Was es heißt, wesentlich in Beziehung zu sein

Gerade waren wir in Italien im Urlaub. An der Strandbar, wo wir jeden Morgen unseren Cappuccino tranken, saßen jede Menge Paare, die es uns gleich taten. Ich war erstaunt. Die sonst so gestenreichen und kommunikativen Italiener machen dasselbe, wie deutsche Paare: sie schweigen miteinander. Die Männer schauten dabei noch in ihr Smartphone, die Frauen blickten ins Leere. Langjährige Partnerschaften erkennt man auch in Restaurant daran, dass sich die Ehepartner scheinbar wortlos verstehen, geredet wird nicht viel, geschwiegen umso mehr.

„Nur das sich immer wieder neu aufeinander beziehen, hält eine Beziehung lebendig.“ (M.L. Moeller)

In unserer Paarberatung berufen wir uns immer wieder auf die Bücher des Paartherapeuten Michael Lukas Möller, der in den siebziger Jahren einen großen Beitrag für die Arbeit in Selbsthilfegruppen geleistet hat. Paare, die wieder mitein­ander in Kontakt kommen wollen, beginnen im regelmäßigen Zwiegespräch, wesentlich miteinander zu reden, sich aufein­ander zu konzentrieren und sich wieder aufeinander zu beziehen.

Zu Beginn mutet das seltsam an. Wir reden doch miteinander, sagen die Paare dann, wir müssen ja reden, sonst würde unser Alltag nicht funktionieren. Genau da liegt die Krux: häufig reden wir über die Sache, organisieren uns, sprechen über die Kinder, wenn sie noch im Haus sind, selten teilen wir uns mit, wie es uns wirklich geht. Wie oft bin ich erstaunt, wie wenig Ehepartner wirklich voneinander wissen.

„Das kann ich meinem Mann nicht sagen, meine Frau würde das nie verstehen, meine Partnerin hat einfach kein Ohr für mich, mein Partner redet eben nicht gerne…“, diese Sätze höre ich häufig. Dabei ist es ganz erstaunlich, was man voneinander erfährt, wenn man beginnt, sich zu einem regelmäßigen Gespräch zu verabreden, in dem jeder 45 Minuten Zeit hat, von sich zu erzählen oder eben auch von sich zu schweigen. Wesentlich beim Zwiegespräch ist die verbindliche Zeit und der gemeinsame Raum, den man dabei für die Beziehung schafft.

Jeder Partner spricht von sich

Dieser Termin sollte so relevant und wichtig wie ein Termin auf der Arbeit oder eine Geburtstagseinladung von den besten Freunden sein. Am ehesten gelingt ein regelmäßiges Zwie­gespräch, wenn einer der beiden Partner die Verant­wortung für die Planung und die Durchführung übernimmt, denn schon daran scheitert es oft. Im Laufe der Zeit kann man sich dann auch mit der Organisation abwechseln.

Nun sitzt man sich gegenüber und soll etwas zu sich sagen, denn das ist ein wesentlicher Teil dieser Übung, dass man nur von sich erzählt. Bald wird man merken, dass die Geschichten über die eigene Schokoladenseite schnell erzählt sind und dem Partner langweilig werden, er sieht die ja schon lange nicht mehr, denn meistens beginnen Paare in der Beratung mit solchen Gesprächen, wenn sie in einer handfesten Krise stecken. Auf dem Grund der Beziehung hat sich ein „Sediment“ aus Enttäuschungen, runtergeschlucktem Ärger, unerfüllten Erwartungen und Bedürfnissen abgelagert, dass uns immer weiter voneinander entfernt hat.

Wo wir uns finden

Wenn wir wirklich in die Tiefe kommen, dann werden wir all das entdecken, was uns miteinander zum Schweigen gebracht hat. Da stecken viel Wut, Tränen und Zorn, die, wenn wir sie nicht miteinander aufdecken, einfach häufig dazu führen, dass wir uns trennen.

Oftmals haben wir, wenn heftige Emotionen auf den Tisch kommen, den Impuls, das Gespräch zu verlassen, dem Partner seine Wahrnehmung auszureden, die Gefühle weg zu reden, weil wir uns schuldig daran fühlen. Im Laufe der Zeit werden wir allerdings merken, wieviel Kraft es uns im Alltag kostet, alle negativen Gefühle und Gedanken der scheinbaren Harmonie willen, aus unserer Beziehung heraus zu halten. Echte Harmonie entsteht, wenn alles seinen Platz haben darf, dazu gehört auch der Zorn.

Wer einmal die reinigende Kraft geteilter echter Nähe in einem Zwiegespräch erlebt hat, wenn der Partner nicht geht, sondern sich alles anhört, was ich von mir erzähle, der wird verstehen, wieviel näher man sich fühlen kann, wenn man sein ganzes Selbst mit allem, was so in einem steckt, mit seinem Partner teilt. In diesen Gesprächen fangen wir an, uns wirklich kennen zu lernen und nicht nur das Bild, das wir voneinander haben. Manchmal geht auch eine große Enttäuschung damit einher, weil wir merken, dass unser Partner wirklich so ganz anders ist, als wir ihn uns immer vorgestellt haben. Auf jeden Fall aber führen uns die Zwiegespräche auf den Weg, uns selbst zu erkennen und uns unserem Partner gegenüber ehrlich zu zeigen. Sich wechselseitig einfühlbar zu machen, ist das erste Ziel der wesentlichen Gespräche. Nur so kann einer den anderen wirklich miterleben. Zwiegespräche bringen uns wieder einander näher und helfen uns, einen wesentlichen Dialog zu führen. Wenn wir diesen in einem festen Rahmen regelmäßig üben, dann werden wir uns immer mehr annähern und im Restaurant wieder miteinander reden können.

„Einer hat immer Unrecht: Aber zu zweit beginnt die Wahrheit.“ (Nietzsche)

Das Zwiegespräch – eine Anleitung

Damit Zwiegespräche funktionieren, brauchen sie einen festen Rahmen. Hier einige Grundregeln für ihr Gelingen.

Zwiegespräche brauchen wenigstens einmal in der Woche eineinhalb Stunden ungestörte Zeit. Regelmäßigkeit ist das Geheimnis ihres Erfolges. So geht der rote Faden des gemeinsamen Unterbewussten nicht verloren. Die Erfahrung zeigt, dass bei einem Abstand von 14 Tagen die innere Verbindung zueinander abreißt. Zu einer guten seelischen Entwicklung gehört eine gewisse Intensität der Ausein­ander­setzung.

Außerdem ist das fest vereinbarte Zwiegespräch ein symbo­lischer Ankerplatz für die Beziehung. Häufig ist es im Alltag entlastend zu wissen, dass ich über dieses oder jenes Problem z.B. am Mittwoch, 19:00 Uhr, ungestört und in Ruhe mit meinem Partner reden kann.

  1. Jeder spricht über das, was ihn bewegt, wie er sich, den Anderen, die Beziehung und sein Leben erlebt. Dabei spricht er in „Ich“-Sätzen und nicht über den anderen.
  2. Jeder Partner hat 45 Minuten Zeit von sich zu sprechen. Das mag zu Beginn lang erscheinen, mit der Zeit merkt man allerdings, dass eine Menge an Themen hoch­kommen und man an Tiefe miteinander gewinnt. Diese Zeit sollte aber auch nicht überschritten werden, weil die Konzentration dann nachlässt.
  3. Der Zuhörers sollte auf jeden Fall bohrende Fragen, Ratschläge und Drängen vermeiden. Ausgeschlossen ist auch, dem Partner die eigene Meinung aufzuzwängen und seine Wahrnehmung der Situation ausreden zu wollen, d.h. seine Wahrheit in Frage zu stellen.
  4. Zwiegespräche haben keinen Offenbarungszwang. Jeder entscheidet für sich, was und wie viel er sagen will. Beide lernen durch Erfahrung, dass „größtmögliche Offenheit am weitesten führt.“

Friedensarbeit in der kleinsten Einheit

Sich füreinander regelmäßig Zeit zu nehmen, ist ein großes Geschenk in einer Partnerschaft. Meine Erfahrung mit Paaren, die sich auf diesen gemeinsamen Weg einlassen ist sehr eindrücklich. Ich bin immer wieder erstaunt und berührt, wie nachhaltig sich die Gesprächskultur in einer Partnerschaft verändern kann.

Die Bücher von Michael Lukas Moeller, allen voran „Die Wahrheit beginnt zu zweit“, waren ein wertvoller Anstoß und eine rettende Maßnahme, meine Beziehung in neue Bahnen zu lenken. In unserer Beziehung ist es mein Mann, der immer wieder nach neuen Wegen der Begegnung sucht und hartnäckig alles daransetzt, dass wir zueinander finden. So unabdingbar ist es, für das gemeinsame Gelingen Verantwortung zu übernehmen.

Im Zwiegespräch mit meinem Mann habe ich gelernt, in neuer Form zu reden und mich zuzuwenden. Was ich im geschützten Raum des Gesprächs ausprobiert und erfahren habe, konnte ich mit der Zeit auf den Alltag übertragen.

Es ist so wesentlich, in einen Dialog zu kommen und aus den ermüdenden Diskussionen auszusteigen. Es geht in Beziehungen nicht darum, recht zu haben und es besser zu wissen. Es geht darum, sich nahe zu kommen und die Wahrheit des anderen zu erfahren und meiner eigenen näher zu kommen.

Wenn ich Dich sehe, wie Du bist und die Welt mit Deinen Augen siehst, dann verlasse ich die Kategorien von Richtig und Falsch. Die Polaritäten verlieren ihre Bedeutung und wir treten in einen gemeinsamen Raum, in dem Frieden und Liebe ihren Platz einnehmen können. Zwiegespräche sind für mich Friedensarbeit in der kleinsten Einheit: wo zwei Menschen sich in ihrer Menschlichkeit begegnen.

 

25. Januar 2019 
Bekennen Sie Farbe. Erlebnisabend zur Persönlichkeitstypologie
mit Dipl. Psych. Heiko Kroy
18.30 Uhr, Begegnungszentrum St. Michael, Straußstraße 10a, 17034 Neubrandenburg

Über den Autor

Avatar of Judith Kroy

Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie in Freiburg i. Brsg., Familylab-Seminarleiterin seit 2007, seit 2008 Familien- und Paarberatung, Workshops zum Leben in Gemeinschaft seit 2014 bei mannaz Dasein erleben e.V., Mitglied im Stiftungsrat der Treuhandstiftung „Anstiftung zur Liebe“ seit 2018

Bild: © Ronald Mundzeck

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mannaz – Dasein erleben e.V. 
17349 Leppin
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