von Saskia John

Traumatische Kindheitserfahrungen können die gesunde emotionale Entwicklung und Reifung eines Kindes stören. Werden die kindlichen Grundbedürfnisse über mehrere Jahre nicht oder ungenügend erfüllt, spricht man von einem Entwicklungstrauma. Ein solches Trauma kann zu einer gestörten Bindung führen und langfristig das Risiko für psychische Gesundheitsprobleme erhöhen, wie beispielsweise Angststörungen, Depressionen oder Suchterkrankungen. Auch Schocktraumata, die durch plötzliche und erschreckende Ereignisse ausgelöst werden, können langfristige psychologische Auswirkungen haben.

Unverarbeitete Traumata – aus deiner eigenen Kindheit und/oder von deinen Vorfahren – beeinflussen, wie du als Erwachsener denkst, fühlst und handelst. Traumata zu erkennen und zu heilen ist daher immens wichtig für unsere körperliche und psychische Gesundheit. Die Traumaheilung verläuft dabei nicht horizontal, wie die Zeit, sondern vertikal durch verschiedene Trauma-Schichten hindurch.

Vom Dachgeschoss bis ins Fundament

Unter vertikaler Traumaheilung ist der Prozess zu verstehen, bei dem das Trauma durch die verschiedenen Bewusstseinsebenen hindurch bewusst gemacht, geheilt und integriert wird. Dieser Prozess beginnt oft an der Oberfläche und vertieft sich zunehmend, bis er die tiefsten, unbewussten Schichten erreicht.

Um den vertikalen Heilungsprozess anschaulich zu verstehen, stelle dir (d)ein inneres Haus vor – vom Dachgeschoss über das Wohnzimmer bis hin zum Keller und Fundament. Es hat verschiedene Funktionsbereiche:

Das Bild des Inneren Hauses

 1. Das Dachgeschoss (Oberfläche):

• Im Dachgeschoss befinden sich die bewussten Erinnerungen und Gedanken, die dir unmittelbar präsent sind. Diese Erinnerungen sind oft aktuell und direkt erlebte Ereignisse, die leicht zugänglich und spürbar sind. Es sind die oberflächlichen Schichten deines Traumas, die du klar erkennen und an denen du direkt arbeiten kannst.

 2. Das Wohnzimmer (Bewusste Erinnerungen):

• Unter dem Dachgeschoss liegt der Bereich des Wohnzimmers. Hier findest du die etwas tieferen, aber noch bewussten Erinnerungen. Diese können aus der jüngeren Vergangenheit stammen oder emotionale Erfahrungen betreffen, die klarer und detaillierter im Gedächtnis verankert sind. In diesem Bereich arbeitest du aktiv an deinen aktuellen emotionalen Reaktionen und den unmittelbaren Auswirkungen deines Traumas.

 3. Das Schlafzimmer (Unbewusste Erfahrungen):

• Das Schlafzimmer befindet sich in den tieferen Etagen des inneren Hauses und symbolisiert die tiefen, oft unbewussten emotionalen Schichten. Dieser Bereich enthält verdrängte oder weniger offensichtliche Erfahrungen und Erinnerungen, die emotional verarbeitet werden müssen. Hier geht es darum, tief verwurzelte emotionale Wunden, die nicht sofort auf der Oberfläche sichtbar sind, zu entdecken und zu heilen.

 4. Der Keller (Tiefe, unbewusste Schichten):

• Der Keller stellt die tiefsten, unbewussten Schichten dar, die oft Wurzeln von Entwicklungstraumata oder frühen Kindheitserfahrungen enthalten. Diese Ebene ist oft am schwierigsten zu erreichen, da sie alte, nicht verarbeitete Erlebnisse aus der frühen Kindheit oder sogar von Generationen zuvor beherbergt. Die Arbeit in dieser Schicht erfordert ein tiefes Eintauchen in das Unterbewusstsein, um die grundlegenden Ursachen des Traumas zu verstehen und zu heilen.

 5. Das Fundament (Ahnen- und Ursprungswurzeln):

• Das Fundament deines Hauses repräsentiert die grundlegendsten und tiefsten Wurzeln des Traumas, die oft von den Erfahrungen deiner Ahnen oder den frühesten Kindheitserfahrungen stammen. Hier erfolgt die letztendliche Integration und Heilung, die die Verbindungen zu deinen Wurzeln klärt und die gesamte Struktur des inneren Hauses stabilisiert.

Der Heilungsprozess im Inneren Haus

Der Heilungsprozess im Inneren Haus ist eine umfassende Reise durch verschiedene Bereiche deiner emotionalen und mentalen Welt und eine Metapher für die vertikale Traumaheilung. Schicht für Schicht arbeitest du dich durch verschiedene Ebenen deines Bewusstseins und Unterbewusstseins, um tiefer liegende emotionale Wunden zu erkennen und zu heilen. Dieser Prozess beginnt bei den aktuellen, bewussten Themen und vertieft sich zunehmend bis zu den unbewussten Schichten – den Wurzeln des Traumas.

• Der Heilungsprozess beginnt häufig im Dachgeschoss. Hier bearbeitest du unmittelbare oberflächliche Symptome, bewusste und leichtzugängliche Erinnerungen sowie emotionale Reaktionen auf aktuelle Herausforderungen. Dies kann durch Selbstreflexion, Gespräche oder therapeutische Techniken erfolgen.
• Im Wohnzimmer arbeitest du an detaillierten Erinnerungen und emotionalen Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit oder der Kindheit, die noch im bewussten Gedächtnis präsent sind. Hier kannst du gezielt an spezifischen Problemen arbeiten, die dich emotional belasten.

• Schlafzimmer: Diese Phase des Heilungsprozesses erfordert, dass du dich mit verdrängten oder weniger offensichtlichen Erfahrungen intensiv auseinandersetzt. Diese Erinnerungen können tiefe emotionale Wunden enthalten, die nicht sofort sichtbar sind und oft mit der frühen Kindheit oder anderen entscheidenden Lebensereignissen verbunden sind.

• Im Keller findest du die Wurzeln des Traumas, die tief im Unterbewusstsein verankert sind. Der Heilungsprozess ist hier besonders herausfordernd und erfordert tiefgehende therapeutische Methoden, um diese tiefen, oft versteckten emotionalen Blockaden zu identifizieren und zu bearbeiten.
• Die Arbeit am Fundament ist entscheidend, um die gesamte Struktur deines emotionalen Hauses zu stabilisieren. Die Heilung in diesem Bereich umfasst die Klärung und Integration von Erfahrungen, die die Basis für viele deiner emotionalen Muster und Reaktionen bilden.

Anwendung und Integration

1. Bewusstwerdung: Der Heilungsprozess beginnt mit der Bewusstwerdung und dem Erkennen der Symptome und Erinnerungen, die an der Oberfläche sichtbar sind. Dies kann durch Selbstreflexion, Therapie oder andere unterstützende Methoden geschehen.

2. Verarbeitung und Integration: Im weiteren Verlauf wird die emotionale Verarbeitung durch das Bearbeiten und Integrieren der Erfahrungen in den verschiedenen Etagen des Inneren Hauses fortgesetzt. Dies kann durch therapeutische Arbeit, kreativen Ausdruck oder unterstützende Gespräche geschehen.

3. Heilung der Ursprünge: Die tieferliegende Heilung erfolgt durch die Auseinandersetzung mit den Ursprüngen des Traumas im Fundament des Hauses. Hier geht es darum, alte Wunden aus der Kindheit oder aus den Ahnenreihen zu heilen und die gesamte Struktur des Inneren Hauses zu stabilisieren.

Zeichen einer erfolgreichen Heilung

Ein erfolgreicher Heilungsprozess zeigt sich darin, dass du in emotional belastenden Situationen weniger bis gar nicht mehr getriggert wirst und dadurch eine tiefere innere Ruhe bewahren kannst. Das bedeutet, dass die intensiven emotionalen Reaktionen, die früher durch bestimmte Auslöser hervorgerufen wurden, abnehmen oder vollständig verschwinden. Langfristig führt dies zu mehr Gelassenheit und innerem Frieden, da du besser mit emotionalen Herausforderungen umgehen kannst.

Fazit

Die vertikale Traumaheilung ist ein umfassender und tiefgreifender Prozess, der sich durch alle Etagen deines Inneren Hauses zieht. Durch diese tiefgehende innere Arbeit kannst du nicht nur gegenwärtige Symptome und oberflächliche Probleme adressieren, sondern auch deren grundlegenden Ursachen erkennen und tief verwurzelte emotionale Wunden heilen.  

Der Heilungsprozess folgt seinem eigenen Rhythmus und erfordert Geduld und kontinuierliche Selbstreflexion, um alle Schichten des Traumas vollständig zu transformieren und zu integrieren und eine nachhaltige innere Balance zu erreichen.

Weitere Informationen und eine erklärende Zeichnung findest du im Video „Der vertikale Heilungsprozess bei Trauma„.