von Anke Mrosla

Zu den Bedürfnissen des Menschen gehören, neben Nahrung, Schutz, Wärme und Zugang zu Wissen auch die die Erfahrung von liebevoller Berührung. Babys werden geknuddelt, massiert und liebkost, Kinder sind in ständiger Bewegung und suchen immer wieder den Kontakt durch ankuscheln, streicheln und Gewicht abgeben. Liebende berühren einander, massieren sich, streicheln, kneten und verschmelzen in Bewegung und Berührung.

Kranke werden massiert um Schmerzen zu lindern, SportlerInnen erhalten durch Massage ihre Beweglichkeit und Menschen jeden Alters nutzen Massage als Mittel zur Regeneration, Entspannung und Wiederherstellung.

„Massage ist ein liebendes Zwiegespräch zwischen zwei Körpern.“

So formulierte es mein erster Lehrer in Massage und Körperarbeit Andro Andreas Rothe in seinem Buch zur Yin-Yang Massage vor ca. 40 Jahren.

Massage beinhaltet Bewegung, Atem und Kommunikation durch unterschiedliche Berührungsqualitäten. In unserer sinnlichen Entwicklung vom Baby zum Erwachsenen erleben wir vielfältige Arten von Berührung und Stimulation, die sich nach und nach zu unserem sinnlichen Mindset, zu unserer sinnlich-sexuellen Landkarte verdichten. Erfahrungen von wohltuenden Berührungen suchen wir, Erfahrungen von nicht so angenehmen Berührungen versuchen wir zu meiden. Ist doch so, oder?

In vielen Arenen stimmt das, aber nicht überall

In der Praxis geben viele Frauen und Männer sich im erotisch-sexuellen Kontext mit Berührungen zufrieden, die oft nicht wirklich eingefühlt, entspannend, sinnlich oder erotisch anregend sind. Unsere Gesellschaft hat wenig Berührungskultur und wir unterrichten Jugendliche und junge Erwachsene nicht in der Kunst der körperlichen Berührung oder der Liebe.

Vor den nächsten Kapiteln möchte ich erwähnen, dass meiner Ansicht nach die Erkenntnisse, die hier für Frauen formuliert werden, in großen Teilen auch für Männer nützliche Anregungen für Selbsterkundung und gesteigerte Erlebnisfähigkeit bergen.

Gemecker im Bett

In den letzten Jahrzehnten kommen nach und nach immer neue Bücher mit Erkenntnissen aus der klassischen Sexualpädagogik in Verbindung mit neueren Forschungen aus der Genderforschung, den Erkenntnissen zu weiblicher und männlicher Sexualität und der traumsensiblen Sexualtherapie auf den Markt. Das ist gut so.

In der Praxis haben jedoch vor allem Frauen nach wie vor wenig Erfahrung
darin, sich für ihre Berührungsbedürfnisse bis hin zur sexuellen Befriedigung einzusetzen. Oft wissen sie gar nicht, was ihnen gefällt. Sie kennen sich nicht sehr gut aus mit ihrem Körper und den eigenen Genitalien, mit dem, was sie anregt oder abtörnt und sind ungeübt in der Selbstliebe.

Viele Frauen machen im Verlauf ihrer sexuellen Geschichte auch wenig angenehme Erfahrungen mit Rückmeldungen wie: „sei doch nicht so laut“ oder „Du brauchst immer so lange“, „Du bist kompliziert“ oder „was Du immer alles von mir verlangst…“ Das Gemecker im Bett, wenn wir nicht erleben, was wir uns ersehnen, ist für alle Beteiligten unerquicklich.

Aber was tun?

Meine Antwort zu dieser Frage: Fang bei Dir selbst an. Erkunde, wer Du bist als erotisches Wesen. Gönne Dir eingefühlte Berührung und lerne, während der Begegnung aus Deinem Fühlspüren, also der Verbindung von körperlicher Wahrnehmung und dem Gefühl, was in Dir dabei entsteht, heraus zu kommunizieren.

Fünf Faktoren für sinnlich-sexuelle Erfüllung

Im Rahmen meiner sexualtherapeutischen Arbeit, sowie in den Frauenkreisen im Rahmen der Wechseljahreskurse und der Perlentorausbildung habe ich mich seit Jahren mit vielen Frauen Erfahrungen und Wissen zur weiblichen Sexualität ausgetauscht.

Es haben sich dabei fünf Faktoren als besonders wesentlich für eine von Frauen als beglückend wahrgenommene Sexualität herauskristallisiert: 1. Zeit und Kontext, 2. Wissen um die eigene Einzigartigkeit, 3. Selbstermächtigung, 4. Kommunikation, 5. Technik.

 

Zeit und Kontext:

Die mit dem Stress und Anforderungen des Alltags verbundenen inneren Bremsen machen es vor allem Frauen oftmals schwer, sich auf Sinnlichkeit, Berührung und Sex einzulassen.

Frauen sind in Ihrer Libido tendenziell kontextabhängiger als Männer, d.h. sie brauchen mehr stimmiges Drumherum, um sich sexuell zu öffnen. Kontext ist z.B. so etwas wie ein schöner, warmer Raum, gute Musik, das Wissen, dass die Kinder für die nächsten drei Stunden gut versorgt und woanders untergebracht sind, dass die Rechnung, die heute noch raus muss überwiesen wurde etc.

Massage kann als Grundlage für eine sinnliche Begegnung ein wunderbares Medium sein. Sie braucht Zeit und sollte in einem schönen, ruhigen und warmen Raum stattfinden. Dieses Setting ist für viele Menschen erstrebenswert, weil es sie aus dem Alltag aussteigen lässt und damit die sinnlichen Bremsen lockert.

Wenn ich mich selbst für meine Sexualität und wie ich sie lebe verantwortlich fühle, dann kann ich für stimmige Settings sorgen, auch in einer langanhaltenden Partnerschaft, die Kinder und Alltag mit einschließt.

Emily Nagosky, eine junge Sexualforscherin, hat über den Zusammenhang von Libido und Kontextabhängigkeit ein großartiges Buch geschrieben mit dem Titel: „Komm wie du willst“.  In dieser Arena können Frauen auch lernen, Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterscheiden, um sich nicht im tausendsten Detail zu verheddern. Wenn für eine Frau nahezu nie der richtige Zeitpunkt für Sex zu kommen scheint, könnte hier ein Thema liegen.

Das „Ja“ zum Sex finden zu können, setzt nicht nur das reaktive Grenzen setzen können, sondern auch das aktive für Raum und Zeit sorgen voraus.

 

Ich bin, wie ich bin, schön, normal und einzigartig.

Nur die allerwenigsten Frauen wissen um die Vielfalt der weiblichen Genitalien. In Sexvideos und Bildern werden die Genitalien in der Regel so retuschiert, dass Frauen den Eindruck erhalten, alle Vulven sähen gleich aus. Die kleine, zarte und wie ein gleichmäßig geformte Brötchen gilt als normal und schön.

Hier sind zum Beispiel die Teachings im Rahmen der Perlentorausbildung über die Vulva- und Yonitypen auf dem indigenen Medizinrad eine wunderbare Erweiterung unseres Gewahrseins. Sie lehren uns, dass wir normal, gesund und schön sind.

Vulven sind vielfältig und unterschiedlich in ihren Formen, üppig gefältelt und fleischig, mit Vulvalippen wie zarte Schmetterlingsflügel oder kräftigen Fledermausschwingen, klein, groß, weitläufig, hell und dunkel, mit den verschiedensten Farbverläufen, und, und, und…

Im Frauenkreis nackt zu tanzen, die Energie unserer Körper zu erleben und uns frei zu bewegen, lässt uns die Verbindung zu unserer kreativen Ursprünglichkeit wiederfinden. Hier können wir die von der Werbeindustrie auf schematische Schönheitsideale reduzierten Bilder unserer Weiblichkeit wieder gegen die Realität unserer wunderbaren, lebendigen Körper austauschen und uns schamlos an uns erfreuen als die, die wir sind.

Eine kleine Übung

Dich für einen Monat jeden Tag im Spiegel anschauen, vielleicht bewegen zu der Musik, die Dir gefällt und dabei auf das fokussieren, was Dich erfreut, anstatt den Mangel zu suchen.

 

Ich bin selbstmächtig

Aus dem Wissen, dass ich grundsätzlich normal, gesund und schön bin, so wie ich bin, erwächst die Fähigkeit, offen zu sein für das, was mir in einer Situation gut tut, mich nährt und sich wohlig, geil, kuschelig oder sexy anfühlt. Die erste Adresse für diese Erkundung bin ich selbst.

Leider fängt da die Misere oft schon an. Frauen werden nicht unbedingt ermutigt, sich selbst als ihre beste Liebhaberin zu erfahren. Es ist noch immer weit verbreiteter Mythos in den Köpfen von Männern wie Frauen, dass Sex mit sich selbst nur ein schmalspuriger Ersatz für die Liebe zu zweit sei. Das ist sehr schade, weil in der Realität oft zwei unerfahrene Menschen aufeinander treffen mit der Hoffnung, die Anziehungskraft des Anderen würde unser sinnlichen Potenzial voll zum Erblühen bringen.

In der Anfangsphase einer Beziehung, durch die biochemischen Begleiterscheinungen, die Verliebtheit in unserem Körper auslöst, erfüllt sich diese Hoffnung ja auch tatsächlich für eine Weile. Nur hält der Höhenflug der Hormone über diese Phase hinaus nicht an.

Wenn Frauen mit sich selbst gut im Kontakt sind, Ihre eigene Erregungskurve kennen, sich verbunden fühlen mit ihrer Vulva und ihrer Yoni und sich selbst Lust zu verschaffen wissen, haben sie gute Chancen, auch im Kontakt mit einem geliebten und/oder begehrten Gegenüber souverän für ihre Grenzen und ihr Vergnügen einzutreten.

 

Kommunikation: sprechen und spiegeln

In meiner Arbeit mit Frauen höre ich häufig von Sprachlosigkeit und Unsicherheit, wenn es darum geht, zu erkunden und dann auch zu kommunizieren, was ihnen erotisch gefällt und was nicht. Im Sexualcoaching während der Massageausbildung im Perlentor haben wir eine Technik entwickelt, die unter dem Namen „Kommunikation und Kontakt“ zusammengefasst ist.

Dabei lernen Frauen während der Massage zu sprechen. „Wie fühlt sich diese Berührung an für Dich?“ ist eine der wichtigsten Fragen. Die Frau, die massiert wird ist eingeladen, aus ihrem inneren Erleben, ihrem Fühlspüren zu antworten. Die Antwort kann dann z.B. sowas sein wie: „fühlt sich geborgen an“, „fühlt sich an wie fallender Schnee auf meiner Haut“ oder Ähnliches.

Durch das bestätigende Wiederholen dessen, was die Frau gesagt hat, entsteht zwischen der Geberin und der Empfängerin eine sichere Feedbackschlaufe. So kann sich die Empfangende immer tiefer in ihre Empfindungen hinein entspannen. Die Fähigkeit zu sprechen, während wir berührt werden, ist elementar wichtig für vergnügliche und tief berührende Sinnlichkeit. Sie schafft das Erleben von Verbundenheit, von sicherem Raum und öffnet uns für die Neugierde auf das, was als nächstes geschehen will.

 

Technik: Atem, Stimme und Bewegung

Hier kommen wir mit dem fünften Punkt zu der Tatsache, dass gelingende Sexualität auch eine Kunst ist, die eine gewisses Maß an Technik und Fähigkeiten erfordert.

Unsere Gesellschaft lädt schon die Kinder nicht wirklich ein, ihrem Atem und ihrer Stimme freien Raum zu geben. Sie hören viele Male: „sei nicht so laut, renn nicht so rum“ und dergleichen. Die Botschaft, die wir erhalten, ist: sei nicht so lebendig. Was wir tun, um uns dieser Forderung anzupassen, ist unter anderem, weniger zu atmen!

Frauen wurde zudem Jahrhunderte lang auf vielfältige Weise der Mund verboten. Und gleichzeitig zeigt uns die Pornoindustrie gleichförmiges Gestöhne ohne über die Genitalien hinausgehenden Kontakt. Wie soll sich Frau da fühlen und authentisch ausdrücken lernen?

Im geschützten Frauenkreis der Perlentorausbildung, wo es (zumindest für die heterosexuell orientierten Frauen) nicht um die sexuelle Anziehung zum Gegenüber geht, können wir unseren Atem und unsere Stimme wiederfinden. Hinzu kommt die Ermutigung an die Frau, eine aktive Rolle in ihrer Massage einzunehmen, indem sie sich mit bewegt, die im Training erlernte Beckenschaukel einsetzt. So wird sie, im Kontakt mit ihren eigenen Bewegungsimpulsen, verbunden mit ihrer Stimme und ihrer Atmung in der Yonimassage selbst zur Gestalterin ihrer Lust und ihres Vergnügens.

 

Ich bin unendlich dankbar für meine Erfahrungen, die ich im Frauenkreis machen konnte. Da ist eine große Leichtigkeit, die entsteht, wenn sinnliches Vergnügen, Mitgefühl mit den Schmerzen, die Frauen in ihrem Schoß tragen und die Verbindung zu unserer ungestümen Lust wieder frei fließen können.

 

Perlentor: Ausbildung in dynamischer Frauenmassage und Sexualcoaching
Ein Ausbildungsprogramm der Schule für spirituell-erotische Berührungssysteme gegründet von Nhanga Chr. Grunow. Das Jahrestraining wendet sich an Frauen, die eine Ganzkörpermassage mit dem Schwerpunkt auf Yoni-Massage erlernen wollen ( grundlegende Massagekenntnisse werden vorausgesetzt oder können in einem vorangestellten Einführungskurs erworben werden) und sich darüber hinaus für Ihre sexuelle Selbstermächtigung interessieren. Ebenso richtet sich das Training an professionell schon mit Massagen arbeitende Frauen. Sie können die ausbildung mit der Zertifizierung zur Yoni-Masseurin abschliessen. Begleitend können Frauen sich zur Gesundheitspraktikerin für Sexualkultur zertifizieren lassen. Die Ausbildung bietet weitreichende Kenntnisse in weiblicher Sexualität, Anatomie und Sexualcoaching.
Termine für die Ausbildung 2025: 17.-19. Jan / 14.-16. März / 20. – 22. Juni / 12.-14. Sep. / 05.-07. Dez.

 

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