Die Autorin, Yogalehrerin und Fotografin Anne Artru dokumentiert hier ihr genussvolles Leben ohne Strom und Wasser in einem Bauwagen auf einem großen Grundstück inmitten ihrer Tiere.

Ich stehe zwischen neun und zehn Uhr auf. Als Erstes mache ich die Fensterläden auf. Ich empfinde es als einfache konkrete Symbolik des Lichtmachens, des Lebenhervorrufens: der Tag beginnt! Und zwar mit einer kurzen Toilette: da, wie woanders, bin ich die schnellste Frau der Welt! Und doch ist diese Toilette  ein superschöner Moment: ich sitze draußen auf dem Hocker, bei jedem Wetter, im Frühling und Sommer die Füße im Gras, das Zwitschern der Vögel oder das Trommeln des Regens hörend, im Herbst und Winter im grauen Nebel oder geradezu im  Schnee und spritze mir das frische Wasser vom Kanister ins Gesicht. Wie angenehm duftet die vegane Fliederseife, wie lebendig das Wasser!

Arbeit als aktive Meditation

Dann öffne ich die Tür des Autos für die Hunde, die im Stroh darin schlafen. (Überall wo ich parke, hinterlasse ich ein paar Strohhalme als ländliche Erinnerung.) Die Schweine schlafen noch und werden durch die Geräusche langsam wach. Wenn es sehr warm ist, schlafen sie beide draußen, aneinander geschmiegt, hinter der Hütte oder unter dem großen Baum. Wenn das Wetter frischer ist, sind sie in ihrer kleinen mit Stroh gefüllten Holzhütte. Wenn sie das Klirren der Töpfe hören, werden sie richtig wach und stürmen aus den Federn (statt Federn sind es natürlich Strohhalme). Sie bekommen dann ihr Frühstück in Form von einem Brei aus Haferflocken. Die Hunde haben längst ihr Futter auch bekommen, und nun bin ich dran: ich esse auch Haferflocken, aber Bio und mit Ahornsirup.

Der Frühstückskaffee oder -tee kommt natürlich gut an. Ich muss aber erwähnen, dass ich letzten Winter den am längsten zubereiteten Kaffee meines Lebens getrunken habe. Denn in dem nicht geheizten Wagen waren die kleinen Gasflaschen fast gefroren, also nicht einsatzbereit. Ich musste erstmal den Ofen anmachen, warten, dass die Temperatur sich ein wenig erhöht, dann die Gasflaschen schön reiben, damit sich das Gas wieder verflüssigt, dann die Flasche Wasser mit dem Messer öffnen und wie eine Banane schälen, dann das tiefgefrorene  Wasser mit dem Hammer in kleine Klumpen zerklopfen, und dann endlich die Stücke Wasser in den Topf reinlassen, um nach mehreren Reibaktionen einen relativ warmen Kaffee zu bekommen!

Bei solchen Hardcore-Frühstücken, wie schön war da die Freude meines Hündchens, seine Spiele mit dem Ball, seine Sorglosigkeit und sein Vertrauen! Nach dem zweiten Kaffee kommt das Check-up des Elektrozaunes: kein Grashalm darf die Kabel berühren. Nebenbei schneide ich Gras für die Schweine, die es richtig mögen (das weiß man in der Regel nicht, dass Schweine Grasfresser sind). Die Düfte der verschiedenen Gräser sind oft betörend. Ich betrachte das nicht als Arbeit, sondern als aktive Meditation, als taoistische Tätigkeit, wie das berühmte Holzhacken zum Beispiel… Die Schweine, die sich wieder hingelegt hatten, stehen erneut auf und betrachten interessiert meine Bemühungen und fressen höflich das für sie gerade geschnittene Gras.

Es fällt mir immer mehr auf, wie vielartig und üppig ein wild gelassener Grasteppich ist, und ich beneide  sie fast, wenn ich ihr zufriedenes Kauen betrachte. Oft folgt eine kleine Erdmassage,  die sie besonders schätzen. Sie liegen  da gemütlich, machen die Augen zu, grunzen leise und liebevoll vor sich hin und lassen es sich richtig gut ergehen. Ich mag ihren Duft (ein Mix aus Seife, Blättern und Pilzen), ihren warmen starken Körper, und ich mag meine Liebe und Freundschaft ihnen so zeigen. Wenn es besonders heiß ist, gieße ich Wasser in irgendeine frisch gebuddelte Grube und sie wälzen sich begeistert darin…

Das Schweinegehege ist ein kleines Prachtstück. So wahnsinnig groß ist es nicht: ungefähr 15 mal 30 m. Es ist ein elegantes Oktogon, dessen Zentrum ein Wäldchen aus Akazien ist, das auf einem kleinen Hügel liegt. Unter einer enorm breiten Weide steht das Holzhäuschen. Ein paar Pflaumenbaumhaine schmücken den Rest des Geheges, eine Art angenehmes Labyrinth anbietend. Ich denke, diese drei Elemente, Relief, Bäume und Holzhütte machen den gemütlichen Eindruck dieses Geheges aus und tragen dazu bei, dass die Schweine sich sichtbar wohl dort fühlen.

Dann telefoniere ich herum, und zwar über Autobatterie. Das Gerät stinkt zwar zum Himmel, aber das regelmäßige leise Geräusch ist eher beruhigend, und so führe ich gelassene Gespräche durch, selbst mit dem Bauamt, in dem wiegenden Ronron des Anschlussgeräts.

Anschließend lege ich mich auf die Matratze draußen hin, wie am Strand (an einem Meer aus Bäumen und Kräutern), und es wird gelesen und/ oder geschrieben. Darauf kommt der erste Spaziergang des Tages. Dieser Spaziergang ist nicht nur ein Bedürfnis der Hunde, ich betrachte es schon ein Leben lang wie eine (oder gar DIE) wichtige Hygienemaßnahme für Körper und Seele.

Rückkehr in das Urelement

Mit dem Spaziergang fängt wirklich das Paradies an. Ob im rotgoldfarbigen Wald im Herbst, im winterlichen Schnee mit Hunden, Schweinen und Raben, oder in dem fantastischem Grün der sommerlichen Feenreiche… Wenn es warm genug ist, gehe oder fahre ich (Rad natürlich) zum See mit den Hunden, um da nackt wie eine Nixe ins frische Wasser des einsamen Waldsees zu tauchen. Ein sinnliches, seelisches und ästhetisches Erlebnis! Mein weißer Arm in der dunklen grünen Transparenz, der Schatten der Fische auf dem klaren Sand, die Obhut der Weide, der Ruf des Kuckucks… Die Rückkehr in das Urelement verleiht mir eine wahnsinnige Energie, verbindet mich unwiderstehlich mit der Welt, der ewigen Welt, die die Industrialisierung und vielleicht sogar den atomaren Alptraum überleben wird…

Ich bewege mich immer so frei wie möglich, d. h. ich habe nie Handtuch, Badeanzug oder Picknick dabei: ich picknicke sowieso jeden Tag auf meinem Grundstück, in der wunderbaren Gesellschaft meiner geliebten Schweine. Und ich trockne mich durch Sprünge und Yoga. Yoga ist für mich die zweitwichtigste Hygienemaßnahme. Durch die physische und seelische Entgiftung, die ich erlebe, seitdem ich direkt in der Natur lebe, habe ich mehr körperliche und geistige Kraft. Infolge dessen habe ich drei verschiedene neue Sorten Yoga entwickelt, die ich alle drei unter den Dachbegriff „Elfenyoga“ fasse. 

Zurück auf dem Grundstück wird gegessen, vegan natürlich. Ich, wahrscheinlich die allerschrecklichste Hausfrau und Köchin der Welt, werde hier fast ordentlich (in so einem kleinen Raum wie einem Bauwagen ist es fast überlebenswichtig), und ich habe sogar zum Spaß ein imaginäres Veganrestaurant gegründet (siehe: “Mein imaginäres Veganrestaurant“, Gunnarson Fantasie Verlag).

Das Mittagessen erfolgt  oft erst gegen 14.00 oder 14.30 Uhr. Dann wird ein bisschen gearbeitet, gespült, gefegt, paar Nägel gehämmert, etwas repariert, ab Herbst Holz gehackt usw. Manchmal läutet auch die Stunde der Kunst, und ich fertige ein Bild, eine Collage oder Malerei.

Manchmal bekomme ich Besuch, meist alte Männer die ich im Wald getroffen habe (alte Ostdeutsche scheinen mir sehr fit geblieben zu sein, vielleicht weil sie die Beziehung mit der Natur nicht vergessen haben, allerdings eher aus praktischen als philosophischen Gründen). Da erfahre ich ein bisschen von meiner menschlichen Umgebung. Bisher hat sich keiner in meinen Bauwagen getraut, entweder bleiben sie beim Fahrrad stehen, oder bestenfalls setzen sie sich auf den Hocker an der Frühstücksstelle draußen.

Ab und zu fahre ich mit Rad oder Auto (je nachdem, ob Wasser zu holen ist oder nicht) zur kleinen Stadt in der Nähe, um einzukaufen, oder zu größeren Orten wie Beeskow oder Lübben, zu einem WLAN-Café. Ich kaufe so wenig wie möglich ein, einfach weil ich mein Geld für bessere Zwecke behalten will und festgestellt habe, dass die meisten Einkäufe unnötig, wenn nicht sogar schädlich sind. Meiner Meinung nach hat uns die Industrialisierung, neben viel geleisteter Hilfe, auch die meisten grundlegenden Bedürfnisse geraubt, die wir dummerweise an den falschen Stellen zu kompensieren versuchen (Kompensation als Basis des Konsums, siehe mein „Handbuch für Pleiten, die gern ökologisch leben wollen“ Gunnarson Fantasie Verlag).

Abends sind die Schweine am wachsten. Sie wühlen, suhlen, streiten, versöhnen sich, streiten wieder, und machen sich immer mehr bemerkbar: ein deutliches Zeichen! Sie bekommen prompt ihr zweites und letztes Mahl, wieder Haferflocken oder Reis oder Nudeln, wobei sie tagsüber auch immer wieder irgendwelche Reste (Kartoffelschalen, Grün von Radieschen oder Kohlrabi, altes Brot usw.) bekommen. Wenn die Hunde auch gefressen haben, bereite ich mein veganes Abendessen vor. Meist esse ich draußen, mit Blick auf meine glücklichen Schweine und in der engen Gesellschaft meiner Hunde.

Danach ist die Wasseraktion angesagt: ich rüste mich mit Rucksack und Korb aus und marschiere so zum netten Bauern in der Nähe, wo ich Kanister und Flaschen mit frischem Wasser füllen darf. Wir quatschen noch ein bisschen, manchmal ist Besuch da, und das sind oft die einzigen Momente des Tages, wo ich mit Menschen spreche und scherze.

Dann mache ich meinen  Abendspaziergang mit den Hunden. Duft des Kornfelds , Rufe der Wildgänse, plötzlicher Sprung eines Rehs, nebelige Stille… Oft bieten sich spontan Heilkräuter an, Holunderblüten, Schafgarbe u.a., die sofort für einen Gutenachttee verwendet werden.

Anschließend steigen die Hunde ins Auto, wo sie ihr Nachtlager haben, schön mit Stroh und Decken eingerichtet.   Die Schweine gehen auch ins Bett oder schlafen schon. Mit zufriedenem Herzen gehe ich zum großen Zirkuswagen, mache ein paar Kerzen an, lese noch ein bisschen. Spätestens um 22.30 Uhr ist Feierabend. Ich schlafe unter der Sternkonstellation der Großen Bärin ein. Im Winter ruft  zitternd eine einsame Eule, im Sommer der Kuckuck oder ein Kranich. Der Fuchs bellt in der Ferne und oft schleichen unsichtbare Gestalten am Rand des Grundstücks vom Kornfeld zum Wald oder umgekehrt. Ich schlafe weiter in meinem Hardcore Paradies…

Die Natur fließt durch mein Körper und meine Seele

Der permanente und enge Kontakt mit der Natur verändert mich. Ich fühle mich seelisch und körperlich stärker und gelenkiger als ich schon war (ich bin unter vielem anderen Tanzperformerin und Yogalehrerin). Ich trete sicherer und ruhiger auf (es hat bestimmt auch mit dem Alter zu tun!). Vor allem, ich genieße was ich damals in einem Buch über Indien gelesen hatte: die Ästhetik des Alltags, in den banalsten Objekten und Bewegungen. Ob ich in einer schönen bemalten Schüssel Reis oder Erbsen draußen im Schneidersitz esse, ob ich ruhig meine Avocado schäle, ob meine lange gebräunte Hand die Wasseroberfläche des Sees beim Kraulen schneidet, ob ich die Flaschen mit Wasser fülle. Alles ist rund, geölt, wird zu einfacher aber gekonnter Choreographie. Der Alltag macht einfach Spaß! Die Energie fließt, das Chi. Energie des Sauerstoffs, von den vielen Bäumen gespendet, Energie des Wassers, in dem ich fast jeden Tag tauche, Energie der Erde unter meinen nackten Füßen, Energie der Pflanzen, Kräuter, Pilze, Samen die ich esse, Energie der Geister, die mich begleiten, aus der Vergangenheit, Gegenwart und sogar Zukunft, Tiere, Bäume, Vorfahren: meine unbekannten Toten, meine ungeborenen Kinder, meine ungetroffenen Freunde… alle und alles fließt durch mein Körper und meine Seele.

Der direkte Kontakt zur Materie ist auch eine interessante Lehre für mich. Ich hatte  bisher  eher die Tendenz, mich mit intellektuellen, künstlerischen oder sportlichen Tätigkeiten zu konfrontieren, weniger mit den einfachen materiellen Dingen des Alltags. Ich lerne kennen, wie man einen Elektrozaun baut, wie man mit der Sense Gras schneidet, wie man die Hufe eines Schweins heilt, wie man einen widerborstigen Ofen bedient usw.

Die Freiheit. Kein intellektueller Begriff, sondern eine täglich erlebte Erfahrung: ich schlafe wann, wie und wie lange ich will. Damals in meiner  schlecht isolierten Wohnung in Berlin musste ich mich den Nachbarn anpassen, sie haben praktisch bestimmt, wann und wie lange ich schlafen durfte. Schluss damit, ich brauche keine Schlafgestörten, um mich zu bestimmen, ich tue es selbst! Ich esse auch, wann ich will, und nicht nach dem künstlichen Muster eines  Essenskults! Ich gestalte meine Zeit, wie ich es will und brauche, das verhasste Wort „Termin“ ist so gut wie weg aus meinem Vokabular.

Und ich lerne Frau Zeit kennen. Die Vielgesichtige! Ein Gesicht der Zeit ist die Vergänglichkeit. Die Angst davor ist weg, das Grauen auch. Ich sammle Knochen und Schädel im Wald: keine makabere Beschäftigung, sondern eine sanfte respektvolle Wiedergabe der Würde an die toten Tiere, die Akzeptanz ihres Todes. Auch meine Bilder, meine Kleider, vieles überlasse ich der Zeit und den kreativen destruktiven Kräften der Natur: dadurch entstehen neue Kunstwerke und Perspektiven. Tipps für Diejenigen, die es auch probieren wollen, gebe ich gerne.

Über den Autor

Avatar of Annemarie Artru

hat Literatur studiert, ist Yogalehrerin, Performerin, schreibt selbst verlegte Bücher, Ausstellungsmacherin (Collagen und Fotos), Umweltaktivistin.

recyclingartgalerie.wordpress.com

Mehr Infos

Das Projekt wird unter anderem durch meine künstlerische Tätigkeiten finanziert: ich bin Fotografin und Collagistin, und verkaufe Postkarten von meinen Schweinen, meinem Leben in der Freiheit, aber auch über anderen Themen. Ich biete auch Yoga Workshops und Kurse an, in Berlin, im Spreewald und in Frankreich. Ich habe eine Ausbildung in Hathayoga in Frankreich gemacht, und habe durch mein Leben in der Natur eine neue Form von Yoga entwickelt, die ich Elfenyoga nenne. Es ist erstmal das „druidic yoga“, oder Yoga des Baumes, und das Taoga, ein Mix aus Yoga, Taishi und Pilates. Beides finden in der Natur statt. Dazu biete ich schamanische Parcours mit Wasseryoga, Meditation und Buto.

Darüber hinaus habe ich  einen Selbstverlag gegründet, Gunnarson Fantasie, der neben dem Buch über meine Erfahrungen im Bauwagen mit den Schweinen andere Werke verlegt, wie die Berliner Haikus, Haikus aus der Ardeche, Elfische Haikus, die Ballade von Fulkushima und viel mehr…

 

 

 

 



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