Wieso fehlt uns so oft der Mut. Gerade wenn es um Herzensdinge geht scheint uns der Mut öfter zu verlassen als uns lieb ist. Wir kennen das alle – unsere Unsicherheiten, die uns lähmen bis wir nicht mehr weiter wissen. Dann haben wir Befürchtungen und Vermutungen, in die wir uns immer mehr verstricken bis wir entscheidungs- und handlungsunfähig sind. Da kann einen auch wirklich der Mut verlassen – falls man überhaupt jemals Mut hatte.

Hätte ich nur den Mut… mein Leben zu riskieren, um es zu gewinnen?

Mut kommt von dem mittelhochdeutschen Wort muot, was so viel bedeutet wie Sinn, Geist, das Innere, das Herz. Auch im Französischen steckt das Wort Herz = cœur in dem Wort Courage. Mut brauchen wir also vor allem, wenn es uns um etwas sehr Wichtiges geht: z.B. wenn wir für unsere Grundüberzeugungen eintreten wollen oder für unsere Ideale. Aber wir brauchen auch Mut, wenn es um kleinere Dinge geht, die uns wirklich von Bedeutung sind.

Schauen wir uns dazu ein konkretes Beispiel aus Beziehungen an, wo wir Mut brauchen, um für uns einzustehen. Zum Beispiel wollen wir unserem Partner mitteilen, dass wir in der Partnerschaft unglücklich sind und uns eine Veränderung wünschen. Wir hoffen dann, dass er es aus unserem traurigen oder enttäuschten Blick lesen kann, dass uns etwas fehlt. Doch dieser reagiert eher mit noch weniger Zuwendung, wenn er immer wieder unsere enttäuschten oder vorwurfsvollen Blicke sieht. Leider wissen wir oft nicht, wie wir ein so „heißes“ Thema ansprechen sollen.

Wie kann ich in so einer Situation lernen für mich einzutreten? Kenne ich meine eigenen Bedürfnisse und kann ich sie auch so formulieren, dass sie bei meinem Gegenüber ankommen? Nicht selten sind wir bereits von solchen Situationen überfordert und haben keine Vorbilder wie ´man so etwas macht´, dass wir es lieber gar nicht erst versuchen. Uns verlässt der Mut und wir ertragen die Situation weiter. Dabei verschließen wir unser Herz wieder ein Stück mehr und nehmen uns selbst und unsere Bedürfnisse nicht ernst. So etwas führt dazu, dass unser meist schon geringer Selbstwert noch weiter sinkt und wir uns noch hilfloser und wirkungsloser fühlen.

Für die Antwort müssen wir in unserer Lebensgeschichte noch einmal einen Schritt zurückgehen. Wie steht es eigentlich um unseren Willen? Wie gut kennen wir denn unsere Bedürfnisse und wie gut wissen wir, was wir von ganzem Herzen wollen? Was ist uns wirklich wesentlich und wichtig? Haben wir im Leben die Erfahrung gemacht, dass wir durch unsere Worte oder unser Handeln wirksam sein können?

Wir haben den Mut verloren

Den meisten von uns wurde abtrainiert, dass wir klar für das einstehen können, was wir wollen. Schon von kleinen Kindern erwarten wir, dass sie lernen ihre Bedürfnisse zurückzustellen und nicht so viel zu fordern. Viele Eltern haben Angst sie könnten ihre Kinder verziehen. Selbst heute höre ich noch oft, dass Eltern zu ihren Kindern sagen: „Das heißt nicht – ICH WILL – das heißt – ich möchte bitte…“ oder „Kinder mit einem Willen kriegen was auf die Brillen!“ So oder so ähnlich haben wir es als Kinder auch zu hören bekommen, und wollten wir dann nicht hören, dann durften wir fühlen… Unsere Eltern (und heute vielleicht wir) sind der Meinung gewesen, dass Kinder maßlos werden und beliebig fordernd, wenn man ihren Wünschen und ihrem Willem nachgibt. Aus dieser Angst und Überforderung heraus haben bereits unsere Eltern es oft nicht verstanden unsere Bedürfnisse zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Und das beginnt schon in den ersten Wochen der Geburt, in denen wir als Kind darauf angewiesen sind, dass Erwachsene unsere Bedürfnisse erkennen und ernst nehmen. Sonst sind wir ja in Lebensgefahr.

Ein Kind erlebt es z.B. als lebensbedrohlich, wenn es alleine in einem Zimmer ist und nach seinen Eltern ruft oder schreit und die kommen nicht in wenigen Sekunden zurück ins Zimmer. Das kindliche Programm aus der Urzeit wird hier aktiv und der Säugling glaubt, dass die Sippe weitergezogen ist und ihn im Gestrüpp vergessen hat. Das war früher ein sicheres Todesurteil. Noch immer wirkt in Säuglingen dieses Programm und ihr kleiner Körper steht in solchen Momenten unter höchster Stressbelastung und Panik. Wenn ich das als Kind öfter erlebe und mein Schreien wird regelmäßig ignoriert, lernt mein Gehirn, dass es sowieso zwecklos ist, wenn ich auf mich aufmerksam mache oder sogar in meiner Not anfange zu schreien. Ich lerne als tiefe Überzeugung, dass ich wirkungslos bin und mein Versuch, meine existenziellen Bedürfnisse nach Nähe, Wärme und Nahrung zu stillen, scheitert. Innerlich geben wir auf, resignieren und unser Selbstwert nimmt massiven Schaden – und das für unser ganzes Leben. Unser Vertrauen in die Welt ist durch solche Erfahrungen geschädigt. Wir nennen das Ergebnis daraus „erlernte Hilflosigkeit“. Diese erlernte Hilflosigkeit ist – wie viele frühkindliche Lernerfahrungen – eine wesentliche Ursache für Minderwertigkeitsgefühle, Selbstwertprobleme, Depression, Burn-Out, spätere Gewaltbereitschaft, Drogenkonsum und vieles mehr. Aber selbst wenn wir nicht daran krank werden, hinterlassen diese Erfahrungen einen bleibenden Eindruck in uns. Henry David Thoreau sagte einmal: „Die meisten Menschen leben in stiller Verzweiflung!“ Das ist das Ergebnis, wenn wir den Mut verloren haben unserem Herzen zu folgen und uns von ihm leiten zu lassen, weil wir Angst haben wir könnten wirkungslos sein.

Mutige Menschen haben als Säuglinge und Kinder erfahren, dass ihre Bedürfnisse ernst genommen werden. Sie haben Vertrauen darin, dass sich jemand dafür interessiert, was sie denken und fühlen und dass sich andere Menschen sogar davon beeinflussen lassen, wenn sie ihre Wünsche äußern. Sie glauben an ihre eigene Wirksamkeit in der Welt. Selbstverständlich treten sie deswegen auch für ihre Herzens­angelegen­heiten mutig ein und sagen was sie (verändern) wollen. Dazu brauchen sie keinen Druck ausüben oder gar laut werden. Sie haben gelernt selbstsicher zu agieren.  Sie brauchen keine Gewalt um sich verständlich zu machen und sie werden keine Mitläufer. Sie fühlen sich in Beziehungen nicht ausgeliefert oder abhängig und sie gehen in ihren Lebensträumen ihren Weg. Wenn sie Ziele haben, dann geben sie auch nicht bei der kleinsten Störung oder einem Misserfolg auf. Sie stehen immer wieder auf und setzen sich für ihre Herzens-Ziele ein.

Mut-Training

Wenn wir mutiger werden wollen, dann können wir uns Stück für Stück darin üben. Das funktioniert in ähnlichen Schritten, wie wenn wir eine neue Fähigkeit erlenen wollen. Wenn ich z.B. Segeln lernen will, dann werde ich nicht mit einem großen Schiff alleine bei hohem Seegang und Sturm meine ersten Erfahrungen sammeln. Sondern ich würde mir einen sanften Tag aussuchen mit wenig Wind und niedrigen Wellen und ein kleines Boot, das ich gut in den Griff bekommen kann. In seichtem Gewässer würde ich meine ersten Erfahrungen sammeln und wenn ich schlau bin, dann nehme ich mir auch einen Menschen mit dazu, der sich auskennt und der mir bei meinen ersten Versuchen zur Seite steht und der mir durch seine Erfahrung Vorbild sein kann. In dieser sicheren Umgebung kann ich dann lernen und positive Erlebnisse schaffen, die mein Selbstvertrauen stärken und mich bei jedem weiteren Versuch ein wenig mutiger machen.

Mein Umgang mit Fehlern

Ein wichtiger Punkt ist der Umgang mit Fehlern und Rückschlägen. Viel zu schnell lassen sich die meisten Menschen davon so verunsichern, dass sie aufgeben und keine weiteren Versuche unternehmen. Dabei wissen wir doch eigentlich, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn wir auch bei Fehlern nicht aufgeben. Wir würden sonst als Kinder nie laufen lernen, würden wir nach den ersten paar Stürzen einfach auf dem Hosenboden sitzen bleiben und resignieren. Als Erwachsene scheint uns oft der zu bewältigende Berg unendlich groß. Wir wollen dann am liebsten, dass sich alles mit einer einzigen Aktion von uns auflösen und heilen lässt. Aber die Lernschritte sind eben ein wenig kleiner. Wenn wir, wie in unserem obigen Beispiel unserem Partner sagen wollen, dass wir unzufrieden in der Beziehung sind, und haben aber seit Jahren keine wesentlichen Gespräche mehr geführt und uns nur noch über Smalltalk und Haushaltsaufgaben verständigt, dann wäre der Schritt von „Wo ist denn die Fernsehzeitung, mein Schatz?“ zu der Aussage: „ich bin in unserer Partnerschaft unglücklich und will mit Dir intensive Paargespräche führen damit wir wieder gemeinsame Werte entwickeln können…“ einfach zu groß. Die Antwort des überforderten Partners wäre wahrscheinlich dementsprechend: „Was willst Du denn jetzt schon wieder?“ Ein erster Schritt wäre dann vielleicht, dass ich den Mut fasse zu sagen: „Ich will heute lieber mit Dir reden als fernsehen. Hast Du auch Lust dazu?“ Selbst dieses „Ich will…“ scheint manchen Menschen schon zu schwer.

So kann ich auch Mut in kleinen Schritten lernen, indem ich meine Ziele nicht zu hoch setze und meine „kleinen“ Erfolge wirklich achte und würdige. Nach und nach kann dann in mir mehr Mut wachsen, auch in anderen Aufgaben entschieden zu handeln. Mutig wird man auf jeden Fall nicht, wenn man wartet – vor allem, wenn man so lange wartet bis andere (oder äußere Umstände) für mich entscheiden.

Wer „Held“ sein will in seinem Leben und nicht Nebendarsteller oder Komparse, der muss sich regelmäßig bewusst entscheiden und Verant­wortung annehmen. Dafür brauchen wir den oben beschriebenen Mut.
 

Die Reise zu uns selbst erfordert unseren ganzen Mut 

Haben wir unseren Mut gesteigert, finden wir wieder einen Zugang zu unseren Gefühlen und Bedürfnissen und können so unsere Herzensstimme hören und ihr folgen. Was braucht man noch mehr für ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben? Dann ist Schluss mit einem Leben mit der Schlummertaste. Dann ist es Zeit, dass wir aufstehen und das Leben realisieren, was wir uns in den kühnsten Träumen ausgemalt haben. Wir können es endlich in die Hand nehmen und Schöpfer unseres Lebens werden.

Wir brauchen diesen Mut, wenn wir vor der Aufgabe stehen, unsere eigene Kraft und wahre Größe zu bekennen. Wir blicken dann nicht mehr auf unsere Unzulänglichkeiten, die uns entschuldigen. Wir blicken auf unsere Gaben, auf unsere Stärke und unsere Bereitschaft uns ganz auf unser Leben einzulassen, auf die innere Stimme, die von uns alles fordert – jeden Tag, aus voller Kraft und Leidenschaft zu leben. Die Stimme unseres Herzens, die uns ins Leben stürzen will.

 

Über den Autor

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Dipl. Psychologe und Vorstand
mannaz – Dasein erleben e.V. 
Dipl. Psychologe und Vorstand mannaz – Dasein erleben e.V.
17349 Leppin, Schloßweg 3
Telefon: 039 66 – 24 999 44

– Seit 2004 Vorstand und Mitbegründer des Vereins mannaz – Dasein erleben, zur ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung
– Offene Seminare, Vorträge, Workshops und offene Abende sowie die Organisation des jährlichen „Pilgerwegs der Begegnung“ in Deutschland
– Seit 2007 eigenes Seminarzentrum in Mecklenburg-Vorpommern
– 2010 erste Buchveröffentlichung: „Geh-Danken von Heiko Kroy“ im Eigenverlag von mannaz
– Seit 2012 Mitherausgeber der Zeitschrift „Mit Leib&Seele“



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