Das größte Geschenk meines Lebens

Der Potsdamer Thomas Joachim Uhlig startete Pfingsten 2009 zu Fuß von der Friedenskirche in Sanssouci mit einer dort gesegneten und entzündeten Friedenskerze Richtung Jerusalem und war über fünf Monate in Osteuropa unterwegs. Er wollte ein Zeichen für Frieden und Verständigung und das Fallen von Mauern setzen. Aufgrund seiner überwältigend positiven Erfahrungen will er Ostern 2010 noch einmal aus Potsdam aufbrechen, um bis Jerusalem zu wandern. Viele Menschen haben bereits angekündigt, ihn ab Potsdam oder weiter östlich ein Stück des Weges zu begleiten.

Selbst an der Berliner Mauer aufgewachsen, habe ich die friedliche Revolution von 1989/90 als 14jähriger miterlebt. Der Anblick der Kerzen in den Händen der demonstrierenden Menschen in Leipzig, Berlin, Dresden und vielen anderen ostdeutschen Städten hat mich nie wieder losgelassen. Tief im Inneren hat der Anblick mich geprägt und zeigt mir, welche Sehnsucht und Kraft die Kerze in sich trägt. Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Verbundenheit mit der Natur, Sehnsucht nach allem wofür unser Herz im tiefsten Inneren lebt und hofft.
Wie wir alle mal mehr mal weniger auf dem Weg, hatte ich früh das Glück, dass auch in den dunkelsten Tälern etwas in mir leuchtete, was das „Warum?“ beantwortete und das eigene Fragezeichen mit Leben erfüllte. Ich fand die Antworten beim wunderbaren Sonnenuntergang in den Bergen, als die Sonne das Panorama erleuchtete und inmitten des Lagers, das mich seit Jahren im Herzen und Geiste begleitete. Auf der Todesrampe von Auschwitz weinte ich und spürte doch gleichzeitig mit der Kerze in der Hand den Frieden und die Versöhnung der Herzen, als sich eine Jüdin und ein ehemaliger Wehrmachtssoldat beim Gottesdienst umarmten und aus dem Kelch tranken. Auschwitz hat nach all den Jahren endgültig seine Bestimmung gefunden und die tiefste Sehnsucht des Menschen freigelegt: Nie Wieder! Bitte endlich Frieden, Liebe und ein Leben in Würde.
Daher brach ich mit der Friedenskerze auf und sie lud mich ein, mich auszurichten auf die Wahrheit des Herzens, der ich nicht mehr entrinnen konnte. Tiefen Dank empfand ich für die Geschenke, für die Tränen und die Verbundenheit, welche sich an so vielen verschiedenen Orten zeigten – in den Wäldern der Masuren, den Klöstern und Kirchen, in den vielen Lagern, bei den Menschen, zu welchen ich kam und die mich mit großer Herzlichkeit aufnahmen. Ich spürte Vertrauen, wo sonst Angst herrscht, Offenheit und Herzlichkeit wo Mauern der Fremdheit zu fühlen waren.

Was treibt mich – Was treibt dich? Wofür leben wir? Was ist unsere innere Sehnsucht und folgen wir ihr? Was ist Verantwortung? Können wir unseren Kindern in die Augen sehen und ihnen sagen: „Wir haben getan, was wir tun konnten, um euch ein Feld zu hinterlassen, das ihr bestellen und auf dem ihr ohne Mauern in Frieden und in Einheit mit unserer Mutter Erde leben können?“ Haben wir wirklich alles getan, was wir tun konnten?
Die Beschäftigung mit diesen Fragen und der Wunsch sie zu beantworten trieben mich auf diesen Weg. Für Frieden und Gerechtigkeit im Heiligen Land und auf der Erde, für ein Leben in Würde in Einheit mit unserer Natur und Gottes Schöpfung für alle Menschen unserer Welt.
Kennen wir es nicht alle? – Täglich kommen wir in Gedanken, Worten und im Tun mehr oder weniger vom Weg ab… Es ist schon ein großes Geschenk, wenn all die Fragen und Sehnsüchte, welche uns zum Menschen machen, im täglichen Leben wach sind. Der Nachhall dieser Fragen ist jedoch schon nach wenigen Wochen in mir gestorben – denn der Weg offenbarte klar die Antworten, zeigt mir die Wahrheit und Schönheit des Lebens, offenbarte klar, es ist der Weg, antwortete jeden Tag mehr mit einem großen Ja. Mein Lächeln wurde freier und die Lehren des Weges klarer. Sie wanderten in die Tiefe meines Wesens und werden mein zukünftiges Leben tragen, denn durch sie fand ich ins Leben zurück.
Täglich lernte ich, dass ich auf diesem Weg in die Demut gezwungen werde, und jeden Tag dankte mein Herz für dieses Geschenk. Das größte Geschenk meines Lebens, die Kerze, zwang mich zu Wahrheit und Demut. Und Demut ist der Schlüssel zur alles umfassenden Liebe, zur größtmöglichen Wahrheit im täglichen Tun, im eigenen Fühlen und Denken, im Umgang mit den Nächsten, mit Tieren und Pflanzen. Sie bringt mich auf den Weg und der Weg ist das Ziel und ich werde reich beschenkt mit dem tiefen Gefühl, noch einen weiten Weg vor mir zu haben und doch immer stärker zu fühlen, tatsächlich auf dem Weg zu sein!

Ein kleines und doch so großes Erlebnis, welches Hoffnung gibt, dass wir aus dem Kreislauf der Geschichte ausbrechen können und dass der Weg zum Frieden doch machbar und nicht ewig ist:
Ein deutscher Soldat sprach mich an, als ich gemeinsam mit 4000 Pilgern in das größte polnische Heiligtum, zur Schwarzen Madonna von Jasna Gora pilgerte, von wo ich direkt weiter nach Auschwitz wollte. Dort pilgern seit einigen Jahren deutsche, polnische und amerikanische Soldaten in Uniform und mit Fahne mit, singen gemeinsam heilige Lieder, beten und setzen lebendige Zeichen der Versöhnung. Sie hörten von meinem Weg mit der Friedenskerze – am fünften Tag gab mir der deutsche Soldat einen großen Beutel voller Medizin, welche die deutschen Soldaten gesammelt hatten und drei Namensschilder von jungen deutschen Soldaten, die ich an der Mauer in Jerusalem anbringen sollte… „Nie Wieder!“ war auch der Herzenswunsch dieser Soldaten, 60 Jahre nach dem Holocaust. Ich weinte in dem Augenblick und ich weine, als ich mich jetzt an diesen Augenblick erinnere – eines der größten Zeichen des Weges.

Nur scheinbar paradox, schenkte mir der Weg mit der Kerze durch einige der dunkelsten Orte dieser Welt, die Konzentrationslager in Polen, immer öfter Leichtigkeit, tief angebunden an mein Wesen und getragen von meinem Herzen. Wie schwerer Ballast hatte das Trauma des Holocaust in den Tiefen meines Wesens gelegen und jeden Tag mein Leben bewusst und unbewusst beeinflusst, weil das „Nie Wieder!“zum Lebensstrom in meinen Adern wurde und mich auf den Weg nach Jerusalem trug. Als ich ihn dann ging, kam es hoch, jeder Schritt machte es wach und so konnte es hinaus, jede Träne befreite mich mehr und mehr, es floss praktisch aus mir heraus. Bis Auschwitz waren so viele Tränen geweint, dass ich auf der Todesrampe inmitten des Lagers fühlte, dass ich genug geweint hatte.
Hier fühlte ich tief im Innern, dass der Ort seinen Frieden und seine Bestimmung gefunden hat.
Nach Auschwitz war ich freier, fast befreit von all dem und in den folgenden Wochen und Monaten konnte ich lachen und mit weit geöffneten Augen das Leben und die Natur aufsaugen, das frische Wasser in den Bächen der Berge genießen, mich satt essen an den wunderbaren Heidelbeeren. Ganze Felder standen voller Beeren, für alle Tiere, Füchse, Bären und Vögel und alle Wanderer mehr als genug zum Schmausen.
Leben, das ist der ewige Sinn des Lebens… Deinen eigenen Sinn des Lebens kannst du dir Kraft deiner Entscheidung selbst geben – auch diese Einsicht und die Liebe zum Leben schenkte mir der Weg. Leben ist Liebe – von Herzen Dank der Kerze und dem Weg dafür.
Shalom

Ein kleiner Einblick in den Weg: www.stutthof.pl/deutsch/node/82

Kontakt zu Thomas Joachim Uhlig unter thomas.potsdam@gmx.net oder 0172 3043222

 

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