Wir sind in einer Kultur groß geworden, in der unsere Fähigkeit Gefühle wahrzunehmen, als Schwäche gesehen wird, die möglichst kaschiert werden sollte. Aus dieser Perspektive stören Gefühle und verhindern professionelles Handeln. Mit dem Buch Gewaltfreie Kommunikation in der Sozialen Arbeit stellt Sören Heise diese Überzeugung in Frage und ermutigt dazu, die Tatsache anzuerkennen, dass wir fühlende Wesen sind.

In dem Moment, wo es uns gelingt, unsere Gefühle wieder zu fühlen und als Teil unserer Wirklichkeit in unser Selbstbild zu integrieren, erwächst aus ihnen unsere wahre Stärke. Denn sie geben Orientierung, indem sie uns vermitteln, was uns guttut und was uns schadet. Gefühle sagen uns, was wir brauchen, um ein gutes Leben zu führen. Sie ermöglichen es auszudrücken, was uns in unserem Inneren bewegt und befähigen uns, mit anderen Menschen darüber im Austausch zu sein. Somit sind sie das verbindende Element im Miteinander. Sie sind Teil unseres menschlichen Potenzials, das es zu nutzen gilt.

Gefühle sind keine Behinderungen oder Schwächen, die unser Leben belasten. Das, was den Eindruck vermittelt, mit angezogener Handbremse zu leben, ist der Mechanismus, Gefühle zu vermeiden. Gefühle sind vielmehr der Turbo in ein kraftvolles, integres und lebendiges Leben.

Die Mechanismen, die wir entwickelt haben, um unseren Gefühlen auszuweichen, haben allerdings ebenfalls ihre Berechtigung. Dies gilt es anzuerkennen. Sie haben uns in emotional überfordernden Situationen geschützt und ermöglicht, sie zu bewältigen. Es ist wichtig, die eigene Unfähigkeit zu fühlen nicht zu verurteilen und sie nicht zu bekämpfen, sondern ihr liebevoll und in Demut zu begegnen. Auch sie will uns dienen.

Dieses Buch ist eine Ermutigung mit all dem, was wir an uns ablehnen, in eine freundschaftliche Beziehung zu kommen: unseren Gefühlen und unseren Schwächen, unseren Abwehrmechanismen und unseren Ängsten. Und es ist eine Einladung, uns zu erlauben, wieder ganz wir selbst zu sein und darauf zu vertrauen, dass dies genug ist, um das Leben zu genießen und seine Herausforderungen zu bewältigen.

Die GfK als Werkzeug für empathische Qualitäten

Schon während meines Studiums der Sozialarbeit begegneten mir immer wieder die Begriffe Empathie, Authentizität, Akzeptanz und Wertschätzung. In Vorlesungen und Seminaren wurde und wird betont, wie wichtig diese Qualitäten für jegliche soziale Arbeit sind. Trotz dieser Betonung wurden im Studium diese Qualitäten für mich nicht erfahrbar. Sie blieben theoretische Begriffe, welche sich mir erst durch das Kennenlernen der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) in ihrer ganzen Tiefe erschlossen.

In den Selbstdarstellungen vieler Einrichtungen werden diese Qualitäten benannt, und auch die ethischen Standards, auf welche sich die Soziale Arbeit und die pflegerischen Berufe als Richtlinien moralischen Handelns geeinigt haben, betonen ihre Bedeutung.

Die Gewaltfreie Kommunikation zeigt auf, wie diese Qualitäten und die entsprechende innere Haltung gelebt und in Beziehungen mit anderen zum Ausdruck gebracht werden können, damit sie nicht nur purer Idealismus bleiben, sondern im professionellen Alltag Früchte tragen.

In diesem Buch stelle ich die GfK als ein Werkzeug vor, um eine solche persönliche Haltung im beruflichen Handeln einnehmen und weiterentwickeln zu können. Sie bietet, im Sinne der Reflexion unserer Handlungen, eine umfassende Sicht sowohl auf unser persönliches Erleben, als auch ein mitfühlendes Hineinversetzen in das Erleben der anderen. Die GfK bietet einen Zugang zu gelebtem Mitgefühl, welches uns allen in die Wiege gelegt ist. Damit es zum Tragen kommt, gilt es, dieses wie einen Muskel zu trainieren.

Lebendigkeit und Selbstfürsorge in der professionellen Beziehung

Mitgefühl bringt Vertrauen, Lebensfreude, Intensität und Lebendigkeit in das persönliche Erleben und in die Beziehungen zu den Menschen, mit denen wir arbeiten. Gerade auch in konflikthaften Situationen hilft Mitgefühl uns, ihren Kern zu erkennen. So wird eine völlig neue Bewertung der Situation möglich und durch einen anderen Umgang mit dem Konflikt eine Grundlage für konstruktive Lösungen geschaffen. Das Trainieren der GfK zahlt sich im beruflichen Alltag durch mehr Klarheit, Verständnis und Leichtigkeit aus.

Dabei stehen vor allem das Wohl und die Selbstfürsorge der Professionellen im Mittelpunkt. Denn nur auf dieser Basis kann für das Wohl anderer Menschen eingestanden werden; die Liebe und Achtung für sich selbst ist die Voraussetzung allen ethischen Handelns für andere. Das eigene innere Erleben wahrzunehmen, sich selbst ernst zu nehmen und für die eigenen Bedürfnisse zu sorgen, ist ein zentraler Aspekt der Selbstreflexion im Sinne der GfK. So wird sie zu einem Kompass für unsere ethische Haltung uns selbst und anderen gegenüber, der in den Spannungsfeldern des beruflichen Alltags für Ausrichtung und Orientierung sorgt. Aus dieser Selbstfürsorge wächst die Integrität, ethischen Werten entsprechend zu handeln und Grenzen und Möglichkeiten dieser Handlungen realistisch einzuschätzen.

Die GfK hat eine gesellschaftspolitische Dimension. Sie unterstützt Menschen darin, mit ihrem eigenen Potenzial in Kontakt zu kommen und sich selbst sowie den eigenen Impulsen und Fähigkeiten zu vertrauen. Zudem zeigt sie Wege auf, wie wir für uns selbst eintreten können, statt gegen andere zu kämpfen. Sie stärkt unsere innere Ausgeglichenheit. Dies wird auch im direkten Umfeld erfahrbar und trägt auch dort zu mehr Frieden bei. Zudem setzt diese Haltung Kraft und Kreativität frei. Überall auf der Welt finden wir Beispiele für Projekte, welche diese menschlichen Aspekte ins Zentrum setzen und neue Wege des Miteinanders aufzeigen. Ihre Initiator*innen sind augenscheinlich von diesen Qualitäten beseelt.

Arbeitsethik und Erfolg

So hat sich beispielsweise Jos de Blok mit seinem Pflegeunternehmen Buurtzorg dem Stechuhrsystem entzogen und das Wohlbefinden der Angestellten sowie der von ihnen Gepflegten in den Mittelpunkt gestellt. Nicht Profit und Pflegemodule stehen hier im Zentrum, sondern die Bedürfnisse der zu Pflegenden und die der Mitarbeiter*innen – dazu gehört insbesondere die selbstbestimmte Arbeitsorganisation in kleinen Teams. Der Erfolg schlägt sich nicht nur im enormen Anstieg der Mitarbeiter*innen nieder (von neun auf ca. 9000 innerhalb von zehn Jahren), sondern vor allem in der Zufriedenheit der dort arbeitenden Menschen (Laloux 2015).

Da soziale Arbeit gegenwärtig im Rahmen einer kapitalistisch-neoliberalen Wirtschaftsordnung stattfindet, die alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens ihren Prinzipien von Marktlogik und Profitmaximierung unterwerfen will, erscheint es mir umso notwendiger, einen ethischen Anspruch einzufordern. Die kapitalistische Verwertungslogik steht der Einhaltung von Menschenrechten oft entgegen. Rüstungsexporte, Arbeitsbedingungen geringfügig Beschäftigter, Hartz IV-Sanktionen und Lobbyismus für Wirtschaftsinteressen seien als beispielhafte Stichworte genannt.

Unter dem Paradigma des Neoliberalismus stellt der Sozialsektor einen Belastungsfaktor der öffentlichen Ausgaben dar, wo Kosten gerechtfertigt und Gewinne erwirtschaftet werden müssen. Diesem Druck ausgesetzt, findet soziale Arbeit unter prekären Bedingungen statt: hohe Arbeitsbelastung, Zeitmangel und Stress, geringe Betreuungsschlüssel, begrenzte Projektmittel und schlechte Bezahlung sind die Konsequenzen, die alle Beteiligten zu spüren bekommen.

Die persönlichen Werte und die Berufsethik der Menschen in sozialen Berufen auf der einen Seite und der gesellschaftliche Rahmen und die konkreten Arbeitsbedingungen auf der anderen Seite stehen also in einem Spannungsverhältnis, in welchem die Einzelnen gefragt sind, sich zu positionieren (DBSH, 2014).

Die GfK hat mit ihren Qualitäten – wie Wertschätzung, Mitgefühl, Achtung vor der Souveränität des anderen, Übernahme der Verantwortung für die eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungen – Parallelen und Anknüpfungspunkte zur Berufsethik im Sozialen. Dadurch kann sie unter dem gegebenen Zeit- und Ökonomisierungsdruck des gesellschaftlichen Rahmens uns Professionellen helfen, das Menschliche im Blick zu behalten, den eigenen Werten treu zu bleiben, wirkungsvoll zu agieren und dabei auf die eigenen Bedürfnisse zu achten (Selbstfürsorge). Diesen Schatz für die Spannungsfelder sozialer Berufe zu heben, haben wir uns mit diesem Buch zur Aufgabe gemacht.

Wollen Menschen in sozialen Berufen ihren Werten und ethischen Grundsätzen treu bleiben, braucht es die Bereitschaft, sich politisch für die Menschen, due auf Angebote sozialer Arbeit angewiesen sind, zu positionieren. Innerhalb des gegebenen gesellschaftlichen Rahmens bedeutet dies, konkrete Menschenrechte zu vertreten (Staub-Bernasconi 2006).

Auch dabei unterstützt uns die innere Haltung, die den ethischen Prinzipien der sozialen Professionen ebenso wie der Gewaltfreien Kommunikation zugrunde liegt. Sie ist geprägt von einer Offenheit und Wertschätzung gegenüber der Persönlichkeit des Gegenübers und von einer Neugier auf das, was sich in diesem Moment in diesem Menschen ausdrückt, und einer Demut („Nicht-Wissen“) gegenüber der Lebenswirklichkeit dieses Menschen. Jenseits von Rollen, Zuschreibungen und Kategorisierungen stellt diese Haltung das unmittelbar Menschliche in den Fokus, betrachtet die gesamte Persönlichkeit und schließt das innere Erleben des Gegenübers mit ein. Im Hinblick auf Kommunikationsprozesse und Konflikte geht diese Haltung von der Entwicklungs- und Veränderungsbereitschaft von Menschen zugunsten eines konstruktiven Miteinanders aus. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich beim Gegenüber um Kolleg*innen, Verhandlungspartner*innen oder die angesprochenen Menschen handelt.

 

Gewaltfreie Kommunikation in der Sozialen Arbeit
Sören Bendler/ Sören Heise
Sprache: Deutsch
208 Seiten, Mit 7 Abbildungen, kartoniert
ISBN: 978-3-525-71150-7

Über den Autor

Avatar of Sören Heise und Sören Bendler

Sören Bendler, Dipl. Sozial-Pädagoge (FH), ist Trainer für Gewaltfreie Kommunikation mit langjähriger Erfahrung in der Kinder- und Jugendhilfe. Seit 2013 ist er freiberuflicher Kommunikationstrainer und Coach mit dem Schwerpunkt Gewaltfreie Kommunikation in sozialen Berufen.

Sören Heise, Dipl. Sozial-Pädagoge (FH), forscht seit vielen Jahren mit der Frage, wie Lebendigkeit und Lebensfreude im Alltag verankert werden und ihren Ausdruck finden können. Ihn interessieren gemeinschaftliche und kollegiale Felder, in denen Herausforderungen durch ein konstruktives Miteinander bewältigt werden. Dafür steht er als Hochschuldozent, Trainer für Gewaltfreie Kommunikation, Gemeinschaftsmitglied und Familienvater im Leben.



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