Segen für die Entwicklung oder nur Entwicklung zu Wochenenddörfern?
Sie sind die Zugezogenen: Fremde, die neu in eine Dorfgemeinschaft kommen. Neubürger müssen sich im Dorf Akzeptanz und Zugehörigkeit im Umgang mit den Alteingesessenen meist erst erarbeiten. Da wird das Anderssein auf beiden Seiten mitunter stark spürbar. Manche der neu Zugezogenen haben ein recht gutes Gespür, wie man sich in das neue Umfeld einfügt, andere schotten sich eher ab und leben ihr Stadtleben eigentlich weiter. Immer jedoch entstehen spannende Situationen, wenn Menschen neu in eine Dorfgemeinschaft kommen und immer sind Einzelne die Vorboten einer allgemeinen neuen Tendenz.

Es sind vor allem Berliner und andere Großstädter, die stadtmüde wurden und sich eine neue Bleibe suchten. Manche streben nach Ruhe, andere nach ausreichend Platz für ihre Kinder und viele wollen einfach der Natur näher sein. Für die Dörfer, in welche die Neuen kommen, ist es am Anfang keine leichte Sache, diese anderen Vorstellungen vom Leben zu akzeptieren. Groß sind oft die Unterschiede, welche das Leben prägten. Doch gerade dieser Gegensatz kann auch den Reiz einer Begegnung ausmachen, wenn man sich offen aufeinander zubewegt. War es vor einigen Jahren noch sehr schwierig für die Neuen, so sind für die Alteingesessenen seit einiger Zeit auch die Vorteile sichtbarer geworden: verfallende die sich leerenden Landschaften gehen, dort mit hohem Einsatz und auf eigene Rechnung etwas auf die Beine stellen. Von den Einheimischen am Anfang belächelt, gibt ihnen der Erfolg nach schwierigen  Anfangsjahren oft recht. Sie bauen an einer neuen Infrastruktur mit, die nicht losgelöst ist vom Leben vor Ort, die es aber schafft, Menschen aus Ballungsräumen in die ländliche Region zu holen. Ob diese dann Urlaub machen oder Kultur und Essen genießen, Bioprodukte anbauen, Reiterhöfe führen, Lehmbaufirmen gründen, Seminare anbieten oder leerstehende Gutshäuser revitalisieren – die Möglichkeiten sind so vielfältig wie die Menschen selbst.

Auch ohne Förderung der Landesregierung sind die Zugezogenen rege tätig, schaffen Neues und sind dabei, sich ihren Raum zu erschaffen. Nicht jedes neue Vorhaben gelingt, aber entscheidend ist der Versuch, etwas zu unternehmen! Beispielhaft dafür ist der Bereich der Biobauern. Viele mussten sich jahrelang plagen, sind auf weit entfernte Märkte gefahren und konnten trotzdem meist nur die notwendigsten Kosten decken. Aber der hohe Grad an Idealismus und die herbe Schönheit des komplexen biologischen Anbaus haben sie dies durchhalten lassen. Die Entwicklung schritt voran, „Bio“ ist heute gerade im städtischen Sektor gefragt, und so haben die Biobauern heutzutage weniger Absatzschwierigkeiten. Und schön wäre es, mehr dieser Höfe zu haben, denn hier sind im Gegensatz zum konventionellen Anbau noch genügend Menschen beschäftigt.

Natürlich gibt es auch in einigen Gebieten die doch eher unschöne Entwicklung zu Schlafdörfern, in denen nur am Abend oder an den Wochenenden Leben herrscht. Befragt man aber die Pendler und Wochenendbewohner, so erfährt man von den meisten, dass sie viel lieber immer bleiben würden, wenn es denn bezahlte Arbeit gäbe. Und so verstärkt eine Politik – die sich auf die Förderung von Zentren konzentriert – eben auch den Niedergang des ländlichen Raumes und nimmt ihn billigend in Kauf.

Der Nordosten ist in den nächsten Jahren dabei, sich radikal zu verändern. Aber das heißt nicht, dass das Gespenst der verödenden Landschaft zutrifft. Im Gegenteil wollen gerade viele der Stadtflüchter die nervende und stressige Urbanität der Stadt hinter sich lassen. Wenn sie bereit sind, auf hohe Gehälter und kulturellen Dauerinput zu verzichten, dann gibt es hier auf dem Land genug zu tun.

In einer Welt der Überbevölkerung kann man Deutschland auch als Vorreiter einer sich hoffentlich global einstellenden Entwicklung betrachten. Es gibt viele Ansätze, die zeigen, dass es nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch anders geht. Das Dorf Wallmow zum Beispiel in der nördlichen Uckermark gelegen. Hier hat sich seit einigen Jahren erstaunliches getan: eine Dorfschule nebst Kindergarten wurde gegründet, mehrere Firmen gibt es im Ort, die Kinderzahl ist zunehmend, im Ort gibt es viele Initiativen und Festivitäten und Wohnraum ist hier schwer zu bekommen. Ausgelöst durch die Aktivitäten eines Biobauern hat sich durch den Zuzug vieler Großstädter ein reges dörfliches Zentrum entwickelt. Alles langsam und in geruhsamem ländlichen Tempo und nicht ohne Spannungen mit den einheimischen Menschen. Doch es braucht eben seine Zeit, bis die Neuen akzeptiert werden und nach Jahren des vorsichtigen Beäugens gewöhnt man sich aneinander und lernt sich zu schätzen oder zumindest sich zu akzeptieren. Mittlerweile interessieren sich sogar Sozialwissenschaftler für diese dem allgemeinen Trend widersprechende
Entwicklung.

Viele andere Beispiele in der Region zeigen, dass eine andere Entwicklung möglich ist. Gemeinden, die neue Wege gehen und sich neuen Ideen öffnen, können davon profitieren und müssen nicht zwangsweise zu Geisterdörfern verkommen. Der Tourismus ist z.B. neben den regenerativen Energien die einzige nachhaltige Wachstumsbranche im Nordosten. Im Gegensatz zur Ostseeküste bleibt die Wertschöpfung dabei auch in der Region, weil die Anbieter überwiegend kleinere örtliche Anbieter sind. Dass dabei immer wieder auch originelle Ideen gefragt sind, ist klar und wichtig, um Touristen aus den Ballungszentren immer wieder neu in unsere Region zu
holen.

Viele Zugezogene sind an einer neuen Qualität des Lebens interessiert, entdecken neue Interessen und Tätigkeiten, werden herausgefordert auf eine Weise, die in urbanen Zentren nicht denkbar sind. Die Herausforderung eines alten Hauses, die Entdeckung intensiver Verbundenheit mit der Erde beim Gartenanbau oder die Stille der Wälder und der Platz der Landschaft – es gibt vieles, das sich nur in der Provinz entfalten und zum Erblühen kommen kann. Dass dies aus städtischer Sicht mit ihren gewaltigen Energien oft sehr klein und unbedeutend wirkt, mindert nicht die Bedeutung für jeden Einzelnen.

Es bleibt zu wünschen, dass sich die Neuen und die Alten in Zukunft noch besser als bisher als gemeinsam Tätige für eine Region verstehen und so aus einem oft noch parallelen Nebeneinander Leben ein Miteinander wird.
Das Land bietet Freiräume für viele Menschen und ihre Ideen und so können wir noch gespannt sein auf viele Dinge, die vielleicht jetzt noch unmöglich scheinen und doch schon bald entstehen werden…