Wir brauchen unsere innere Kreativität, um das zu tun, was wir wirklich tun wollen im Leben. Sie kann in uns verloren gegangene Talente und ungeahnte Kräfte hervorbringen. Doch oft finden wir keinen Zugang zu unserer ganz eigenen kreativen Schaffenskraft. Wir können sie jedoch hervorholen und dem Pfad unserer Seele folgen.

Von Natalie Amon und Lea Wortmann

Es war 2008. Meine Freundin erzählte mir, dass sie gerne einen Kreativkurs besuchen möchte und fragte, ob ich nicht mitmachen will. Alleine traute sie sich nicht. Sie kannte die Kursleiterin flüchtig über ein größeres Freundesnetzwerk und wusste, dass sie Malerin war. Wir würden auch mit einem Buch arbeiten, das „Der Weg des Künstlers“ hieß, zwölf Wochen lang. Wie so ein Programm für Anti-Alkoholiker. Sollte es ein Anti-Kunstblockaden-Kurs sein?

Künstler? Ich? Und dafür Geld ausgeben? Welcher Weg denn? Und für eine so lange Zeit? Ich hatte Zweifel. Wenn ich Künstlerin war, dann Künstlerin im Zweifeln. Ich war noch Studentin, schrieb gerade an meiner Diplomarbeit und war ganz schön knauserig, wenn es um Dinge ging, die einfach gut für mich sein sollten. Dann musste es schon perfekt sein. Aber auf Malen hatte ich auch wieder Lust, und mit meiner lieben Freundin zusammen etwas Kreatives zu machen fand ich gut. Wahrscheinlich hat mich auch eine kleine unsichtbare Elfe dort hingezogen namens „Intuition“. Diese wusste, dass es eine gute Idee ist, wenn ich diesen Kurs mache. Heute kann ich sagen, dass er mir Tore geöffnet hat zu anderen Welten, von denen ich bis dahin noch nichts ahnte.

 

Blockaden aus der Kindheit ließen mich verstummen

Bis dahin hatte ich mit Künstlern und alternativen Kreisen nicht viel zu tun. Ich war zwar ein spiritueller Mensch, hatte aber keine Worte für das was ich empfand, konnte mich nicht mitteilen und kannte auch niemanden, mit dem ich über meine inneren Welten sprechen konnte. Niemand kannte meine Sehnsüchte und Träume. Und somit auch nicht meine Ängste und Blockaden, die mich daran hinderten, meine Träume zu verwirklichen. Ich steckte fest, auch wenn mir das damals gar nicht so bewusst war. Meine Freundin war die einzige, der ich mich mitteilen konnte. Wir kannten uns erst ein halbes Jahr, aber ich mochte sie und vertraute ihr. Also ging ich mit ihr hin und traute mich. Das erste Treffen war noch unverbindlich, aber ich blieb. Zwölf Wochen lang und bis heute. Denn in diesen zwölf Wochen hat etwas angefangen und Gestalt angenommen, das bis heute lebt, wächst und eigene Kreise zieht. Das mir lieb und teuer geworden ist und mich bis heute begleitet.

Als Kind habe ich gerne und viel gesungen. Ich habe im Schul- und Kirchenchor gesungen und hatte immer mal wieder ein Solo. Meine Eltern haben mich darin bestärkt. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, aber es muss damals etwas Schlimmes mit mir passiert sein, denn es war einschneidend: Ich traute mich nicht mehr, vor anderen zu singen. In meiner neuen Schule ging ich nicht mehr zum Schulchor und die Kirche interessierte mich auch nicht mehr. Ich wollte immer Klavier spielen, stattdessen bekam ich Flötenunterricht. Ausgerechnet ein Instrument, zu dem ich nicht gleichzeitig singen konnte. Ich konnte nichts damit anfangen. Heimlich beneidete ich alle Schulkameraden, die im Chor sangen oder im Orchester spielten. Und Gitarre war tabu, denn mein Vater spielte sie, und da ich schon in der Frühpubertät war konnte ich nicht dasselbe Instrument lernen, das mein nerviger Vater spielte.

Also hörte ich auf, vor anderen zu singen. Ich war schüchtern und jetzt wurde ich es auch beim Singen. Ich dachte sogar, dass ich nicht wirklich singen kann und dass es andere viel besser konnten als ich. Also brauchte ich es gar nicht erst zu tun. Es war auch nichts Lebensnotwendiges, denn ich lebte ja auch ohne zu singen.

Und doch fehlte immer etwas. Ich war diese schüchterne Person, die sich nicht traute, sich für ihre Träume einzusetzen. Als ich mich für den Kurs entschied, wollte ich nur mal wieder malen. Kreativ sein, töpfern vielleicht. Die Kursleiterin erzählte uns beim ersten Treffen, dass sich jede und jeder von uns – neben den Anregungen im Buch und den gemeinsamen kreativen Tätigkeiten – mit einem eigenen Projekt beschäftigen sollte. Bei unserem letzten Kurstreffen sollten wir dieses Projekt allen anderen vorstellen. Oh, ein eigenes Kreativprojekt! Was könnte das sein? Vielleicht meine Diplomarbeit? Diese war definitiv ein Projekt, bei dem ich große Hürden zu überwinden hatte und das noch wie ein hoher, unbeklimmbarer Berg vor mir lag.

 

Verloren geglaubte Talente dürfen sich zeigen

Die zwölf Wochen waren super. Ich lernte tolle Menschen kennen. Einige wurden richtig gute Freunde. Aber was viel wichtiger war: still und leise schlich sich ein anderes Wesen in mein Leben. Die alte Gitarre von meinem Vater. Innerhalb dieser zwölf Wochen war ich bei ihm zu Besuch und ich ließ in einem Nebensatz fallen, dass ich gerne Gitarre spielen möchte, um mich beim Singen zu begleiten. Ja, ich sang immer noch, immer mal wieder, mit meiner Familie, und heimlich und leise in meinem Zimmer in der WG, wenn keiner mich hören konnte. Mein Vater gab mir eine seiner alten Gitarren. Er und ein Musikerfreund zeigten mir immer wieder ein paar einfache Griffe und Anschlagweisen, und so konnte ich bald meine Lieblingslieder begleiten und dazu singen. Es machte mir große Freude, denn mit der Gitarre als Begleiter klangen die Lieder besser und ich traute mich, öfter und lauter zu singen.

Bald waren die zwölf Wochen um. Das letzte Treffen, bei dem wir uns gegenseitig unsere Kreativprojekte vorstellen sollten, war gekommen. Meine Diplomarbeit war nicht fertig, was sollte ich bloß vorstellen? Ich hatte ja angefangen, Gitarre zu spielen. Sollte ich es wagen? Sollte ich mich trauen, vor den anderen zu spielen und dabei zu singen? Mein Freund bestärkte mich darin, aber ich war mutlos und wusste nicht, was ich spielen sollte – die meisten meiner Lieblingslieder waren kompliziert und ich traute mich nicht, sie zu singen. Er aber entschied: nur drei Akkorde und ganz einfachen Text. Am besten ein Lied, das komplett anders war, als das, was ich sonst sang und von einem Musiker, der ganz anders war als ich, um so wenig Vergleichsmöglichkeiten für mich wie nur möglich zu haben. Bob Marley liebte ich und ich hatte eine rotgelbgrüne Rastamütze. „Three little birds“ sollte es sein.

Der letzte Abend war gekommen. Ich war aufgeregt. Es war ein schönes Gefühl, ganz neu und doch vertraut. Meine Gitarre steckte in der alten Gitarrentasche aus den Siebzigern. Ich hatte bisher immer neidisch auf all die Musiker aufgeschaut, die mit ihren Instrumenten durch die Gegend liefen. Und jetzt fuhr ich wie eine von ihnen mit meinem Instrument in der Berliner S-Bahn. Sichtbar für alle. Ich fühlte mich lebendig und frei. Bewegt und mutig. Und richtig aufgeregt. Ich traute mich! Ich konnte mich trauen, denn ich hatte Unterstützung von allen anderen im Kurs. Jede und jeder von uns würde heute etwas zum ersten Mal tun und etwas von sich zeigen. Heute weiß ich: ich hatte auch meinen Vater unterstützend im Rücken, mit seiner alten Gitarre. Ich, die sonst so viele Zweifel hatte, sang „Dont worry about a thing – cause every little thing is gonna be alright!“ mit meiner neuen alten Gitarre von meinem Vater und meiner rotgelbgrünen Rastamütze, die ich damals zum ersten und bis heute letzten Mal trug.

 

Den Weg des Künstlers gehen

Ich kann heute – nach fast zwölf Jahren – sagen, dass ich unendlich dankbar bin: Meiner Freundin, dass sie mich zu diesem Kurs geführt hat, und meiner unsichtbaren Elfe, der Intuition, dass sie meinen Weg begleitet hat und es immer noch tut. Diese beiden haben mich damals in den Kreativkurs gelockt, der mir über das Singen und das Gitarrespielen Tore geöffnet hat. John Denver singt in einem Lied „this old guitar gave me my life my living“, und er spricht mir damit aus der Seele. Die alte Gitarre meines Vaters gab mir mein Leben zurück. Sie gab mir eine Stimme. Meine Stimme. Sie unterstützt mich darin, mit anderen zu singen und sie in Welten zu bringen, von denen sie kaum geahnt haben. Singen kann uns Tore in andere Welten öffnen.

Der Weg des Künstlers, das weiß ich jetzt, ist ein Weg auf dem Pfad der eigenen Seele. Es ist nicht nur Malen und Töpfern, nicht nur kreative Betätigung mit anderen Menschen: Es ist auch ein nach innen Schauen, ein sich Kümmern um mich selbst. Das Buch von Julia Cameron begleitet mich auf diesem Weg. Es ist eine wertvolle Inspirationsquelle für alle Menschen, die auf der Suche nach ihrem eigenen spirituellen Pfad sind und ihrer Seele folgen möchten. Es ist erstmals 1992 veröffentlicht worden und hat schon viele Menschen in ihre Schöpferkraft verholfen anhand eines 12-Wochen-Programms zur Steigerung der eigenen Kreativität. Heute gebe ich selbst Kreativkurse mit dem Buch. Mit einfachen Methoden, wie die „Morgenseiten“, die wir jeden morgen aus uns herausfließen lassen, können wir uns mit uns und unseren Sehnsüchten und Träumen verbinden. Innere Blockaden können erkannt und gelöst werden. Durch die „Künstlertreffen“ verabreden wir uns mit uns selbst an einem besonderen Ort und geben uns Zeit und Raum für unsere Interessen. Wir können damit unsere eigene kreative Schaffenskraft spüren und freilassen, um unsere Potenziale zu leben – um das Leben zu leben, das wir wirklich leben wollen.

 

Termin:
Kreativität leben – ein Kurs über 13 Wochen
30. Januar und ab 13. Februar 2020 in Eberswalde

Über den Autor

Avatar of Natalie Amon und Lea Wortmann
Mehr Infos

Natalie Amon ist Begleiterin für innere Prozesse und unterstützt Menschen darin, mit sich selbst in Verbindung zu gehen, zu erfahren, wer sie sind und was sie wollen. Sie begleitet sie darin, ihre besondere Aufgabe zu finden und den eigenen Weg zu gehen, im Kontakt mit sich selbst und im Miteinander. Als Prozessbegleiterin arbeitet sie mit Körper-, Gefühls- und Traumaarbeit. Natalie ist Natur-Kulturpädagogin, Verbindungsweberin und leitet seit ihrem Erlebnis selbst die Kreativkurse zum „Weg des Künstlers“ nach Julia Cameron an.

Lea Wortmann geht zum Schreiben am liebsten raus in den Wald. Sie leitet eine Schreibwerkstatt, in der sie Menschen beim Schreiben begleitet und bietet Kurse zu „Heilsames Schreiben in der Natur“ an. Mit Natalie Amon leitet sie den Kreativkurs „Kreativität leben“ in Eberswalde.
lea@leawortmann.de

Bild  © Élise Scheider



Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*