Wie man sich streitet, so schläft man (miteinander)… Präsent, offen, nehmend und „austeilend“ – oder abwesend, matt und ohne eigenen Antrieb. Ein erfülltes Sexualleben ist ein Ausdruck von Lebenskraft. Für sein eigenes Wollen, sein Begehren, ja sein Dasein einzustehen, dafür in den Ring zu gehen und zu streiten, ebenso. Beides, Streiten und Sex, präsent und achtsam ausgeführt, steigern Wohlbefinden und Lebensfreude. Ein Text von Anja Zeiske über Streit und Präsenz, Sex und Schmerz, Leid und Schönheit.

Entweder man streitet und hat Sex, oder man streitet nicht – und hat keinen Sex. Diese Beziehungsweisheit habe ich vor einiger Zeit gehört und sie für interessant befunden. Und ich kam zu dem Schluss, dass Meinungsaustausch und Streit in meinen Beziehungen immer einen Platz haben sollen. Mehr noch, mit der Aussicht auf lustvollen Sex regt sich in mir der Wunsch, auch am Streiten mehr Lust zu entwickeln. Doch was hat Streiten mit Lust und Sex zu tun?

Streiten und Sex

Wer streitet, ist da, ist präsent, zeigt sich, sagt, was er will. Wer nicht streitet, schaut auf alles und jeden in seinem Leben voller Gleichmut oder ist notorisch harmoniebedürftig. Wer nie Widerworte gibt, weiß im schlimmsten Fall nicht, was er will, oder vermag im weniger schlimmen Fall nicht, seiner Wahrheit Ausdruck und Nachdruck zu verleihen. All das findet sich auch im sexuellen Miteinander. Zufriedenstellenden, oder vielleicht besser: erfüllenden Sex gibt es nur, wenn beide Partner da sind, präsent, sich zeigen und ihre Sehnsüchte und Herzenswünsche mitteilen. Ist einer der beiden nicht präsent, gibt es kein wirkliches Miteinander. Sex ist etwas Beidseitiges. Ist ein Partner – oder sogar beide – nur halb dabei, dann fehlt etwas. Sex ist ein Spiel, ein Austausch, ein Kennenlernen, ein immer wieder neues Abenteuer. Geht nur einer der beiden auf Abenteuersuche, der andere aber bleibt zu Hause, sind letzten Endes beide allein. Mögen sich die Körper auch berühren – eine wirkliche Begegnung geht weit über die Berührungsflächen der Haut hinaus.

Wer bin ich und was will ich?

Streitfreudig zu sein, sich zu zeigen und zu sagen, was man will, heißt noch lange nicht, damit automatisch in seiner Präsenz zu sein. Wie oft hören wir unsere Liebsten sagen: „Du klingst wie Deine Mutter!“ oder „Das hat Dein Vater auch immer gesagt!“ Wir sind Kinder unserer Eltern, Enkelkinder unserer Großeltern, wir sind Partner und Expartner. Allzu oft übernehmen wir essentielle Ansichten, Grundmuster, Denk- und Handlungsstrategien von uns nahestehenden Menschen. Während wir dem als Erwachsene bewusst begegnen können, war uns dies als Kind nicht möglich. Mehr als uns lieb und meist mehr als uns bewusst ist, pflanzen wir die traditionellen Denkstrukturen unserer Eltern und Großeltern fort. Doch diese Ansichten passen nicht mehr zu uns. Ihr Fundament sind enge moralische Weltanschauungen, Scham- und Schuldgefühle, ein Vermeiden von Macht, da diese missbräuchlich erlebt wurde, um nur Einiges zu nennen. Unter allem liegt die Illusion der Getrenntheit, der Glaube daran, allein zu sein auf der Welt und sich anpassen zu müssen, um irgendwie dazuzugehören.

Doch wieviel davon ist nun unser eigenes Denken und an welchen Stellen haben wir Denkstrukturen schlicht und einfach übernommen? Dies gilt es – im Zuge von mehr Wahrhaftigkeit im Leben – in einem ersten Schritt herauszufinden. Ein großer Schritt ist getan, wenn wir dies differenzierter betrachten können. Denn erst dann sind wir in der Lage, loszulassen, was nicht unseres ist. Ohne zu werten, schon gar nicht uns selbst. Es geht darum, die Dinge zu würdigen als das, was sie sind – nämlich Anteile unserer Vorfahren. Lassen wir diese los, kommen wir nach und nach bei uns selbst an.

Nun lässt sich anmerken, dass Streiten auch gelingen kann, ohne vollsändig in der eigenen Präsenz zu sein. Doch gehen wir dann möglicherweise nicht für unsere eigenen Wünsche ins Feld, sondern für die unserer Mütter und Väter, Großmütter und Großväter etc.

Sich in die Präsenz streiten

Steiten ist ein Meinungs- und Energieaustausch. Zwei Menschen, die sich ihrer selbst und ebenso ihrer Fallen und Stricke, ihrer Egomuster, ihrer übernommenen und längst überholten Ansichten und Strukturen mehr oder weniger bewusst sind, treffen aufeinander. Die Energie fürs Streiten kommt aus dem Bauch, ist offensiv, direkt und feurig. Präsentes Streiten ist zudem achtsam und respektvoll. Es ist heilsam, unterstützend und verbindend.
Ich teile mich mit, berichte von mir und höre, was der andere über sich sagt. Ich höre die Egomuster meines Gegenübers oft besser als er selbst. Doch ich werfe sie ihm nicht vor. Als präsentes Gegenüber und auch im Wissen um meine eigenen Anteile und Egostrukturen helfe ich liebevoll dabei, die Dinge zu sehen, sie anzunehmen und zu integrieren. Präsentes Streiten hat nicht zum Ziel, den anderen verlieren zu lassen, um selbst als Gewinner dazustehen. Es geht um die Klärung von Situationen, von Bedürfnissen, von Konflikten. Nichts ist geklärt, wenn sich einer der beiden am Ende unterlegen fühlt.

Das Leid der anderen – unser eigenes Leid?

Unsere Sexualität, unser sexueller Ausdruck, ist einer der sensibelsten Bereiche unseres Lebens. Es braucht Vertrauen, Nähe und Feingefühl, sich auf den anderen einzulassen und sich für sich selbst und den anderen zu öffnen. Sexualität ist auch der Bereich, in dem ungeheure Verletzungen stattgefunden haben und noch immer stattfinden. Verletzungen, die wir selbst erlebt haben, aber auch solche, die unsere Ahnen erleiden mussten. Vergewaltigungen, Fehlgeburten, Abtreibungen, Erkrankungen der Geschlechtsorgane – dies ist es, was Generationen von Frauen in unseren Ahnenlinien immer wieder erlebt haben. Ohne je darüber sprechen, geschweige denn ihre Erlebnisse aufarbeiten zu können. Immensens Leid verbirgt sich hinter ihren Schürzen, Kitteln und Arbeitshänden. Hilflosigkeit bei den Männern, die nur zusehen, nichts aber für sie tun konnten oder sich mit den Schuldgefühlen ihrer Täterschaften plagen.
Unverarbeitet und verdrängt tragen sie ihre Erfahrungen und Gefühle weiter, hinein in die nächsten Generationen, die sich der Freude und der sexuellen Lust verschließen und Angst und Vermeidung an ihre Stelle setzen.

Wer Verletzung erlebt hat, verschließt sein Herz und versucht, sich vor erneuten Übergriffen zu schützen. Wir aber können wir uns öffnen, wenn wir gleichzeitig unser Herz verschließen? Oder unseren inneren Raum mit Ahnen teilen, die sich vor lauter Schmerz nicht mehr öffnen, vielleicht sogar nicht mehr fühlen wollen? Je mehr Raum diese verletzten Ahnen in uns einnehmen, desto mehr agieren wir ihre Abwehrstrategien aus. Wir verschließen und entziehen uns, trennen uns von unserem Körper und unseren Gefühlen ab und wissen weder, warum wir dies tun, noch wie wir damit umgehen können.

Es ist an der Zeit…

… den Schmerz anzusehen, dem Leiden ins Auge zu blicken, damit Verbundenes zu fühlen – und all dies endlich loszulassen. Stück für Stück, Schicht für Schicht, Schmerz für Schmerz. Es braucht Geduld, es braucht den Willen und den Entschluss, Dinge ändern zu wollen. Manchmal braucht es Begleitung. Immer aber braucht es gewissermaßen die Vorfreude auf die Freude, den Geschmack davon, wie es sich anfühlt, wenn alles gut, verbunden und in Frieden ist.

Es ist an der Zeit, unsere Schönheit wiederzuentdecken. Schönheit, die unter dem Ballast des Alten versteckt und verschüttet ist. Unter dem Ballast dessen, was gesehen, gefühlt und gewürdigt werden will, um anschließend entlassen werden zu können. Schönheit, die nichts zu tun hat mit Make-up und anderen äußerlichen Strategien. Sie kommt von innen und ist Ausdruck von Befreiung und Freiheit und vom bewussten Wissen über den Schatz, der wir sind und den wir in uns tragen. Ein Schatz, der beispielsweise in einer befreiten und erfüllenden Sexualität zum Ausdruck kommt – und auch im miteinander Streiten.

 

Foto: Christiane Bendel / pixelio.de