Das Elternsein beginnt schon vor der Geburt des Kindes. In ihrer Arbeit verbindet Anne Hackenberger Neurologie, Biologie und Achtsamkeit miteinander und ermöglicht Frauen und Männern, die transformative Kraft der Geburt bewusst zu erleben.

Wie sind Sie dazu gekommen mit Achtsamkeit in der Begleitung von jungen Müttern, Paaren und im Umgang mit Kleinkindern zu arbeiten?

Anne Hackenberger: Das ist zunächst eine ganz persönliche Geschichte. Die Geburt meines ersten Sohnes war für mich ein sehr intensives, dramatisches Erlebnis. Nachdem mein Sohn geboren war, gab es heftige Komplikationen, weil sich ein Teil der Plazenta nicht gelöst hatte und ich fast verblutet bin. Ich wollte mein Kind im Geburtshaus bekommen, dort ist es auch zur Welt gekommen. Aber kurz darauf musste ich mit einem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht werden.

Es entsprach also gar nicht meiner Vorstellung, miteinander anzukommen. Ich war so schwach, dass ich mich kaum um meinen Sohn kümmern konnte. Zudem war mein Sohn von der Geburt sehr mitgenommen und weinte oft. Aufgrund dieser Situation habe ich mich gefragt, wie ich die Bindung mit meinem Kind stärken kann, weil ich die nahen Momente nach der Geburt nicht hatte.

Achtsamkeit als Weg, um Frieden zu schließen mit meinen Erfahrungen

In dieser Zeit war für mich Achtsamkeit der Weg, um Frieden zu schließen mit meinen Erfahrungen. Zum einen mit dem Erlebnis einer schweren Geburt, zum anderen auch mit der Unruhe meines Sohnes. Ich konnte in eine innere Gelassenheit kommen, um meinen Sohn in dem Schmerz, den er zu verarbeiten hatte, begleiten zu können. Achtsamkeit wurde mein Heilmittel.

Wie wurde Achtsamkeit dann zum Beruf?

Hackenberger: In einer Pikler-Spielgruppe sah ich die Zeitschrift „Mit Kindern wachsen“ und besuchte Seminare bei dem gleichnamigen Verein. Hier fand ich Antworten auf meine vielen Fragen in Bezug auf das Elternsein.

Ich fragte mich dann auch, warum Komplikationen unter Geburten entstehen und was die Schwangerschaft damit zu tun haben könnte. Als ich mit meinem zweiten Sohn schwanger war, warnten mich die Ärzte, dass das Gleiche passieren könne wie beim ersten Mal. Das löste in mir viele Ängste aus. Um damit umzugehen, habe ich mich mit dem Thema Achtsamkeit in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt auseinandergesetzt.

Ich habe gemerkt, dass meine ängstlichen Gedanken auch eine körperliche Reaktion hervorrufen, die das Gegenteil von dem bewirkt, was bei einer Geburt unterstützend ist, nämlich sich zu öffnen. Durch Angst werden im Körper Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet und der Körper verschließt sich, wird angespannt.

Ich kann den Schmerz nicht vermeiden, aber ich kann eine andere Beziehung dazu finden.

Gemeinsam mit meiner Hebamme habe ich untersucht, wie ich meine innere Haltung so verändern kann, dass es die Geburt unterstützt. Ich kann z. B. den Schmerz nicht vermeiden, aber ich kann eine andere Beziehung dazu finden. Mein zweites Kind war dann eine komplikationslose Hausgeburt.

Die Hebamme und Achtsamkeitslehrerin Nancy Bardacke hat ein Programm entwickelt, das Achtsamkeit und Geburtsvorbereitung verbindet (MBCP – Mindfulness Based Childhood and Parenting). Als Nancy ein Retreat in Deutschland gab, nahm ich daran teil und kam auch in ihre Ausbildungs-Gruppe. Parallel habe ich die Ausbildung zur MBSR-Lehrerin (nach Jon Kabat Zinn) gemacht, und das war der Einstieg, mit Achtsamkeit in der Geburtsvorbereitung zu arbeiten.

Wie wenden Sie Achtsamkeit bei der Geburtsvorbereitung mit werdenden Müttern an?

Hackenberger: In dieser Arbeit verbinde ich die MBSR-Übungen mit einem Geburtsvorbereitungskurs. Das heißt, alle Vorgänge der Geburt, des Stillens und der Pflege des Neugeborenen betrachten wir aus der Perspektive der Achtsamkeit. Dabei verbinden wir Neurologie, Biologie und Achtsamkeit.

Während der Geburt sind wir mit einer Situation konfrontiert, die sehr herausfordernd ist, die wir so aus dem Alltag nicht kennen, weshalb sie uns oft schon vorher Angst macht. Es ist der Umgang mit Schmerz, mit einer intensiven körperlichen Empfindung, die wir sonst nicht in dieser Intensität kennen. Damit gut umgehen zu können und sich nicht in Gedankenspiralen zu verlieren, ist eine herausfordernde Aufgabe. Das üben wir im Kurs.

Die Eltern üben alle Achtsamkeitsübungen aus dem MBSR-Programm wie Body Scan, die Atem-Meditation, das Yoga, um mit dem zu sein, was ist und zu lernen, die Aufmerksamkeit zu lenken. Unter fast jeder Geburt kommt der Gedanke, „Ich will nicht mehr, macht das ohne mich“. Das ist auch okay so, aber ich muss dem Gedanken nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als nötig.

Die Geburt ist ein Stück weit wie Sterben. Ich muss wirklich loslassen und das ist eine transformative Kraft.

Der Gedanke kann kommen und dann kann ich ihn wieder gehen lassen, indem ich mich auf die Körperempfindungen konzentriere. Ich spüre, dass die Wehe kommt, einen Höhepunkt erreicht und dann wieder abebbt. Dazwischen gibt es eine Pause, in der kein Schmerz da ist. Wir legen den Fokus darauf, diese Pause wirklich als Erholung wahrzunehmen, statt mir Gedanken darüber zu machen, wie schlimm die nächste Wehe sein wird.

Wenn ich während der Geburt dauerhaft in Widerstand gehe gegen den Schmerz, dann kann sich mein Körper nicht öffnen. Das heißt, ich muss meinen Widerstand aufgeben gegen etwas, was mir erst mal unmöglich erscheint, nämlich gegen den intensiven Schmerz. Das kann man aber auf das ganze Leben anwenden, auf all die Aspekte im Leben, wo die Dinge nicht so sind, wie ich sie gerne hätte. Wie kann ich mit Mitgefühl darauf reagieren, für mich selbst und für die anderen?

Wir können Schmerz nicht vermeiden in unserem Leben. Auch die werdenden Papas erleben Schmerz oder Angst. Den Umgang mit solchen Gefühlen haben wir kaum gelernt. Wir haben eher gelernt, sie zu unterdrücken und ihnen auszuweichen. Das können wir unter der Geburt nicht. Deshalb kann diese Erfahrung der Anlass sein, einen Umgang mit den Gefühlen von Schmerz, Angst, Traurigkeit, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verzweiflung zu finden, die mit der Geburt einhergehen können.

Die Geburt ist ein Stück weit wie Sterben. Ich muss wirklich loslassen und das ist eine transformative Kraft. Wenn ich das als Frau erlebt habe, dann kann ich alles.

Dieses Gespräch erschien zuerst auf dem Portal für
Achtsamkeit in der Pädagogik. Vielen Dank!

 

Anne Hackenberger ist 1981 in Nordhessen geboren, kam 2002 nach Eberswalde und ist Mutter von zwei Söhnen. Ihr Fachgebiet ist die achtsamkeitsbasierte Familienbegleitung. Seit 2013 leitet sie das Zentrum für Achtsamkeit und Familie in Eberswalde. Sie ist eine von drei MBCP (Mindfulnessbased Childbirth and Parenting)-Lehrerinnen in Deutschland, die direkt von Nancy Bardacke ausgebildet wurden.

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