Frieden in der Achterbahn des Lebens 31. Januar 2011 Viele Menschen in Potsdam und Berlin kannten Rüdiger Stanke, der am 2. November 2010 zu Hause starb. Seine Krebserkrankung hatte er einmal als seinen „harten Lehrer“ bezeichnet. Es war ihm gelungen, seine Krankheit ganz anzunehmen und schließlich in einen tiefen Frieden zu finden, der alle Menschen um ihn herum berührte. Hier veröffentlichen wir einen Text, den er drei Wochen vor seinem Tod schrieb. Möge er anderen Menschen helfen, die selbst als Kranke oder Angehörige von einem ähnlichen Schicksal betroffen sind. Einige meiner Erfahrungen aus den letzten Monaten Mein Motto im letzten Jahr war: „Es darf leicht gehen!“. Damit bin ich ganz gut gefahren auf der großen emotionalen Achterbahn meines jetzigen Lebens. Wo es mir gelingt, mich auch in schwierigen Situationen oder in Grenzerfahrungen hinein zu entspannen, entstehen Vertrauen und Liebe in mir. Nach meiner großen Bauch-OP im Sommer 2008 war das nächste große Ereignis die Bestrahlung eines Tumors im Wirbelkanal meiner Halswirbelsäule über acht Wochen im Februar-März 2009. Im Frühjahr ging es mit mir dann auch körperlich sehr schnell immer besser, weil ich mich – neben anderen Heilbehandlungen – nach langem inneren Ringen für eine einigermaßen verträgliche Chemotherapie mit Doxorubicin entschieden hatte. Vorher saß ich einige Wochen im Rollstuhl, hatte Atemnot, bekam Sauerstoff und war auf der Palliativstation in der Virchow-Klinik der Charité. Die Möglichkeit zu sterben wurde sehr real für mich. Nach einem intensiven Gespräch mit einem Pfleger der Station entschied ich mich, doch auszuprobieren, ob eine Chemo bei mir anschlägt und ob vor allem der riesige Tumor in meiner Bauchhöhle davon kleiner wird. Von der Chemo bekam ich dann noch sieben Zyklen im Bergmann-Klinikum in Potsdam, ungefähr alle vier bis sechs Wochen. Ich glaube, dass wir alle Selbstheilungskräfte in uns tragen, die letztlich aus der alles transformierenden Göttlichen Liebe oder aus der Quelle allen Lebens gespeist werden. Unser Körper, so glaube ich auch, kann grundsätzlich alle Symptome, die er erzeugt hat, auch wieder zurückbilden, wenn er dafür die richtige und ausreichende Unterstützung bekommt. Heilung kommt von innen. Ich möchte offen werden und bleiben für Wunder, in Demut und in Verbindung mit dem Göttlichen, egal was in mir oder mit mir noch passiert. Das gelingt mir natürlich nicht immer. Wir können es nicht machen, aber wir können uns dafür öffnen. Das wird leichter, wenn wir aus unserem Wollen aussteigen können und immer tiefer loslassen lernen. Demut zu lernen, war für mich ein sehr langer Weg, weil ich eigentlich ein sehr stol-zer Mensch bin. Ich kann immer noch gekränkt reagieren, wenn man mich nicht respektiert. Vor zehn Jahren habe ich endlich begriffen, dass ich Demut sehr lange mit Ohnmacht gleichgesetzt hatte und habe entdeckt, welche Freiheit aus der Demut wachsen kann: Es reicht völlig aus, wenn ich den nächsten Schritt kenne, weil alle meine Vorstellungen von der Zukunft doch sehr eingeschränkt sind durch durch die eigenen Lebenserfahrungen und durch die Sorgen, die sich der Verstand so gerne macht. Wo viel Angst ist, fühlt es sich eng an und die Angst lässt der Liebe keinen Raum. Wenn ich im Sorgenmodus bin, lerne ich im Moment gut für mich zu sorgen. Wenn es irgendwie geht unmittelbar alle ach so wichtigen Tätigkeiten fallen zu lassen, -und oft geht es – und sofort etwas zu tun, was mich entspannt und beglückt – und sei es in die Badewanne zu gehen oder irgendwas anderes zu genießen. Oder wenigstens das, was ich tun muss, in Ruhe und achtsam zu tun, ohne Widerstände oder inneren Groll. Zurück zu meiner Situation im Frühsommer 2009: Ich hatte wieder viele Ideen und einen großen Tatendrang. Den Rollstuhl und das Sauerstoffgerät wurde ich bald los und ich fühlte mich Tag für Tag besser, sehr erleichtert, fast wie befreit, glücklich und ein wenig euphorisch. Der Bauch wurde zyklisch etwas kleiner, dann fing das Wachstum wieder an, bevor die nächste Chemo zu wirken begann. Im September ging es mir so gut, dass ich unbedingt wieder angefangen wollte, bei MANNE e.V. (www.mannepotsdam.de) zu arbeiten, was ich auch gegen einige Irritationen und die Skepsis bei meinen Kollegen in die Tat umsetzte. Aber natürlich nicht mehr als Geschäftsführer, sondern mit deutlich weniger Verantwortung. Ich fühlte mich getragen von einer großen Welle aus Zuversicht und neuen Kräften. Das löste in meinem näheren Umfeld eine Menge Emotionen aus, Freude und Erleichterung, aber auch bei manch einem Verwirrung oder sogar Widerstände. Überhaupt musste ich lernen, dass ich als „Krebskranker“ eine Menge Emotionen und Irritationen bei „gesunden“ Menschen auslöse, die mir begegnen, auch bei vielen Freunden und langjährigen Bekannten. Sie werden plötzlich mit unbequem Fragen und Einsichten konfrontiert wie z.B.: Auch mein Leben könnte ja schneller zu Ende gehen, als ich glaube und mir wünsche. Was wäre denn, wenn mir das passieren würde? Lebe ich eigentlich so, wie ich leben möchte? Meinen Freundeskreis hat das, was durch meine bloße Anwesenheit passiert, in den letzten zwei Jahren sehr verändert. Und ich musste lernen, es nicht persönlich zu nehmen, wenn Leute plötzlich weg bleiben oder den Kontakt mit mir (vielleicht auch unbewusst) vermeiden, obwohl ich unsere innere Verbindung weiter spüren kann. Im November 2009 kam mein persönlicher Absturz. Seitdem lebte ich eine lange Zeit zurückgezogen, ging in meine Höhle, wollte viel alleine sein. Jetzt bin immer noch viel zu Hause, mit meiner Liebsten Lydia, die mich wunderbar unterstützt, oder bin einfach gerne für mich in Stille. Manchmal will ich mich auch einfach ablenken. Mein Rückzug im November wurde ausgelöst durch eine tiefe Krise, als die Ärzte neben den diversen Sarkomen in meinem Körper (die relativ klein sind und oft so bleiben, sehr langsam wachsen oder sich teilweise zurück bilden) auch noch einen Tumor zwischen den Hirnhälften und der Schädeldecke feststellten. Das zog mir für Monate den Boden unter den Füßen weg, ich war mit der neuen Situation komplett überfordert und wurde depressiv. Dieses so vertraute Gefühl, gehalten und getragen zu sein, das mir seit seit Herbst 2008 so viel Kraft geschenkt hatte, brach weitgehend in sich zusammen. Ich konnte es über Monate fast gar nicht mehr spüren. Meine Überzeugung, dass es auch für mich einen Weg der Heilung geben würde und ich ihn Schritt für Schritt gehen könnte – mit der nötigen Unterstützung von Ärzten, Heilern und der alles transformierenden Göttlichen Liebe – war schwer erschüttert. Ich stand vor einem Scherbenhaufen, war entmutigt und verzweifelt. Nach langem inneren Ringen, ob ich meinem Gehirn eine Bestrahlung zumuten könnte, ohne dadurch größere Schäden an den Hirnzellen und Synapsen anzurichten, ging ich das Risiko ein und fuhr im Februar für vier Wochen täglich nach Berlin in die Virchow-Klinik. Die Bestrahlung schwächte mich zusätzlich. Die Chemos gingen ja auch noch weiter, sie wurden immer kräftezehrender und ihre positive Wirkung lies langsam nach. Die geschädigten Hirnzellen haben sich nach meinem Eindruck inzwischen großenteils wieder regeneriert. Einige Monate war ich allerdings in meiner Fähigkeit, klar zu denken und Entscheidungen zu treffen, deutlich eingeschränkt. So hatte ich es zumindest ganz subjektiv erlebt. Lydia war in der ganzen Zeit für mich da, auch wenn es mir manchmal schwer fiel, weil ich ihr sehr wenig zurück geben konnte. Oft war es auch sehr harmonisch zwi-schen uns und still. Ich bin sehr dankbar für Lydias Liebe, die nur mal kurz ver-schwunden scheint, wenn es zwischen uns knirscht, aber unser Fundament ist offenbar sehr tragfähig. Im Moment bin ich glücklich und dankbar für so viele Augenblicke, Begegnungen und Erlebnisse, die ich genießen kann – das Licht in einem Baum, Liebe und Freundschaft, die mich tragen und zu denen ich auch wieder etwas beitragen kann. Seit zwei Wochen habe ich wieder Lust, aktiv auf Anderen zuzugehen und nicht nur darauf zu warten, dass jemand zu mir will. In der Virchow-Klinik, wo ich seit ein par Tagen wieder auf der Palliativstation bin, entspanne ich ich mich mehr und mehr, die Schmerzen sind deutlich zurückgegangen. Und ich wünsche mir, dass ich mit den Untersuchungen und Diagnosen gut umgehen kann, wenn die Ärzte damit fertig sind. Es gibt einen Teil in mir, mein innerer Kern, der ist ganz gesund, kraftvoll und unverletzbar – und ein anderer Teil, mein Körper, ist sehr krank und schwach, wohl sterbenskrank. Meine Tage sind gezählt – dieser Satz ist vor einigen Wochen ganz deutlich in mir aufgestiegen. Seine Wahrheit hat sich in mir auf eine Weise entfaltet, die ich kaum beschreiben kann. Ganz viel ist seitdem in mir in Bewegung. Nachdem ich wirklich ja dazu sagen konnte, setzte in mir eine Entspannung ein, die sich immer mehr ausbreiten will. Ich lerne, mehr und mehr loszulassen. Und ich spüre immer deutlicher, dass ich viel mehr bin als mein Körper. Aktuell scheint alles danach auszusehen, dass in der Halswirbelsäule und unter dem rechten Schulterblatt wieder etwas gewachsen ist, was da nicht hingehört und ein neuer (oder wiedergekommener) Tumor auf die Nervenenden drückt. Ich habe seit über einer Woche plötzlich Lähmungserscheinungen in der rechten Hand bekommen, die Fingerspitzen fühlen sich etwas taub an und ich kann kaum noch etwas festhalten. An manchen Tagen war ich richtig verzweifelt, bevor ich in die Klinik kam, wenn die Schmerzen plötzlich unerträglich stark wurden, vor allem in Nächten. Dann fühlte sich alles eng an, alles in mir zog sich zusammen, manchmal habe ich geschrien und geheult und war nur noch mit dem Schmerz beschäftigt, richtig darin versunken. An der linken Hand und am Arm habe ich ja schon seit dem Winter 2009 motorische Einschränkungen und eine deutliche Schwächung. Mal sehen, ob sich da schulmedizinisch noch etwas Gutes machen ließe, was von den Nebenwirkungen her für mich noch vertretbar wäre. Ich werde mich wohl in den nächsten Tagen entscheiden, wenn ich die genauen Untersuchungsergebnisse und die Therapieangebote der Ärzte kenne. Die Möglichkeit einer Querschnittslähmung schwebt also wieder über mir, wenn ich gar nichts tun würde – das fände ich ziemlich gruselig, mich auf so einem Weg aus diesem Leben auf der Erde zu verabschieden. Und immer öfter, auch wenn sich das vielleicht paradox anhört, kann ich in ei-nen Frieden eintauchen, der viel tiefer ist, als ich es mir vorstellen konnte oder der höher ist als alle Vernunft. Dann wird alles unendlich weit in mir und Belangloses verschwindet ganz einfach aus meinem Denken. Übrig bleiben Freude und Dankbarkeit für alles was ist – alles ist gut so wie es ist. Es gibt nichts zu tun – alles Wollen hört einfach auf. Diese Art von Frieden, von Stille, ist für mich die Verbindung zur Quelle. Früher waren das nur kurze und seltene außergewöhnliche Momente. Jetzt gelingt es mir immer öfter, in diese Weite einzutauchen und sie einfach zu genießen oder einfach wahrzunehmen und anzunehmen, was ist und was auch immer noch auf mich warten mag. (Foto: privat)