von Moti Lina Strümper

Ohne Wertschätzung der tieferen Gefühle in uns selbst gibt es weniger wahre Verbindung mit unserer Lebensenergie, und der Glaube oder das Vertrauen in uns selbst gehen verloren. Wenn wir unserer Angst begegnen, bringt das all unsere Lebendigkeit ans Licht. Dafür braucht es Sicherheit, Geborgenheit und manchmal Begleitung in einem geschützten Raum.

Lieber cool als echt ?

Viele Menschen haben wenig Erfahrung damit, ihre tieferen Ängste wirklich zu spüren. Denn wir sind aufgewachsen mit Kritik und Bewertung, und Wertschätzung und Wohlwollen waren abhängig davon, Leistung zu bringen. Die wohlwollende Wärme, mit einer mütterlichen, liebevollen Aufmerksamkeit gesehen zu werden, wenn uns etwas Angst macht, fehlt oft. So wurden unsere Ängste tief innen vergraben, wie in einer Rüstung.

Wir haben gelernt, es sei ein Zeichen von Schwäche, wenn jemand unsicher oder ängstlich ist. „Sei kein Weichei, keine Memme“ heißt es dann oder die Jungen bekommen zu hören: „Du bist ja wie ein Mädchen“. Auch wenn wir erwachsen sind, gibt es Spott und Abwertung oder Ermahnungen wie: „Reiß dich zusammen“. Unsicherheiten werden einfach ignoriert. Kein Wunder, wenn Coolsein erst einmal stark wirkt.

Als Begleiterin verhaltensauffälliger Schüler erlebe ich tagtäglich, wie auch in der Schule Strafe und Belohnung als Mittel eingesetzt werden, um den Unterricht aufrechtzuerhalten. Strafe macht aber Angst und Angst darf meist nicht gezeigt werden. Wieder erscheint die Rüstung sicherer, und alle versuchen es mit Coolness oder Ablenkung. Wie viele Jugendliche sind zum Beispiel in der Straßenbahn dauernd am Handy und bekommen beim Aussteigen kaum mit, wer neben ihnen steht?

Und während ich dies schreibe, beginnt hier in Köln gerade der Karneval und viele Menschen laufen scheinbar fröhlich in Kostümen herum. Viele haben allerdings schon morgens eine Flasche Bier in der Hand. Die Polizei ist mit 1000 Personen im Einsatz und es wird vor Grabschern gewarnt.

Die subtile Scham lähmt uns

Manchmal erscheinen wir wie eingefrorene Roboter. Die tieferen Gefühle und die Scham, die durch Angst und Druck entsteht, bleiben verborgen im Unbewussten.

Ein Grundbedürfnis von uns ist, gesehen und gehört zu werden – ohne vorher eine Leistung erbringen zu müssen. Wenn wir darin keine Unterstützung bekommen, möchten wir unsere Schmerzen nicht fühlen, lenken uns ab und gehen vielleicht in Suchtverhalten. Dabei sind sich viele Menschen ihrer Schutzhaltungen kaum bewusst. Denn es wirkt oft einfacher, im Alltag in eine Rolle zu schlüpfen, als sich mutig auf den Weg zur Verbindung mit unseren tieferen Gefühlen zu begeben. Besonders die „Ich bin beschäftigt“ -Rolle ist weitverbreitet.

Gleichzeitig signalisiert uns unser Körper, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wie viele Menschen haben „restless legs“ (unruhige Beine), während sie sich hinter ihrem Handy und ihrem Kopfhörer verbergen.

Behutsame Empathie zeigt den Weg ins eigene Zuhause

Wenn ich nach innen schaue, entdecke ich Verletzlichkeit, Ängste und Unsicherheiten. Mit Unterstützung kann ich lernen, in einem sicheren Raum diese Gefühle auszudrücken: statt Leistungsdruck geschieht dann Würdigung für Hilflosigkeit.

Empathie ist ein Schlüssel. Es könnte erst einmal weh tun, doch bewusst gefühlte Tränen, Wutschmerz und Hilflosigkeit in einem geschützten Rahmen erleben zu können, führt wieder zu einer Verbindung mit sich selbst, zu einer inneren Sicherheit und Entspannung. Es entstehen Ruhe, Erfüllung und eine enorme Ausdehnung der Sinne in uns.

Studien zeigen, dass das Schluchzen bei Tränen zu einer Lösung der Muskelspannung führen kann. Ich selbst hatte jahrelang Migräne und habe auf meinem Weg erlebt, wie mir früher meine Wut verboten worden war und mir damit Angst gemacht wurde. Langsam habe ich das Vertrauen wieder gefunden, meine Gefühle zu würdigen. Ich lernte, Kissen auf eine Matratze zu schlagen, Töne in meiner Stimme zu finden und meine Worte, zum Beispiel „nein!“ oder „mich stört…“ deutlich und mit innerer Verbindung auszudrücken.

Im Laufe der Zeit konnte ich beginnen diese Kraft zu nutzen, um mich abzugrenzen. Es ist ein großer Unterschied, ob ich dabei innerlich gefühlt mit meiner Haltung verbunden bin oder Abgrenzung als Technik benutze. Der Andere spürt mich mehr. Jetzt bin ich befreiter, ruhiger in mir selbst und habe eine feinere Sensibiliät, die mir mehr Mitgefühl mit anderen Menschen schenkt, die ich früher (aus Angst) verurteilt und bewertet hätte. Emphatie statt Hasstiraden. Die gefühlte Wahrheit des Herzens schenkt uns Kreativität für den Weg ins eigene Potential. Verletzlichkeit macht stark!

Der Weg zeigt sich, je mehr wir uns innen erfahren

Wenn wir unserer Angst begegnen, bringt das all unsere Lebendigkeit ans Licht. Dafür braucht es Sicherheit, Geborgenheit und manchmal Begleitung von jemandem, der selbst den Weg kennt.

Um unsere Verletzlichkeit zu würdigen und mit der wachsenden Lebendigkeit unser eigenes Potenzial mehr zu fühlen, helfen uns auch Meditation, in all ihren verschiedenen Arten: mit Bewegung, Körperausdruck, Stimme, Mantren, Visualisation oder in Stille und in der Natur. Wir lernen dabei, den inneren Raum in uns zu erfahren und dabei das Denken außen vor zu lassen, ein See, der eine glatte Spiegeloberfläche bekommt, wenn er ruhig wird. Oder Gedanken, die wie Wolken am Himmel einfach weiterziehen: ich bleibe bei meinem Ein- und Ausatmen, wie Wellen, die ans Ufer kommen und gehen. In diesem tieferen Raum in uns selbst entdecken wir mehr Verbindung mit uns selbst und auch genauer, was uns wirklich erfüllt.

Es entstehen Ruhe und Zuversicht und unsere Ängste lösen sich. Auch wenn ein Problem zu klären ist, wächst unsere Zuversicht, eine kreative Lösung zu finden.

Liebe ist lernbar

Uns mit dieser neuen Haltung in einer tieferen Liebesbeziehung verletzlich zu zeigen, ist eine große Herausforderung. „Ich würde mich gern echt zeigen, weiß aber nicht wie und habe tief innen Angst: etwas falsch zu machen, aufzufallen, nicht perfekt zu sein, zu viel Raum einzunehmen.“

Auch hier geht es wieder darum, uns in einem geschützten Raum behutsam zu erlauben, den eigenen inneren Ängsten und Unsicherheiten mit Wertschätzung zu begegnen. Indem wir lernen, unsere echten Gefühle wieder auszudrücken, können wir auch mehr Nähe mit dem Partner / der Partnerin zulassen, weil wir zuerst uns selbst näher gekommen sind.

So können wir aufhören zu glauben, dass wir ungenügend und fehlerhaft sind, und beginnen, uns selbst wertzuschätzen dafür, wer wir sind. Und wir können tiefe Liebe und Intimität in unserem Leben haben – sowohl mit uns selbst als auch mit anderen.

Auf diesem Weg geht es um drei Stufen:

  • sich der inneren Wunden bewusst werden und sie achtsam erforschen
  • die Geschichte hinter den Wunden verstehen und uns allmählich von unserer Identifikation lösen und
  • sich wieder mit der Lebensessenz und der eigenen Weisheit verbinden und unsere volle Lebendigkeit zurückerobern

In einer Welt, in der Versagensangst vielen Menschen zur zweiten Natur geworden ist, erscheint Verletzlichkeit als gefährlich. Doch das Gegenteil ist der Fall. Verletzlichkeit macht stark und kann der Schlüssel zu Freude, Intimität, Liebe und Selbstvertrauen sein. Scham entsteht aus Bewertung und überdeckt unser essentielles Wesen. Mitgefühl mit uns selbst hilft uns, anstelle der Stimmen des „inneren Richters“ Selbstwert und Würde zu entwickeln. Dabei gibt uns die Verbindung zu den Botschaften des Körpers mehr Sicherheit im Umgang mit Nähe.

Wir lernen, unseren eigenen Gefühlen, Gedanken und unserer Intuition zu vertrauen. Das gibt uns die Kraft, in unseren Beziehungen Risiken einzugehen, ehrlich zu sein und unsere Verletzlichkeit zu zeigen. Wir werden fähig zu dem Tanz von Nähe und Distanz und lernen, statt mit unausgesprochenen Erwartungen die Beziehung zu sabotieren, mit Respekt unsere Bedürfnisse auszudrücken. So wachsen wir in unser reifes Mann- und Frau-Sein und können gesunde Beziehungen führen.

 

 

 

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