von Dieter Schrank

Das Herz wird häufig als Organ der Liebe bezeichnet, des emotionalen Ausdrucks. Dass es unmittelbar auch mit Autonomie zu tun hat, wird eher weniger betrachtet. Der Autor nähert sich dem Thema zunächst aus der Perspektive des Autonomen Nervensystems und dann der Entwicklungspsychologie.

Herz und Stressverarbeitung

Die Funktion des Herzens steht in engem Zusammenhang mit dem Autonomen Nervensystem ANS. Dieses reguliert die Herztätigkeit und passt sie an äußere und innere Herausforderungen und Einflüsse an, zumeist sind die Vorgänge eher unbewusst und geschehen unwillkürlich. Seit der Polyvagal Theorie nach Porges ist bekannt, dass das Autonome Nervensystem nicht nur mit Kampf- und Flucht-Reaktionen zu tun hat, sondern auch mit Erstarrung. Diese wirken unmittelbar auf die Herztätigkeit ein, was ein natürlicher und angemessener Vorgang ist. Problematisch wird es nur, wenn diese Einflüsse auf das Herz dauerhaft bestehen bleiben oder wenn sie unbemerkt und eher unterschwellig das Herz und die inneren Organe beeinflussen, wenn von uns Menschen beispielsweise ständig Dinge abverlangt werden, die wir nicht erfüllen können oder, wie auch in dieser aktuellen Krise, die mediale Aufmerksamkeit eher Angst schürt als Mut macht und damit dazu führen kann, das früher angelegte, teils verfestigte Reaktionsmuster aktiviert werden: Reaktionsmuster, die an frühere gelernte Kontexte anknüpfen, in denen Autonomie nicht gefördert sondern eher behindert worden ist.

Herz und Biofeedback

Indem die Herztätigkeit gemessen und auf bestimmte Weise berechnet wird, können wir Rückschlüsse auf den Zustand des Autonomen Nervensystems gewinnen und wir können es sogar mittels Biofeedback trainieren, um somit die eigene Stressverarbeitung bewusst erlebbar und effektiv beeinflussbar zu machen. Aber auch ohne Anwendung dieser technischen Errungenschaften können wir unmittelbar Einfluss nehmen, indem wir unsere Atmung beobachten. Es besteht ein unmittelbarer physiologischer Zusammenhang zwischen der Regulation des Autonomen Nervensystems und damit der Herztätigkeit und der Bauchatmung. Sollten wir also entdecken, dass die Atmung eher oberflächlich verläuft, können wir uns fragen, wie es gelingen kann, mehr in den Bauch zu atmen und dabei bewusst wahrnehmen, wie sich unsere vorliegenden Stress-reaktionen verändern.

Das besondere Verdienst der Polyvagal Theorie liegt nun darin, dass aufgezeigt wird, wie emotionales und soziales Miteinander, Kommunikation und Umwelt unmittelbar mit dem Autonomen Nervensystem verknüpft ist, was sich u.a. in Gesichtsausdruck, Stimme und Hören ausdrückt.

Herz im Einklang von sozialem Miteinander und autonomer Persönlichkeitsentwicklung

Wenn wir uns also als Soziale Wesen sicher fühlen, ist unser Autonomes Nervensystem reguliert, wir haben einen freundlich wohlwollenden Gesichtsausdruck, eine angenehme Stimme und können Geräusche richtig einordnen, unser Organismus lässt uns den Raum für Kreativität und Liebe.

Kleiner Exkurs zur Bauchatmung:
 
Achten Sie generell darauf, keine zu engen Hosen und Gürtel zu tragen. Der Hauptatemmuskel ist das Zwerchfell, der den Brustkorb bauchwärts abschließt. Wenn er sich anspannt, strömt Luft in die Lungen und innere Organe werden nach unten geschoben, sodass die Bauchdecke sich hebt. Es müsste also eigentlich Zwerchfellatmung heißen. Sollten Sie bemerken, dass es ihnen im Sitzen oder Stehen nicht so leicht gelingt, in diese tiefe Atmung zu kommen, können Sie es im Liegen in Rückenlage, mit angestellten Beinen, üben. Beobachten Sie, wo überall sich im Zusammenhang mit der Atmung etwas im Bauchraum bewegt, Sie können das gut damit unterstützen, indem Sie anfangs eine Hand sanft auf den Bauch legen. Wenn Ihnen das immer besser gelingt, können Sie es auch im Stand üben, im Sitzen und beim Gehen.

Nun können Sie damit beginnen, die Bauchatmung bewusst in Momenten anzuwenden, wenn Sie spüren, dass eine Situation für Sie stressig erscheint. Beobachten, wie sich diese Stressreaktion langsam wieder reguliert und wie Sie anschließend klarer mit der Situation umgehen können. Sie sollten diese kleine Intervention der bewussten Atmung mindestens eine halbe Minute durchführen.

Manchmal kann es hilfreich sein, sich Unterstützung dabei zu holen, diese Zwerchfellatmung wieder zu erlernen.

Daraus folgt, dass wir uns so verwirklichen können, wie es für uns in jeder Hinsicht angemessen ist, wir können uns in unserem Leben liebevoll, selbstbestimmt und selbstverantwortlich entfalten, Autonomie und Herz schwingen stimmig, Autonomie ist gesund fürs Herz!

Aus der Sicht der Entwicklungspsychologie können die Konzepte von Laurence Heller, dem Begründer des Neuro-affektiven Beziehungs-modells NARM, eine interessante Ergänzung zum Thema Autonomie geben. Hier werden unterschiedliche Entwicklungsstufen aufgrund entsprechender bio-physischer Zuordnungen verstanden, im Bereich Autonomie geht es um das Alter zwischen drei und fünf Jahren, wenn wir als Kleinkind lernen, uns auf eigene Entdeckungen zu machen und andererseits immer noch die wohlwollend schützende Anerkennung der Bezugsperson(en) dringend braucht.

Wenn in dieser Altersstufe die Entdeckung der Welt an Bedingungen geknüpft, mit negativen Kommentaren versehen (das wirst Du nie lernen etc.) oder gar häufig vollkommen unterbunden wird, entstehen scham- oder stolzbasierte Überlebensstrategien. Um die lebensnotwendige Anerkennung der Bezugsperson zu erhalten, werden Abstriche gemacht an den eigenen Autonomiewillen, die Glaubenssätze werden als eigene Überzeugung über sich selbst verinnerlicht, so nach dem Motto, wenn ich es immer verkehrt mache, kann ja nur mit mir etwas nicht stimmen. Unterschwellig verbleiben dann typische Muster wie diese oft ein Leben lang: Als Erwachsene wird alle Arbeit auf sich genommen und immer sehr gut erledigt, aber unterschwellig gibt es eine geheime Gegenwehr, vergleichbar vielleicht mit Aussagen wie dieser, Du kannst zwar das so von mir bekommen, wie Du es möchtest, aber in meinem tiefsten Inneren will ich etwas anderes und deswegen wird es nicht so gelingen, wie Du es möchtest – Sand im Getriebe, manchmal im Kontext von Großraumbüros, Behörden, großen Firmen zu beobachten. Oder als Erwachsene gehen wir immer und sehr schnell und radikal in den Widerstand, rebellieren und auch hier fehlt die konstruktive Lösungsidee, es scheint nur noch darum zu gehen, dagegen zu sein und gar nicht zu wissen, wohin der eigene innere Autonomiewille gehen würde.

In beiden Ausprägungen wird also die Autonomie nicht verwirklicht, aber bei Anforderungen von außen, entweder verdeckt boykottierend oder sichtbar rebellisch ausagiert. Die gute Nachricht: es besteht immer die Möglichkeit, sich der Herausforderung zu stellen und, zumeist unter Inanspruchnahme therapeutischer Unterstützung, die eigene Autonomie kennen zu lernen und die bisherigen Überlebensmuster auf einer tiefen, neurobiologischen Ebene zu korrigieren.
Dabei kann es sicherlich hilfreich sein, dies mit den Strategien aus der Polyvagal Theory zu kombinieren.

Schließen möchte ich hier daher mit den Worten von Maya Storch: „Machen Sie doch, was Sie wollen.“

 

Buchempfehlungen:

  • Franke-Gricksch, Nicole, Heimann, Jens-Falk, (2015). Der Puls des Lebens -Die Signale des Herzens verstehen. Staufen: PACs Verlag. ISBN 9783944697024
  • Heller, L., Doerne, A. (2020). Befreiung von Scham und Schuld. München: Kösel.
  • Rosenberg, Stanley, (2017). Der Selbstheilungsnerv. Kirchzarten: VAK Verlag. ISBN: 978-3867312110
  • Storch, Maya, (2016). Machen Sie doch, was sie wollen. Bern: Hogrefe. ISBN: 978-3456856599

 

Über den Autor

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Somato – psychik – gut

Mit diesem Slogan möchte ich darauf hinweisen, dass in meinem Verständnis, insbesondere bei chronischen Verläufen, eine Trennung von psychischen und somatischen Symptomen und Behandlungsansätzen nicht zielführend sein kann. 

Meine Angebote für Sie daher: 

Im Mittelpunkt stehen Sie mit ihren Zielen und Wünschen. Dabei gehen wir lösungs- und ressourcenorientiert vor.

Interventionen aus den Bereichen Osteopathie, Manueller Therapie, Myofascialer Therapie können ebenso zur Geltung kommen, wie emotionsbezogene Angebote, modernes Stress- und Schmerzmanagement, Biofeedback, Traumatherapeutische Methoden integriert werden. In jedem Fall steht Ihr Prozess im Mittelpunkt des Geschehens und nicht die Technik.

Die Einbeziehung biopsychosozialer Gesichtspunkte bilden sich in den hypnosystemischen Aspekten ab, kann aber auch ganz konkret im Sinne teilhabeorientierter Praxis aufgenommen werden.

Ich versuche stehts, soweit möglich, meine Arbeit im Sinne von clinical reasoning und evidenzbasierter Praxis auszurichten.

 
 
Kontakt
Praxis für Therapie & Coaching
Hegelalle 46
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Tel.: 0173-8994365
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