Pferde sind nicht höflich, sondern ehrlich: Sie spiegeln uns, wer wir sind – mit all unseren Stärken und Schwächen. Lassen wir uns auf ihre Hinweise ein, haben wir die Chance, uns in ­einen Raum größerer Kraft und besseren Selbstbewusstseins zu ­entwickeln.

Achtsamkeit entsteht durch das Hinwenden zu etwas. Indem wir uns auf etwas konzentrieren und  einlassen, auf einen Vorgang wie zum Beispiel das Einpflanzen einer Blume. Auch das Schälen von Kartoffeln kann mit Achtsamkeit erledigt werden, und natürlich sollten wir lernen, achtsam mit uns selbst und den Menschen umzugehen, die uns umgeben. Achtsamkeit im Kontakt öffnet Türen. Sie bedarf einer gewissen Selbstwahrnehmung und Offenheit für den anderen. Dadurch entsteht die Möglichkeit, sich gemeinsam zu entwickeln und Neues zu lernen – über sich selbst und den anderen.

Achtsamkeit im Kontakt ist wie eine Schwingtür, die in beide Richtungen beweglich ist. Verstehe ich, was mir mein Gegenüber sagen will? Fühle ich, was mein Gegenüber mir sagen will? Wie geht es mir damit und was passiert bei mir in diesem Moment? Hat mein Gegenüber mich verstanden? Kann ich mich klar ausdrücken? Kann ich das vermitteln, was mir am Herzen liegt, oder fällt es mir schwer? Ist es ungewohnt oder habe ich vielleicht gar kein klares Empfinden dafür, was ich will und wie ich auf andere zugehen kann?

Achtsamkeit ist eine Qualität bzw. Eigenschaft, die Offenheit, Einsicht, Mitgefühl und Erkenntnis in beide Richtungen zulässt, also für mein Gegenüber und mich. Fast wie beim Atmen, wo Luft ein- und ausströmt: Ich lasse mich auf etwas ein und erfahre gleichzeitig etwas darüber. Ich lasse mich von der Schönheit der Natur berühren und entspanne mich. Ich höre meinem Partner zu und verstehe, was er sagen will. Achtsamkeit bedeutet das Rauschen und Grübeln im Kopf abzustellen, um wirklich zuzuhören. Das können wir auch in der Meditation erleben, wenn wir uns auf unsere  Atmung konzentrieren, dem Rauschen des Windes in den Bäumen lauschen oder bei der Arbeit mit den Pferden.

 

Das eigene Verhalten unterm ­Vergrößerungsglas 

Tiere – hier speziell Pferde – sind erfahrungsgemäß immer achtsam. Sie sind aufmerksam im Kontakt, wachsam und neugierig. Aufgrund ihres Herdenverhaltens haben sie eine andere Wahrnehmung. Man könnte auch sagen, sie nehmen uns immer mit dem ganzen Körper wahr. Pferde sind Fluchttiere. Ihr wichtigster Schutz ist die Herde, das heißt, wenn ein Pferd eine Gefahr sieht, läuft ein Stressimpuls in Bruchteilen von Sekunden durch die ganze Herde und es entsteht der Eindruck wie bei Vogelschwärmen, alle Pferde würden wie von Zauberhand gleichzeitig losrennen. Dank dieser feinen Wahrnehmung ­eignen sie sich hervorragend zum Coaching und besonders zur achtsamen Betrachtung unserer ganz persönlichen Gewohnheiten und unserer Kommunikationsschwierigkeiten in Beziehungen. 

Pferde zeigen uns „in Reinkultur“ wie unter einem Vergrößerungsglas, was wir im Kontakt mit Menschen manchmal gar nicht so klar und deutlich wahrnehmen können. Pferde können nicht wie Menschen höflich über etwas hinweggehen oder es unter den Teppich kehren. Sie bleiben im Kontakt immer authentisch, und wenn kein Kontakt entsteht, machen sie ihr eigenes Ding!

Dank dieser urteilsfreien und gradlinigen Spiegelung können wir mit ihnen sehr viel über unser Verhalten lernen. Sind wir offen, ehrlich und authentisch im Kontakt? Oder höflich und zurückhaltend? Können wir ehrlich und konsequent für unsere Ziele und Wünsche einstehen? Können wir bitten oder bei Gelegenheit auch konsequent durch­setzen, zum Beispiel bei unserem pubertierenden Kind oder einem unverschämten  Mitarbeiter? Pferde vertrauen sich einer „Führungskraft“ an, die vertrauenswürdig erscheint, die gesundes Selbstbewusstsein ausstrahlt und die weiß, was sie will. Vielen von uns gelingt es in manchen Situationen gut und in manchen eher schlecht, eine Situation entsprechend den eigenen Wünschen zu gestalten. An diesen Situationen können wir mit Hilfe der Pferde arbeiten und im wahrsten Sinne des Wortes sehen, was dahinter steckt. Die Pferde führen es uns direkt vor Augen.

 

Durch klare Spiegelung in die eigene Kraft kommen

Pferde sind große, schöne, warmherzige, weiche und neugierige Tiere. Auf sanfte und freundliche Weise treten sie mit uns in Kontakt. Durch ihre Präsenz lösen sie in uns verschiedenste Gefühle aus. Dadurch haben wir die Möglichkeit, uns selbst sehr klar und deutlich zu spüren. Wo liegen unsere Schwierigkeiten? Welche Ängste oder Hemmungen tauchen auf? Vielleicht entsteht auch Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, danach, getragen und gehalten zu werden.

Dadurch, dass die Pferde so konsequent und ehrlich mit uns sind, können wir lernen, ebenso konsequent und ehrlich zu sein. Einerseits ist Coaching mit Pferden eine Arbeit, die große Achtsamkeit benötigt und dadurch sehr klare Selbstreflexion erzeugt, gleichzeitig gibt sie uns die Gelegenheit, voll in unsere Kraft zu kommen und uns mit unserer eigenen Natur, Kraft und Schönheit zu verbinden. 

Um dieses Phänomen zu verdeutlichen, schildere ich hier eine sehr eindrucksvolle Sequenz aus meiner Praxis „Beziehungsschule mit Pferden“:

Ein Klient von mir, der schon länger eine berufliche Veränderung anstrebte, kam zum Coaching. Seine beruflichen Schwierigkeiten lagen darin, dass er schlecht „Nein“ sagen konnte, weshalb sich sein Schreibtisch oft mit den Projekten seiner Kollegen füllte. 

Er kam zu einem ersten Termin und hatte kein klares Anliegen, außer die Arbeit mit den Pferden kennen zu lernen. Er wählte ein großes Pferd, das eine gewisse Ruhe und Sicherheit ausstrahlte. Die Aufgabe bestand darin, das Pferd erst einmal in Bewegung zu bringen. 

Als Hilfsmittel gibt es dafür einen langen Strick oder eine Peitsche. Beide werden nur zum Wedeln oder zum Geräuschemachen verwendet. Das Pferd hatte die Zeit während meiner Erklärungen genutzt, um sich eine gemütliche Ecke zum Grasen zu suchen.

Zunächst versuchte der Klient, das Pferd mit dem Strick in Bewegung zu bringen. Keine Reaktion. Dann nahm er die Peitsche und stellte sich zirka zehn Meter entfernt auf und schwang die Peitsche, wobei sich das lange Ende langsam aber sicher bei jeder Umdrehung um den Stiel wickelte, so dass er nachher nichts mehr zum Wedeln hatte. Er hatte sich sozusagen selbst „unschädlich“ gemacht.

 

Verstecken zwecklos

So wie ihm bei der Arbeit ein gesundes Maß an Aggression fehlte, um sich abzugrenzen, konnte er auch hier zunächst keine gesunde vorwärtsgerichtete Kraft (vom lat. aggredere, woraus sich das heute gebräuchliche Wort Aggression entwickelt hat) entwickeln. Das Pferd fraß in der Zwischenzeit entspannt weiter und machte keinerlei Anstalten sich zu bewegen. Selbst als der Klient nur noch rund vier Meter entfernt stand, gab es keine Reaktion. Die Peitsche war ja auch bald vollständig aufgewickelt und wirkungslos. Das Pferd hatte das wohl von Anfang an „gewusst“. Es hatte ihn „gelesen“, während wir noch am Zaun standen und sprachen.

Im Gespräch über die gegenwärtige Situation stellte sich heraus, dass er am stärksten ein Gefühl von großer Ohnmacht empfunden hatte, das er aus seiner Kindheit kannte. Er war in einer Situation aufgewachsen, in der sein Vater oft betrunken und gewalttätig nach Hause gekommen war. Er hatte bei diesen Gewaltattacken öfter Angst um sein Leben und das seiner Mutter und Schwester gehabt. Da der Vater unbeherrschbar erschien und mein Klient Aggression als bedrohlich  und  vernichtend erlebt hatte, hatte er sich von dieser Seite innerlich komplett abgewandt. So stand ihm jetzt kein gesundes Maß an Aggression zur Verfügung – was er als Erwachsener in seinem Leben aber dringend brauchte.

Um überhaupt mit seinen gesunden, aggressiven und kraftvollen Seiten in Kontakt zu kommen, ließen wir das Pferd erst einmal weitergrasen. Der Klient ging in eine andere Ecke des Reitplatzes, in der er ungestört Kontakt zu seinem Körper aufnehmen konnte, indem er ein paar Übungen machte und bewusst atmete. Danach übte er, mit der Peitsche umzugehen und schlug große Achten auf den Boden. Langsam wurde er lockerer und konnte die Kraft und die Bewegung mehr und mehr genießen. Dann bewegte er sich auf das Pferd zu. Die Peitsche wirkte jetzt wie eine Armverlängerung, mit der er seine Absicht über seine Körpersprache noch deutlicher machen konnte. Jetzt, wo er mehr „im Fluss“ war mit seiner Kraft, schaute das Pferd erheblich aufmerksamer und setzte sich in Bewegung – obwohl er noch fast zehn Meter entfernt war. 

 

Wer ist hier der Boss?

Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir durch die Arbeit mit den Pferden neben dem Erkennen des Problems auch gleich die notwendige neue Erfahrung machen können. Der Klient konnte jetzt die positive Seite der Kraft spüren und genießen. Sie war ja jetzt nicht vernichtend aggressiv wie bei seinem Vater, sondern drückte sich in ihm als Kraft und Präsenz aus. Er schlug ja nicht mit der Peitsche auf das Pferd ein, sondern erzeugte hauptsächlich damit Geräusche, um das Pferd in Bewegung zu bringen. Er konnte das Pferd jetzt dank seiner neu gewonnenen Ausstrahlung mit seiner achtsamen und bewussten Körpersprache von Weitem steuern. Er ließ das Pferd sogar ein paar Mal die Richtung wechseln. 

Dann blieb er stehen, senkte die Peitsche und ließ das Pferd zu sich kommen. Er hatte kraftvoll gewirkt, lebendig und selbstsicher – nicht beängstigend oder einschüchternd. Das Pferd kam jetzt zu ihm, weil es ihn vertrauenserweckend empfand, und konnte sich ihm anschließen.

Bei Pferden ist es immer wichtig, dass das Leittier klar ist und weiß, was es will. Das gehört zu den wichtigsten Überlebensinstinkten der Herde. Ein Pferd würde sich niemals einem unsicheren, unklaren oder hilflosen Chef/Leittier anvertrauen. Das wäre in der Prärie schlichtweg dumm. Pferde schließen sich auch nicht aus Mitleid an.

Im Coaching mit Pferden zeigt sich immer wieder: Wenn derjenige, der die Führung beansprucht, die Rolle nicht ausfüllen kann, übernimmt das Pferd die Führung. Das sieht man immer daran, wenn Mensch und Pferd ganz woanders landen als geplant, ohne dass es einen Konflikt gab, oder daran, dass das Pferd „Wichtigeres zu tun hat“ – meistens fressen.

Wenn der Mensch klar und authentisch ­erscheint, schließt das Pferd sich gerne an.

Achtsam in den Spiegel der Pferde schauen – das ist es, was uns viel über uns selbst lernen lässt. Dann können wir mit der gleichen Lebendigkeit, Kraft und Anmut unser Leben gestalten, wie es uns die Pferde vormachen.


Autoren Info


 

Anette Dröge

arbeitet mit körperorientierter Psychotherapie, klassischer Homöopathie und individuellem Coaching. Sie begleitet vermehrt Menschen mit Burnout-Problematik und psychosomatischen Erkrankungen infolge von Stress bei der Arbeit und in ihren persönlichen Beziehungen. Ergänzend dazu bietet sie Coaching mit Pferden an, was ihr und ihren Klienten jedes Mal eine neue und weitreichende Perspektive eröffnet.

 

Schnupperkurs „Beziehungschule mit Pferden“

Zeit: Sa, 11.10.2014 von 11-15 Uhr

 

Veranstaltung 

„Offene Höfe“ in der Region Nuthe-Nieplitztal am 2.11.2014, von 11-15 Uhr stündlich Demonstrationen der Coachingarbeit mit den ­Pferden und der Möglichkeit zur Selbsterfahrung

 

Vortrag am 7.11.2014: „Die Weisheit des Körpers“ – Psychosomatik: Wie Symptome als Brücke zur Gesundheit genutzt werden können.

Ort: Praxis Xantener Straße 6

 

Info und Kontakt 

Tel.: 030-883 82 88 oder 0172-300 45 11 oder

info@anette-droege.de, www.anette-droege.de


 


 

Eine Antwort

  1. Julia Wolters
    Schnupperkurs

    Hallo Frau Droege , bieten Sie auch in diesem Jahr einen Scxhnupperkurs an ???

    oder geben Sie auch Einzelstunden …wenn ja können Sie mir mal einen Preis nennen

    Sonnige Grüße
    julia Wolters
    www.schlossblankensee.de

    Antworten

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