Bei einem Kurzurlaub im Kloster kann man den Alltag hinter sich lassen. Und ein bisschen über Gott und die Welt nachdenken. Aus dem Tagebuch von Bettina Homann

Eindrücke im Kloster Stift zum Heiligengrabe 

Das Navigationssystem auf meinem Handy führt mich in den Wald, dann verlässt es mich. Kein Netz mehr. Ich kann nicht umhin, das sinnbildlich zu verstehen. Ich habe in letzter Zeit ein wenig die Orientierung verloren. Zu viel Stress. Zu viele Grübeleien im Halbschlaf. Ich sehne mich danach, einmal wirklich zur Ruhe zu kommen. Und obwohl ich vor Jahren aus der Kirche ausgetreten bin, scheint mir ein Kloster der richtige Ort dafür. Dank freundlicher Fremder finde ich den Weg schließlich und treffe am späten Vormittag im Kloster Stift zum Heiligengrabe bei Wittstock ein, einem der am besten erhaltenen Klöster Brandenburgs. Ein beeindruckender Gebäudekomplex aus Kirche, Kapelle, Abtei und Wohngebäuden aus Feld- und roten Backsteinen, teilweise Efeu-berankt. Die ältesten Teile stammen aus dem 13. Jahrhundert. Seit der Gründung als Zisterzienserinnenkloster im Jahr 1287 haben hier immer Frauengemeinschaften gelebt, seit 1548 protestantische. Selbst zu DDR-Zeiten war das Kloster aktiv, dank einer Gruppe Diakonissinnen, die aus Schlesien geflohen waren und hier ein Heim für Behinderte betrieben.

Mein Zimmer im Dormitorium im zweiten Stock der Abtei ist alles andere als eine Klosterzelle. Würden nicht Fernseher und Minibar fehlen, könnte dies ein gehobenes Hotel sein. Dank Spenden und Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmal konnte das Kloster in den letzten Jahren stilvoll renoviert werden. Vom Fenster aus geht der Blick in den Klostergarten und auf die Kapelle, vom Flur sehe ich in den Hof und auf den vollständig erhaltenen Kreuzgang.

Als ich meine Sachen abgestellt habe, läutet es zur Mittagsandacht in der Heiligengrab-Kapelle. Ein beeindruckend schöner Raum, mit bunt bemalten Wänden und geschnitztem Chorgestühl, spendiert von Wilhelm II. Die Äbtissinnen von Heiligengrabe, stets Damen aus altem preußischen Adel, unterhielten gute Beziehungen zum Hof. An der Wand aufgereiht stehen ihre Namen, Josephine Auguste Henriette von Winterfeldt, Adolphine von Rohr, Armgard von Alvensleben …

Im hinteren Teil der Kapelle ist der Eingang zum Grab, das dem Kloster den Namen gab. 
Es gibt viele Gründungslegenden. Eine erzählt vom Diebstahl einer Hostie, die daraufhin zu bluten anfing und hier begraben wurde. So sah gelungenes Tourismusmarketing im Mittelalter aus – Heiligengrabe wurde dank des Wunders zur Pilgerstätte.

Vier ältere Damen sitzen in der ersten Reihe. Eine von ihnen entpuppt sich als die Theologin Erika Schweizer, die vor gut einem Jahr zur Äbtissin des Klosters berufen wurde. In ihrem fellgefütterten Parka sieht sie nicht aus wie eine Nonne, weil sie – wie ich später lerne – keine Nonne ist. Es gibt nämlich keine protestantischen Nonnen. Stiftdamen hießen sie früher, heute Stiftsfrauen. Sieben von ihnen gibt es aktuell, alle ehrenamtliche Mitglieder der Gemeinschaft, die ihren Lebensunterhalt anderswo verdienen und bis auf eine auch nicht hier leben. Sie organisieren das umgangreiche Programm des Klosters. Einkehrtage, „Ora et Labora“-Wochen, Meditationen, Seminare. „Der Bedarf wächst“, sagt Gabriele Simmermacher, Chirurgin und Stiftfrau seit 2003. „Allgemeine Verunsicherung, Terroranschläge – viele Menschen sind auf der Suche nach halt und Sinn.“ Sie hat sich zur Geistlichen Begleiterin weitergebildet und bietet Einzelgespräche an. „Für Menschen, die ihre Beziehung zu Gott klären wollen. Das ist ja ein sehr persönliches Thema.“

Mit erstaunlich kräftigen Stimmen beginnen die Damen zu singen, der schöne Klang erfüllt den Raum. Ich erinnere mich an die Kirchenbesuche in der Kindheit. Das Hin- und Herrutschen auf der harten Bank, zischend ermahnt von den Erwachsenen. Der Duft von Weihrauch, der Klang der Orgel, die gruseligen Schauer beim Betrachten des Heiligen Sebastian, der jugendliche Körper von Pfeilen durchbohrt. Die Langeweile, in der die Phantasie auf Reisen ging. Wann, frage ich mich, hat zuletzt die Zeit so köstlich ungestaltet vor mir gelegen wie damals?

„Ein leidender Unschuldiger ergießt über das Böse das Licht des Heils“, predigt die Äbtissin. „Das ist der Grund, warum ein Mensch, der Gott liebt, leiden muss.“

Leiden, denke ich, ist nicht sonderlich populär in unserer Kultur. Auf Facebook ist kein Platz für Leid. Ein wenig Barmherzigkeit könnte uns gut tun.

Der Tag liegt vor mir, ich habe nichts zu tun. Mir ist fast ein bisschen schwindelig vor Freiheit. Ich streife durch den Klostergarten. Ich setze mich auf eine verwitterte Bank. In den Kräuterbeeten steht braunes Gestrüpp, aber im Gras blühen die ersten Krokusse und die Sonne wärmt schon ein bisschen. Ich gehe spazieren. Über den Feldern hängt leichter Jauchegeruch, gelegentlich erhebt sich ein Reiher. Wann bin ich zuletzt alleine spazieren gegangen? Joggen ja, aber spazieren?

Um 18 Uhr ist Abendandacht. Wir sind nur zu dritt. „Wollen wir ein Lied singen, das Ihnen vertraut ist?“, fragt die Äbtissin und ich versuche krampfhaft, mich an eines zu erinnern, von dem mir mehr geblieben ist als eine halbe Strophe. Ich bin erleichtert als sie „Der Mond ist aufgegangen“ vorschlägt. Es steht tatsächlich im Gesangbuch. Und so sitzen wir, drei nicht mehr junge Frauen, und singen dieses melancholische Abendlied, den Blick auf das Bild der Erlösers gerichtet, während draußen der Vorfrühlingstag verdämmert.

Zurück in meinem Zimmer meditiere ich eine Runde. Es ist sehr still. Ich glaube, ich bin ganz allein im Haus. Ich esse mein mitgebrachtes Brötchen. Danach ist es immer noch früh. Ich setze mich ans Fenster, auf dem Schoß einen Band meines Lieblingsdichters, in dem ich ewig nicht gelesen habe. „Abends dasitzen, in den Schlund der Nacht sehen …“ beginnt eines der Gedichte. Um neun Uhr gehe ich ins Bett und schlafe tief und traumlos wie schon lange nicht mehr.

Möge ich glücklich sein … Im Sukhavati Zentrum für Spiritual Care

Wie ein großes weißes Tor öffnet sich das puristisch-schlichte Gebäude des Berliner Architekten Karl Hufnagel zum Scharmützelsee. Der mittlere Gebäudeteil ruht auf schlanken Säulen, so dass man von der Straße aus in den Garten und zum Ufer sehen kann. Haus und Garten laden ein, herein zu kommen. Wer Einkehr und Besinnung ohne christlichen Hintergrund sucht, findet sie im im Mai 2016 eröffneten Sukhavati Zentrum in Bad Saarow. Im buddhistischen „Zentrum für Spiritual Care“ sollen die tibetisch-buddhistischen Lehren,  vor allem die Praktiken der Achtsamkeit und des Mitgefühls im Alltag angewendet werden, um Menschen in Krisensituationen Zuflucht zu bieten. Das Zentrum verdankt seine Entstehung einem anonymen Spender. Hier lebt eine buddhistische Gemeinschaft, es gibt eine Abteilung, in der schwer Kranke und Sterbende begleitet werden, regelmäßige Seminare und Veranstaltungen. Außerdem Zimmer und Apartments, die man für kurze oder längere Zeit mieten kann. Das Bistro, das sehr gutes vegetarisches Essen bietet, ist ebenso öffentlich zugänglich wie das tägliche Yoga- und Meditationsangebot. „Wir möchten einen Raum schaffen, in dem Menschen Zugang zu ihrem Inneren aufnehmen können, um dann selbst zu entscheiden, wie es weiter gehen soll“, erklärt Anja Matuszewski. Die gelernte Gynäkologin ist im Sukhavati für die spirituelle Begleitung zuständig. Das geschieht nicht nur durch Gespräche und angeleitete Meditationen, sondern auch durch den Ort selbst.

Als ich in mein Zimmer geführt werde, verstehe ich, was sie meint. Die geölten Eichendielen, die Sichtbetondecken, die schlichte Einrichtung aus Bett, Sessel und Beistelltisch, auf dem eine Orchidee steht – man merkt jedem Detail an, das es mit Bedacht gewählt ist. Selbst das Besteck in der Schublade der Küchenzeile scheint achtsam aufgereiht. Ich setze mich in den unglaublich bequemen Sessel. Ich habe vor, in dem Buch zu lesen, das Anja Matuszewski mir gegeben hat. „Das Tibetische Buch vom Leben und Sterben“ des buddhistischen Meisters Sogyal Rinpoche. „In gewisser Weise ist das hier das Haus zum Buch“, hat Matuszewski gesagt. Leiden entsteht, sagen die Buddhisten, wenn wir das, was ist, nicht annehmen wollen. Vergänglichkeit, vermeintlich negative Gefühle. Hier im Sukhavati, das auf Sanskrit „Ort des Wohlbefindens“ bedeutet, ist Raum für all das.

„Menschen, die leiden, kommen in die Isolation, weil sie nicht wissen, wo sie damit hin sollen und die Isolation schafft mehr Leiden.  Zu erfahren, dass sie mit ihren Gefühlen einfach sein dürfen, ist für viele, die hier her kommen, wie eine neue Geburt“, sagt Matuszewski.

Ich schaue hinaus auf den See. Sanft kräuselt sich die Wasseroberfläche. Auf der Wiese steht eine Reihe bunter Gebetsfahnen an Bambusstangen. Auf dem zarten Baumwollstoff sind verwaschene Schriftzeichen zu erkennen. Die hellblauen, roten, türkisfarbenen Stoffe bewegen sich im Wind wie grazile Tänzerinnen. Jede ein wenig anders, so als hätten sie unterschiedliche Persönlichkeiten. Wie schön es ist, hier einfach nur zu sitzen und zu schauen. Ich spüre nicht, wie die Zeit vergeht.

Es klopft an der Tür, ich werde zur Meditation abgeholt. Im dem kleinen Meditationsraum steht eine helle Buddhastatue. Die geöffneten Hände zeigen an, dass es sich um den „Buddha des grenzenlosen Mitgefühls“ handelt. Eine Glasfront geht zum kleinen Zengarten mit geharktem Kies, Bambus und Brunnen. Um Mitgefühl geht es auch in der Meditation. Zunächst, erklärt Meditationsleiter Robert Hofberger, müssen wir lernen, uns selbst gegenüber liebevoll und mitfühlend zu sein. Für viele von uns die schwerste Übung. „Mit der Selbstliebe ist es ja bei den meisten von uns nicht so weit her“, sagt Hofberger.  „Möge ich glücklich sein, möge es mir wohl ergehen …“ wünsche ich mir selbst und es fühlt sich gut an. Nach der Übung gehe ich ans Ufer des Sees. Ich spüre die Stille. Eine Art von Stille, die mehr ist als die Abwesenheit von Geräusch.

 
Kloster Stift zum Heiligengrabe 
Stiftgelände 1, 16909 Heiligengrabe, Tel. 033962-808-0
Öffnungszeiten: März Di-So 11-16 Uhr, April-Sept.: Di-So 11-17 Uhr.
Führungen: März bis 20.12. Di-So 14 Uhr
Andachten: Mo 8 und 12 Uhr, Di-Do 12 Uhr, Fr 12 und 18 Uhr
Kein Hotelbetrieb, Übernachtung im Kloster nach Absprache möglich (Einzelzimmer 49 Euro)
Informationen über Einkehrtage, Seminare und die Sommerkonzerte in der Stiftskirche unter www.klosterstift-heiligengrabe.de
Sukhavati
Zentrum für Spiritual Care, Karl-Marx-Damm 25, 15526 Bad Saarow, Tel. 033631 646-0, www.sukhavati.eu, Einzelzimmer mit Küchenzeile für den Kurzbesuch ab 68 Euro, Meditationsangebote inklusive

 

 

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