdigenden Anerkennung. Eines der schmerzlichsten Erfahrungen in Partnerschaften kann die versagte Anerkennung eines zuvor erlebten Schmerzes sein. Ein Kind, das sich beim Spielen verletzt hat und dessen aufgeschlagenes Knie blutet, rennt normalerweise gleich zur Mutter, die es mit einer Folge von intuitiven Handlungen versorgt. Neben der auch im Gesicht ablesbaren Anteilnahme, wird die Mutter das Kind in den Arm nehmen, die Wunde liebevoll anpusten und dem Kind das Gefühl geben, daß sie die Wunde nicht nur sieht, sondern auch ernst nimmt. Kinder, welche diese Anteilnahme erfahren haben, vergessen den Schmerz schnell wieder und spielen weiter. Hätte die Mutter hingegen die Wunde quittiert mit „stell Dich nicht so an!“, „selbst Schuld“ oder auch mit einer Umlenkung auf den eigenen Schmerz wie etwa mit einer Beschreibung der Tatsache, dass sie sich am Morgen selbst in den Finger geschnitten hat, würde das Kind immer noch weinen. Einfach weil die Wunde nicht beachtet, nicht gewürdigt wurde. Alle Eltern beherrschen instinktiv diese Anerkenntnis oder auch Würdigung von äußeren Schmerzen. Interessanterweise wirken diese Mechanismen der Wundheilung nicht nur bei unserem Körper, sondern analog auch bei seelischen Wunden. Die Wunden der Seele, streben wie bei den Kindern beschrieben nach einer Anerkennung und einer Würdigung. Erfolgt diese, zum Beispiel in Form einer Entschuldigung, so findet die Seele diesbezüglich endlich Ruhe und die – mitunter alte – Wunde kann beginnen zu heilen. Auswirkungen Der nächste Aspekt des BIWAK-Prinzips gilt den Konsequenzen unseres Handelns. Alles hat seinen Preis, heißt es. Das gilt für die Dinge, die wir tun wie natürlich auch für für alles, was wir nicht tun, also unterlassen. Überall hängt ein Preisschild dran. Jedoch tun wir uns nicht leicht, die Kosten frühzeitig in den Blick zu nehmen. Oft handeln wir impulshaft, ohne uns die möglichen Auswirkungen klar zu machen. Wir reiben uns dann später die Augen, wundern uns darüber wie kompliziert die Dinge und die Menschen manchmal sind. Und realisieren dabei nicht, dass diese im ursächlichen Zusammenhang mit unseren früheren Aussagen und Aktionen stehen. Unsere Strategien zum Erreichen eines erwünschten Zustandes erweisen sich immer wieder als wenig erfolgreich. Umso hilfreicher ist es dann, diese Strategien in das Bewusstsein zu rufen – meist geht das nur mit Hilfe Dritter – um sie anschließend anpassen und optimieren zu können. Kodierungen Um unser Handeln zu verstehen reicht es nie allein die Gegenwart zu betrachten. Seit unserer Geburt speichern wir unentwegt Informationen. Diese betreffen unsere Umwelt, unsere Mitmenschen und unsere Reaktionen darauf. Naturgemäß sind uns die allermeisten abgespeicherten Informationen nicht bewusst und können somit auch nicht aktiv abgerufen werden. Jedoch spielen sie bei unseren erlebten Emotionen und Reaktionen eine ganz entscheidende Rolle. Die kodierten Erlebnisse der Vergangenheit mischen sich hochwirksam in unser Jetzt-Erleben mit hinein und produzieren dabei allzu schnell eine hochexplosive Mischung. Da kommen auf einmal unbewusst Erinnerungen hoch, ohne sie aber benennen zu können. Eine Wunde, ein Problem, eine negative Erfahrung aus der Vergangenheit werden blitzschnell mit der Situation der Gegenwart abgeglichen und emotional miteinander verrührt. Für die Beurteilung einer Konflikt-Situation macht das die Sache sehr schwer, denn weder der andere noch man selbst ist dann oft in der Lage, zu erkennen, was letztlich dazu beigetragen hat, die Emotionen so hochkochen zu lassen. Die Bewusstmachung und Beachtung des BIWAK-Prinzips vermag zwischenmenschliche Beziehungen in entscheidender Weise zu verbessern, auch wenn natürlich die Strukturen von Beziehungen in höchstem Maße komplex sind und sich nicht nur mit einem einzigen Modell abbilden lassen. Die Ursachen und Zusammenhänge von Konflikten in partnerschaftlichen Beziehungen lassen sich oft nur in einer profunden paartherapeutischen Analyse erkennen und bearbeiten. Das Erlernen der Prinzipien und ihre zugehörigen Beziehungsfallen sind dennoch ungeheuer hilfreich, um eine lebenslange und erfüllte Beziehung führen zu können und sollten, das ist unsere Vision, so früh wie möglich, am liebsten schon zu Beginn von Beziehungen oder gar schon in der Schule in Seminaren beigebracht werden. 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