von Ingreda Hunas

Es war im April zu den Ostertagen im Umkehrkurs auf einem Waldgrundstück. Dieser klösterlich anmutende Platz ist als ein „Friedhof der falschen Ich-Identitäten“ bekannt geworden. Ich hörte davon und das machte mich neugierig. Kurzfristig entschied ich mich zur Teilnahme am Retreat und bekam zur Übernachtung einen Platz draußen in einem halb-offenen Bretterverschlag, einem Kabuff mit Fenster und eine Wärmeflasche zugewiesen. Perfekt, dachte ich, sogar künstlerisch gestaltet und bemalt, ganz in meinem besonderen Sinne. Von einer wahrhaft besonderen Überraschung, die die 1. Nacht für mich bereithielt, ahnte ich nichts…

 

Der Aufschrei: „Ich will die Kälte nicht!“

In der Nacht gab es einen Temperatursturz auf 0° Celsius. Vier Uhr morgens wurde ich wach, weil ich fror. In einem spontanen Abwehr-Mechanismus der Kälte erstarrte ich obendrein vor Wut, Angst und Zweifel. Ich wollte das nicht. Ich stand auf und wusste nicht wohin mit mir und wie ich diesen Zustand beenden sollte. Ich stand auf dem Schlauch. Ärgerlich machte ich einen Café in der Sommerküche gleich nebenan – was für ein Hohn, diese sommerliche Benennung – und kauerte mich zurück ins Bett, obwohl das die Kälte nicht linderte. Die Gedanken kreisten: „Die anderen haben es besser. Sie können im Warmen liegen und ich muss frieren.“ Der Vergleich ist sofort da und es ist ganz klar, dass ich benachteiligt bin. Ich versinke in einer kalten Selbst-Beschuldigung. Warum kam der Ruf, hier her zu fahren und warum bin ich dem gefolgt!? Das habe ich einfach vergessen. Ich würde das nicht mehr machen unter solchen Umständen! Nie wieder! Ich will zwar frei von meinem inneren leidvollen Wesen sein, das war der Wunsch. Doch den Teil meiner Komfortzone, der die äußere Wärme betrifft, möchte ich behalten!

Mayakarina leitet den Umkehrkurs. Als sie lächelnd aus dem beheizten Haus kam, war ich noch wütender. Ich schleuderte mein Leid und meine Wut heraus. Ich wollte von ihr gehört, verstanden werden. Doch das geschah nicht. Mein Opferdasein wurde nicht ernst genommen, glaubte ich, sondern für ein sich selbst verletzendes Drama erklärt. Scheinbar ganz ohne Mitgefühl stellt sie mir lakonisch eine Frage: „Wer bist du jetzt ohne deine Leidens-Geschichte?“ Oh mein Gott, wie unsanft eine solche Behandlung ist! Diese Begegnung hier auf dem Platz ist kein Kuschelkurs. Ich wurde auf die Möglichkeit hingewiesen die Kälte hier und jetzt zu lieben. Was für ein Irrsinn, ich habe doch recht! Niemand würde die Kälte lieben, wenn er friert. Meinem Verständnis entspricht das ganz und gar nicht. Ich wollte einfach nur ernst genommen, verstanden und bedauert werden. Sie hat doch keine Ahnung wie es mir geht, weil sie ja schön aus der Wärme kommt! Soll sie doch mal draußen schlafen und nicht nur schlau reden! Trotz Fluchtgedanken bin ich jedoch geblieben. Am Ostermontag wurde mir klar, dass dies hier und jetzt der Beginn meines persönlichen Erwachens aus dem Leiden ist.

 

Handlungs-blockiert durch Glaubenssätze

Der Gedanke: „Ich will die Kälte nicht“ richtet sich gegen die Wirklichkeit. Er macht mich kälter als es schon ist. Er macht mich hart, schroff in meiner Reaktion gegen Mayakarina und die anderen, die mich zur Besinnung bringen wollen. „Ich brauche Verständnis, Mitgefühl und dass sie mich lieben, wie ich bin“. Unbewusst von diesen Glaubenssätzen geleitet, bin ich in der Sackgasse des Leidens festgefroren. Ich stehe auf dem Schlauch. Handlungsoptionen mich warm zu machen, fallen mir in meiner nächtlichen Wut nicht ein.

Dass die Sicht aus der Umkehrung dieser egoistischen Ansprüche das Geheimnis meiner Erlösung ist, sickert in den Sitzungen langsam durch. Mein festgefrorener Eigensinn, der kindliche Trotz als der Widerwille scheint das Tempo meiner Befreiung vom Leiden zu bestimmen.

 

Die heilige Sitzung

Was für eine wunderbare Wendung nun im Zusammensein mit Mayakarina in den Sitzungen. Die Kälte zunächst zu lieben, statt dem Kopf-Theater Aufmerksamkeit zu geben, ist eine heilsame Entscheidung, die mir mein ganzes Drama wegnimmt. Oh mein Gott, wer bin ich denn ohne mein Drama? Das bin ja gar nicht mehr ich! Eine Ahnung steigt in mir auf, dass ich wahrlich auf dem sogenannten Friedhof der falschen Ich-Identität gelandet bin. Doch ich verliere nichts als meine Opfer-Identität. Alle stimmen zu. Die bewusste Entscheidung zu lieben was ist, ist immer und für jeden möglich. Und ja, hier und jetzt scheint durch, was bleibt. Liebe. Die Identität mit meinem Drama brauche ich nicht mehr. Es ist nichts anderes als die selbstzerstörerische Opfer-Identität, die stirbt. Es wird friedlich, weit und liebevoll in mir. Es ist eine Auferstehung in der Liebe, die ICH BIN. Das passiert gerade jetzt, am Oster-Montag. Wer sich wie die „Jünger von Jesus“ für Lieben was ist entscheidet, sieht seine Auferstehung an diesem heiligen Tag, so die religiöse Geschichte. Doch hier und jetzt ist klar, es ist die Auferstehung der Liebe, die ICH BIN. Es ist nicht die Auferstehung als die Wieder-Geburt eines Körpers. Es ist das Gewahrsein der unsterblichen Liebe.

 

Die heilige Symbolik

Die Ostergeschichte der Kreuzigung und Auferstehung ist mir nun klar. Es ist eine symbolische Geschichte, die die Auferstehung der Liebe symbolisiert, die in jedem hier und jetzt möglich ist. Unbewusst festgefahrene persönliche Glaubenssätze richten die Liebe in mir hin und im Blick der Umkehrungen ist die Liebe wach, „auferstanden“. Judas und Jesus sind eins in mir. Die Oster-Geschichte ist nichts Äußeres. Ich bin DAS. Je nachdem, welche Entscheidung getroffen wird, bin ich entweder Judas, der Zweifler und Verräter oder Jesus als Spiegel oder Verkörperung der Liebe.

 

Die Auf-Lösung der Handlungsblockade

 „Ich will die Kälte haben, weil sie jetzt ist“. So einfach ist der Umkehrkurs in die Liebe. Zu lieben was ist, ist eine Herzensangelegenheit. Hier hat der Verstand mit seiner eingefrorenen, auf Wohlgefühl ausgerichteten Denkstruktur keine Chance zu überleben. In diesem geistigen Verweilen steigt plötzlich eine mysteriöse Wärme von innen heraus auf. Es ist das Gefühl eines bedingungslosen Geborgenseins. Und – ohne gedankliche Einmischung in das was ist, sehe ich im Nachhinein Optionen, die den Körper durch eine Handlung direkt erwärmen. Wie von selbst spielt sich die neue Situation in meinem geistigen Gewahrsam ab: Obwohl es noch dunkel und kalt ist, ziehe ich mich warm an und mache einen Spaziergang bei Mondschein durch Wiese und Wald oder auf der nahe gelegenen Dorfstraße oder ich betrete eins der drei beheizten, nicht verschlossenen, Häuser und bitte um Eintritt. Ohne den festsitzenden Gedanken: „Ich darf nicht stören“ ist das keineswegs egoistisch. Es geschieht von selbst. Eine ungewöhnliche Aufregung packt mich. Ich freue mich plötzlich auf die Wiederholung einer Situation, die meiner üblichen Komfortzone des Denkens entgegengerichtet ist. Ich bin offen für eine neue Situation, in der ich auf ähnliche Weise überrascht werde. Ich bemerke, dass sich durch diese Offenheit das Leiden bereits jetzt schon zurückzieht. Alles ist richtig, wie es ist. Sogar wenn meine Bitte abgewiesen wird, ist da Dankbarkeit, denn es gibt weitere Optionen.

 

Die Intelligenz des Körpers

Die Lösung von der fest gefrorenen Sicht: „Ich brauche es, wie ich es will“ ist wie eine neue Geburt. Ohne die jetzige Situation zu bewerten, bewegt sich der Körper, wenn er friert, in der richtigen Weise von selbst. Es ist die in der Körperstruktur gebundene Intelligenz des Bewusstseins, die den Körper bewegt, so höre ich es von Mayakarina und ich kann es hören. Das ist vollkommen anders als die kopf-gesteuerte stagnierende Bewegung im Kreislauf der Angst.

 

Freiheit ist Freiheit vom Leiden

Zu dem gedanklichen Leidens-Konstrukt gehört der Glaube: „Wenn ich es habe, wie ich es will, leide ich nicht. Dann bin ich frei“. Was für ein Irrtum! „Ich will es so wie ich es will“, schreit das Ego und schon ist die Realität abgelehnt und mein Blick eingefroren. Es ist vollkommene Kontaktlosigkeit und Ignoranz der Wirklichkeit. Es ist die Kälte des Herzens. Es ist Leiden. In dieser ursächlichen Unwissenheit kommt die Kälte von außen auf mich hernieder. Und dies ist der heilige Moment anzunehmen, was ist. In dieser heilsamen Bereitwilligkeit die physische Kälte anzunehmen, ergeben sich Möglichkeiten aus sich selbst heraus, wie von selbst. Es ist eine freiheitliche Bewegung, die einfach geschieht. Hier ist eine mysteriöse Leichtigkeit. Ich bewege mich nicht. ICH BIN bewegt. Erstaunlich!

 

Das Grab und die Auferstehung

Freiheit ist das Geschenk der Klarheit durch „Lieben was ist“. Das Buch von Byron Katie mit diesem Titel kenne ich seit Jahren und auch „The Work“, die innere Arbeit. Nun endlich habe ich die Botschaft gehört. Der anfängliche Widerstand gegen die Kälte war der Anfang meiner Freiheit. Hören und hören ist also zweierlei! In meinem Fall der Erlösung von der Denkstruktur durch Hingabe ist plötzlich niemand mehr da, dem das geschieht. Leben passiert auf eine einfache Weise durch „Lieben was ist“. Es ist die Ostergeschichte. ICH BIN die Auferstehung. Der Stein vor dem Grab der Liebe ist hochgehoben und die Worker sind die Jünger, die im Willen zur Wahrhaftigkeit die ewige Liebe fortsetzen.

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