von Svenja Reithner

Pferde leben im Hier und Jetzt. Artgerecht untergebracht, sind sie ursprüngliche Wesen der Natur und lassen uns gerne daran teilhaben. Indem sie uns einen ehrlichen Spiegel vorhalten, holen sie uns im Zusammensein in die Gegenwart, in der wir von ihnen lernen und anstehende Entscheidungen treffen können.

Eltern und Partner kennen die Momente, wenn ihre Töchter und Partnerinnen von den Pferden nach Hause kommen. Waren sie vor dem Besuch bei den Vierbeinern von Stress und Hektik eingenommen, kehren sie meist in Anmut und Wohlbefinden zurück. Was ist passiert? Die Zeit mit den Pferden, die bedingungslos ihr Zutrauen schenken, hat zur Harmonisierung ihres Gemütszustandes beigetragen. Sie haben dem Alltag den Rücken gekehrt und einen Schritt auf sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse zu gemacht.

Was brauchen wir, um in Balance zu sein?

Auf den ersten Blick scheinen die Bedürfnisse von Mensch und Pferd für Außenstehende alles andere als ähnlich. Werden doch Pferde weiterhin in Boxen mit wenig oder ohne Kontakt zu Artgenossen, mit zu wenig Bewegungsmöglichkeit und nicht ausreichender bzw. schlichtweg falscher Futterversorgung gehalten. Hier sehen wir deutliche Parallelen zum modernen Menschen. Viele Mitmenschen bewegen sich in Richtung ungesunder Ernährung und verbringen deutlich zu viel Zeit im Sitzen. Andere tendieren dazu, sich wenig für tragfähige soziale Kontakte zu engagieren und vereinsamen mitunter. Dabei scheint es so einfach und wenig aufwändig zu sein, ein zufriedenes und ausgeglichenes Leben zu führen und dabei seine Grundbedürfnisse zu befriedigen.  Pferde und Menschen brauchen im Grunde sehr wenig, um ein glückliches und zufriedenes Leben zu führen: Gesunde Nahrung, ausreichend Bewegung, frische und saubere Luft, stärkende Sozialkontakte, eine Aufgabe und Entscheidungsfreiheit.

Natürlich sehen die einzelnen Lebensbereiche im Vergleich von Mensch und Pferd sehr unterschiedlich aus. Nehmen Pferde und Menschen jedoch falsche Nahrung zu sich, können sie krank und träge werden. Dies führt mitunter zu Unlust an Bewegung. Die Bewegungsunlust kann einen Bewegungsmangel mit sich bringen, der wiederum Krankheiten auslösen kann. Durch Eingesperrtsein in zu engen Ställen bzw. zu „engen“ Arbeitsbedingungen (acht oder mehr Stunden pro Tag sitzen) können sowohl Körper als auch Seele in eine Schieflage geraten. Saubere Luft findet sich in luftigen Offenställen und auf Weiden unter freiem Himmel. Menschen in Städten leiden genauso unter verdorbener Luft wie Pferde in geschlossenen Ställen.

Obwohl die Bevölkerung aktiver wird, was die sozialen Kontakte online betrifft, werden einige Menschen einsamer und vernachlässigen die Pflege von Freundschaften außerhalb der virtuellen Welt. Echte Kommunikation und Verbundenheit gehen tendenziell zurück und werden ersetzt durch viele oberflächliche und kurzzeitige Kontakte. Genauso wie für den Menschen ist es auch für das Pferd wichtig, ein stabiles und intaktes Freundesnetz zu haben. Dadurch werden Stabilität sowie ein Zugehörigkeits- und Sicherheitsgefühl erzeugt.

Jedes Leben kann mit Sinn gefüllt werden

Während Burnout dem modernen Menschen ein geläufiger Begriff ist, ist das Boreout weniger bekannt. Es bezeichnet die Unterforderung und Langeweile im Arbeitsleben. Genauso wie das Burnout betrifft auch das Boreout nicht ausschließlich den beruflichen Bereich. Viele Menschen langweilen sich mittlerweile ebenso im privaten Leben. Es fehlt mitunter die Sinn bringende Aufgabe im Leben. Dadurch können unter anderem Depressionen entstehen. Jedes Leben kann mit Sinn gefüllt und dadurch zum Strahlen gebracht werden. Jeder Mensch kann sich z.B. mithilfe eines Pferdes auf die Reise zu seinem ganz persönlichen Sinn des Leben begeben.
Auch Pferde benötigen einen Sinn in ihrem Leben. In freier Wildbahn beschützt der Leithengst seine Herde und die Jungpferde lernen spielend fürs Leben. Der Sinn mag auch ganz banal und der fast ganztägigen Futtersuche gewidmet sein.

Unsere Gesellschaft zwingt dem Pferd einen anderen Sinn auf. In früheren Zeiten, als das Pferd noch für das menschliche Überleben notwendig war, bestand der auferlegte Sinn darin, den Pflug und die Kutsche von A nach B zu ziehen. Heute dient das Pferd in unserem Breitengrad meist zu unserer Bedürfnisbefriedigung. Um sich möglichst wenig selbst anstrengen zu müssen, benutzen einige Menschen ihre Mitmenschen ebenso, um ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Die Verantwortung für das eigene Leben wird nach außen abgegeben. Hier setzt das Coaching mit dem Partner Pferd an. Zuerst wird gelernt Verantwortung für das Pferd zu übernehmen und danach wird diese Verantwortung in das eigene Leben übertragen. Wir holen uns unser Leben zurück. Dadurch treffen wir selbst Entscheidungen und hinterfragen unsere Umgebung und uns selbst kritisch.

Was bewirkt Coaching mit dem Partner Pferd?

Wir können im Zusammensein mit den Tieren viele Parallelen zwischen Mensch und Pferd erkennen und im Coaching unsere Fragen stellen: Habe ich ein soziales Netzwerk, ernähre ich mich gesund? Was ist aktuell in meinem Leben gerade nicht in Balance? Womit habe ich bereits mein ganzes Leben Schwierigkeiten? Was funktioniert gut? Welche Bereiche laufen von selbst und machen mir Spaß?

Gerade jene Bereiche, die sich im eigenen Leben in Schieflage befinden, werden auf das Pferd übertragen und vom Pferd jeweils an uns zurückgegeben, um darüber reflektieren zu können. Diese Reflexion ermöglicht es uns, Glaubenssätze aufzuspüren, alte Verhaltensweisen loszulassen und neue Dinge in unser Verhalten zu integrieren.

Jemand der sich ausschließlich von Fast Food und Fertiggerichten ernährt, kommt möglicherweise zur ersten Coaching-Einheit mit einer Tüte Brot, Äpfeln und Zucker für die Pferde und darf während des Zusammenseins mit Coach und Pferd erfahren, dass der Großteil von dem nett gemeinten mitgebrachten Futter nicht ins Pferd darf. Der Coach findet im Gespräch eine Brücke von der gesunden Ernährung des Pferdes zur gesunden Ernährung des Menschen. So ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einem ausbalancierten Leben gemacht. Wichtig für den Coachee ist es, das Erfahrene unter professioneller und kompetenter Anleitung in seinen Alltag zu integrieren und die schädlichen alten Gewohnheiten durch neue und hilfreiche Verhaltensweisen auszutauschen.

Pferde halten uns einen Spiegel vor, in dem wir erkennen, wer wir sind und was gut und wichtig für uns ist. Sie ziehen uns aus Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart. Nur im Moment ist es möglich, entschlossen und mutig Entscheidungen zu treffen und für sich einzustehen. Neue Wege werden beschritten, indem wir in unser Innerstes schauen und frei daraus agieren. Die Pferde, die in dieser Arbeit unterstützen, dürfen alles und müssen nichts, solange es für Mensch und Tier ungefährlich ist. Zu jeder Zeit haben sie die freie Wahl. Sie können ja sagen und Coach und Trainer begleiten. Sie sind jedoch auch frei, nein zu sagen und sich ihrem eigenen Tagesablauf zu widmen. Auch damit lässt sich im Coaching wunderbar arbeiten. Nimmt der Coachee es persönlich, wenn das Pferd gerade keine Lust hat? Möchte er es zwingend überzeugen, mit ihm zu interagieren? Nimmt er die Unlust gar persönlich? Welchen Anteil könnte er daran haben, dass das Pferd gerade heute kein Interesse an einer Interaktion hat? Dies lässt sich durch achtsames Hinhören und Hinschauen und mit Hilfe des Coaches in sich selbst erkennen und bearbeiten. Dazu ist es wichtig, dem Coachee unterschiedliche Pferdecharaktere anzubieten.

Jeder ist ein Individuum

Menschen tendieren schnell dazu, sich ihre eigenen Interpretationen vom Verhalten anderer zurechtzulegen. Oft kommt es bei Aufklärungsversuchen zu immer größer werdenden Missverständnissen. Am Ende ist zu merken, dass eigentlich nur aneinander vorbei geredet worden ist. Der ganze Trubel war umsonst, da der eine von Äpfeln und der andere von Birnen gesprochen hat. Jeder ist in seiner Welt und seiner Sprache zu Hause. Wir schaffen es oft nicht, mit Worten dem anderen zu erklären, was wir meinen. Jeder Mensch verfügt über unterschiedliche und lange eingeübte Systeme. Ziel ist es, sich immer wieder auf sein Gegenüber neu einzustellen. Zu hinterfragen was gemeint ist und anzunehmen, dass wir, obwohl wir die gleiche Sprache sprechen, unterschiedliche Sprachen sprechen. Es ist unmöglich einer anderen Person unsere Sprache und Sichtweise aufzwingen, um bessere Verständigung herzustellen und mehr Verständnis zu erhalten. Jedoch haben wir die Möglichkeit, uns immer differenzierter auszudrücken und die Sprache unseres Gegenübers zu erlernen. Hier liegt häufig großes Konfliktpotenzial, da viele Menschen ihre Sprachgewohnheiten dem Gesprächspartner aufzwingen möchten. Dabei wird kein Wert darauf gelegt, ob der andere versteht, was ausgedrückt wird.

Im Umgang mit dem Pferd haben wir die große Chance zu lernen, uns anderen auf respektvolle und achtsame Weise verständlich zu machen. Das Pferd ist auf wenige, einzelne Wörter trainierbar, wir können ihm jedoch nicht mit Worten sagen, dass es jetzt auf der Stelle wichtig ist, in einen Anhänger zu steigen oder geduldig zu warten. Wir dürfen in unserer Beziehung zum Pferd Vertrauen und Anlehnung schaffen, so dass es uns bereitwillig folgt. Wir können die Pferdesprache lernen und dem Pferd ein Freund und Chef sein. Was wir nicht können, ist dem Pferd unsere Sprache aufzuzwingen und zu erwarten, dass es uns versteht.

Sich auf eine andere Sprache einzulassen, ist gerade für Menschen, die besonders von ihrer Position überzeugt sind und wenig Toleranz leben, eine Herausforderung. Lassen sie sich auf Coaching mit dem Pferd ein, können alte Muster und Grenzen im Nu wegbrechen.

Warum funktioniert Coaching mit dem Pferd?

Pferde leben im Hier und Jetzt. Sie legen ihren Fokus auf jene Dinge, die aktuell von Wichtigkeit sind und klammern alles andere aus. Sie grasen entspannt auf der Weide ohne Gedanken an den möglicherweise herannahenden Wolf zu verschwenden. Kommt dieser, ist noch genügend Zeit, in den Fluchtmodus zu wechseln. Menschen tendieren dazu, sich in der Zukunft zu bewegen und Gedankenräder von Ereignissen zu spinnen, die möglicherweise nie eintreten werden. Das raubt Kraft und macht handlungsunfähig. Im Zusammensein mit dem Pferd kommen wir in die Gegenwart. Wir erhalten die Chance, die Dinge anzusehen und anzugehen, die aktuell wichtig sind. Der Kopf wird frei und es können Entscheidungen getroffen werden.

Im Spiegel – Spiegelneuronen

Pferde spiegeln uns im Zusammensein. Unsere Emotionen werden von ihnen ebenso aufgezeigt wie unsere Verhaltensweisen. Es wird davon ausgegangen, dass Pferde auch Spiegelneuronen besitzen. Dies ist jedoch bisher wenig erforscht. Aus Erfahrung lässt sich sagen, dass Pferde bis zu einem gewissen Grad mitfühlen und spüren können, was der Mensch spürt. Wenn eine Vertrauensbasis geschaffen ist, passen sie sich uns auch an. Sie stellen sich auf unser Tempo ein und kommen zur Ruhe, wenn wir zur Ruhe kommen.
Pferde sprechen eine klare und deutliche Sprache abseits von Worten. Sie texten uns im Miteinander nicht zu und ermöglichen dem Coachee in der Stille zu reflektieren.

 

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*