von Silke Grimm

Unsere gemeinsame Forschungsfrage als Paar lautet: Wie kann ich in Partnerschaft leben und dabei ganz sein, was ich bin? Oder Was heißt es für uns, wahrhaftig zu leben und zu lieben – in Partnerschaft?

Nach 15 Jahren Partnerschaft drang es in unser Bewusstsein, dass unsere Verbundenheit miteinander sehr tief und auch sehr lebendig ist, dass wir meistens in dem Gefühl einer nährenden stabilen Partnerschaft leben, die immer wieder auch Menschen von außerhalb anzieht. Und so hatten wir zunehmend den Gedanken, dass in unserer Liebe Platz ist für mehr als nur uns zwei (und die drei Kinder).

Wir sind beide Menschen, die mit viel Lust, Freude und Neugier dem Eros und dem Sex begegnen … und die das Gefühl verbindet: „hier gibt es für uns noch Neues zu entdecken“. Meine brennendste Frage vor 12 Jahren jedoch war (nachdem ich zeitgleich über die Begriffe „bedingungslose Liebe“ und „freie Liebe“ gestolpert war): „Wenn ich die Idee der „bedingungslosen Liebe“ konsequent zu Ende denke, welchen Grund gibt es, dass sie vor der Sexualität halt machen sollte?“ Es war das erste Mal, dass ich überhaupt auf die Idee kam, dass meine sexuelle Liebe auch anders als nur zu einem Partner fließen könnte.

Die Herausforderungen ließen nicht auf sich warten.

Ein Mann interessierte sich offen für mich. Eine meiner Grundentscheidungen, die ich damals traf, war, dass die Dinge die ich tue, unsere Liebe nähren und vergrößern sollen – nicht schmälern. Sie sollen uns freier und nicht enger machen. Während der Zeiten der Eifersuchtsdramatik führten uns ritualisierte Zwiegespräche immer wieder zu uns selbst und zueinander. In ihnen fanden wir immer wieder den Weg durch die Angst und den Schmerz hin zu Mitgefühl und Liebe. Die Zwiegespräche unserer Körper sind unser zweites Zaubermittel. Dennoch kamen wir an den Punkt, wo wir merkten, dass wir nicht wirklich weiter kamen.

Rainer bat mich darum, den Kontakt zu dem Freund zu unterbrechen, um in Ruhe an dem Thema zu arbeiten. Ich gab Rainer diesen Schutzraum. Er war einige Zeit entspannter und wir hatten mehr Energie für andere Dinge.

Nach einigen Monaten fiel mir dann allerdings auf, dass ich genervt und aggressiv war, wenn ich dem anderen Mann begegnete. Ich begann ihm auszuweichen. Es mag lächerlich klingen, aber diese Situation hat mich zu einer tief gefühlten Erkenntnis gebracht. Mit einem mal plumpste es sozusagen in mich hinein: So entsteht Krieg! Wenn das, was ist, nicht sein darf – wenn ich einen Kontakt verhindere, der sein will; oder wenn die Liebe, die ist, nicht fließen kann – dann können Wut und Unsicherheit und vielleicht Hass und vielleicht Krieg entstehen.
Bis dahin fand ich solche Behauptungen immer ziemlich weit hergeholt. Jetzt hatte ich diese Dynamik im Kleinen selbst körperlich erfahren. Das Erleichternde war, dass ich gleichzeitig mit dieser Erkenntnis Mitgefühl – vor allem mit mir selbst bekam und die Schönheit beider Männer wieder sehen konnte.

Ich wollte, dass das Kennenlernen und Vertrauen zwischen uns dreien wuchs. Und so begann nach einem halben Jahr Kontakt-Pause die Ära der „Trigespräche„, in denen wir alle drei sehr offen und ehrlich über unsere Gespinste, Ängste und Wünsche sprachen.

Die unverhoffte Wende jedoch kam ein halbes Jahr später …. Während eines Festes sprach unser „Freund“ den Wunsch aus, mir eine erotische Massage geben zu wollen, wenn es für Rainer stimmt. Ich freute mich über das Angebot und gleichzeitig habe ich einen ganz schönen Schrecken bekommen. Was will ich wirklich? Nach kurzem Überlegen wusste ich, dass das, was sich für mich frei anfühlen würde, eine 4-Hand-Massage von beiden Männern war. … für den Beginn eines neuen Abenteuers. Nach 10 Sekunden ließ ich völlig los. Ich wurde von 4 Händen in völliger Harmonie berührt.

Von zwei zu drei zu mir zurück – nach Hause. Heilige, heilende Momente. Zwei Männer in Harmonie miteinander zu erleben; zu sehen, wie sich Konkurrenz und Eifersucht wandelt zu Brüderlichkeit, zu einem Teilen von Intimität und Sinnlichkeit und inzwischen auch Sexualität, zur Freude am Schenken und Unterstützen. Und wie dies wiederum den Weg freimachte für mich zum: „Es darf sein!“. „Es darf sein, mit mehr, als nur einem Menschen zu sein. Ich darf mehr, als nur einen Menschen lieben.“ Wie sich mein ganzer Körper, mein gesamtes System so tief entspannt und mich das Gefühl ganz ausfüllt, „zu Hause zu sein“, endlich „bei mir zu Hause zu sein“.
Auf dieses erste, folgten weitere Treffen zu dritt, die schon beim 2. Treffen sexuell wurden. Ganz wichtig für mich war, dass wir uns im ersten Jahr einige Tage nach einer erotischen Begegnung zu einem Nachgespräch zu dritt verabredeten. Es war so heilsam voneinander zu hören, wo die schönen und auch wo die schwierigen Momente innerhalb der Begegnungen gewesen waren.
Auch zu Beginn eines Dates redeten wir erst einmal, um voneinander zu wissen, was jeden gerade beschäftigte und auch um zu hören, was wir uns von dem Treffen wünschen. Irgendwann wurde das Nachgespräch zum Vorgespräch (oder umgekehrt).

Es dauerte ein weiteres Jahr und Rainer machte sich auf den Weg, die Frauen zu erforschen.

Erleichtert stellte ich fest, dass ich nicht eifersüchtig reagierte. Was mir gut tut ist, mit den Frauen direkt in den Kontakt zu gehen. Zum Einen, um sie anzusprechen auf ihre Begegnung mit Rainer, zu signalisieren, dass es für mich gut ist – damit möglichst nichts Unangesprochenes zwischen uns steht und unser Kontakt frei bleibt – egal, wann oder wo wir uns begegnen. Zum Anderen wünsche ich mir, zwischen uns Frauen eine solidarische, schwesterliche Verbundenheit herzustellen. Wenn ich die spüren kann, dann breitet sich in meiner Brust ein ganz warmes, weites und freudiges Gefühl aus.

Wenn es mir dagegen nicht gelingt, dieses Gefühl herzustellen, dann kann es passieren, dass in mir eine tiefsitzende Angst aktiviert wird: „die andere Frau wird mir meinen Mann nehmen und mich vernichten“. Diese Angst ist überhaupt nicht logisch begründbar – das macht es mir auch immer wieder schwer, diese Angst anzunehmen – und dennoch ist sie da. Ich habe auch erlebt, wie die andere Frau mir voller Vertrauen strahlend ihre Freude über ihre Begegnung mit Rainer zeigt – und das war geradezu umwerfend – es hat mich zutiefst berührt: Das Geschenk von „Frieden, Freude und Freiheit zwischen Frauen“.

Um so unverständlicher war es für mich, dass es mich immer wieder kalt von hinten erwischte, wenn Rainer, erfüllt mit Freude von einer sexuellen Begegnung zurückkommt. Mein erster Reflex ist dann oft: „Halt! Stopp! Komm mir nicht zu nah!“ Für mich fühlt sich das schrecklich an; Und Rainer kann mit seiner Freude nicht bei mir ankommen.
Nach einer dieser Situationen wurde mir schlagartig klar, dass ich zwar Rainer und der Frau gerne ihre Begegnung schenkte, mich aber nie wirklich entschieden hatte, all das anzunehmen, was Rainer zu mir zurückbrachte: nämlich einen durch die Begegnung mit der Frau veränderten Rainer, letztendlich einen Teil dieser anderen Frau. Ich glaube, dass hier ein tiefes unbewusstes Muster in mir einrastet, das lautet: „Fremd gleich feindlich“. Und ich finde, es hat ausgedient. Ich werde mich daran machen, es umzupolen hin zu einem neugierigen: „Ah, was ist das? Etwas Neues! Interessant! Das muss ich erforschen!“

In diesen letzten Jahren habe ich – mal wieder – fest gestellt, dass Rainer irgendwie anders ist, als ich. Zum Einen spürt Rainer viel schneller und eindeutiger und vor allem viel öfter einen sexuellen Impuls hin zu einer anderen Frau (als ich zu einem Mann). Von mir wünscht er sich die Freiheit, diesen Impulsen nachgehen zu können. Und er wünscht sich, dass es leicht geht. Das stellt mich vor neue Herausforderungen!
Wir vereinbarten, vor einem möglichen Treffen miteinander zu sprechen, um zu schauen, ob, wann und wie ich zu der Situation „Ja“ sagen kann. Wir vereinbarten, uns nur dann mit jemand anderem sexuell treffen zu wollen, wenn wir miteinander gut im  Liebeskontakt sind. Wir wollen nicht unseren „Problemen“ ausweichen, sondern aus dem Überfluss anderen begegnen. Ich wünschte mir, dass ich teilhaben kann an seinem Erleben, indem er mir erzählt, was ihn berührt.

Rainer hat unsere Absprachen nicht immer eingehalten. Entsprechend war ich enttäuscht,  verunsichert und frustriert. Ich musste mir eingestehen, dass diese Art von Vereinbarungen mir nicht die gewünschte Sicherheit geben. Die Frage drängt sich auf, ob es da überhaupt eine Sicherheit im Außen (also z.B. durch Vereinbarungen) geben kann. Ob ich sie nicht nur in meinem Inneren finden kann. Und was mach ich in der Zeit, wo ich sie innen noch nicht gefunden habe? Kann ich Rainer zu anderen Frauen gehen lassen? Traue ich ihm zu, meinen Ängsten, meiner Wut, meinem Schmerz, meinem Zetern und Hadern standzuhalten? Kann ich mich an ihm aufrichten, zu dem, wohin ich will? Durch die Wut, die Angst und den Schmerz hin zu einem größeren Ich, hin zu mehr Liebe…. Wird er da bleiben? Das sind meine Fragen und ich spüre meine Verletzlichkeit.

Und dann lernte Rainer SIE kennen. Er schrieb ihr, sie telefonierten, er schickte ihr eine eigens für sie zusammengestellte CD, sie hatten schon „ihr Lied“ …. Rainer hatte sich verliebt.
Und ich dachte: OK, wir haben ja schon mal eine Dreier-Geschichte ganz gut hingekriegt. Analog müsste das doch auch hier funktionieren – nur mit getauschten Rollen. Also : langsame Annäherung zu dritt, damit Kennenlernen, Verstehen, Vertrauen und Zutrauen zwischen uns wachsen können. Langsamkeit und Achtsamkeit und Wahrnehmung insbesondere von Rainer, damit alle im Boot bleiben…. Pustekuchen!!!!!

Nach kurzer Zeit fühlte ich mich wie ein alter, abgelegter Bademantel.

In meinem Kopf kreisten rasend die Gedanken: Zwischen „Ich habe kein Recht ihnen den Spaß zu verderben.“ Und „Ich muss an der Situation was verändern.“ Und „Ist das die Wahrheit? Fließt alle Energie nur zu ihr? Letztendlich ließ ich die beiden (heroisch) allein, um dann zu Hause zu merken, dass es mir dort auch nicht besser ging. So rief ich sie an, um ihnen zu sagen, dass mir der Kontakt zu ihnen fehlt. Sie waren sowieso schon unterwegs. Und wir verbrachten eine innig heimatlich aneinander geschmiegte Nacht zu dritt.

Wir nahmen uns am Tag darauf viel Zeit zum Nachgespräch. Trotz unseres intensiven Austausches hat sich die ungute Situation beim übernächsten Treffen wiederholt. Das hat in mir starke Prozesse ausgelöst. Ich bin auf einer sehr tiefen Ebene an existentielle Ängste gestoßen, die nichts mehr mit der Situation zu tun haben, außer, dass sie diese ausgelöst hat.

Ich glaube, dass ich in den letzten Jahren einige meiner Verteidigungsringe und Schutzwälle habe fallen lassen; so dass jetzt tiefere Angstpunkte, die ich zuvor gut schützte, damit sie nicht ausgelöst werden, freiliegen. Ich glaube, nur Rainer konnte mich in solche Tiefen führen. Weil es so weh tut, wenn ich merke, dass ich mein Leben nicht in der Hand habe, gilt es wohl, sanft mit mir zu sein und zu erforschen, was da ist. Das Treffen von Vereinbarungen war unser zentraler Versuch, das Risiko überschaubar, unser Leben unter Kontrolle zu halten. Schließlich hatten wir ja auch noch einen Alltag mit drei Kindern, Beruf und Gemeinschaft zu
bewerkstelligen.

Inzwischen habe ich oft genug erfahren, dass Vereinbarungen mir nicht die erhoffte Sicherheit geben. Das Leben funktioniert ganz augenscheinlich anders. Zwischen den beiden unschönen Ereignissen, gab es eine Nacht, die wir zu dritt verbrachten und wo wir zwei Frauen einige Zeit allein bei einander lagen. Wir kamen uns ganz nah. Und sie berührte meine Seele.

 

Zunehmend werden wir gefragt, wie wir das machen mit der Liebe. 

Wir haben uns entschieden, die Wahrheit entdecken zu wollen. Jeder für sich, gemeinsam mit dem anderen. Für mich ist Liebe daher zu aller erst ein Willensakt. Und wir haben uns entschieden, zu wollen. – Und Lieben heißt für mich „Dranbleiben“; dranbleiben an meiner Wahrheit, an der ganz, ganz großen. Nichts ist zu gut für sie! – Zu lieben bedeutet für mich auch Arbeit und Disziplin: geistig, spirituell, experimentell… – Wenn ich mehr als nur mich liebe, dann muss ich kommunizieren. Bis jetzt hieß das bei uns: Reden, reden, reden, und berühren, berühren, berühren. – Damit ich meine Grenzen verschieben kann, brauche ich Zeit. Zeit, damit ich spüren kann, wo meine Grenzen sind; und damit ich dort, an der Grenze verweilen kann, um ganz zu fühlen, was dort ist.
– Und Lieben heißt Geduld und auf die Grenzen des anderen Rücksicht nehmen, damit auch er die Zeit hat, sie schmelzen zu lassen.
– Nicht zuletzt brauche ich Mut. Den Mut über die eigenen Grenzen hinauszugehen; Den Mut, an der Grenze die alte Silke sterben zu lassen, um eine neue zu wagen und als einziges Wissen das Nicht-Wissen mitzunehmen. – Und nicht zuletzt haben wir uns ein Umfeld geschaffen, das uns in unserer Forschung unterstützt, Freunde und Freundinnen, innere und äußere Lehrer, eine WG und eine Gemeinschaft, die uns und unserem Forschungsschiff bei Sturm und Flaute beistehen.

Hinter Angst und Schmerz habe ich (bisher) immer die Liebe gefunden.

Ein Ende der Reise ist nicht in Sicht. Im Vergleich zu vor einigen Jahren, haben wir heute jeder für uns und als Paar viel mehr Klarheit und leben ein wahrhaftigeres und freieres Leben … und wir verstehen eine Menge mehr von Liebe und Sexualität.

Silke Grimm

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*