von Petra Schachtschneider

Wenn man mich noch etwa vor einem Jahr fragte, lautete meine Antwort: Vergebung ist nicht unbedingt notwendig. Heute weiß ich, Vergebung muss auf jeden Fall stattfinden. Denn erst in der Vergebung liegt die wahre Heilung!… aber sie beinhaltet etwas anderes, als ich noch damals dachte.

Bevor wir uns vornehmen, einem Anderen zu vergeben, sollten wir bei uns selbst beginnen. In unserer dualen Welt wird ständig ein Schuldiger gesucht. Ihre Gesetze sagen, dass man entweder ein Täter und damit schuldig, oder ein unschuldiges Opfer sein kann. Wäre es möglich, dass es eine dritte Alternative gibt? Dieses Spiel und dieser Fluch können beendet werden. Von jedem Einzelnen von uns. Indem wir im Hier und Jetzt leben und die volle Verantwortung für uns übernehmen.

Verantwortung für sich selbst übernehmen

Als erstes hörte ich also auf, in die Vergangenheit zu schauen und dort die Rechtfertigung für mein gegenwärtiges Verhalten zu suchen. Denn das Motto: „Ich kann dir jetzt weh tun, weil du es gestern getan hast. Ich kann jetzt den Nachbarn bestehlen, weil gestern mich der andere Nachbar bestahl“ verursacht und unterhält nur einen ewigen Kreislauf. Wir können diesen Teufelskreislauf leider in der gesamten Weltsituation deutlich beobachten.

Den Begriff „Schuld“ ersetze ich durch den Begriff „Verantwortung“. Wenn ich jetzt meine Augen schließe und nacheinander die Energie dieser beiden Sätze spüre: „Ich bin schuld, dass dies geschah“  und „Ich trage die Verantwortung für diese Situation.“, nehme ich einen deutlichen Unterschied wahr. Das Wort Verantwortung beinhaltet im Unterschied zur Schuld die Handlungs- und Änderungsbereitschaft. Wenn z.B. unsere Beziehung nicht gut läuft, können wir den Schuldigen suchen und damit jahrelang in einer vergifteten Atmosphäre verbringen. Oder wir betrachten ehrlich die Lage und erkennen, welchen Teil der Verantwortung wir selbst dafür tragen. Sobald ich bereit bin, sie zu übernehmen, ändere ich mein Verhalten und damit erhalten auch mein Partner und meine Partnerin diese Chance.

Ich persönlich bemühe mich, die Verantwortung für all mein Tun zu tragen. Als ich damit begann, setzte ich mich zuerst mit dem auseinander, was ich in der Vergangenheit bis zu diesem Moment getan und wofür ich mir Vorwürfe gemacht hatte. Hierbei erkannte ich, dass ich jedes Mal für das Handeln an sich einen vernünftigen Grund hatte. War mein Grund ethisch und moralisch in Ordnung und es führte dennoch zum Misserfolg, lernte ich, es zu akzeptieren. Wir können nicht hellsehen. Meine ursprüngliche Entscheidung zu der Handlung war dennoch richtig. Waren die Gründe nicht ganz rein, erkannte ich das jetzt als einen Fehler und versprach mir, diesen Irrtum nicht mehr zu wiederholen.

Wenn du jetzt über meine Zeilen nachsinnst, wird dir wahrscheinlich auffallen, dass ich das Wort Vergebung gar nicht erwähnt habe. Ab dem Moment, in dem wir die Verantwortung für uns selbst übernehmen, gibt es nichts mehr, was wir uns verzeihen müssten. Volle Verantwortung für sich zu tragen bedeutet, bewusst und achtsam zu leben. Es gibt nur das HIER und JETZT und unsere volle Präsenz.

Nachdem ich es in mir auf diese Art geklärt hatte, schaute ich mir die Verletzungen an, die ich von anderen Menschen erlitten habe. Gibt es vielleicht einen Bereich, in dem ich gegenwärtig immer noch verletzt werde? Wenn das der Fall ist, gilt es, sich von ihnen zu distanzieren. Von Menschen, die mich nicht schätzen können, muss ich mich trennen.

Verletzungen der Vergangenheit

Was ist mit Verletzungen aus der Vergangenheit, aus der Kindheit z.B., wo man sich nicht wehren konnte? Es wäre fatal und selbstschädigend zu vergeben, bevor diese Dinge verarbeitet wurden. An erster Stelle muss unbedingt der verletzte innere Anteil von damals den Trost und das Mitgefühl bekommen, die er benötigte. Das ist das A und O. Sprüche, wie „Ich kann den Verursacher auch verstehen, weil er z.B. selbst so etwas erlebte“, sind ein Teil des Abwehrmechanismus, der uns den Weg zur Heilung versperrt. Denn der es zu verstehen versucht, ist der Verstand von heute. Der Anteil von damals hat es zu spüren und fühlen bekommen. Das sind zwei völlig unterschiedliche Ebenen, sowohl zeitlich als auch energetisch. Wir müssen also dem verletzten inneren Anteil genau das zukommen lassen, was ihm zusteht und den Gefühlen, die dadurch entstehen, erlauben da zu sein. Dazu gehören nicht nur Trauer, sondern auch Wut, welche gesund nach außen kanalisiert werden muss, damit sie nicht destruktiv wirkt. Es ist wichtig, allen Gefühlen in diesem Prozess den Raum zu geben.

Mut und Geduld mit sich selbst sind zwei wichtige Begleiter auf der Reise zur Vergebung und Heilung. Irgendwann werden wir für unsere Bemühungen belohnt. Es stellt sich eine Erleichterung ein. Für Frieden in uns selbst können immer nur wir selbst sorgen, niemand im Außen. An Stelle von Groll über die „schuldbeladenen“ Taten tritt Frieden ein. Es gibt nichts mehr, was vergeben werden kann. – Das nenne ich die wahre Vergebung.

Vielleicht ist dir wieder aufgefallen, dass ich den „Schuldigen“ gar nicht erwähnt habe. Ich habe ihn nicht vergessen, er wird nur unwichtig. Denn die Klärung findet nur in uns selbst statt, niemals im Außen. Natürlich ist es wichtig, für uns zu sorgen und uns in der Gegenwart keinen neuen Verletzungen mehr auszusetzen.

Der beschriebene Weg war auch der meine. Viele Jahre empfand ich sogar Hass auf meine Mutter. Mittlerweile habe ich nicht nur vergeben, sondern später auch eingesehen, dass ich wohl als Kind nicht einfach zu handhaben und sie mit mir überfordert war. Und schließlich sind wir es selbst, die sich für eine Familie entscheiden, in die wir hinein geboren werden wollen, um an diesen Erfahrungen zu wachsen.

Seminar: Heilsames Wochenende für die Seele 11.10. – 13.10.2019 in Smiedeberg / Erzgebirge

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