© Anastacia Cooper auf Pixabay(K)ein Mensch braucht Sichtbarkeit – Sichtbarkeit für Introvertierte 25. April 2025 von Cordula Roemer und Andreas Fiedler Erstveröffentlichung auf ganzheitlich-gesund-brandenburg.de/blog Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht, in unserer allmonatlichen Autorenrunde das Thema Sichtbarkeit vorzuschlagen? Völlige Umnachtung? Ich hasse Sichtbarkeit! Also diese businessmäßige Sichtbarkeit. Dieses: Schau her, ich mache heute dies, und morgen das, und übermorgen habe ich eine Million verdient. Ist das nicht cool? Kannst du auch! Das ist einfach nicht mein Ding. Ich bin keine Rampensau. Also werde ich jetzt ein Plädoyer gegen die Sichtbarkeit halten. Kein Mensch braucht Sichtbarkeit! Ich sage immer: Was zu sehen ist, ist zu sehen. Was zu spüren ist, ist zu spüren. Fertig. Und wenn ich nichts sehe oder mitkriege, dann ist das eben so und wird schon seinen Grund haben. Wie haben denn die Schuster und Therapeuten früher, als es noch kein Internet gab, ihre Kunden gefunden? Ja, da gab es die gelben Seiten. Die fand ich klasse. Du hast was Bestimmtes gesucht, nachgeschlagen und anhand von Adresse und dem dich ansprechenden Namen des Anbieters gewählt. Oder durch Empfehlung. Das hat meine Mutter, eine echte Tratschtante, sehr gerne gemacht. Immer am Gartenzaun oder beim Einkaufen. Oh, wie war mir das jedesmal hochnotpeinlich. Heute wird ja am Handy getratscht. Oder in den Posts und Videos und Reels, zumindest erscheint mir das so. Da werden die zu teilenden Infos mit ausschweifenden Geschichtchen über den Hund, die Katze, den letzten Einkauf, das Meeting oder Klientengespräch geschmückt, die auch in ein oder zwei Sätzen erledigt gewesen wären. Ist das wirklich Sichtbarkeit oder nur Hintergrundrauschen? Was ist mit dieser „Sichtbarkeit“ eigentlich überhaupt gemeint? Möglichst oft und lange am Bildschirm erscheinen? Medienpräsenz all over? Ich meine, was wäre denn, wenn das alle so machen würden? Alle, die sichtbar werden wollen, klemmen sich hinter ihre Handys und Videokameras und posten, was das Zeug hält. Wer soll das denn alles sehen oder gar noch verarbeiten können? Ich bin ja hochsensibel – hab ich im Internet rausgefunden, ganz interessante Podcasts, sag ich dir – und als solche völlig ungeeignet für eine derartige Informationsflut. Völlig egal, ob andere oder ich sie selbst produzieren. Ich brauche es überschaubar, klar, übersichtlich, auf den Punkt gebracht – und davon nicht zu viel. Ich sag’s ja: Gelbe Seiten. Aber inseriert da überhaupt noch jemand? Ich jedenfalls habe gar keins mehr. Ich frage mich ernsthaft, wo denn diese ganze Überflutung noch hinführen soll. Früher hieß es: dreimal etwas sehen, dann dockt jemand an, neuerdings liegt der Schnitt bei zehnmal – wenn’s reicht. Im Wachstum gibt es nichts Unendliches, heißt es. Aber mein Ende der Fahnenstange ist hier jetzt doch erreicht! Ich gehe wieder zurück zu den Wurzeln, schlicht, gezielte Inhalte, nur wenige auserwählte Plattformen und dazwischen gaaanz viel Ruhe, Erdung und Atmen. Ganz nach dem Motto: Weniger ist Mehr! Cordula Roemer Die erlernte Unsichtbarkeit Deutschland, Niederlande, Belgien – mein Großvater musste vor den Nazis fliehen. Fort aus der Heimat, weg von Familie, den Liebsten und seinen Kindern. Jahre nach dem Krieg landete er schlussendlich in der Schweiz. Es war gut, dass er geflohen ist, denn sonst hätte ich, sein Enkelkind, ihn nie kennengelernt und er nicht einen wichtigen Schreibkeim in mir säen können. Auf der Flucht war er unsichtbar. Nach der Flucht war er schwer krank. Meine Tante lebte im „Osten“. Geteiltes Land, geteiltes Leid, wenn auch nicht immer von beiden Seiten so empfunden. „Drüben“ mussten wir uns in Acht nehmen. Kein West-Radio, kein West-Fernsehen, schön anpassen, möglichst unsichtbar sein. Als Kind verstand ich den Quatsch nicht, nahm ihn aber als gegeben hin. In Anpassung war ich sowieso gut geübt. Gewalttätige Eltern sorgen für unsichtbare Kinder, denn wer unsichtbar ist, kommt halbwegs durch. Der Gatte meiner Tante war eine Berühmtheit, damals im Osten. Im Rampenlicht, everybody’s Darling, Showman. Volle Sichtbarkeit fürs Volk. Zuhause hatten wir den Steg am See mit einer Stoffplane verdeckt. Privat galt eine andere Sichtbarkeit. Krieg, politischer Dogmatismus, Verfolgung – wir können die Jahrhunderte zurückgehen und treffen immer wieder auf die gleichen Strukturen, die gleichen Mechanismen, die viele Menschen zur Unsichtbarkeit zwangen. Schon öfter fragte ich mich: Welche Menschen mussten sich eigentlich all die Jahrhunderte immer wieder verstecken? Heiler, Künstler, kritisch Denkende und Frauen. Interessant, wenn wir uns vor Augen halten, dass gerade feinfühlige Menschen, also Hochsensible, Hochbegabte, kreativ oder medial Begabte u.v.a. genau zu dieser Spezies gehören. Gibt es also eine Geschichte der Unsichtbarkeit bei Feinfühligen? Eine erlernte Unsichtbarkeit? Es ist eine Frage des Überlebens. Und nun, endlich, ist die Zeit gekommen, in der all die Feinfühligen und Frauen beginnen, ihre Gaben aus den Tiefen der Unsichtbarkeit zu bergen. Und die Welt braucht diese Gaben. Händeringend! Und die Welt ruft: Werde sichtbar! Werde sichtbar! Äh, ja, gerne, aber wie?? Das laute Hamsterrad des modernen Marketing ist – mal wieder – für die Robusten unter uns gemacht. Das Höher, Schneller, Weiter, Mehr, Mehr und Mehr ist nichts für Feinfühlige. Sie verbrennen darin. Wir brauchen es sanft, klar, leise, akzentuiert. Wir trumpfen lieber mit Individualität und Qualität. Aber Sichtbarkeit? In aller Stille? Gegen all den Jahrmarkts-Trubel da draußen auf dem Parkett des neuen “Business”? Eine Zwickmühle tut sich auf: verbrennen oder in der Masse in Unsichtbarkeit versinken. Mir kommen zwei Möglichkeiten, um dieser Zwickmühle zu entfleuchen. Erstens: kleine Netzwerke, Projekte oder Firmen gründen, in denen die Sichtbarkeit die Showmen unter uns übernehmen. Klein deswegen, weil sonst wieder von allem zu viel wird. Zweitens: Die inneren Verletzungen der erlernten Unsichtbarkeit verarbeiten. Die eigenen und die der vorangegangenen Generationen. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, aber lohnenswert und zutiefst heilsam für dich, für mich, für die Menschheit. Cordula Roemer Mit stiller Kompetenz – Sichtbarkeit für Introvertierte “80% of success is showing up” – dieses Zitat, das Woody Allen zugeschrieben wird, begleitet mich schon seit vielen Jahren in meiner Coachingpraxis. Was so einfach klingt – dass präsent sein, sichtbar sein, einen Großteil des Erfolgs ausmacht – kann im Einzelfall eine große Herausforderung sein. Gerade eher introvertierte Selbständige und FreiberuflerInnen, die mit Menschen arbeiten – Coaches, TherapeutInnen und Heilberufler – kämpfen mit der Einsicht: Fachlich exzellent zu sein reicht oft nicht aus, wenn niemand weiß, dass es dich gibt. “Kein Schwein ruft mich an…” Denn viele von uns empfinden Marketing als eher unangenehm und aufdringlich. Wir fühlen uns von der lauten Welt der sozialen Medien schnell überfordert und genervt. Doch wie erzeuge ich Sichtbarkeit? Ohne mich zu verstellen oder ständig präsent zu sein? Wie kann ich die eigene, eher stille Kompetenz auf stimmige Weise sichtbar machen? Nachhaltige Strategien für stille Macher Eine individuelle, nachhaltige Sichtbarkeitsstrategie kann leise und dennoch äußerst effektiv sein. Entscheidend ist, Wege zu wählen, die zur eigenen Persönlichkeit passen und Raum für Qualität und Tiefe lassen. Ein paar Punkte dazu: Einfachheit: Was oft übersehen wird: Für die Sichtbarkeit reicht oft eine Information. Es geht nicht um Marketingsprech, sondern um die Bekanntmachung und den Hinweis auf das eigene Angebot. Wie stelle ich sicher, dass ich überhaupt auffindbar bin? Ein Branchen-Eintrag (Google-Maps) mit Bewertungen kann da schon helfen. Klare Positionierung und Zielgruppenansprache: Je genauer wir wissen, für wen wir da sind und welche spezifischen Probleme wir lösen, desto leichter werden wir gefunden und weiterempfohlen. Nach dem Prinzip der „Engpasskonzentrierten Strategie“ (EKS) gilt: Nicht der Markt wird erobert, sondern ein klar definierter Engpass gelöst – zielgenau und nachhaltig. Kooperation statt Konkurrenz: Besonders im “People-Business” kann die engpasskonzentrierte Kooperationsstrategie enorme Wirkung entfalten. Statt alles allein stemmen zu wollen, können gezielte Partnerschaften helfen, die eigene Reichweite zu erhöhen und gemeinsam den Bedarf der Zielgruppe noch besser abzudecken. Kooperationen mit sog. Zielgruppenbesitzern, also Partnern, die bereits eine Beziehung zu unseren KundInnen aufgebaut haben, können sehr effizient sein. Qualität statt Quantität: Lieber weniger Inhalte, dafür echter und relevanter. Ein sorgfältig geschriebener Blogartikel oder ein durchdachter Newsletter können über längere Zeit nachwirken und Vertrauen aufbauen. E-Mail-Marketing als Beziehungsarbeit: Ein eigener Newsletter ist eine der nachhaltigsten und unabhängigsten Möglichkeiten, mit Interessenten in Verbindung zu bleiben. Ohne den Druck von Algorithmen können wir hier persönlich schreiben, Expertise teilen und echte Beziehungen aufbauen. Eigene Webpräsenz: Eine professionelle Website mit klarem Profil, authentischer Sprache und einer klugen SEO-Strategie wird sie zur stillen, aber wirksamen Botschafterin unserer Arbeit. Da lohnt es sich, etwas Geld in die Hand zu nehmen, um das Ranking zu verbessern. Bloggen als Kompetenzbeleg: Ein eigener Blog bietet Raum, komplexe Themen verständlich aufzubereiten. Wer hilfreiche, gut strukturierte Texte anbietet, wird nicht nur als kompetent wahrgenommen, sondern verbessert auch die Auffindbarkeit in Suchmaschinen (SEO). Netzwerke pflegen: Empfehlungen sind eine der stärksten Währungen in der Arbeit mit Menschen. Wer sich auf vertrauensvolle Kontakte konzentriert, wird häufig weiterempfohlen – ganz ohne ständiges Eigenmarketing. Sichtbarkeit auf eigene Art gestalten: Vielleicht passen Gastartikel, Fachvorträge, Interviews oder Kooperationen besser als tägliches Posten auf Social Media. Oder einen Online-Kongress im Verbund mit anderen veranstalten… “Showing up”, sichtbar zu sein, bedeutet also nicht, immer lauter zu werden oder sich zu verbiegen. Es bedeutet, die eigene Kompetenz auf authentische Weise zu zeigen, dass sie die Menschen erreicht, die davon profitieren können. Wenn wir uns mit Substanz zeigen, tun wir etwas für das eigene Selbstbewusstsein und erzeugen Resonanz. Andreas Fiedler Systemischer Coach für Unternehmens- und Persönlichkeitsentwicklung in Potsdam und Berlin, begleitet Gründer und FreiberuflerInnen bei der Verwirklichung ihrer Ideen. Selbstbewusstheit, Vertrauen und Struktur sieht er als wesentliche Erfolgsfaktoren einer nachhaltigen Businessentwicklung für Selbständige und Freiberufler. Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.