Im Leben bekommst du nix geschenkt… oder doch? 24. Januar 2012 Wie wäre es, wenn wir in einen Laden gehen und uns nehmen, was wir möchten, ohne dafür bezahlen oder eine Gegenleistung erbringen zu müssen? ¬Utopie? Keineswegs. Sie und diverse Tauschringe bilden den ¬Anfang einer neuen Art des Umgangs mit Gebrauchsgegenständen und Dienstleistungen und damit auch einer neuen Art zwischenmenschlicher Begegnung. Klar, auch Umsonstländen beruhen nicht nur auf Nehmen – sonst wären die Läden ja schnell leer. Doch das Ziel ist die Entkoppelung von Nehmen und Geben – das eine schließt das andere nicht unbedingt bei jedem Besuch mit ein. Es geht eben um Freiwilligkeit, nichts zu erwarten, darum, das „ich gebe dir nur was, wenn ich dafür etwas bekomme“ hinter sich zu lassen, um Loslassen und letztlich um eine neue Form der Freiheit im Umgang miteinander. Das dahinter liegende Prinzip lässt sich natürlich auch auf Dienstleistungen übertragen, wobei dann in unserer auf Tausch fixierten Gesellschaft doch noch oft eine Gegenleistung erwartet wird: eine Stunde Rasenmähen gegen eine Stunde Klavierunterricht etwa, wie es in Tauschringen schon seit längerem praktiziert wird.Etwas wirklich ganz und gar umsonst zu bekommen, mag sich in unserer Gesellschaft noch ziemlich utopisch anhören, ist es aber nicht. Es gibt tatsächlich schon eine Art Wirtschaftsform, die sich Umsonstökonomie nennt. Der Name sagt es schon: Waren und Dienstleistungen können hier kostenlos erworben werden. Umsonstökonomie ist aber eben nicht die neueste Ausformung von „Geiz ist geil“, sie ist im Gegenteil eine praktische Form der Konsumkritik, eine Gegenbewegung zum Kapitalismus. Eine Kritik am Geld, ganz wirksam ausgeübt, weil ganz einfach keines verwendet wird. Zusätzlich ist sie auch noch ressourcenschonend, da Gegenstände und Kleidung, die noch völlig in Ordnung sind, weitergereicht werden. Umsonstökonomie fördert die Nachhaltigkeit, ist umweltschonend und vermeidet Abfall. Sie ist aber vor allem auch menschlich und sozial, fördert den Zusammenhalt in der Gesellschaft und entlastet den Einzelnen. Mit etwas Ironie könnte man sagen: In einer entwürdigenden Arbeitswelt, in der man immer mehr von seiner Lebenszeit gegen immer weniger Lohn tauschen muss, um damit immer billigere Waren erwerben zu können, läuft es eigentlich sowieso schon auf eine Umsonstökonomie hinaus. Nur liegt hier der feine Unterschied: Der Umsonstökonomie geht es nicht um ein „immer billiger“, sondern sie versteht sich als Ausweg aus den Zwängen der Konsumgesellschaft. Sie will der künstlichen Verknappung von Waren, der zwanghaften Steigerung des Bruttosozialproduktes und der Profitmaximierung entgegenwirken, die für den Kapitalismus typisch sind. Freie Güter bzw. Waren zugänglich für alle, lautet das Ziel. Die Bedürfnisse aller Menschen sollen erfüllt werden, auch wenn diese das Geld nicht aufbringen können. Wo die Politik versagt, können die Menschen immer noch selbst für eine gerechtere Verteilung sorgen. Die Geschichte der UmsonstökonomieDie Umsonstökonomie oder auch Gratisökonomie hat ihren Ursprung in den Protestbewegungen der 60er Jahre in den USA. „Free Stores“, „Free Food“ und „Free Medical Center“ waren die Schlagwörter der Bewegung. Sie ist weltweit verbreitet. Die konsumkritische Bewegung hat auch in Europa Fuß gefasst, und allein in Deutschland gibt es mehr als 50 Umsonstläden, von denen der erste im März 1999 in Hamburg-Altona gegründet wurde. Natürlich bietet sich auch das Internet geradezu an, um Dinge zu verschenken oder zu tauschen. Hier findet man jede Menge Plattformen, auf denen Sachen und auch Dienstleistungen zum Verschenken oder zum Tauschen angeboten werden. Einige der Internetplattformen sind freecycle, viswapi, webtauschen oder auch die Kategorie Tauschen und Verschenken bei Ebay-Kleinanzeigen. Tauschbörsen finden meist noch größeren Anklang, weil sich viele nicht vorstellen können, etwas einfach kostenlos zu bekommen oder abzugeben. Dabei wird das Tauschen und Schenken von der Umsonstökonomie eben bewusst nicht als direkter „Austausch“ verstanden – dieses System soll weder auf einem Gegenleistungsprinzip beruhen, noch darauf, dass sich jemand als Wohltäter hervortut und mit seiner Spende das eigene Ego streichelt. Teilen statt tauschenWas neben den Umsonstläden noch alles unter Umsonstökonomie verstanden wird, fasst die Webseite von mediawiki mit einer sehr umfangreichen Auswahl an Links zusammen. So gehören beispielsweise auch OpenSourceSoftware dazu oder Couchsurfing, eine Plattform, auf der man Reisenden einen kostenlosen Schlafplatz anbieten kann. Problematisch ist nur, dass die Umsonstökonomie, so wie sie jetzt existiert, keine echte Lösung sein kann, denn sie funktioniert eben nur aufgrund des Warenüberflusses in unserer Gesellschaft. Immanente Systemfehler wie die Postulierung ständigen Wachstums behebt auch diese Parallelökonomie nicht, und man müsste einiges am Wirtschaftssystem an sich ändern, damit solche Notlösungen überflüssig werden. Trotzdem weist die Umsonstökonomie vielleicht in die richtige Richtung: Was, wenn es bei der Wirtschaft überhaupt nicht ums Tauschen, sondern ums Teilen geht, ums Miteinander? So wie es uns im Übrigen auch die Natur und unser eigener Körper vormachen. Umsonstökonomie und AlternativenUmsonstökonomie ist eigentlich nur der Anfang. Worauf diese Wirtschaftsform hinauslaufen soll, ist allerdings noch nicht klar bzw. wird derzeit kontrovers diskutiert. Klar ist dagegen: Der Kapitalismus hat ausgedient, weil der andauernde Raubbau an der Natur und die Verarmung von immer mehr Menschen so nicht weitergehen kann. Eine Welt der gerechten Verteilung, ohne sinnlosen Überfluss und statt dessen mit gegenseitiger Unterstützung – das ist letztendlich ein Ziel der Umsonstökonomie.Wem die Umsonstökonomie noch zu utopisch vorkommt, der kann sich auch bei den stärker verbreiteten Tauschringen umschauen. Diese funktionieren ebenfalls ohne gesetzliche Zahlungsmittel. Es gibt in Deutschland zirka 300 Tauschringe. Was auf Dörfern schon seit Jahrhunderten gang und gäbe ist, erhält durch die Tauschringe auch im Stadtleben wieder Einzug. Getauscht werden hauptsächlich Dienstleistungen, zum Teil aber auch Waren – ganz nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere. Was getauscht wird, hängt auch von der Größe der Region ab, in der getauscht wird. Im Internet gibt es zum Beispiel zahlreiche Plattformen, die fast nur Waren wie CDs, DVDs und Bücher anbieten gegen eine geringe Gebühr, die bei jedem Tauschgeschäft anfällt. Die Tausch-Webseiten wie beispielsweise hiflip.de, tauschticket.de oder balu.de sind im Gegensatz zu Tauschkreisen nicht regional gebunden, da die Waren problemlos verschickt werden können. Bei Tauschringen hingegen will man speziell auf den Dienstleistungsaustausch hinaus, und dieser funktioniert eher in der Nachbarschaft bzw. in kleineren Städten oder Stadtteilen. ________________________________________Umsonstläden in der Region • 14467 Potsdam, Charlottenstr. 28 geöffnet: Mittwoch 15-18.00 Uhr, Donnerstag 10-12.00 Uhr und 15-18.oo UhrKontakt: umsonstladen-potsdam[at]gmx.de • 17489 Greifswald, Wolgaster Straße 85geöffnet: Montag 16-19 Uhr, Donnerstag 10-13 Uhr, Freitag 16-19 UhrKontakt: Tel.: 015156159039, umsonstladen_greifswald(at)yahoo.de • neu: 39264 Deetz (bei Zerbst), Coyote e.V. Fabrikweg 16, Kontakt: Tel. 039246/299801, coyote.deetz@gmx.de, www.coyote-deetz.de ________________________________________Webseiten zum Thema www.kubiz-wallenberg.de/wordpress/umsonstladen/www.tauschringe.dewww.de.freecycle.org/www.viswapi.de/www.webtauschen.de/www.balu.de/content/home/infoTour/index.phpwww.hitflip.de/www.tauschticket.de/www.tauschen-ohne-geld.de/tauschringewww.autoorganisation.org/mediawiki/index.php/Anders_Leben/Anders_wirtschaften/Umsonst%C3%B6konomie________________________________________ Abb: © psdesign1 – Fotolia.com Autoren Info Tanja Luther machte ein Praktikum in der SEIN-Redaktion und interessiert sich hauptsächlich für Malerei, Poesie, Literatur und Philosophie.