von Beate Wolfsteller

Meine Erinnerungen sind noch sehr präsent, ein ganz normaler Freitagabend vor ungefähr dreizehn Jahren. Eine Schwäche nahm ich in mir wahr, das Gefühl einer Energielosigkeit vor dem bevorstehenden Wochenende.
Die Woche forderte das übliche Pensum von mir: ein Bürojob, die Begleitung meiner Kinder und Pflege der Partnerschaft. Andreas, mein Lebensgefährte, sorgte mit Enthusiasmus für Baufortschritte an unserem Fachwerkhaus.
Der Freitagabend sollte eine radikale Veränderung in unsere Liebe bringen. Sie wurde hart auf die Probe gestellt. Ein Kinobesuch stand auf unserem Programm, wir hatten ein klassisches deutsches Kulturwochendende geplant.

Meine Seele schrie eigentlich nach Ruhe, bekam aber keine Resonanz von mir. Schnell kleidete ich mich in ein schickes Kinooutfit, setzte eilig die Kontaktlinsen ein. Die Stimmung war angespannt, meine Energie und Konzentration waren erschöpft. Im Kinocafe in der Nähe unseres Heimatortes nutzten wir den Service, neben dem Augenschmaus auch etwas Bier zu bestellen.

Andreas, mein Lebensgefährte, genoss wohl den Abend, doch meine Aufmerksamkeit ließ immer mehr nach. Der Film bot mir Laute und Bilder, ohne dass ich den Zusammenhang verstehen konnte.

Nach dem Kinobesuch steuerte ich unseren roten Polo. Dabei spürte ich unangenehme Spannungen innen und außen. Mein Mund war wie gelähmt, so dass keine Rechtfertigung oder Erklärung meine Seele verließ. Eine gerade Landstraße offenbarte sich vor mir, in einem leichten Nebel verhüllt. Plötzlich standen wir: ein Crash vor einen Baum! Ich hatte keine Nahtoderfahrung, aber einen sehr starken Wunsch zu überleben, den mein Verstand der Seele übermittelte.

Am nächsten Tag spürte ich Lähmungen in den Armen und Beinen. Mein Bewusstsein war wie in Trance, nur ausgerichtet auf die Gebrechen des Körpers. Ich wurde operiert. Meine Halswirbelsäule war lädiert und musste mit einem Titannagel repariert werden. Gott hatte mich erhört, mein Leben war in guten Händen und ich verbrachte viele Stunden im Krankenhaus.

Die Nachricht von Andreas Tod schockierte mich sehr. Er war noch am Unfallort verstorben.

Das waren Momente, die ich heute Erkenntnis nenne, zu Seins-Fragen, dem Sinn des Lebens, den ich zu erkennen begann. Ein Traum, Familienglück zu leben, verlor seine Realität. Ich erkannte, dass die materielle Welt nur Facetten sind, denen es nicht lohnt, nachzujagen. Vielleicht gab mir Gott ja noch die Chance, Marcus, meinen Sohn, aufzuziehen.

Es sollte keine Seelensymbiose mehr in mein Leben treten, das schwor ich mir.

Ich suchte nach einem Anfang mit neuen Aufgaben. Ich wollte dem Geist mehr Beachtung geben als der Materie. Ein Gefühl der tiefen Schuld plagte mich jahrelang, das ich lange mit vielen neuen Verpflichtungen deckelte. Meine Trauer spürte und lebte ich kaum, als wenn mir das nicht zustehen würde.

Viele Jahre später wurde mir Yoga anvertraut, ein Übungssystem, das die Seele in Einklang bringen kann. Der Deckel sprang auf und aus meiner Seele stiegen Erinnerung und Trauer auf. Es folgte erst nach sieben Jahren professionelle Trauerarbeit mit geistigen Bildern, Abschied und äußeren Bekenntnissen. Meine Träume vermittelten mir in dieser Zeit ein inneres Ringen und die in Schuld eingebettete Liebe schmerzte sehr. Ein Menschenleben hatte durch mich die Chance zu Wachstum und Vollkommenheit verloren.

Der Glaube zu Gott, der mich nach diesem Ereignis hält und führt, bekam für mich einen neuen Wert. Ein Körper verließ die Erde wie das Kleid am Abend die Haut. Regelmäßig werden wir mit dem Tod konfrontiert, der nicht das Gegenteil von Leben ist, denn das Leben geht weiter, sondern zur Geburt gehört. Allein die Erinnerungen schmerzen. Die heiligen Schriften geben mir Kraft, den göttlichen Kern zu erfahren, der zur Seele gehört. Er bleibt unzerstört als Selbst, wie die Seele von Andreas auch. Die Erkenntnis, den Tod als etwas Lebendiges zu begreifen, unterstützt das Annehmen.

Inzwischen begleite ich Yogateilnehmende, die mit diesen existenziellen Themen vertraut sind. Brustkrebs oder andere schwere Gebrechen holen den einen oder die andere von uns ein. Krankheiten und Abschied bieten uns Chancen für einen Neuanfang. Wir sind eingeladen, unserer Seele zu lauschen und Achtsamkeit zu schenken.


Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de